Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Die Stimme gegen den Krieg erheben / Say no to western intervention in Libya / Non au massacre du peuple libyen! / Flugverbotszone eskaliert Bürgerkrieg

Stellungnahmen der Friedensbewegung aus dem In- und Ausland: Friedensratschlag, mouvement de la paix, IPPNW, Stop the War Coalition

Im Folgenden dokumentieren wir ein paar Erklärungen aus der Friedensbewegung zu den Ereignissen in Libyen und der drohenden Kriegsgefahr. Zu Wort kommen: Am Abend des 17. März 2011 fasste der UN-Sicherheitsrat mit 10 Stimmen bei 5 Enthaltungen eine möglicherweise weit reichende Resolution [1973 (2011)], in der die Mitgliedstaaten ermächtigt werden, mit allen Mitteln, also auch militärischen, eine Flugverbotszone in Libyen zu errichten. Darauf verkündete Frankreich, "in wenigen Stunden" Libyen angreifen zu wollen. Die Reaktion aus Tripolis war anders: Der libysche Außenminister Mussa Kussa sagte, sein Land müsse als UN-Mitglied die Resolution des Sicherheitsrats "gezwungenermaßen" akzeptieren und verkündete ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen. Staatsführer Gaddafi drohte hingegen, er werde allen, die Libyen angreifen sollten, "das Leben zur Hölle machen". "Wenn die Welt verrückt wird, werden wir es auch. Wir werden zurückschlagen", sagte Gaddafi in einem Fernsehinterview laut AFP.

Die Bundesregierung, die sich bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat der Stimme enthalten hat, weil sie das Risiko einer Flugverbotszone für zu hoch hält, rudert inzwischen zurück. AFP meldet am Freitagnachmittag (18. März), die Regierung erwäge den Einsatz von AWACS-Aufklärungsflugzeugen in Afghanistan - um die NATO in Afghanistan zu entlasten. Nötig wäre dafür jedoch ein Bundestagsmandat.



Erklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag

Friedensratschlag kritisiert UNO und lobt Deutschland

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag

Begrenzter Krieg gegen Libyen beschlossen
Frankreich auf dem Sprung nach Libyen
  • Eine merkwürdige Resolution des UN-Sicherheitsrats
  • UNO sagt Ja zum Krieg und Nein zur Besatzung: Quadratur des Kreises
  • Deutschland enthält sich der Stimme
  • Frankreich will Krieg führen
Kassel/Berlin, 18. März 2011 - Zur gestern beschlossenen Resolution des UN-Sicherheitsrats zu Libyen erklärte der Sprecher des Friedensratschlags in einer ersten Stellungnahme:

Die jüngste Resolution des UN-Sicherheitsrats [UN-SR-Res. 1973 (2011)] enthält drei Merkwürdigkeiten:

Erstens wird der Arabischen Liga eine "wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit in der Region" zugeschrieben. Dies, nachdem Mitglieder der Liga zwei Tage zuvor in Bahrain eingefallen waren, um das despotische Herrscherhaus in seinem Kampf gegen friedliche Demonstranten zu schützen! Und nachdem vor knapp einer Woche eben diese Liga, die aus 22 Mitgliedstaaten besteht, mit gerade einmal 9:2 Stimmen (11 Staaten waren der Sitzung fern geblieben) sich für eine Flugverbotszone über Libyen ausgesprochen hatte.

Zweitens werden die Mitgliedstaaten und Regionalorganisationen (wie z.B. die NATO) ermächtigt, "alle notwendigen Maßnahmen" zu ergreifen, um Zivilpersonen vor Angriffen überall im Land, "einschließlich Benghazi" - zu schützen. Zugleich aber wird eine ausländische Besatzung jeglicher Art und in allen Teilen des Landes strikt ausgeschlossen. Wie die Durchsetzung einer Flugverbotszone ohne massive Eingriffe am Boden gelingen soll, bleibt vorerst das Geheimnis des UN-Sicherheitsrats. Und scheint es wie die Quadratur des Kreises.

Drittens werden ein Waffenstillstand und ein Ende der Gewalt gefordert (Art. 1 der Res.). Damit sind alle libyschen Konfliktparteien gemeint. Wie verträgt sich diese Aufforderung aber mit der Ermächtigung zur militärischen Einrichtung einer Flugverbotszone, die offensichtlich nur gegen eine Partei gerichtet ist und eine andere unterstützt?

Brasilien, China, Deutschland, Indien und Russland haben sich im UN-Sicherheitsrat der Stimme enthalten. Ihre Einwände gegen die Resolution betrafen vor allem die Praktikabilität der militärischen Maßnahme: Inwieweit ist es möglich, den Luftraum Libyens frei zu halten, ohne in einen Krieg mit der libyschen Luftwaffe und der libyschen Luftabwehr zu geraten? Die Resolution verfährt nach dem Prinzip des "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass" - überlässt sie es doch den Staaten dieser Welt, wie sie nun mit der Resolution umgehen wollen. Jeder kann - keiner muss eingreifen.

Wir begrüßen ausdrücklich Deutschlands Enthaltung im Sicherheitsrat, die der deutsche UN-Botschafter Peter Wittig mit den "großen Risiken" begründete, welche die Implementierung des Beschlusses birgt. Die Wahrscheinlichkeit des Verlustes an Menschenleben "in großer Zahl" dürfe nicht unterschätzt werden, sagte er in der Sitzung. Aus diesen Gründen werden sich deutsche Streitkräfte nicht an den militärischen Maßnahmen beteiligen.

Es gibt Alternativen zum Kriegseinsatz. Die Resolution selbst enthält eine Reihe von Maßnahmen, die sofort zu ergreifen sind und die das Regime Gaddafi entscheidend schwächen würden (sie reichen von der Verhinderung von Waffenlieferungen bis zum Einfrieren von Vermögen konkret benannter Regierungsmitglieder und Militärs; siehe Art. 13 bis 23). Über weitere Vorschläge und Vermittlungsangebote von dritter Seite (wie z.B. Venezuelas oder der Afrikanischen Union) hat sich der Beschluss des UN-Gremiums unverständlicherweise hinweg gesetzt.

Unter Nutzung der unpräzisen Formulierungen der Resolution hat Frankreich hat bereits angekündigt, "in wenigen Stunden" mit Angriffen auf Libyen zu beginnen.

Der Friedensratschlag ist empört über die Leichtfertigkeit, mit welcher der UN-Sicherheitsrat Kriegsermächtigungen vergibt. Die Friedensbewegung ist aufgefordert, ihre Stimme gegen den Krieg zu erheben. An die befreundete Friedensbewegung Frankreichs hat der Friedensratschlag eine entsprechende Botschaft geschickt.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski, Kassel


Erklärung der französischen Friedensbewegung "Mouvement de la Paix"

Non au massacre du peuple libyen! Urgence d’agir!

Les mouvements pour la démocratie en cours à travers le monde et en particulier en Afrique du Nord, dans le monde arabe mais aussi en Afrique, constituent un espoir et non une menace pour tous ceux qui espèrent un monde plus juste et plus solidaire.

En Égypte et en Tunisie, les peuples ont obtenu des avancées de manière pacifique, sans recours aux armes et à la violence.

Actuellement dans d’autres pays la répression se développe, le plus souvent avec les armes que les puissances occidentales et le lobby militaro-industriel ont vendu récemment à ces régimes dictatoriaux et/ou autoritaires.

En Libye, Kadhafi après avoir massacré des manifestants à l’arme lourde et par les bombardements de son aviation, s’apprête à Benghazi à massacrer les opposants à son régime.

Le Mouvement de la Paix appelle ses comités et la population française à s’exprimer et à prendre part aux actions en cours pour :
  • dire non au massacre du peuple libyen par le régime de Kadhafi
  • demander que la France, l’Union européenne et l’ONU agissent hors de tout aventurisme guerrier pour empêcher un massacre qui serait perpétré avec des armes fabriquées et vendues par nos pays à la Libye
  • demander que la France et l’Union européenne revoient leur politique internationale en prenant d’abord en compte les aspirations démocratiques des peuples
  • demander que la France et l'Union européenne cessent de nourrir la peur en brandissant systématiquement le spectre de l' "invasion". Nous voulons une Europe de la solidarité et de l'accueil
Le Mouvement de la Paix inscrit ces actions* dans la proposition du Forum Social Mondial de Dakar, de faire de la journée du 20 mars, une journée internationale de solidarité avec les soulèvements des peuples arabes et africains dont les conquêtes renforcent les luttes de tous les peuples. Elles sont un apport décisif pour la construction d’un monde plus juste, plus solidaire et moins violent.

* Le Mouvement de la Paix resitue ces actions dans le cadre de sa déclaration nationale du 22 Février 2011

Le Mouvement de la Paix
Saint Ouen, le 17 mars 2011


Erklärung der IPPNW

18. März 2011

Flugverbotszone eskaliert Bürgerkrieg in Libyen

Restriktionslose Hilfe für Flüchtlinge und MigrantInnen in der Region

Als falsch kritisiert die IPPNW die Entscheidung des UN-Sicherheitsrates für eine Flugverbotszone über Libyen. Die Entscheidung ist die Fortsetzung der alten Einflussnahme und Stellvertreterpolitik des Westens gegenüber diesen Ländern und kein Bruch des Verhältnisses zu den nordafrikanischen Despotien.

Die IPPNW lehnt eine Flugverbotszone ab, die nur mit militärischer Gewalt durchzusetzen ist. Eine solche militärische Intervention wird den libyschen Konflikt auf eine internationale Ebene eskalieren und die Versuche einer friedlichen Verhandlungslösung des Bürgerkrieges in Libyen erheblich belasten. Sie wird zugleich alle humanitären Bemühungen, Hilfskorridore für die libyschen Menschen und die im Land sich befindenden MigrantInnen einzurichten, erschweren oder sogar unmöglich machen.

Für Matthias Jochheim, neu gewählten Vorsitzenden der IPPNW, bleiben weiterhin entscheidend, "die internationale Durchsetzung verschärfter Sanktionen gegenüber dem libyschen Regime, wie das Aussetzen aller Ölimporte und der Stopp der Waffenlieferungen an das Land. Zudem ist es die humanitäre Verpflichtung der internationalen Gemeinschaft, den von den Kriegen und Konflikten in der Region betroffenen Menschen sofortige und bedingungslose Hilfe zu leisten. Das bedeutet auch, Flüchtlinge aus der Region an den Grenzen nicht mehr abzuweisen sondern großzügig aufzunehmen."

Bereits am vergangenen Wochenende hatte sich die Mitgliederversammlung in einer Resolution entschieden gegen jegliche bewaffnete Intervention in dieser Region ausgesprochen. (Der Text folgt im Wortlaut).

"Wir fordern von der Deutschen Bundesregierung:

Statt auf Flugverbotszonen, die nur mit militärischer Gewalt durchzusetzen wären, ist auf einen sofortigen Stopp aller Waffenlieferungen nach Nordafrika zu dringen.

Durch wirtschaftliche Restriktionen, sowie durch gewaltfreie, diplomatische Maßnahmen, z.B. Aussetzen der Ölimporte, ist geeigneter Druck auf die Machthaber in Libyen zu Gunsten einer Verhandlungslösung des Bürgerkriegs auszuüben. Alle demokratischen Transformationsprozesse sind zu fördern.

Das Problem der autoritären Regierungen, die von den Volksbewegungen ins Wanken gebracht oder schon gestürzt wurden, liegt wesentlich in der jahrzehntelangen Einflussnahme des Westens und seiner Stellvertreterpolitik begründet. Deswegen warnen wir vor geplanten militärischen Interventionen als einer Fortsetzung dieser Politik mit unabsehbaren Folgen.

Die IPPNW unterstützt die Forderungen von Menschenrechtsgruppen, Flüchtlingen aus der Bürgerkriegsregion und gestrandeten afrikanischen MigrantInnen unverzüglich und ohne Restriktionen Schutz zu gewähren und sie europaweit aufzunehmen. Das ist die humanitäre Verpflichtung Europas."


10 Reasons to say no to western intervention in Libya

By Andrew Murray, National Chair, Stop the War Coalition
14 March 2011

The political campaign to launch a military intervention in Libya – ostensibly on humanitarian grounds but with patently political ends in sight – is gathering steam among the NATO powers. A “no-fly zone” has now been urged by the Arab League – for the most part a collection of frightened despots desperate to get the US military still more deeply involved in the region. That would be the start of a journey down slippery slope.

Here are ten reasons to resist the siren calls for intervention:
  1. Intervention will violate Libya’s sovereignty. This is not just a legalistic point – although the importance of observing international law should not be discounted if the big powers in the world are not to be given the green light run amok. As soon as NATO starts to intervene, the Libyan people will start to lose control of their own country and future.
  2. Intervention can only prolong, not end the civil war. “No-fly zones” will not be able to halt the conflict and will lead to more bloodshed, not less.
  3. Intervention will lead to escalation. Because the measures being advocated today cannot bring an end to the civil war, the next demand will be for a full-scale armed presence in Libya, as in Iraq – and meeting the same continuing resistance. That way lies decades of conflict.
  4. This is not Spain in 1936, when non-intervention meant helping the fascist side which, if victorious in the conflict, would only encourage the instigators of a wider war – as it did. Here, the powers clamouring for military action are the ones already fighting a wider war across the Middle East and looking to preserve their power even as they lose their autocratic allies. Respecting Libya’s sovereignty is the cause of peace, not is enemy.
  5. It is more like Iraq in the 1990s, after the First Gulf War. Then, the US, Britain and France imposed no-fly zones which did not lead to peace – the two parties in protected Iraqi Kurdistan fought a bitter civil war under the protection of the no-fly zone – and did prepare the ground for the invasion of 2003. Intervention may partition Libya and institutionalise conflict for decades.
  6. Or it is more like the situation in Kosovo and Bosnia. NATO interference has not lead to peace, reconciliation or genuine freedom in the Balkans, just to endless corrupt occupations.
  7. Yes, it is about oil. Why the talk of intervening in Libya, but not the Congo, for example? Ask BP.
  8. It is also about pressure on Egyptian revolution – the biggest threat to imperial interests in the region. A NATO garrison next door would be a base for pressure at least, and intervention at worst, if Egyptian freedom flowers to the point where it challenges western interests in the region.
  9. The hypocrisy gives the game away. When the people of Bahrain rose against their US-backed monarchy and were cut down in the streets, there was no talk of action, even though the US sixth fleet is based there and could doubtless have imposed a solution in short order. As top US republican Senator Lindsey Graham observed last month “there are regimes we want to change, and those we don’t”. NATO will only ever intervene to strangle genuine social revolution, never to support it.
  10. Military aggression in Libya – to give it the righty name – will be used to revive the blood-soaked policy of ‘liberal interventionism’. That beast cannot be allowed to rise from the graves of Iraq and Afghanistan.



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