Alternativen zu Embargo und Krieg
Eine Nachlese zum Irak-Kongress in Berlin
Von Joachim Guilliard, Rüdiger Göbel und Annette Schiffmann
Das Programm
Hinsichtlich Inhalt und Beteiligung war der Kongress, an dem an den
beiden Tagen mehr als 350 Besucher teilnahmen, mit Sicherheit ein
großer Erfolg. Eine derart hochkarätig besetzte Veranstaltung zum
Thema Irak hat es in Deutschland bisher nicht gegeben.
Am Freitag Abend diskutierten Barbara Lochbihler, Generalsekretärin
der deutschen Sektion von amnesty international, die Kurdin Rim Farha,
Vorstandsmitglied der PDS, Aziz Alkazaz vom Deutschen Orient Institut
und Dr. Peter Strutynski vom Bundesausschuss Friedensratschlag die
Frage wie die Menschenrechtssituation im Irak einzuschätzen ist und
inwiefern diese Interventionen von außen rechtfertigen könne, sowie
inwieweit Embargo und Krieg nicht selbst grobe Menschenrechtsver-
letzungen darstellen.
Über die Folgen des Embargos berichteten am Samstag Morgen Prof.
Gottstein, IPPNW und Dr. med. Eva-Maria Hobiger, Gesellschaft für
österreichisch-arabische Beziehungen und der dänische Konflikt-
forscher Jan Řberg. Der ehem. Koordinator des humanitären UN-
Hilfsprogramms im Irak, Hans von Sponeck zog eine grundsätzliche
Bilanz der 12-jährigen Sanktionspolitik Prof. Bernhard Graefrath
ergänzte dies durch eine sehr fundierte völkerrechtliche Kritik.
Prof. Ekkehart Sauermann erläuterte am Nachmittag als Einleitung zu
den folgenden Beiträgen die Grundzüge der US-Außenpolitik. Der frühere
Waffeninspekteur im Irak, der US-Amerikaner, Scott Ritter ging dann
mit seinen profunden Kenntnissen über die Irakpolitik seines Landes,
wie der möglichen Bedrohungen durch den Irak ins Detail. Über mögliche
Wege aus dem Konflikt sprachen der irakische Botschafter in London
Dr. Mudhafar A. Amin und Jan Řberg, der hierzu auch seine konkrete
Vorschläge vorstellte.
Über Alternativen zur bisherigen westlichen Irakpolitik, nicht nur
die der USA sondern auch die der bisher sehr uneinheitlichen der
EU-Staaten, ging es schließlich auch auf der abschließenden Podi-
umsdiskussion, an der sich neben Hans v. Sponeck und Aziz Alkazaz
die beiden ehemaligen Bundestagsabgeordneten Wolfgang Gehrke (PDS)
und Edelbert Richter (SPD) beteiligten.
Auf zwei Leute hatte sich schon im Vorfeld die Aufmerksamkeit der
Medien konzentriert - auf den ehemaligen UN-Waffeninspekteur Scott
Ritter und den ehemaligen UN-Koordinator im Irak Hans von Sponeck.
Zahlreiche Journalisten nutzen die Gelegenheit des Kongresses zu
Interviews mit den beiden prominenten und kompetenten Kritiker der
US-Politik gegenüber dem Irak.
Scott Ritter, der sich als überzeugter Patriot und Bush-Wähler vor-
stellte, warnte vehement vor dessen Irak-Politik: "Nichts, aber auch
gar nichts, rechtfertigt einen Krieg gegen den Irak." Die angebliche
atomare Aufrüstung des Irak verwies Ritter ins Reich der Legende.
"Ich kann bestätigen, dass seit 1996 zwischen 90 und 95 Prozent des
irakischen Arsenals zerstört ist."
Hans von Sponeck sprach angesichts der bisher vorgebrachten haltlosen
Vorwürfe von einer "Achse der Desinformation durch die Vereinigten
Staaten".
Sanktionen, Menschenrechte und die Optionen internationaler Politik
Die Podiumsdiskussion zum Auftakt des Kongresses am Freitag Abend
hatte die Frage der Verletzung von Menschenrechten im Irak zum
Inhalt - Menschenrechtsverletzungen durch den irakischen Staat,
wie auch durch das internationale Embargo. Vor allem aber wurde
diskutiert, welche Folgerungen für die internationale Politik
sich daraus ergeben.
Barbara Lochbihler von amnesty international ging in ihrem Beitrag
recht ausführlich auf die Menschenrechtsverletzungen ein, die die
irakische Führung nach Einschätzung ihrer Organisation zu verantworten
hat. Eine Reihe irakischer Regimegegner aus dem Saal brachten zusätz-
liche Vorwürfe vor. Sie verbanden teilweise ihre Kritik am Regime auch
mit dem ihrer Meinung nach häufig "einseitigen" Engagement gegen Krieg
und Embargo. Andere irakische Diskussionsteilnehmer kritisierten aller-
dings auch massiv, dass in Fragen von Menschenrechten, Rüstungspro-
grammen und der Einhaltung von UNO-Resolutionen. ganz offensichtlich
mit zweierlei Maß gemessen würde - in ihrer Ablehnung von Krieg und
Embargo waren sich aber alle anwesenden Iraker einig. Sehr zum miss-
fallen sicherlich derer, die im Vorfeld in Tausenden von Briefen, Faxen
und E-Mails an amnesty international, Barbara Lochbihler aufgefordert
hatten, nicht am Kongress teilzunehmen.
Peter Strutynski bestätigte während der Diskussion, dass der Friedens-
bewegung tatsächlich eine gewisse Einseitigkeit zugrunde liegt. Sie ist
einseitig gegen Krieg und das Embargo, weil diese selbst die schwersten
Menschenrechtsverletzungen darstellen und zudem mit Sicherheit nicht
zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen. Eine Einschätzung,
die Barbara Lochbihler durchaus teilte. AI habe daher ausdrücklich beim
Weißen Haus dagegen protestiert, dass die US-Regierung Berichte der
Organisation als Rechtfertigung für einen Angriff missbrauche. Kritisch
äußerte sich Lochbihler auch zu den Sanktionen, die wegen ihren Folgen
für die Zivilbevölkerung von einer Menschenrechtsorganisation nicht
unterstützt werden können. (beide Beiträge stehen schon auf der
Homepage).
Aziz Alkazaz, Vorsitzender des deutschen Verbands der Auslandsiraker,
hält seriöse Kritik an Menschenrechtsverstößen für richtig und würde
die Arbeit von ai durchaus unterstützen. Er wandte sich aber gegen die
maßlosen Übertreibungen, die aus den Reihen der irakischen Opposition
kämen und wies zudem daraufhin, dass in vielen anderen Ländern die
innenpolitische Verhältnisse keinen Deut besser sind als im Irak -
viele davon wären enge Bündnispartner der USA. Auch Rim Farha, eine
Kurdin aus Syrien, sprach sich entschieden dagegen aus, die Frage der
Menschenrechte im Irak für eine militärische Intervention zu instru-
mentalisieren. Sie ist davon überzeugt, dass auch die Mehrheit der
Kurdinnen und Kurden im Irak einen Krieg ablehnt.
Wirtschaftssanktionen - ihre Legitimation und ihre Folgen
Zu den Folgen von Krieg und Embargos gab es zwei sehr beeindruckende
Vorträge von
Professor Dr. med. Ulrich. Gottstein, IPPNW und
Dr. med.
Eva Maria Hobiger, die den Eindruck ihrer Berichte noch durch Dias
unterstrichen. Professor Gottstein, der den Irak bereits mehrmals besuchte, ging
zunächst auf den sog. Zweiten. Golfkrieg ein und schilderte die
Zerstörungen, die er z.T. bei seinem ersten Besuch, 10 Wochen nach
Kriegsende selbst in Augenschein nehmen konnte. Mit massiven Bombar-
dierungen waren nicht nur militärische Einrichtungen, sondern auch die
gesamte zivile Infrastruktur des Landes nahezu vollständig zerstört
worden. Mit dem Ziel der Befreiung Kuwaits hatten diese Zerstörungen,
so Gottstein, nichts zu tun und verstießen daher gegen die Genfer
Konvention. Besonders schlimm und unverzeihlich wirkten sich die Zer-
störungen der Elektrizitätswerke, der Wasserkläranlagen und Wasserwerke
aus, die zu Epidemien mit schwersten Infektions- und Durchfaller-
krankungen führten. Besonders betroffen davon und der schlechten
Ernährungssituation waren Kinder: allein im ersten Jahr nach dem Krieg
starben 170.000 Kleinkinder. All das, so fürchtet er, wird sich im
nächsten Krieg wiederholen.
Bis 1990 habe der Irak ein vorbildliches Schulwesen und das beste
Gesundheitswesen im vorderen Orient gehabt, zu dem alle Menschen
kostenlosen Zugang hatten. Jährlich kaufte der Irak für 600 Millionen
Dollar Medikamente und Krankenhausbedarf im Ausland ein, dazu alle
modernen Apparate. Die Medizin in den inneren und chirurgischen
Kliniken hatte europäisches Niveau. - Bei seinem Besuch 1991 war dies
alles nur noch Geschichte.
Infolge der Sanktionen stieg die Kindersterblichkeit massiv an. Gemäß
UNICEF und WHO sind mittlerweile über eine halbe Million Kleinkinder
infolge der Sanktionen gestorben, jeden Monat kommen weitere 4.000
hinzu.
Frau Hobiger, die im Rahmen der Gesellschaft für österreichisch-ara-
bische Beziehungen ein Hilfsprojekt für krebskranke Kinder im Irak
betreut, berichtete wie gezielt humanitäre Hilfe aus dem Ausland von
den USA behindert wird. Um die Behandlungsmöglichkeiten im Mutter-
Kind-Spital in Basra zu verbessern, sollten im Rahmen des Hilfsprojekt,
dringend benötigte Diagnosegeräte und andere medizinische Geräte nach
Basra gebracht werden. Mit Hilfe von Organisationen, Firmen und vielen
Privatleuten war es schließlich gelungen, insgesamt 3 Container mit
Spendengüter zu füllen.
Der Versuch diese Spenden in den Irak einzuführen, wurde vom Sanktions-
regime verhindert, weil die USA vorbrachten, die Geräte könnten auch
militärisch genutzt werden. Obwohl mittlerweile ein Gutachten von UN-
Waffeninspektoren vorliegt, das einen solchen "dual-use"-Charakter
explizit ausschließt, verhindert das Veto der USA weiterhin, dass diese
dringend benötigten Spenden in den Irak gelangen können. Auf direktes
Nachfragen beim amerikanischen Vertreter im Sanktionskomitee antwortete
dieser, dass er nicht über leukämiekranke Kinder rede würden, sondern
über das irakische Regime. Mittlerweile erhielten sie die Nachricht,
dass sie nicht mehr mit einer Einfuhrgenehmigung zu rechnen brauchen.
Bernhard Graefrath, ehemaliges Mitglied der Menschenrechts- wie auch
der Völkerrechtskommission der UNO unterzog die Kriegs- und Embargo-
politik gegen den Irak einer gründlichen
völkerrechtlichen Kritik.
Diese setzt schon an der Resolution an, mit der der UN-Sicherheitsrat
die Sanktionen unmittelbar nach dem irakischen Einmarsch in Kuwait im
August 1990 verhängt hatte. Sie war an sich vom Völkerrecht gedeckt,
da der Irak eindeutig den Frieden gebrochen hatte, hatte allerdings
schon den entscheidenden Fehler, dass sie zwar eine Mehrheit brauchte,
um angenommen zu werden, die Aufhebung aber von einer einzigen Veto-
macht bisher blockiert werden konnte. Mit der Ermächtigung einzelner Staaten zum Krieg wurde das Völkerrecht
aber verlassen, die Verbindung des fortgesetzten Embargos mit neuen
Forderungen war schon eindeutige Willkür.
Wie später auch Reinhard Mutz stellte er fest, dass die Grundlagen für
die Wirtschaftssanktionen mit dem Rückzug der irakischen Truppen aus
Kuwait entfallen waren.
Ein derart umfassendes Embargo, das so gravierende Auswirkungen auf
die Zivilbevölkerung hat, so Graefrath weiter, verstoße gegen die
Genfer Konvention, die Hungerblockaden verbietet, sowie eine große
Zahl weiterer völkerrechtliche Bestimmungen. "Die vorsätzliche
Auferlegung von Lebensbedingungen die geeignet sind, die körperliche
Zerstörung des irakischen Volkes ganz oder teilweise herbeizuführen,
kann Bestimmungen der Völkermordkonvention verletzen."
Zusammenfassend stellte er fest, dass das Sanktionsregime gegen den
Irak nach geltendem Völkerrecht eindeutig illegal ist. Keine völker-
rechtliche Basis hätten auch die Bombardierungen im Zusammenhang mit
der Durchsetzung einer einseitig von den USA und England verhängten
"no-fly-zone".
"Seit langem haben die USA die Sanktionen gegen Irak zu einem Instru-
ment ihrer Politik gemacht, die auf die Beseitigung Saddam Husseins
gerichtet ist. Diese Zielsetzung ist von der Bush-Administration jetzt
offen proklamiert und sogar als Rechtfertigung für einen Aggressions-
krieg geltend gemacht worden. Sie wurde bereits im US Iraq Liberation
Act (1998) offen als amerikanisches Gesetz verkündet, ist also nicht
neu. Diese Politik findet ihren Ausdruck in diversen verdeckten Ak-
tivitäten des Geheimdienstes, die im Grunde nichts anderes als eine
Form des Staatsterrorismus sind, in der Aussetzung eines Kopfgeldes
auf Saddam Hussein, in Attentatsversuchen auf Saddam Hussein und seinen
Sohn, der Finanzierung oppositioneller Gruppen und der Unterstützung
und Ausbildung von Guerillatruppen durch den CIA. Diese von den
Ölinteressen der USA diktierte Politik wird in offener Verletzung des
Völkerrechts praktiziert. Sie verhindert systematisch eine Friedens-
lösung im Nahen Osten. Eine auf die Sicherung des Friedens gerichtete
Politik in dieser Region verlangt seit langem eine Aufhebung der
ökonomischen Sanktionen, die Überleitung der Waffenkontrollen in
die allgemeinen internationalen Kontrollsysteme der entsprechenden
Konventionen und die Schaffung einer Zone frei von Massenvernichtungs-
waffen im Nahen Osten, wie dies in der Resolution 687 in Aussicht
genommen wurde."
Zum Schluss ging Graefrath noch auf die strukturellen Probleme der
UNO ein, die sich darin zeigen, dass eines ihrer Organe, der Sicher-
heitsrat, derart gravierend gegen Völkerrecht verstoßen kann. Ein
wichtiger Schritt wäre, wenn sich eine Staatenmehrheit finden würde,
die in der Generalversammlung in einer Resolution die Illegalität der
fortdauernden Sanktionen geltend machen würde.
Wege aus dem Konflikt
Stein des Anstoßes war ja auch die Einladung eines regierungsnahen
irakischen Referenten gewesen, der darlegen sollte, welche Wege aus
der Krise es aus irakischer Sicht gibt. Der Einladung gefolgt war
schließlich der irakische Botschafter in London, Dr. Mudhafar A. Amin.
In seiner, für einen Diplomaten recht persönlich gehaltenen Rede,
ging Dr. Amin zunächst darauf ein, wie sehr die Sorge vor einem neuen
Krieg ihren Alltag prägt: Ob beim Frühstück oder beim Abendessen, die
Gespräche würden sich im wesentlich um den drohenden Krieg drehen und
natürlich auch um die Zukunft ihrer Kinder angesichts der früheren
Zerstörungen, der Folgen von 12 Jahren Embargo und der drohenden neuen
Verwüstungen.
Er kritisierte, dass ihnen die Nichteinhaltung von Verpflichtungen
vorgeworfen werden würde, die der UN-Sicherheitsrat auferlegte. Es
sei aber nun vor allem die UNO, die sich nicht an die Resolutionen
halten würden. Nach dem Krieg 1991 war Kuwait befreit, die Sanktionen
wurden aber nicht aufgehoben, sondern mit neuen Forderungen verknüpft.
Diese Forderungen, u.a. nach Offenlegung und Vernichtung der ira-
kischen Arsenale und Fertigungskapazitäten von ABC-Waffen, hätten
sie erfüllt - mindestens zu 95%, wie dies auch Scott Ritter bestätigt
hätte. Trotzdem wurde das Embargo Jahr für Jahr fortgesetzt, ohne es
als Gegenleistung, wie es die Sicherheitsratsresolution verspricht,
aufzuheben - auch nicht teilweise.
Irak habe in den vergangenen Jahren enorme Anstrengungen unternommen,
wieder diplomatische Beziehungen mit seinen Nachbarländern aufzunehmen
und die Kontakte zu normalisieren, erklärte Amin. Natürlich gab es die
Kriege mit Iran und Kuwait. Über deren Ursachen wäre mit diesen Ländern
noch viel zu reden. Sie wollen aber in den Beziehungen eine neue Seite
aufschlagen und die alten Feindschaften begraben. Amin erinnerte in
diesem Zusammenhang auch an die Aussöhnung Deutschlands mit Frankreich
nach zwei Weltkriegen.
Gerne würde Bagdad auch in Dialog mit der britischen oder US-ameri-
kanischen Regierung treten. "Wir haben den USA unsere Bereitschaft
angeboten, offen und ohne Bedingungen über alles zu verhandeln, was
auch immer die Vereinten Nationen von uns verlangen. Wir wollen genau
wissen, was wir tun sollen. Wir sind bereit zum Gespräch. Sie haben
uns nicht einmal geantwortet. Die Europäische Union hat unsere Briefe
nicht beantwortet. Warum lässt man uns ohne Hoffnung? Wir haben uns
1991 aus Kuwait zurückgezogen. Die Sanktionen bestehen fort. Wir
haben unser Land entwaffnet, wie es verlangt war, aber die Sanktionen
bestehen fort und bestrafen eine ganze Generation, die für Kuwait
nichts kann. Das Volk im Irak hat genug gelitten. Geben Sie ihm die
Hoffnung auf ein normales Leben wieder."
Als er in den USA und England studierte, sei ihnen als Arabern ständig
vorgehalten worden, wie engstirnig und ignorant sie seien, weil sie
nicht bereit wären, in einen offenen Dialog mit Israel zu treten.
Dabei habe Israel völkerrechtswidrig palästinensisches Territorium
besetzt und sich Land für ihre Siedlungen angeeignet. Dagegen gäbe es
"im Irak keine Feindschaft oder Vorbehalte gegenüber dem Westen. Wir
wollen einzig unter normalen Bedingungen leben."
Der Botschafter erhielt viel Beifall für seine Rede. Sicherlich aber
nicht aus heimlicher Sympathie fürs irakische Regime, wie einige
voreingenommene Journalisten argwöhnten: Wäre einer der geladenen
regierungsnahen Referenten aus den USA erschienen und hätte sich
ebenfalls für den Dialog und eine Lösung des Konflikts im Rahmen der
UNO und des Völkerrecht ausgesprochen, so wäre auch ihm der Beifall
sicher gewesen. (Der Beitrag ist im Original wie in dt. Übersetzung
auf der Kongress-Homepage)
Auch
Dr. Jan Řberg von der Transnational Foundation for Peace and
Future Research TFF forderte vor allem die Wiederaufnahme des
Dialogs mit dem Irak und zwar auf allen Ebene: auf Regierungs- und
wirtschaftlicher Ebene wie auf individueller Ebene und der Ebene
von NGOs.
Es sei nicht schwer, bessere Alternativen zu finden als den Krieg,
d.h. das erneute Abschlachten der irakischen Bevölkerung. Aber nur
Krieg sei in der Diskussion und er befürchte, wenn die Dinge so
weiterliefen, würden "wir nach dem Ende des Ramadans Mitte Dezember
wieder Dinge sehen müssen, die wir nie wieder sehen wollten".
Wenn die Bundesregierung einen Krieg gegen Irak verhindern wolle,
müsse sie so rasch als möglich die Botschaft in Bagdad wieder
eröffnen. "Alle EU-Staaten sollten dies tun." Nur so seien Gespräche
auf höchster politischer Ebene im Irak möglich. Die Europäische
Union müsse eine "Monitoring Group" in den Irak entsenden und eigene
Forderungen an Bagdad formulieren. Diese müssten "hart, aber fair"
sein. Es könne nicht angehen, dass in der UNO alle Staaten wie gelähmt
ihre Hände in den Schoß legen, nur weil ein Land Krieg führen wolle,
so Řberg. Wenn keine anderen Optionen formuliert werden, wird es
zwangsläufig zum Angriff kommen, erklärte der schwedische Konflikt-
forscher. Auch wer den Irak verändern wolle, müsse zur Öffnung des
Landes beitragen, nicht zu dessen weiteren Isolierung.
Er verlangte, wie auch der irakische Botschafter, die Länder der
gesamten Region in eine Abrüstungsinitiative einzubinden - ganz
im Sinne der Resolution 687, die zum einen die Sanktionen mit der
Frage der irakischen Abrüstung verknüpft, dies aber als Schritt zur
Schaffung einer Zone bezeichnete, die frei von Massenvernichtungs-
waffen ist. Auch Israel sollte sich der Kontrolle seiner Waffenarse-
nale unterziehen müssen. Selbstverständlich müssten parallel endlich
ernsthafte Anstrengungen zur Lösung des israelisch-palästinensischen
Konflikts unternommen werden.
Vor allem müsse Druck auf die USA ausgeübt werden, die internationalen
Waffenkontrollverträge einzuhalten und einen Prozess der nuklearen
Abrüstung einzuleiten. Es könne nicht erwartet werden, dass andere
Staaten auf Atomwaffen und andere nichtkonventionelle Waffen ver-
zichten, solange sie selbst diese besitzen.
Er forderte auch die europäischen Staaten auf so etwas wie "zivilen
Ungehorsam" zu leisten und zu beginnen, Sanktionsbestimmungen zu
ignorieren. (Der Beitrag ist im Original wie in dt. Übersetzung auf
der Kongress-Homepage)
Hans von Sponeck: Gegen die Achse der Desinformation
Auch
Hans von Sponeck, von 1998 bis 2000 Koordinator des humanitären Hilfsprogramms
der UNO im Irak, warf den USA und Großbritannien gezielte Falschin-
formationen vor, um einen Krieg am Golf zu legitimieren und sprach
von eine Achse der Fehlinformation.
"Wir haben es hier mit einer Achse der Desinformation durch die
Vereinigten Staaten zu tun, und dagegen müssen wir etwas unternehmen",
sagte Hans von Sponeck, der vor zwei Jahren nach 30 Jahren im diploma-
tischen Dienst sein Amt quittiert hat, weil er nicht mehr ertragen
konnte und wollte, was er täglich zu sehen bekam. "Es ist eine unge-
heure Schande und ein Verbrechen, was die Sanktionen der Bevölkerung
des Irak angetan haben. Vor zehn Jahren sind im Irak 56 von 1000
Kindern unter zehn Jahren gestorben - heute sind es 131. In Deutsch-
land sind es 5. Wie soll ein Volk unter solchen Bedingungen sich für
demokratische Rechte im eigenen Land einsetzen?"
Die Verarmung im Irak sei total, so Sponeck weiter, die Sanktionen
eine völlig falsche Politik: Sie sind völkerrechtswidrig und verletzen
die Menschenrechte. Es sei eine Tragik, dass sich dieser internationale
Kongress aufgrund der aktuellen Entwicklung so sehr mit Kriegsdrohungen
beschäftigen müsse, obwohl es viel mehr um die Blockade gehen müsste.
Er sehe auch keine Anhaltspunkte für eine Gefahr aus dem Irak. "Die
Beweise, die von den Regierungen der USA und Großbritanniens vorgelegt
wurden, sowie die Einschätzung des Status der Irak bezüglich Massen-
vernichtungswaffen durch das Institute for Strategic Studies (IISS)
stützen in keiner Weise die Behauptung, dass vom Irak eine unmittelbare
Bedrohung ausgeht, welche einen militärischen Angriff rechtfertigen
würde."
Irak stelle für die Nachbarländer keine Bedrohung dar, von Europa oder
den USA einmal ganz zu schweigen. Spätestens mit der Ernennung von
Außenminister Naji Sabri Haditi habe der Irak auch endgültig Abstand
von einer konfrontativen Außenpolitik gegenüber seinen Nachbarländern
genommen.
Von Sponeck kritisierte, dass die USA immer wieder Gespräche zwischen
dem Irak und der UNO und anderen Staaten torpedierte. Es gibt mehr
Themen die zu klären sind, als die Abrüstung, das wäre z.B. auch die
Frage nach Garantien für die kurdische Autonomie. Seiner Meinung nach
gäbe es auf alle Seiten die Bereitschaft darüber zu verhandeln, doch
die kurdischen Führer Barzani und Talabani würden von den USA davon
abgehalten.
Wie Scott Ritter und Bernhard Graefrath betonte er, dass die Grund-
lagen für das Embargo längst entfallen seien. Hierzu habe sich die
Bundesregierung und der Deutsche Bundestag nicht einmal geäußert.
Die politischen Parteien in Deutschland hätten einen enormen "Nach-
holbedarf in Sachen Irak".
Ein "Nein zum Krieg" müsse auf jeden Fall verbunden werden, mit
einem "Nein zum Embargo". Innerirakische Menschenrechtsverletzungen,
die Saddam Hussein zu verantworten habe, könnten nur auf dem Weg
des Dialogs beantwortet werden. Krieg und Sanktionen seien keine
Alternativen.
Scott Ritter: "Krieg verhindern!"
Ist der drohende neue Krieg am Golf überhaupt noch zu stoppen? Ja, so
Scott Ritter, aber die Zeit sei verdammt knapp. Es blieben bestenfalls
noch vier Wochen. "Bis Ende November haben die USA ihre militärischen
Vorbereitungen voraussichtlich abgeschlossen. Anfang bis spätestens
Mitte Dezember ist mit massiven Luftangriffen auf Irak zu rechnen,
Anfang Januar könnten dann US-Bodentruppen in das Zweistromland ein-
rücken." Das militärische Szenario, das der ehemalige Offizier der US-
Marineinfanterie Scott Ritter am Wochenende in Berlin skizzierte, war
knapp, klar und beängstigend realistisch.
Ein Krieg gegen Irak wird einem "Massaker" an der irakischen Bevöl-
kerung gleichkommen, militärisch hat das Land keinerlei Chance. Der
das sagte, dürfte es wissen. Ritter kämpfte im Golfkrieg 1991 und
ist nach wie vor stolz, "Marine" zu sein und seinem Land als Soldat
zu dienen. Nach dem Krieg vor elf Jahren leitete Ritter eine UN-
Inspektorengruppe im Irak. Er galt als "Falke" unter den Waffensuchern
und schied 1998 mit der Begründung aus dem Dienst, dass die UNO und
die USA nicht an einer effektiven Rüstungskontrolle interessiert
wären.
Das aktuelle Kriegsvorhaben seines Präsidenten lehnte Ritter auch aus
dem Grund ab, dass sie nichts mit den "Werten" und "Normen" der ameri-
kanischen Verfassung zu tun hätten. Vielmehr werde die Bevölkerung
seines Landes und die ganze Welt systematisch belogen, nationales wie
internationales Recht werde gebrochen.
Allen Angriffsgefahren zum Trotz gab sich der frühere UN-Waffeninspek-
teur im Rathaus Schöneberg optimistisch: US-Präsident George W. Bush
sei zu stoppen. Wichtig sei, das Weiße Haus international zu isolieren
und die US-amerikanische Antikriegsbewegung in ihren Protesten zu
unterstützen. Deutschland komme hierbei eine Schlüsselposition zu,
gehöre das Land doch zu den engsten Verbündeten der USA. "Sorgen Sie
dafür, dass die Bundesregierung bei ihrem Nein zum Irak-Krieg bleibt",
mahnte Ritter die gut 300 Konferenzteilnehmer.
"Wir haben in den USA die Wahlen am 22. September genau verfolgt und
die Stimme aus Deutschland genau verstanden."
Er forderte zudem auch alle Deutschen auf, nicht einfach tatenlos
zuzusehen, wie die US-Basen auf deutschem Boden zur Kriegsvorbereitung
genutzt werden.
Es stehe den Vereinigten Staaten nicht zu, über den Zustand der ira-
kischen Programme für ABC-Waffen zu urteilen, erklärte Ritter. "Es
gibt keinen Beweis dafür, dass Irak Massenvernichtungswaffen besitzt",
erklärte Ritter. Daher könne Washington auch keine gewaltsamen Konse-
quenzen ziehen. Zunächst müssten wieder Inspekteure nach Bagdad. Dies
werde allerdings von der Bush-Administration verhindert. Eine Ent-
waffnung Iraks könne nur auf Basis internationalen Rechts erfolgen.
Gleichzeitig "korrumpiert" die US-Regierung mit ihrem erklärten Ziel
nach einem Sturz des irakischen Präsidenten Saddam Hussein die Be-
mühungen der Vereinten Nationen um Waffenkontrollen: "Eine Entwaffnung
Iraks steht nicht zur Diskussion, solange nicht internationales Recht
fair angewendet wird", betonte Ritter.
"Denken Sie doch nach! Wenn Sie heute zum Arzt gehen und der sagt
Ihnen: Sie haben einen lebensgefährlichen Hirntumor, wir müssen
Sie auf der Stelle operieren, bitte legen Sie sich hierhin, damit
ich Ihnen den Kopf aufschneiden kann - was tun Sie dann? Sie ver-
langen natürlich die Röntgenbilder! Sie wären ein kompletter Narr,
wenn Sie das nicht täten. Und wenn George Bush heute sagt: der
Irak hat Massenvernichtungswaffen, wir müssen einen Krieg gegen
ihn führen - verlangen Sie die Röntgenbilder! Verlangen Sie die
Beweise! Er hat sie nicht."
Darüber hinaus gehe es der US-Führung am Golf weder um Demokratie,
noch um Menschenrechte oder Öl allein. "Die USA wollen die globale
Dominanz." Wir haben den Irak faktisch entwaffnet - die 5%, die dort
noch übrig sind, sind keine Gefahr mehr für irgend jemand. Es geht
bei diesem Krieg nicht um Massenvernichtungswaffen - worum es geht,
können Sie in der neuen Nationalen Sicherheitsdoktrin der USA vom
September nachlesen: US-Unilateralismus. Dafür gibt es ein anderes
Wort, und das sollten wir in Zukunft gebrauchen: US-Imperialismus.
An Ihrer Stelle würde ich mich hier in Europa zu Tode fürchten. Der
Feind in diesen Tagen sitzt nicht in Bagdad, er sitzt in Washington
D.C. Stehen Sie auf für Ihre Souveränität. Helfen Sie uns, diesen
Krieg zu verhindern!"
"Helfen Sie uns, diese Politik zu ändern", bat der Republikaner
Ritter seine Zuhörer in Berlin. Und an die Adresse der Bundesregierung
schickte er die Botschaft: "Die Amerikaner brauchen die kritische
Stimme Europas. Die Bundesregierung und die EU müssen Bush klar
machen, dass er im Kriegsfall allein steht."
"Ich will, dass Ihnen endlich klar ist: wir müssen diesen Krieg
verhindern. Unbedingt! Das ist hier nicht die Zeit für semantische
Feinheiten über diesen oder jenen inhaltlichen Unterschied in ver-
schiedenen kleinen Gruppen. Es ist auch nicht die Zeit, über die
Machenschaften der irakischen Regierung zu diskutieren. Genau jetzt
fliegen unsere Truppen schon nach Kuwait, nach Jordanien, in die
Türkei. Eben jetzt wird von Ihren deutschen Startbasen aus das
Kriegsmaterial in den Mittleren Osten geflogen. Wenn Sie uns nicht
helfen, diesen Krieg JETZT aufzuhalten, und zwar jetzt, bis zum
Ende dieses Monats, dann werden wir dieses Land abschlachten! Und
das will ich aufhalten! Wenn wir uns gemeinsam auf dieses eine
Ziel konzentrieren, dann können wir es schaffen."
Die Alternativen
Auf der abschließenden Podiumsdiskussion, an der neben Hans v.
Sponeck und Aziz Alkazaz die beiden ehemaligen Bundestagsabgeordneten
Wolfgang Gehrke (PDS) und Edelbert Richter (SPD) teilnahmen, betonte
Aziz Alkazaz die absolute Dringlichkeit, in der Irakfrage wieder zum
Völkerrecht zurückzukehren. Eine Forderung, der sich alle anderen
Redner anschlossen. Er unterstrich die Notwendigkeit im Rahmen der
UNO, aber auch bilateral in offenen Gesprächen alle ausstehenden
Fragen im Konflikt des Iraks mit einzelnen Staaten auf umfassende
Weise zu behandeln, nicht nur die Frage der Waffenkontrollen. Der
Irak habe seine Bereitschaft hierzu glaubhaft unter Beweis gestellt.
Thematisiert werden müsse zudem im Rahmen von Gesprächen über das ja
ebenfalls in der Resolution 687 formulierte Ziel einer MVV-Zone die
Atomwaffen Israels, von denen sich zu Recht alle arabischen Länder
bedroht fühlen würden.
Dr. Reinhard Mutz kritisierte wie Prof. Graefrath, dass die Sanktionen
1991 verlängert wurden, obwohl ihr ursprünglicher Grund - die Besetzung
Kuwaits - entfallen war und hält auch die Umsetzung der Resolutionen,
die ab da die Entwaffnung des Irak zum Ziel hatten, für fragwürdig. Es
würde hierzulande durchgängig das Bild von den Inspektionen vermittelt,
der Irak habe vom ersten bis zum letzten Tag getäuscht, getrickst,
gelogen und betrogen. Der Irak stehe hingegen auf dem Standpunkt,
dass er sehr wohl kooperiert habe, aber immer wieder mit zusätzlichen
Forderungen konfrontiert worden sei, so z.B. nach Zugang zu sensiblen
Liegenschaften, wie den Regierungspalästen oder dem Hauptquartier der
Baath-Partei, die keine militärischen Einrichtungen darstellen. Nun
sei es natürlich schwer, dies von hier aus zu bewerten. Feststehe
aber, dass alle Berichte von UNSCOM der letzten Jahre, insbesondere
in der Amtszeit Richard Butlers, die Standardformulierungen enthielten,
es seien keine Belege mehr dafür gefunden worden, dass der Irak noch
gegen eingegangen Verpflichtungen verstoße, und keine Hinweise auf
verbotene Rüstungsgütern und Produktionsanlagen.
Dass aber nicht doch noch irgendwo welche existieren, das könnten
sie nicht verlässlich ausschließen. Unter diesen Umständen, so
argumentierten regelmäßig die USA, könne der Sicherheitsrat dem
Irak nicht bescheinigen, seine Verpflichtungen vollständig erfüllt
zu haben. Da auf diese Weise ein Ende der wirtschaftlichen Strangu-
lierung nicht mehr zu erwarten war, habe der Irak in der Arbeit
der Inspektoren auch keinen Sinn mehr gesehen und sie nach den
Bombardierungen 1998 nicht mehr ins Land gelassen.
Ein neues Mandat für Kontrollen müsse daher unbedingt präzise
Kriterien nennen und verbindliche Fristen setzten, sowie dem
Irak garantieren, dass wenn diese Kriterien erfüllt sind, er
mit der Aufhebung des Embargos rechnen kann.
Der ehemalige Bundestagsabgeordnete der SPD, Dr. Edelbert Richter,
betrachte die Problematik im erweiterten Kontext des "Krieges gegen
den Terror". Er kritisierte Kanzler Schröders "uneingeschränkte
Solidarität" als Widerspruch in sich: mit "uneingeschränkt" unter-
werfe man sich völlig dem anderen Akteur, während "Solidarität"
gleichberechtigte Partnerschaft voraussetze. Hier liege seiner
Meinung nach auch die entscheidende Frage für die Zukunft der
gesamten Staatengemeinschaft. "Wird nun das Völkerrecht beachtet
und durchgesetzt oder wird die 'Rechtsetzung' einer Hegemonialmacht
zum letztlich bestimmenden Prinzip in den internationalen Beziehungen."
Er tritt von den zwei Modellen die zur Disposition stehen, für das
Modell der Sicherheitspartnerschaft ein, bei der "gemeinsame Sicher-
heit" bedeute, im Interesse des Friedens, ideologische, regimemäßige
oder sonstige Gegensätze zurückzustellen. Mit diesem Ansatz hätten
wir schließlich den kalten Krieg hinter uns gelassen. Die erste
Voraussetzung dafür wäre natürlich, dass man sich an das Völkerrecht
halte. Das andere Modell, das der "Sieger des kalten Krieges" u.a.
über den "Krieg gegen den Terror" durchsetzten wolle, sei hingegen
das des "Herrschaftsvertrags", durch den alle andere Nationen die
militärisch zweifellos haushoch überlegenen USA als alleinigen Souverän
anerkennen. Dem müssten wir auf europäischer Ebene entgegentreten. Es
sei offensichtlich, dass bessere Wege immer die des Dialogs und der
wirtschaftlichen Zusammenarbeit gewesen wären, dies würde eine inter-
nationale Isolierung, wie dies im Falle des Irak praktiziert wird,
ausschließen.
Auch Dr. Wolfgang Gehrke, der bis Oktober für die PDS im Bundestag
war, trat dafür ein, Länder wie den Irak nicht zu isolieren, sondern
einzubinden - gerade auch, wenn es Kritik wegen Menschenrechten oder
Sorgen wegen möglicher Rüstungsprogrammen gibt.
Wolfgang Gehrke, der wie Barbara Lochbihler von erheblichem Druck
berichtete, der auf ihn ausgeübt worden war, nicht am Kongress teil-
zunehmen, betonte dass er dafür kein Verständnis habe, sondern fest
davon überzeugt sei, dass "der Dialog im Innern und nach außen die
einzige Möglichkeit ist, Alternativen zum Krieg aufzubauen". Er
appellierte an all die, die "einen solchen Druck, aufbauen um der
Menschenrechte willen, sich mehr in den Dialog zu begeben".
Beide ehemaligen Parlamentarier forderten die Bevölkerung auf, sich
bzgl. einer möglichen deutschen Unterstützung nicht auf die Regierung
oder auf ihre gewählten Abgeordneten zu verlassen. Nur starker Druck
von unten, könne letztlich verhindern, dass Deutschland nicht doch,
z.B. logistisch den Krieg unterstützen würde.
Eckart Spoo zog am Ende der abschließenden Podiumsdiskussion,
ein Resümee des gesamten Kongresses. Auf diesem waren sehr viele
unterschiedliche Stimmen zu hören gewesen und dabei viele wichtige
Informationen. Diese Informationen müssten auch weitergegeben
werden. Wir können, so Spoo, nicht zusehen, wie der Krieg einfach
vorbereitet wird. "Der Skandal ist ja, dass der Präsident einer
Großmacht sagt, ich bereite einen Krieg vor, ich will diesen Krieg
und dass er diesen Krieg auch in aller Öffentlichkeit vorbereitet.
Schließlich wird uns zumutet, dass wir alle zusehen und ihn sogar
noch unterstützen - das hat es in dieser Form noch nicht gegeben."
Eckart Spoo erinnerte auch daran, dass die Vorraussetzung für die dt.
Einheit gewesen war, dass von deutschem Boden kein Krieg mehr ausgehen
darf. Jetzt bestehe die akute Gefahr dass von deutschem Boden sogar
ein Krieg mit Atomwaffen ausgehen kann, denn hier lagern Atomwaffen,
die im Irak eingesetzt werden könnten.
Spätestens damit sei ein Punkt erreicht, wo wir uns nicht mehr sorgen
dürften ob die deutsch-amerikanischen Beziehungen wieder aufgeheitert
werden können. Deutsch-amerikanische Beziehungen, wie wir sie jetzt
bräuchten, setzten vor allem voraus, dass wir uns mit denen zusammen-
tun, die in USA sagen "Nicht in unserem Namen" Darunter sind viele
weltbekannte Künstler, Wissenschaftler, die bedeutendsten Menschen in
den USA. An deren Kampagne müssten wir uns beteiligen und klar machen,
dass es auch nicht in unserem Namen sei, wenn die deutschen Politiker
diesem Krieg in irgend einer Weise Vorschub leisten würden.
Viele Vorschläge seien gemacht worden, was wir tun können. wir könnten
Briefe an die Verantwortlichen der beteiligten Staaten und der UNO
schreiben oder die Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises ansprechen.
Es könnten möglichst viele Menschen aus dem Westen in den Irak
fahren - und wenn es sehr viele wären, könnte dies ein lebendiger
Schutzschild für die Iraker sein. Wichtig auf dem Kongress sei
auch dass viele Iraker da seien und jeder sehen könnte, es gibt
nicht nur "Saddam Hussein". In diesem Sinne wäre es neben Reisen
auch sinnvoll, z.B. E-Mail-Kontake aufzubauen, um den Menschen
im Irak näher zu kommen.
Es sei Wertvolles gesagt worden zur Beziehung von Frieden und
Menschenrechten. Ein vorrangiges Menschenrecht sei das Recht auf
Leben. Krieg könne keine Menschenrechte herstellen, Krieg verletze
die Menschenrechte auf jede Weise. Wichtig wäre als Grundsatz einer
internationalen Friedensordnung das, was 1975 in die Schlussakte
der KSZE in Helsinki geschrieben wurde: der Grundsatz der Nichtein-
mischung, der Grundsatz der territorialen Integrität und der poli-
tischen Souveränität der Völker.
Das schließe, so Spoo, überhaupt nicht aus, dass man sich dafür
interessiert, was in anderen Ländern vorgeht, dass man internationale
Standards herstelle. Da sei in vieler Hinsicht die Entwicklung auch
schon weit gediehen. Aber ausgerechnet die einzig verbliebene Vormacht
entziehe sich gerade diesen internationalen Standards - auch in Sachen
Abrüstung. Aktuell hätten die USA das Zustandekommen eines Zusatzpro-
tokolls zur Biowaffen-Konvention sabotiert, das Kontrollmöglichkeiten
enthält, die sie auch selbst betreffen würden. Das gelte für viele
andere Abkommen auch und nicht zuletzt die Frage ihrer nuklearen
Abrüstung, die ja Grundlage des Nichtverbreitungsvertrages gewesen
war.
Auch was die Menschenrechte angeht, gäbe es eine ganze Reihe von
Anklagepunkte gegen die USA. Aber insbesondere das, was sie mit dem
Embargo gegen den Irak anrichteten, sei eine ständige Verletzung
von Menschenrechten in der fürchterlichsten Weise. Das sei auf dem
Kongress sehr klar und deutlich geworden. "Was wir zu fordern haben
sind Frieden und Menschenrechte. Und diese Forderung richtet sich
ganz besonders an die USA an die NATO und an die Bundesregierung."
Fazit:
Ein Krieg gegen den Irak ist nicht zu rechtfertigen. Das Embargo muss
sowohl aus humanitären wie völkerrechtlichen Gründen verurteilt und
sofort beendet werden.
Ein Krieg kann dauerhaft nur verhindert werden durch Entwicklung und
Durchsetzung einer alternativen Politik gegenüber dem Irak.
Auch eine Verbesserung der Menschenrechtssituation im Irak ist nur
durch eine Reintegration des Landes zu erreichen und nicht durch
eine weitere Isolation zu erreichen.
Aus der Diskussion auf dem Kongress ergeben sich folgende Forderungen:
Keine deutsche Unterstützung für den Krieg, insbesondere auch keine
Erlaubnis für die USA ihre deutschen Einrichtungen oder den deutschen
Luftraum zur Vorbereitung und Führung eines Krieges gegen den Irak
nutzen zu können.
Alle Beiträge werden, sowie sie eingehen, auf der Internetseite des
Kongresses www.irak-kongress-2002.de veröffentlicht.
Heideberg, 28. 11. 2002
Referate und Stellungnahmen vom Irak-Kongress
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