Die NATO lässt sich in Libyen nieder
Mit dem Libyen-Krieg wurde ein neues Kapitel der internationalen Sicherheitspolitik eröffnet - behauptet der ehemalige indische Diplomat M. K. Bhadrakumar
In einem Artikel in Asia Times Online ("NATO settles down in Libya " / „Die NATO lässt sich in Libyen nieder“) vom 1. November 2011 spricht der ehemalige indische Diplomat M. K. Bhadrakumar eine Reihe interessanter wie aufschlussreicher Fakten und Aspekte an, die wir im Folgenden unseren Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten wollen. Die deutsche Zusammenfassung des englischen Textes besorgte Eckart Fooken.
Für M. K. Bhadrakumar eröffnet das Vorgehen der NATO in Libyen ein neues Kapitel der internationalen Sicherheit insoweit, als die gesamte Operation Unified Protector von Anfang an von einer Kontroverse geprägt war. Während die NATO einseitig darauf bestand, dass ihre Intervention in Libyen durch das UN-Sicherheitsratsmandat gedeckt sei, bestritten Russland und China die Übereinstimmung der dort tatsächlich durchgeführten Aktionen mit dem Mandat.
In gleicher Weise sei das Beenden der Operation seitens der NATO kontrovers, aber auch aufschlussreich. So habe NATO-Generalsekretär Rasmussen in seiner diesbezüglichen
Erklärung in Brüssel einige neue Nuancen erkennen lassen, die als Präzedenzfälle für zukünftige regionale Konflikte, wie z.B. Syrien, gesehen werden könnten. So bestand er nicht nur auf der Übereinstimmung des NATO-Vorgehens mit dem „historischen Mandat“ des UN-Sicherheitsrats zum Schutz der libyschen Bevölkerung, sondern ließ auch erkennen, dass die NATO aus eigenem Antrieb („suo moto“) den Einsatz zum 31.10.beende, wobei er die einstimmig am Vortag vom Sicherheitsrat auf Antrag Russlands verabschiedete
Resolution 2016 zur Beendigung der Flugverbotszone gezielt unerwähnt ließ, wie er auch bis zu diesem Zeitpunkt erklärt hatte, dass die NATO sich das Recht vorbehalte, die Lage weiterhin zu überwachen und bei Bedarf auf Bedrohungen der Zivilbevölkerung reagieren werde.
Die US-amerikanische Botschafterin bei der UNO, Susan Rice, wies in diesem Zusammenhang die russische Kritik am Vorgehen der NATO zurück, wobei sie zugestand, dass im Verlauf der Operation zwar bei einigen Mitgliedern des Gremiums ein zunehmendes Unbehagen über bestimmte Vorgehensweisen, denen sie zuvor zugestimmt hatten, entstanden sei, man aber deshalb nicht von deren Irreführung seitens der NATO sprechen könne. Diese amerikanische Position erscheine insofern berechtigt, als Russland und China im Kontext ihrer derzeitigen globalen Strategie der Kooperation und des friedlichen Wettbewerbs mit den USA im Fall des libyschen Konflikts eine im Grunde zurückhaltende und abwartende Haltung an den Tag legten.
Deutlich zu erkennen jedenfalls sei ein Bestreben der russischen Regierung, den Konflikt über das Vorgehen in Libyen im eigenen nationalen Interesse hinter sich zu lassen, um seine zukünftigen Beziehungen zur neuen libyschen Regierung, aber auch den arabischen Monarchien in den Golf-Staaten und dem Westen nicht zu belasten. So lehnte die Regierungspartei eine Entschließung der Duma, die brutale Ermordung Gaddafis zu verurteilen ab. Und gleichzeitig wurden vom russischen Außenministerium die Kontakte zu den Golf-Staaten intensiviert mit dem Ziel einer langfristigen Kooperation im beiderseitigen Interesse.
Damit sei nun offensichtlich klar, dass in Zukunft wesentliche Libyen betreffende Entscheidungen nicht mehr im Sicherheitsrat, sondern zwischen dem „demokratischen Libyen“ und der NATO getroffen werden. Rasmussen wörtlich: "Die NATO steht bereit zu helfen, bei Bedarf und auf Anforderung, beim Aufbau der Sicherheits- und Verteidigungskräfte, die alle Demokratien für ihre Freiheit und Sicherheit benötigen." Es sei daher abzusehen, dass die NATO-Streitkräfte für eine unabsehbare Zeit in Libyen bleiben werden, und – egal was die Resolution 2016 besage, werden NATO-Kampfflugzeuge den Luftraum über Libyen kontrollieren und NATO-Ausbilder die libyschen Streitkräfte ausbilden und mit durch Petro-Dollars erworbenen Waffensystemen ausstatten. Durch die parallel stattfindende politische Umgestaltung werde Libyen dann in ein NATO-Protektorat verwandelt. Die Erfahrungen mit Libyen würden somit der erste Testfall für das neue strategische NATO-Konzept von Lissabonner Gipfel aus dem Vorjahr, der für die Allianz im 21. Jahrhundert Einsätze in globalen Krisenpunkten mit oder ohne UNO-Mandat formuliert hatte.
Man könne daher erwarten, dass die NATO-Operationen in Libyen technisch gesprochen am 31.10. aufhörten, aber ersetzt würden durch eine neue Mission, möglicherweise „Mission der Freunde Libyens“ genannt. Gespräche hinter den Kulissen zu deren Bildung liefen bereits unter Beteiligung der USA um die Beteiligung der NATO sicherzustellen und gleichzeitig einen unverdächtigen Bannerträger wie
Katar – weder eine NATO- noch eine westlicher noch ein mächtiger Staat – zu finden, um politisch oder ideologisch motivierte Ablehnung zu vermeiden. Aus westlicher Sicht sei dabei bedeutsam, dass Katar ein mit dem Westen übereinstimmendes Interesse an einer Gestaltung des Übergangs in Libyen besitze und zur Fortsetzung einer großzügigen Finanzierung desselben bereit sei.
In der Rückschau sei von besonderem Interesse, dass die Vorgänge in Libyen gezeigt hätten, dass weder Russland noch China, noch die BRICS- Staaten noch die Weltgemeinschaft insgesamt in der Lage gewesen seien, in dieser oft als „multipolar“ bezeichneten Welt das Vorgehen der NATO zu verhindern, womit ein markanter Präzedenzfall geschaffen worden sei.
Für Historiker biete der Fall Libyen eine Vergleichsstudie von Großmacht-Diplomatie und zynischen Appeasement vor Aggression. Auf vielfältige Weise erinnere der Krieg um Libyen an die
Abessinien-Krise von 1934. Die große Frage sei, falls die Appeasement Politik gegenüber Abessinien letztlich den Aggressor ( Italien ) nicht von zukünftigen Überfällen abgehalten habe, könne es dann anders ausgehen, wenn der Blick jetzt auf Syrien geworfen werde.
Der Originalartikel "NATO settles down in Libya" in der Asia Times (online) ist hier zu finden:
www.atimes.com
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