Ja zum Sonderweg
Druck machen für einen Waffenstillstand, Verhandlungen und eine faire Berichterstattung: Ein pazifistischer Blick auf Libyen
Von Andreas Buro *
Beim militärischen Eingreifen der NATO in Libyen entstehen Zweifel über die wirklichen Motive. Warum greift der Westen nur in Libyen ein und nicht in Saudi-Arabien, Bahrain, Syrien, Israel, Simbabwe oder an der Elfenbeinküste? Warum wurden die Bemühungen um eine politische Lösung, die von der Afrikanischen Union, Lateinamerika und von der Türkei ausgingen, nicht unterstützt, sondern durch schnelle Bombenangriffe zunichte gemacht? Warum wird fast ausschließlich über die tatsächlichen und potentiellen Opfer der Truppen Muammar Al-Ghaddafis berichtet, aber nicht über die Massaker der Rebellengruppen?
Die Spitzenpolitiker der Rebellen, Mahmud Dschibril und Ali Tarhuni, haben ihr Studium in den USA absolviert und waren dort an Universitäten tätig. Wem fällt da nicht sogleich der afghanische Präsident Hamid Karsai ein? Geht es auch um Zugriffsmöglichkeiten auf das libysche Öl? Erlaubt die UN-Resolution wirklich, daß die NATO im Bürgerkrieg Partei auf der Seite der Rebellen ergreift? Welchen Anteil an der Rebellion haben westliche Geheimdienste? Bei der offiziellen Legitimation des NATO-Einsatzes im libyschen Konflikt wird viel von einer »humanitären Intervention« gesprochen. Die Ideologie der »humanitären Intervention« ist die Fortsetzung der Ideologie vom »gerechten Krieg«, der wichtigsten Legitimationsideologie für fast alle Kriege. Für die Friedensbewegung stellt sich die Frage, welche Folgen hätte es, wenn Pazifisten sich für eine humanitäre Intervention mit militärischen Mitteln einsetzten, wie es zum Beispiel Uri Avnery tut?
Herrschaftsinstrument
Kriegerisch intervenieren kann man nur mit überlegenen Kräften. Deshalb muß ständig qualitativ aufgerüstet werden, um diese Überlegenheit zu sichern. Selbst wenn der Militäreinsatz angeblich nur das letzte Mittel sein soll, schafft man damit eine Dauerlegitimation für Aufrüstung, die andere Staaten als bedrohlich empfinden und die destabilisierend wirkt. Die »militärische humanitäre Intervention« kann nur gegenüber schwächeren Staaten und nicht gegenüber starken erfolgen. Sie wird damit zum Herrschaftsinstrument der großen und militärisch besonders potenten Staaten. Wenn aber Aufrüstung und gar der Besitz von Atomwaffen scheinbar Sicherheit vor Eingriffen von außen versprechen, wer will dann noch abrüsten?
Verhandlungen im Zeichen der »militärischen humanitären Intervention« werden zur Durchsetzung von Positionen geführt, aber nicht, um Kompromisse zu finden: »Und bist Du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt« ist die Devise. Die Verhandlungen der NATO in Rambouillet im Vorfeld des Krieges gegen Jugoslawien gaben dafür drastisches Anschauungsmaterial.
Um glaubwürdig zu sein, muß die Behauptung der »militärischen humanitären Intervention« ständig legitimiert werden. Sind keine »Beweise« vorhanden, so müssen sie erfunden werden. Es besteht der ständige Drang zur Verbreitung von Falschdarstellungen und Lügen. Dies war im Irak- und im Kosovo-Krieg reichlich zu beobachten. Solche irreführenden Darstellungen verhetzen die Bevölkerung und schaffen psychische Feindbilder vom »bösen Gegner«, dem alles Schlechte angelastet wird. So verstellen sie den Blick auf die wirklichen Verhältnisse und führen zu Realitätsverlust.
Schließlich: Wo sind eigentlich die »guten« Staaten, die tatsächlich zur Sicherung der Menschenrechte und nicht aus ganz anderen Interessen militärisch intervenieren? Ein Blick auf das vergangene Jahrhundert oder selbst nur auf dessen letzte Hälfte macht ratlos.
Darf man – »Kollateralschäden« in Kauf nehmend – Menschen töten und ihre Lebensgrundlagen, also die Infrastruktur ihres Landes, zerstören, um die Rechte und das Leben anderer Menschen zu retten? Nach einem Vortrag zum Kosovo-Krieg fragte eine Frau: »Bei wieviel jugoslawischen Toten hört die ›humanitäre Intervention‹ auf, humanitär zu sein?«
Für Pazifisten ist aus diesen Gründen die militärische humanitäre Intervention unannehmbar. Sie wollen doch den militärischen Konfliktaustrag zugunsten einer zivilen Konfliktbearbeitung überwinden. Dies gilt ohne Bewertung der Sympathie, die mit dem Anliegen der einen oder der anderen Seite in einem Konflikt gegeben sein mag. Wir vergessen nicht die Tragödien, die mit den gewaltsamen Kämpfen von Befreiungsbewegungen verbunden waren. Ihre hehren Ziele von Sozialismus, Freiheit und Demokratie gingen verloren, da, sehr verkürzt gesagt, im militärischen Kampf autoritäre Strukturen dominant wurden und in der Nachkriegszeit diktatorische Tendenzen begünstigten. Das galt und gilt voraussehbar auch für Revolutionskriege in Nordafrika.
Historischer Hintergrund der arabischen Aufstände: Nach dem Zweiten Weltkrieg fand eine Auflösung vieler ehemaliger Kolonien statt. Dies war jedoch nicht gleichbedeutend mit der Aufgabe der Herrschaft über diese neuen Staaten. Die westlichen Mächte stabilisierten ihre indirekte Herrschaft über die ehemaligen Kolonien durch eine Kooperation zwischen den herrschenden Eliten im Westen und denen in den entkolonialisierten neuen Staaten. Das Grundmuster lautete: Stabilität, Marktzugang, militärstrategische Stützpunkte und Ressourcen für die westlichen Eliten gegen die Akzeptanz der Ausplünderung und Unterdrückung der Bevölkerung in den jeweiligen Ländern durch die peripheren Eliten. Diese wurden oftmals durch den Verkauf der Rohstoffe und Lizenzen ihrer Länder reich, während die Bevölkerung verarmte und die Entwicklung des Landes stagnierte. Die westlichen Ökonomien profitierten von günstig erworbenen Rohstoffen und sorgten durch Rüstungsexporte für die Stabilisierung der Diktaturen.
Dieses Muster von Unterdrückung und Ausbeutung, das immer schon im krassen Gegensatz zu allen im Westen verkündeten Werten von Menschenrechten und Demokratie stand, wird durch die Aufstände in den arabischen Ländern in Frage gestellt. Im Rahmen der globalen Machtverschiebungen zuungunsten der westlichen Mächte wird dieser Prozeß voraussichtlich nach und nach weitere Länder erfassen.
Einfluß sichern
Das politische Stottern der westlichen Eliten ist auf diesen Grundwiderspruch ihrer bisherigen Politik zurückzuführen. Sie suchen nun nach einem Weg, der einerseits ihren Einfluß sichert und andererseits sie nicht zu Feinden der Reformer im arabischen Raum werden läßt. Dabei eignet sich scheinbar der Krieg gegen Ghaddafi, der sich in Afrika nicht nur Freunde gemacht hat, besonders gut. Johan Galtung warnt jedoch, der Krieg könne sich ausweiten und sogar zehn Jahre dauern.
Selbstverständlich haben Pazifisten kein Zaubermittel, um eskalierte militärische Konflikte schnell stillzulegen. Unsere direkten Einflußmöglichkeiten bei den kämpfenden Parteien in Libyen sind gleich Null. Möglich ist aber, auf die eigene Regierung einzuwirken, indem wir für einen Waffenstillstand und eine Vermittlung zwischen den Konfliktparteien plädieren, indem wir großzügige humanitäre Hilfe für Kriegsopfer und Flüchtlinge auf allen Seiten einfordern und selbstverständlich auf den Stopp der Rüstungsexporte auch über Libyen hinaus dringen. Wir müssen für eine faire Berichterstattung eintreten, die nicht im Freund-Feind-Denken gefangen ist. Der westliche Anteil an der Entstehung und Stabilisierung der Diktaturen in Afrika ist zu thematisieren. Etwaigen Bemühungen, diese Verhältnisse über den Aufstand der Bevölkerungen hinaus zu retten, muß entgegengetreten werden. Mit all diesen Aktivitäten ist die Forderung zu verbinden, die präventive zivile Konfliktbearbeitung im Sinne von Friedenspolitik statt Militärpolitik zügig auszubauen.
Pazifisten haben keinen Anlaß, sich auf Argumentationen und Kalkulationen über gewalttätige Eingriffe in Libyen im Sinne der Ideologie der militärischen humanitären Intervention einzulassen. Dabei schrecken wir nicht vor dem Vorwurf zurück, Deutschland begebe sich auf einen Sonderweg und würde sich in der NATO isolieren. Wäre es so, würden wir es begrüßen, wenn Deutschland einen Sonderweg der friedlichen Konfliktbearbeitung beschritte. Vermutlich würden manche Länder einem solchen Kurs folgen. Aus den hier genannten Gründen widerspreche ich auch dem von mir hoch geschätzten Uri Avnery, der vehement für die militärische Intervention der NATO in Libyen eintritt. Er setzt damit auf die Ideologie vom »gerechten Krieg« und knüpft mit seiner Haltung an die früheren sogenannten Solidaritätsbewegungen an, die ebenfalls für die Unterstützung des militärischen Kampfes von Befreiungsbewegungen warben. Würde Uri Avnery auch für eine ausländische Militärintervention bei einem bewaffneten Aufstand der Palästinenser gegen die israelische Besatzung plädieren?
Die großen Erfolge des gewaltlosen Aufstandes in Tunesien und Ägypten zeugen erneut von der Möglichkeit, Konflikte ohne militärische Mittel zu bearbeiten. Daran ist als Ziel einer pazifistischen Friedensbewegung festzuhalten.
* Andreas Buro ist friedenspolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie (www.grundrechtekomitee.de)
Aus: junge Welt, 4. April 2011
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