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Der arabische Winter und die Revolutionsillusionisten

Worin besteht die geopolitische Rolle der Umstürze und inneren Kämpfe in Tunesien, Ägypten, Libyen, Syrien?

Von Hannes Hofbauer *

Eine Frage treibt die Linke im Angesicht der arabischen Rebellionen: wie sich dazu stellen? Die Beantwortung bedarf einer nüchternen Betrachtung der Geschehnisse.

Beginnen wir mit Syrien. Vor bald zwei Jahren hat sich dort eine Oppositionsbewegung formiert, die in kürzester Zeit von der Geschichte überrollt wurde. Unterschiedliche interne und externe Interessen haben dazu geführt, dass aus anfänglicher Unzufriedenheit ein heftig tobender Bürgerkrieg geworden ist. Cui bono? Die Frage muss erlaubt sein.

Von einer Revolution kann jedenfalls keine Rede (mehr) sein, die ganze Region steckt mitten in einem territorialen und ökonomischen Neuordnungsprozess, der – über golfmonarchische Umwege – vom Westen dynamisiert wird, zu seinem Vorteil. Und das gilt bis Kairo und Tunis: Anstatt mehr oder weniger laizistisch orientierter Autokraten wird mit der islamischen Karte eine »politische Reserve« aus dem Köcher gezogen, die seit dem Krieg gegen sowjetische Truppen in Afghanistan von Seiten der USA aufgepäppelt worden ist. Die Muslimbrüder, auch von Israel dereinst gegen die palästinensische Linke verstärkt, sind ihr massenwirksamster Ausdruck.

Der kritischen europäischen Wahrnehmung der »Arabellion« muss man zwei wesentliche Versäumnisse vorwerfen: Das Kleinreden des externen Faktors und das Unterschätzen einer fehlenden Programmatik des Aufstandes. Unbestritten ist: Die breite Oppositionsbewegung wurzelt in hausgemachter politischer Unzufriedenheit: mit den Autokraten, einer durch diese verschärften gesellschaftlichen Blockade und den sozialen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise an der Peripherie, wobei letzteres freilich auch äußeren Einflüssen geschuldet ist.

Übersehen wird in der mit den Aufständen solidarischen Linken, mit welcher Wucht und mit wieviel Geld die oppositionelle Mobilisierung von externen Akteuren betrieben worden ist. Da sind in erster Linie die großen sogenannten Nichtregierungsorganisationen (NGO) zu nennen: National Endowment for Democracy, National Democratic Institute, International Republican Institute, Konrad Adenauer Stiftung, Westminister Foundation … Die allermeisten tragen das »N« von »NGO« zu Unrecht im Namen. Seit unter Bill Clinton lokale serbische Gruppen wie »Otpor« gegen missliebige Potentaten unterstützt wurden, hat sich eine wahrhafte Industrie im Umfeld von zivilgesellschaftlichen Interventen entwickelt. Sie ziehen mit gefüllten Konten von Krisenherd zu Krisenherd, orten lokale Unzufriedenheit, organisieren Seminare und rekrutieren Meinungsführer, die den US-amerikanischen und EU-europäischen Neuordnungsplänen positiv gegenüber stehen. Das gemeinsame Ziel lautet: Regimewechsel. Dort, wo zivilgesellschaftliche Krieger für eine dem wirtschaftlichen Liberalismus verpflichtete Demokratisierung nicht genügen, werden die Mittel der zivilen Interventionen militärisch ergänzt. Dass dies ausgerechnet gegen zwei laizistische Regimes mit sozialistischen Versatzstücken, Libyen und Syrien, der Fall war bzw. ist, gibt Aufschluss über die politische Stoßrichtung des äußeren Eingriffs, der im Falle Libyens und Syriens medial herbeigeschrieben oder zumindest wohlwollend kommentiert, im Falle Saudi-Arabiens oder Marokkos nicht einmal in Erwägung gezogen wird.

Was jedem Beobachter der »Arabellion« ins Auge stechen müsste, wird dennoch weitum totgeschwiegen: die fehlende Programmatik des Aufstandes. Da hatte Syriens Präsident Baschar al- Assad schon Recht, als er Anfang dieses Jahres bei seinem Auftritt in der Damaszener Oper meinte, er sehe nirgends eine Revolution, denn für eine solche bräuchte es eine Idee. Die gibt es nicht. Nun kann man über den Revolutionsbegriff trefflich streiten, schon deshalb, weil sich häufig ein erträumtes hehres Ideal von ihm unserer Gedanken bemächtigt. Ob ein Aufstand das Eigenschaftswort revolutionär verdient, hängt auch nicht davon ab, wie eruptiv oder chaotisch bzw. geplant ein solcher ist, aber einem muss eine Revolution schon genügen: ihrem Wortstamm entsprechend umwälzend, eigentlich »zurückwälzend« sein, die Umkehr der Verhältnisse bewirken. Und da die gesellschaftlichen Verhältnisse im Zeitalter globaler Kapitalakkumulation – wie zuvor natürlich auch schon – ökonomiegeleitet sind, muss Veränderung im Wirtschaftlichen (und Sozialen) ihren Kulminationspunkt haben. Bloßes Reformieren der Verhältnisse bringt diese nicht zum Tanzen.

In diesem Sinne vermisst man bei den arabischen Oppositionen, mit Ausnahme von relativ unbedeutenden kleineren Gruppen, umwälzende sozioökonomische Vorstellungen für eine gerechtere Welt. Allenfalls kulturelle Programmatik wird deutlich, wenn man Islamismus als kulturelle Identitätsstiftung begreifen möchte. Statt revolutionären Neuerungen für eine bessere Gesellschaft, ist die Rebellion von einem einzigen konsensualen Gedanken getragen, der da lautet: Regimewechsel.

Wer sind nun die Träger der arabischen Wende, die ziemlich genau 20 Jahre nach der osteuropäischen – auch damals hörte man allenthalben hinter vorgehaltener linker Hand vom besseren Deutschland, von einer gerechteren Verteilung, ja von demokratischem Sozialismus etc. – Platz greift. Es sind, so viel kann nach fast zwei Jahren des Umbruchs gesagt werden, die Muslimbrüder mit all ihren Schattierungen und internen Querelen. Linke und westlich-bürgerliche Kräfte mögen anfangs initialzündend an den Aufständen mitgewirkt haben, Profiteure der Wende sind sie nicht. Als Gewinner vor Ort hat sich eine stark- bis ultra-konservative Strömung etabliert, die mittels gottesfürchtiger Ideologie die Massen in Krisenzeiten auf ein besseres Jenseits vertrösten kann. Führende Familien der Muslimbrüder z.B. in Ägypten verfügen auch im Diesseits über entsprechende Mittel.

Die geopolitische Rolle der Muslimbrüder scheint vergleichbar jenen von Reservespielern auf der Ersatzbank, die zum Einsatz kommen, weil sich die Autokraten verletzt, sprich: gesellschaftlich diskreditiert haben. Entscheidend für deren Unterstützung durch die internationalen Finanzorganisationen und weltweit tätigen Kapitalgruppen wird sein, dass sie sich den ökonomischen Neuordnungsplänen der Wende unterordnen. Ihre Eliten garantieren aus eigenem wirtschaftlichen Interesse die Aufrechterhaltung bzw. Erweiterung der vier kapitalistischen Freiheiten, die da sind: freier Verkehr von Kapital, Waren, Dienstleistungen und (quotiert) Arbeitskräften.

Diesbezüglich hat die Transformation von Tripolis über Tunis bis nach Kairo funktioniert: nirgendwo wurden neue, wirtschaftlich oder sozial argumentierte staatliche Reglementierungen durchgeführt, im Gegenteil: Jede in den vergangenen Jahrzehnten betriebene Schutzmaßnahme einheimischer ökonomischer Akteure gegen allzu starke Konkurrenz von außen, mag sie unter sozialistischer oder nationalistischer Flagge gesegelt und wie immer pervertiert und voll von Elementen der Korruption gewesen sein, muss den Interessen der Marktöffner weichen. Dafür hat sich – ähnlich, wie bei der Wende in Osteuropa – eine Allianz aus willfähriger Diaspora, international agierendem Kapital und ebenso aufgestellten Medien gebildet, denen es über das Umdefinieren von einst linken Begriffen wie »Revolution« und »Solidarität« zu gelingen scheint, die Definitionsmacht über das Geschehen bis weit in die Linke hinein zu hegemonisieren.

* Dr. Hannes Hofbauer (Jahrgang 1955) ist Historiker, Publizist und Verleger in Wien. Lesern des »nd« ist er neben Beiträgen zu Österreich vor allem durch politische Analysen zu ost- und südeuropäischen Ländern bekannt.

Aus: neues deutschland, Samstag, 09. Februar 2013



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