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Russland mit neuer Militärdoktrin

Moskau reagiert auf Vorrücken der NATO

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Die Militärdoktrin war schon zu Sowjetzeiten Schlüsseldokument für Moskaus Außen- und Sicherheitspolitik. Zwar enthält sie stets nur allgemeine Beschreibungen von Bedrohungen und Gefahren, mögliche Gegner werden nicht konkret benannt, Varianten zu deren Neutralisierung und Abwehr nicht analysiert. Dennoch glaubt der Direktor des Zentrums für strategische Analysen, Ruslan Puchow, dass die neue Militärdoktrin, die zu Jahresende in Kraft treten soll, Moskaus direkte Antwort auf die neue Russland-Politik der NATO und das Vorrücken der militärischen Infrastruktur des westlichen Militärbündnisses bis an Russlands Grenzen sei.

In der Tat: Die derzeit gültige Doktrin, die Präsident Wladimir Putin 2010 per Erlass in Kraft setzte, befasst sich vor allem mit Terrorismus und Extremismus. Im Nachfolgedokument dagegen würden externe Bedrohungen – darunter durch regionale Konflikte wie der in Syrien – sowie »nichtlinearer Aktionen« von Privatarmeen und ein von außen gesteuerter »Einsatz des Protestpotenzials innerhalb der Bevölkerung« Priorität haben, sagte der Vizekoordinator des Nationalen Sicherheitsrates, Michail Popow, der Nachrichtenagentur RIA/Nowosti.

Vor allem der »Arabische Frühling«, so ein General aus der Chefetage des Verteidigungsministeriums gegenüber der Wirtschaftszeitung »Wedomosti«, habe die russische Führung veranlasst, in der Ukraine-Krise eine ausgesprochen harte Position zu beziehen. Varianten zur Neutralisierung dieser Bedrohung würden den »nicht-atomaren Teil« der Doktrin prägen. Auch müsse Russland seine Sicherheitspolitik gegenüber der Ukraine selbst neu durchdenken.

Breiten Raum werden auch Varianten zur Beseitigung der Importabhängigkeit im Rüstungsbereich einnehmen. Vor allem der einheimische Werkzeug- und Präzisionsmaschinenbau soll gezielt entwickelt werden. Dort sei Russland partiell verwundbar, hatte der für Rüstung zuständige Vizepremier Dmitri Rogosin vergangene Woche mit Blick auf neue westliche Sanktionen gewarnt. Auf einer Beratung mit der Rüstungsindustrie am Mittwoch drängte auch Putin auf »einen Durchbruch beim Bau von Präzisionswaffen«. Termin: spätestens 2020.

Priorität, so Vizeverteidigungsminister Juri Borissow, habe die Entwicklung eines eigenen Systems für einen »globalen Blitzschlag« – Moskaus Antwort auf das US-amerikanische »Prompt Global Strike«-Programm, das weltweit Schläge mit Hyperschallraketen und Drohnen großer Reichweite in einer Stunde ermöglichen soll. Russland wäre »im Falle einer realen Bedrohung« gezwungen gleichzuziehen, setze derzeit jedoch vor allem auf Verteidigung. Defensiv werde auch die Militärdoktrin bleiben.

Die welt- und militärpolitische Lage habe sich seit 2010 grundlegend verändert, betont auch der einstige Stabschef der strategischen Raketentruppen Viktor Jessin. Moskau habe das globale Raketenabwehrsystem der USA nicht verhindern können. Eine »angemessene« Weiterentwicklung des nuklearen Abschreckungspotenzials habe daher weiter Priorität.

* Aus: neues deutschland, Freitag 12. September 2014

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