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September 2002

Irak: Chronik eines angekündigten Krieges

  • Bei zahlreichen Veranstaltungen von Friedens- und Gewerkschaftsbewegung in Deutschland am 1. September (Antikriegstag) wurde vor einem drohenden US-Krieg gegen Irak gewarnt. Die Bundesregierung wurde aufgefordert, ihrer Ablehnung des Krieges Taten folgen zu lassen. So müssten die Fuchs-Spürpanzer aus Kuwait und die Marine aus der Golfregion abgezogen werden.
    US-Außenminister Colin Powell hat sich am 1. September aufs Neue mit den Hardlinern um Vizepräsident Cheney angelegt. In einem BBC-Interview forderte er als "ersten Schritt" die Rückkehr der UN-Waffeninspekteure in den Irak. Außerdem räumte er die Notwendigkeit ein, vor einem Angriff auf Irak müssten Beweise vorgelegt werden, dass Irak tatsächlich über Massenvernichtungsmittel verfüge.
  • Die in Irak regierende Baath-Partei hat am 2. SeptemberFreiwilllige aus anderen arabischen Ländern aufgerufen, Irak im Fall eines US-Angriffs zu Hilfe zu kommen. Gleichzeitig verlautbarte aus Bagdad, dass das Regime eine diplomatische Offensive in europäischen Hauptstädten starten wolle, um die dortigen Regierungen in ihrer Ablehnung gegen einen US-Angriff zu bestärken. Die Bundesregierung lehnte ein Treffen mit irakischen Gesandten jedoch ab. Aus Sicht der Bundesregierung bestehe kein Bedarf an bilateralen Gesprächen.
    Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) erklärte am 2. September, eine Teilnahme Deutschlands an einem Krieg gegen Irak verstoße gegen das Grundgesetz (nach Art. 26: Verbot eines Angriffskriegs).
    Bei einem Staatsbesuch im Iran bekräftigte der syrische Präsident Baschar al-Assad, sein Land lehne den Kriegskurs der USA gegenüber Irak ab. Pakistans Militärmachthaber Musharraf schloss ebenfalls eine Beteiligung an einem US-Angriff aus.
    Nelson Mandela warnte den US-Präsidenten persönlich vor einem Angriff auf Irak.
  • Israel hat am 3. September seine Sicherheits- und Rettungsdienste angewiesen, sich auf einen möglichen Irak-Krieg ab dem 1. November einzustellen und entsprechende Vorbereitungen zu treffen. Allerdings gebe es keine Angaben aus den USA über eine zeitliche Planung des Angriffs. Die Vorkehrungen Israel richten sich vor allem gegen einen irakischen Raketenschlag.
    Tony Blair geht in die Offensive. Am 3. September kündigte er an, den USA bei einem Irak-Krieg auch zur Seite zu stehen, wenn es kein UN-Mandat dafür gäbe. Den Kritikern an seiner Irak-Politik im eigenen Land warf Blair "gefährlichen Antiamerikanismus" vor. Die Staaten der Erde sollten die Augen öffnen für die Realität. Die Bedrohung durch Saddam Hussein sei keine Angelegenheit der USA allein, sondern gehe die ganze Welt an. Eeuropa müsse sich, wenn es ernst genommen werden wolle, an die Seite der USA stellen. Blair versprach außerdem, in den kommenden Wochen ein Dossier über die Art der irakischen Bedrohung vorlegen zu wollen.
    Bagdad erklärte sich am 3. September zu Gesprächen über die Rückkehr von Waffeninspekteuren bereit. Dies sei aber an die Bedingung geknüpft, dass über eine Gesamtlösung unter Einschluss des Embargos gesprochen werde. Dies sagte Außenminister Tarik Aziz nach einem Gespräch mit UN-Generalsekretär Kofi Annan in Johannesburg.
  • Bundeskanzler Schröder ging am 4. September auf deutliche Distanz zum britischen Premier Tony Blair. Er wies dessen Wort zurück, wonach die Kritiker des US-Irak-Kurses einen "gefährlichen Antiamerikanismus" pflegten. Deutschland habe das Recht, eine eigene Meinung zu haben, sagte Schröder. Unbeantwortet ließ Schröder die Frage, ob die USA das Recht hätten, im Fall eines Angriffs auf Irak den deutschen Luftraum zu benutzen. Die Frage werde erst diskutiert, "wenn sie ansteht".
    Am 4. September wurde der US-Botschafter zu einem Gespräch ins Auswärtige Amt gebeten. Dabei wurde ihm die "offizielle deutsche Haltung" zur Irak-Frage erläutert.
    Die Arabische Liga betonte am 4. September in einer Erklärung, die US-Pläne zum Sturz Saddams seien der Anfang eines Angriffs auf die Sicherheit und Unabhängigkeit der gesamten arabischen Welt.
    Die US-Marine verfrachtet mit einem gecharterten Handelsschiff offenbar schwere Kampfpanzer in die Krisenregion. Das Schiff werde Ende des Monats in Irak eintreffen. Es handelt sich um den dritten derartigen Transport innerhalb eines Monats.
  • Am 5. September kündigte US-Präsident Bush an, er wolle sich in den nächsten Tagen mit mehreren Staatschefs treffen oder mit ihnen telefonieren, um für seine Irak-Politik zu werben. Russland, China und Frankreich sollen kontaktiert werden; Tony Blair trifft sich mit Bush am 7. September. Damit ist der Kreis der ständigen UN_Sicherheitsratsmitglieder einbezogen. - Schon in der Nacht zum 5. September hatte Bush führende amerikanische Politiker empfangen, um mit ihnen die Lage zu besprechen. Anschließen ließen die Gesprächsteilnehmer keinen Zweifel daran, dass Bush zu einem Krieg entschlossen sei. "Militärische Aktionen sind unvermeidlich", sagte etwa der Fraktionschef der Republikaner im Repräsentantenhaus, Tom DeLay.
  • Von der US-Air Base auf dem Rhein-Main-Flughafen werden außergewöhnliche viele Flugbewegungen berichtet, heißt es in einem Artikel des Hessenteils der Frankfurter Rundschau vom 6. September. Während zwischen November letzten Jahres und Juli d.J. im Durchschnitt pro Tag 15 bis 20 Galaxys oder C 17 Globemasters starteten oder landeten, waren es seit Juli 24 bis 30, an Spitzentagen sogar bis zu 45 Flugbewegungen, sagte der Lärmschutzbeauftrage von Rhein-Main. Die Deutsche Flugsicherung könne aber nicht sagen, wohin die Flüge gehen, da sie die Flüge nur bis zur deutschen Grenze verfolge. Spekulationen, dass die Flüge mit den Kriegsvorbereitungen gegen Irak zu tun hätten, wies ein Presseoffizier der Air Base zurück. Die Flugzeuge seien im Rahmen von Enduring Freedom unterwegs. Transportiert würden vor allem Hilfsgüter und Baumaschinen. (Vgl. hierzu auch: Vorbereitungen für einen Krieg rollen über Rhein-Main.)
    In der Nacht zum 6. September flogen etwa hundert britische und US-Kampfflugzeuge den größten Angriff auf den Irak seit vier Jahren. London sagte, die Verbündeten hätten mit Präzisionswaffen auf eine Bedrohung ihrer Flugzeuge reagiert. Der Daily Telegraf berichtete, die Kampfflugzeuge hätten irakische Luftabwehrstellungen zerstören sollen, damit zur Vorbereitung einer späteren Offensive Eliteeinheiten mit Hubschraubern über Jordanien und Saudi-Arabien nach Irak fliegen könnten. Deren Aufgabe bestünde dann darin, Iraks Scud-Raketen auszuschalten. Aus Washington kam keine Erklärung. Details über solche Einsätze würden nie bekannt gegeben, hieß es.
    Wenige Stunden später kamen doch noch neue Nachrichten. Ein Pentagon-Sprecher sagte, dass es sich nicht um den größten Angriff auf irakische Luftabwehrstellungen seit vier Jahren gehandelt habe, wie es in einigen Medien berichtet worden war. An der Aktion seien insgesamt nicht mehr als zwei Dutzend US- und britische Flugzeuge beteiligt gewesen. John Rosa, stellvertretender Leiter der Operationen beim Generalstab, sagte, ein Dutzend Kampfbomber hätten 25 Bomben auf eine Kommando- und Kontrollzentrale der irakischen Luftabwehr im Westen des Landes abgeworfen. Es habe sich um den vermutlich größten Angriff seit zwei Wochen gehandelt. Aber Angriffe dieser Größenordnung habe es "in den vergangenen zehn oder elf Jahren mehrere" gegeben.
    Der russische Präsident Wladimir Putin sprach sich am 6. September erneut gegen einen Angriff auf Irak aus. UN-Generalsekretär nannte einen Angriff leichtsinnig und unvorsichtig. "Jetzt anzugreifen würde nur die internationalen Spannungen verschärfen", sagte er in Paris nach einem Treffen mit dem französischen Präsidenten Jaques Chirac.
    Australiens Premier John Winston Howard rudert in der Irak-Politik zurück. Er bevorzugt nun - nach Monaten heftiger Drohungen gegen Irak - auch eine diplomatische Lösung. Seine Regierung habe noch nicht über eine australische Beteiligung an einem US-Angriff entschieden. Der Erklärung Gowards waren zahlreiche Proteste der oppositionellen Labour Party, des Soldatenbundes "Returned Services Leage" und von Studenten vorausgegangen.
    Ein Pentagon-Sprecher sagte am 6. September, dass es sich bei dem Angriff nicht um den größten Angriff auf irakische Luftabwehrstellungen seit vier Jahren gehandelt habe, wie es in einigen Medien berichtet worden war. An der Aktion seien insgesamt nicht mehr als zwei Dutzend US- und britische Flugzeuge beteiligt gewesen. John Rosa, stellvertretender Leiter der Operationen beim Generalstab, sagte, ein Dutzend Kampfbomber hätten 25 Bomben auf eine Kommando- und Kontrollzentrale der irakischen Luftabwehr im Westen des Landes abgeworfen. Es habe sich um den vermutlich größten Angriff seit zwei Wochen gehandelt. Aber Angriffe dieser Größenordnung habe es "in den vergangenen zehn oder elf Jahren mehrere" gegeben.
  • US-amerikanische und britische Kampfflugzeuge zerstörten am 7. September ein militärisches Kommunikationszentrum des Irak im Süden des Landes bei Al Kut.
    Der Vorsitzende des Nato-Militärausschusses Harald Kujat glaubt nicht an einen Irak-Krieg. "Ich habe persönlich nicht den Eindruck, dass ein solcher Krieg unmittelbar bevorsteht", sagte der ranghöchste Soldat des Bündnisses der "Welt am Sonntag" vom 8. September, wie am 7. September vorab berichtet wurde. Kujat sei fest davon überzeugt, dass "die USA ihre Verbündeten konsultieren werden". Doch sei ein Krieg gegen den Irak "bisher kein Thema, das die Nato beschäftigt". Selbst wenn die USA nächstes Jahr allein einen Waffengang gegen Irak planen sollten, sei das noch lange kein Fall für die Bundeswehr, meinte Kujat. Auch den letzten Golfkrieg hätten die USA "mit großem Erfolg ohne Bundeswehrbeteiligung" geführt.
    Der EU-Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, wiederholte in "Bild am Sonntag" die europäische Ablehnung eines Präventivkriegs der USA. Ein solcher Alleingang wäre mit dem Völkerrecht "nicht vereinbar". Alle nötigen Schritte gegen Irak müssten im Rahmen der Vereinten Nationen entschieden werden. Die EU-Außenminister hätten sich auf ihrem Treffen am vergangenen Wochenende auf diese Linie geeinigt, sagte Solana einem Vorabbericht zufolge.
    Am 7. September trafen sich US-Präsident Bush und der britische Premier Blair in Camp David, um über die Kriegsvorbereitungen gegen Irak zu beraten. Die Welt schulde künftigen Generationen den Angriff auf Irak, zitierte die BBC den amerikanischen Präsidenten in der Nacht zum 8. September. Und auch sein wichtigster Verbündeter, der britische Premier Tony Blair, trat nach einem Gespräch mit Bush im Landsitz des Präsidenten in Camp David mit Entschlossenheit vor die Presse. "Die Drohung, die von den Massenvernichtungswaffen des irakischen Regimes ausgeht, ist eine Drohung, der sich die ganze Welt ausgesetzt sieht", sagte er. Er teile mit George W. Bush die Überzeugung, dass gehandelt werden müsse - "mit der größtmöglichen internationalen Unterstützung". "Wir müssen gewährleisten, dass wir so schnell wir können etwas tun". Die Beweise seien nach Blairs Meinung absolut eindeutig, die Bedrohung, die bekämpft werden müsse, akut. Iraks Diktator Saddam Hussein habe seit Unterbrechung der UN-Waffeninspektionen 1998 Zeit gehabt, seine Rüstung zu erneuern. Ihm und Bush lägen Informationen vor, die eindeutig für ein Eingreifen sprächen, falls weiterhin Waffeninspektionen blockiert würden. Die Beweise würden in den nächsten Tagen veröffentlicht. Zunächst müssten sie den Vereinten Nationen vorgelegt werden.
    Nach deutsch-französischen Konsultationen am 7. September in Hannover zeigten sich Frankreichs Präsident Chirac und Bundeskanzler Schröder einig in ihrer Ablehung einer isolierten Aktion der USA gegenüber Irak. Chirac sagte, es gebe eine "mehr oder weniger kohärente Position Europas" zu der Irak-Frage. Frankreich stimme mit Deutschland weitgehend überein. Nur der UN-Sicherheitsrat könne eine Entscheidung treffen, wie gegenüber Irak vorgegangen werden solle, wenn dieser die UN-Waffen-Inspektoren nicht ins Land lasse. Frankreich werde seine abschließende Position nach der Debatte im Sicherheitsrat formulieren. Einigkeit gebe nach Schröder auch darüber, dass die UN-Inspektoren ohne Vorbedingungen nach Irak zurückkehren müssten und dass die UNO bei der Lösung der Krise eine bedeutende Rolle spielen müsse. Es könne nicht darum gehen, die Ziele gegenüber Irak zu verändern. Das Ziel sei nie gewesen, mit militärischen Mitteln zu erreichen, dass die Inspektoren zurück dürften.
  • Der Irak ist nach den Worten des ehemaligen amerikanischen Uno-Waffeninspekteurs Scott Ritter keineswegs in der Lage, Massenvernichtungswaffen herzustellen. Dies berichtete die Online-Ausgabe des SPIEGEL am 8. September. "Die Wahrheit ist, dass Irak keine Bedrohung für seine Nachbarn darstellt und nicht auf eine Art und Weise handelt, die irgendjemand außerhalb seiner Grenzen gefährdet", sagte Ritter danach in Bagdad. "Eine Militäraktion gegen Irak kann nicht gerechtfertigt werden." Der Regierung in Bagdad empfahl er, die UNO-Waffeninspekteure wieder ins Land zu lassen und eng mit ihnen zusammenzuarbeiten. Damit würden die USA "mit ihren Kriegsdrohungen gegen Irak allein stehen. Dies wäre der beste Weg, einen Krieg zu verhindern", sagte Ritter. Der ehemalige Geheimdienstoffizier der US-Marine gehörte mehrere Jahre lang dem UNO-Waffeninspektionsteam in Irak an. Ritter trat vor vier Jahren als Rüstungsinspekteur ab - damals beschuldigte er die US-Regierung unter Bill Clinton, nicht aggressiv genug für die Umsetzung der UNO-Auflagen einzutreten. Inzwischen beschreibt er Irak als Opfer fehlgeleiteter UNO-Abrüstungsbeschlüsse, die Bagdad unmöglich erfüllen könne. Die Sanktionen sollten aufgehoben werden.
  • Am 9. September legte das der NATO nahe stehende Londoner Internationale Institut für Strategische Studien (IISS) einen Bericht vor, wonach Saddam Hussein "binnen Monaten" über Atomwaffen verfügen könne, wenn es ihm gelänge, aus dem Ausland angereichertes Uran oder Plutonium zu verschaffen. Bagdad habe selbst nicht die "Fähigkeit, spaltbares Material in ausreichenden Mengen für Atomwaffen zu produzieren", heißt es in dem Bericht. Um Produktionsstätten für spaltbares Material zu errichten, würde Bagdad "mindestens einige Jahre sowie weitreichende ausländische Hilfe benötigen". Es bestehe aber die theoretische Möglichkeit, spaltbares Material zu importieren. Die "Wahrscheinlichkeit" sei zwar "gering", doch wenn es dazu käme, stellte der Irak zusammen mit den vorhandenen Beständen an biologischen und chemischen Waffen eine Gefahr für die Außenwelt dar.(Vgl. hierzu auch "Wiener Atomenergiebehörde: Keine unmittelbare Gefahr durch Bagdad".) - Tony Blair begrüßte den Bericht. Er zeichne ein eindrückliches Bild von Saddams "zutiefst unstabilem System". Man könne nur hoffen, dass die Welt aufwacht.
    Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat am 9. September den Verdacht des US-Präsidenten Cheney, dass es enge Verbindung zwischen Saddam Hussein und der Terrororganisation Al Qaida gegeben habe, als "Wunschdenken" der US-Politik zurückgewiesen. Im Gegenteil habe Saddam Islamisten und damit Al Qaida immer zu den innenpolitischen Gegnern gezählt. Es sei zu bezweifeln, dass daraus nun eine "wunderbare Freundschaft" geworden sei. Unwahrscheinlich sei auch, dass Irak sein Programm für Massenvernichtungswaffen erfolgreich beendet habe.
    Mit Beratungen über die Erweiterung der Nato und ihr Konzept zur Terrorismusbekämpfung hat der Militärausschuss der Allianz am 9. September in Berlin seine viertägige Sitzung in Deutschland und Tschechien begonnen. Ein möglicher Angriff auf Irak sei Thema am Rande, hieß es in Teilnehmerkreisen. Hans-Peter Buch, der Sprecher des Ausschussvorsitzenden und früheren Bundeswehr-Generalinspekteurs Harald Kujat, sagte der dpa, es gebe keinen Grund, dass sich ein Nato-Gremium jetzt offiziell mit einem Militärschlag gegen Irak befasse. Kein Parlament eines Nato-Staates - auch nicht der USA - habe eine Entscheidung getroffen. Deshalb könne sich die Nato damit auch nicht näher beschäftigen.
    Frankreichs Präsident Jacques Chirac hat vorgeschlagen, Irak mit einem Ultimatum der Vereinten Nationen zu neuen Waffenkontrollen zu zwingen. Sollte Bagdad sich weigern, könne die Uno eine Militäraktion gegen Irak billigen, sagte er der "New York Times" am 9. September. Chirac schlug ein zweistufiges Verfahren vor: In einer ersten Resolution solle der Uno-Sicherheitsrat Irak drei Wochen Zeit geben, um die 1998 ausgereisten Waffeninspekteure "ohne Behinderungen oder Bedingungen" im Land arbeiten zu lassen. In einer zweiten Resolution könne der Sicherheitsrat dann über einen Militärschlag entscheiden. Die Frage, ob sich Frankreich an einem Krieg beteiligen würde, ließ Chirac allerdings offen. Damit relativiert sich die Einigkeit zwischen Frankreich und Deutschland, wie sie noch vor zwei Tagen (siehe Chronik 7. September) zelebriert wurde. Einig sind sich beide Länder nur in der Ablehnung eines Alleingangs der USA. Ein einseitiger Präventivkrieg sei "außerordentlich gefährlich", sagte Chirac auch am 9. September. Die Bundesregierung lehnt darüber hinaus jede Art von Militäraktion gegen Irak ab, selbst wenn die UNO sie legitimierte. Chiracs Vorschlag würde dagegen militärische Aktionen ermöglichen. Auch Spaniens Regierung ging nach einem Bericht der Financial Times Deutschland (vom 10.09.2002) auf Distanz zu Bundeskanzler Gerhard Schröder. Sie teile nicht die Haltung der Bundesregierung, einen Militäreinsatz gegen Irak grundsätzlich abzulehnen, sagte Außenministerin Ana Palacio am 9. September.
  • Der irakische Kurdenführer Massud Barsani von der Demokratischen Partei Kurdistans (DPK) hat am 10. Septemberder Türkei einen Dialog angeboten. Seine Partei strebe nicht einen eigenen kurdischen Staat an (was die Türkei immer befürchtet), sondern einen föderalen Irak.
  • Während Bundespräsident Johannes Rau am 11. September im Deutschlandfunk gegen einen Irak-Krieg Stellung bezog (er sehe gegenwärtig keinen Anlass, einen Krie4g gegen Irak zu planen), kritisierte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Hans-Ulrich Klose (SPD) die Irak-Politik der Bundesregierung. "Wenn man eine politische Lösung will, muss man eine Drohkulisse entwickeln", sagte Klose in Halle. Kritik übte auch der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurt a.M., Salomon Korn. Schröders deutscher Weg sei ein "Holzweg und führt in eine politische Sackgasse", sagte er bei einer Gedenkveranstaltung.
    Tony Blair bekommt Schwierigkeiten mit seinem Parlament. Das britische Unterhaus wird vorzeitig aus den Ferien zurückgeholt, verlautete am 11. September aus London. Viele Abgeordnete hatte verlangt, über die umstrittene Irak-Politik Blairs zu debattieren.
  • Das Emirat Katar am Golf will nicht zur Startrampe für einen US-Krieg gegen Irak werden. Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters sagte ein führender Beamter Katars am 12. September: "Wir stellen uns nicht gegen eine dauerhafte amerikanische Militärpräsenz auf unserem Boden aus Abschreckungs- und Verteidigungszwecken, doch wir wollen nicht, dass unser Territorium für Einsätze gegen unsere Brüder im Irak oder einem anderen arabischen Land benutzt wird." Katarische Beamte sagten außerdem, die Vereinigten Staaten hätten bei ihrer Regierung noch nicht nachgesucht, katarische Einrichtungen für einen Angriff auf den Irak zu nutzen. In einer im Internet am Vortag in Washington veröffentlichten Erklärung hatte es noch geheißen, dass die USA Truppenteile nach Katar verlegen wollten. Nur ein kleiner Teil der Kommandoebene werde irgendwann im November an einer Stabsübung in Katar teilnehmen, hieß es. Es handele sich um rund 600 Soldaten von Zentralkommando (Centcom) und 400 Teilnehmern von untergeordneten Stellen. Die Übung mit dem Namen "Internal Look" werde nur eine Woche dauern. Auf dem Luftwaffenstützpunkt al-Udeid sind rund 3000 US-Soldaten und rund 50 Flugzeuge stationiert. Die Basis liegt 45 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Doha und wurde im Afghanistan-Feldzug für Angriffs- und Aufklärungsflüge benutzt. Die USA sind derzeit dabei, in Katar massiv auszubauen. 10.000 Soldaten und 120 Flugzeuge sollen dort stationiert werden. (Spiegel-Online, 12.09.2002).
    US-Präsident George W. Bush hat in einer Rede vor der UNO-Generalversammlung am 12. September klargestellt, dass ein Militärschlag gegen den Irak unvermeidlich sei, wenn die Vereinten Nationen Saddam Hussein nicht zur Abrüstung zwingen. Bush forderte, dass die Uno den Irak in einer neuen Resolution ultimativ zum sofortigen Verzicht auf alle Massenvernichtungswaffen auffordert. Die USA würden mit dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an einer solchen Resolution arbeiten. Wenn sich Bagdad den Forderungen dieses angestrebten Uno-Beschlusses widersetze, dann sei "Handeln" gegen Irak unvermeidlich. Würde man nicht gegen den Irak einschreiten, würde man damit das Leben von Millionen von Menschen aufs Spiel setzen, sagte Bush. Die USA hätten sich dafür entschieden, dieses Risiko nicht einzugehen. Bush beschuldigte Saddam Hussein, weiter "Appetit" auf Massenvernichtungswaffen zu haben. Er habe insbesondere sein Versprechen gebrochen, abzurüsten. "Das lässt nur einen Schluss zu: Saddam Husseins Regime ist eine ernste und wachsende Gefahr. Das ist ein Risiko, das wir nicht eingehen können."
  • Am 13. September verlangte US-Präsident Bush von den Vereinten Nationen eine klare Frist für den Irak. "Wir sprechen hier von Tagen und Wochen, nicht Monaten und Jahren", wird er zitiert. - In den EU-Staaten, in Russland und China wurde die Rede Bushs vom Vortag überwiegend positiv kommentiert, wobei insbesondere die Einbeziehung der UNO hervorgehoben wurde. Peking will sich fürn eine politische Lösung einsetzen. Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus muss von der UNO geführt werden, forderte Parlametspräsident Li Peng. Ägypten und Jordanien forderten Saddam auf, UN-Inspekteure ins Land zu lasen. Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, sagte, der Streit um Iraks Abrüstung müsse über UN-Mechanismen beigelegt werden, nicht durch Krieg. - Der britische Außenminister Jack Straw pries die "machtvolle" und "effiziente" Rede von Bush und betonte, Ziel sei die Entwaffnung Iraks, nicht der Sturz Saddams. Aus London verlautete, die Suche nach einer UN-Resolution könne einige Zeit dauern.
    Am 13. September wurde bekannt, dass Großbritannien am Wochenende (14./15.September) ein Großmanöver mit 6.000 Soldaten im südenglischen Hampshire abhalten werde. Der nahe gelegene Militärhafen Marchwood könnte Ausgangspunkt für die Verlegung von Truppen an den Persischen Golf sein. Entsprechende Vermutungen in der britischen Zeitung Daily Telegraph wies eine Sprecherin des britischen Verteidigungsministeriums als "wilde Spekulation" zurück.
  • Bundesaußenminister Fischer erläuterte in einer Rede vor der UN-Generalversammlung am 14. Septemberden deutschen Standpunkt in der Irak-Frage. Er plädierte für eine diplomatische Lösung der Krise. Es dürfe keinen Automatismus hin zur Anwendung von militärischer Gewalt geben, sagte er. Die USA und Großbritannien haben Iraks Staatspräsident Saddam Hussein am 14. und 15. September unterdessen erneut mit der Entmachtung gedroht, falls er im Rüstungskonflikt nicht rasch einlenkt. Der britische Außenminister Jack Straw sagte, entweder gebe Saddam seine Massenvernichtungswaffen auf, oder es müsse "sein Regime beendet werden". Die Wahl liege bei Saddam Hussein, sagte Straw, "und er hat nicht viel Zeit, um sich zu entscheiden". Der irakische Staatspräsident habe "lang genug mit dem Weltfrieden gespielt". US-Präsident George W. Bush bekräftigte, notfalls auch ohne internationale Unterstützung gegen den Irak vorgehen zu wollen. Bush sagte, die Vereinten Nationen verdienten eine Chance, ihre Bedeutung unter Beweis zu stellen und Rückgrat zu zeigen. "Täuschen Sie sich nicht", fügte Bush allerdings hinzu, "wenn wir uns des Problems annehmen müssen, dann werden wir das tun."
  • Saudi-Arabiens Außenminister Prinz Saud Al Feisal ließ in einem Interview mit dem US-Fernsehsender CNN am 15. September anklingen, dass sein Land den USA die Nutzung des Prinz-Bin-Sultan-Stützpunktes südöstlich von Riad erlauben könnte. "Wenn alle Länder im Nahen Osten zustimmen, und überall anderswo, wenn es eine Entscheidung des Weltsicherheitsrates gibt, sind alle verpflichtet, mitzumachen", sagte der Minister.
    Ein neues Dossier der britischen Regierung enthält angeblich Beweise, dass der Irak Fabriken für biologische und chemische Waffen besitzt. In dem Bericht soll es auch Hinweise auf eine Verbindung zwischen dem Irak und der Terror-Organisation al-Qaida geben. Dies berichtete der "Sunday Telegraph" am 15. September. In dem britischen Irak-Dossier würden US-Satelliten-Fotos vorgelegt, auf denen der Wiederaufbau von drei Waffenfabriken zu sehen sei. Die Fotos würden in Sicherheitskreisen als Besorgnis erregend eingestuft. In den Produktionsstätten sei bereits zu einem früheren Zeitpunkt an der Entwicklung chemischer und biologischer Waffen gearbeitet worden. Der Bericht, der am 24. September veröffentlicht werden soll, enthalte auch Informationen darüber, dass einige enge Vertraute des Moslem-Extremisten Osama Bin Laden im Irak ausgebildet worden seien, berichtete die Zeitung weiter.
    Kampfflugzeuge der USA und Großbritannien haben am 15.September einen Angriff auf Ziele im Süden Iraks geflogen. Nach Angaben der irakischen Nachrichtenagentur Ina haben die Maschinen zivile und staatliche Gebäude bombardiert und seien dann von irakischem Luftabwehr-Raketen vertrieben worden. Über Opfer wurde nichts berichtet. Die amerikanische Armee bestätigte den Angriff. Die Flugzeuge seien in der Flugverbotszone von irakischen Lenkwaffen beschossen worden und hätten den Angriff erwidert.
    Sollten die Vereinten Nationen einen Militärschlag gegen Irak autorisieren, würde Saudi-Arabien US-Truppen erlauben, von seinem Territorium aus Bagdad anzugreifen. Das kündigte Außenminister Prinz Saud el Faisal am 15. September an. Riad sei weiterhin gegen einen Alleingang der USA. "Saudi-Arabien lehnt jeden unilateralen Angriff ab, der nicht international gedeckt ist", sagte der saudische Außenminister. Seine Kooperationsbereitschaft bezog er ausdrücklich auf den Fall eines UN-Mandats für den Angriff auf Irak. Ein Beschluss des UN-Sicherheitsrats sei für jedes Mitgliedsland verbindlich, sagte el Faisal.
  • Syriens Außenminister Faruk Scharaa fragte in seiner Rede vor den Vereinten Nationen am 16. September in New York, weshalb die Staatengemeinschaft von Irak die Einhaltung der UN-Resolutionen verlange, während die israelische Weigerung, 28 Beschlüsse des Sicherheitsrats zum Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern zu befolgen, ungeahndet bleibe.
    Irans Außenminister Kamal Kharrazi appellierte an die UN, die territoriale Integrität Iraks nicht zu verletzen. Gleichzeitig forderte er das Regime in Bagdad auf, die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates zu erfüllen und Waffeninspekteure ins Land zu lassen.
    Ein ehemaliger irakischer Wissenschaftler warnte am 16. September in der "Times", dass der irakische Machthaber Saddam Hussein "binnen Monaten" eine Atombombe bauen könne. Bis 1994 hatte Khidir Hamza in Saddams Atomprogramm mitgearbeitet. Weiter sagte er, Saddam könne bald eine ganze Atomindustrie haben, wenn er nicht gestoppt werde. - Der frühere UN-Waffeninspekteur Scott Ritter warf den USA vor, in der Irak-Frage "extremen Druck" auf die internationale Gemeinschaft auszuüben. "Ich denke, wir sind einem Krieg näher als je zuvor", sagte er der BBC.
  • Am 17. September unterbreitete der irakische Außenminister Nadschi Sabri ein überraschendes Angebot: In einem Brief an UN-Generalsekretär Kofi Annan erklärte er, Bagdad sei bereit, die UN-Waffeninspekteure ohne Bedingungen ins Land zu lassen, um "jegliche Zweifel daran auszuräumen, dass Irak nicht mehr über Massenvernichtungswaffen verfügt". - Die Reaktionen auf dieses Angebot waren überwiegend positiv. Frankreich, Russland und China begrüßten das Angebot. Saddam müsse jetzt beim Wort genommen werden, hieß es etwa aus Paris. Annan dankte dem Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, für dessen Bemühungen, Irak zu einem solchen Schritt zu bewegen. Die USA sprachen hingegen von einem "taktischen Schritt" Bagdads und erklärten, es sei weiterhin eine UN-Resolution nötig. US-Finanzminister Paul O'Neill wörtlich: "Saddam Hussein muss gehen. Es muss einen Regimewechsel geben." - Was die Wirtschaftsnachrichten an diesem Tag enthüllten: Nach dem Bekanntwerden des Angebots aus Irak fielen die Ölpreise, um nach der Erklärung O'Neills wieder anzusteigen.
  • Bundesaußenminister Fischer sieht die Kriegsgefahr im Irak noch nicht gebannt. Im Morgenmagazin von ARD und ZDF am 18. September appellierte Fischer erneut an die USA, keine einseitigen Aktionen zu unternehmen. Nachdem Bagdad eingelenkt habe, müssten jetzt die Waffeninspektoren so schnell wie möglich ihre Arbeit im Irak aufnehmen. Fischer bekräftigte die ablehnende Haltung Deutschlands gegenüber einer möglichen US-Intervention im Irak. Saddam Hussein sei zwar "eine Strafe für sein Volk", ein Krieg würde aber verheerende Folgen für die Lage im Nahen Osten haben. Als Gründe für das Einlenken Bagdads nannte Fischer den Druck, den die internationalen Staatengemeinschaft auf Bagdad ausgeübt habe und Gespräche, die er selbst mit dem irakischen Außenminister und anderen arabischen Politikern geführt habe. Er bestätigte auch, dass er am Rande der UN-Vollversammlung ein "sehr freundschaftliches Gespräch" mit US-Präsident George W. Bush geführt habe. Für die geplante Wiederaufnahme der Waffeninspektionen stehen auch elf deutsche Experten bereit. Sie gehören zum Kontingent der UN-Kontrollkommission für den Irak (UNMOVIC). Das teilte ein Regierungssprecher mit. Die Kommission verfügt international über knapp 300 Spezialisten, darunter Chemiker, Biologen und Fachleute für Massenvernichtungswaffen.
    Zur Vorbereitung neuer Inspektionen vereinbarten Vertreter des Irak und der Leiter der UN-Kontrollkommission für den Irak (UNMOVIC), Hans Blix, weitere Gespräche. Sie sollen Ende September in Wien stattfinden. Die irakische Seite will dann nach eigenen Angaben eine Reihe von Dokumenten vorlegen. Dem Vernehmen nach ging es dabei um bislang vom Irak zurückgehaltene Dokumente aus früheren Inspektionsrunden in der Zeit von 1991 bis 1998.
    Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) kündigte ihre Bereitschaft an, sofort Waffeninspektoren in den Irak zu schicken. "Unsere Koffer sind gepackt", sagte Pressesprecherin Melissa Fleming im Deutschlandradio. Man warte nur noch auf grünes Licht vom UN-Sicherheitsrat.
    Der ehemalige UN-Chefinspekteur Richard Butler sagte in einem CNN-Interview, dass das irakische Schreiben erhebliche Lücken aufweise. "Was wir wirklich hören müssen, ist, dass man ohne Bedingungen überprüfen kann, so dass man zu jederzeit überall hingehen kann." Auf diesen Aspekt gehe das Schreiben aber nicht ein. Der Irak schildere darin auch, dass er keine Massenvernichtungswaffen besitzt, erklärte Vize-Präsident Dick Cheney. "Wir wissen, dass das nicht wahr ist. Die Beweise sind absolut überzeugend für jeden, der sie überprüft. Wir wissen auch durch Geheimdienste, was derzeit im Irak vor sich geht", sagte er.
    Der US-Kongress soll noch vor den Novemberwahlen eine Irak-Resolution verabschieden. Dies kündigte der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Tom Daschle, am 18. September an. Noch vor wenigen Tagen hatten sich führende Demokraten darüber beklagt, dass der Irak-Kurs von US-Präsident Bush überhastet sei und er dabei die Teil-Kongresswahlen am 5. November im Auge habe.
    "Mehr Beweise sind nicht erforderlich": Irak müsse angegriffen werden. Das sagte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld am 18. September im Verteidigungsausschuss des Repräsentantenhauses. Der Furcht vor einer Explosion von Gewalt im Nahen Osten begegnete er mit dem Hinweis, dass gerade deshalb schnell gehandelt werden müsse, weil Saddam jetzt schon so gefährlich sei, dass man diese Gefahr ernst nehme. "Dies ist ein kritischer Moment für unser Land und für die Welt", sagte Rumsfeld. Er erinnerte an "Mein Kampf" von Adolf Hitler, in dem dieser ankündigte, was er tun wollte. Damals habe die Welt zu spät gehandelt. Über Saddam wisse man, dass er Massenvernichtungswaffen habe und produziere und Terroristen schütze. "Das Risiko, nichts zu tun, ist größer als das des Scheiterns." Die Furcht vor dem Scheitern habe die Weltmächte "auf dem Weg von München nach Pearl Harbor" zaudern lassen, als Deutschland und Japan die Welt bedrohten.
  • Am 19. September übersandte Präsident Bush dem US-Kongress den Entwurf für eine Entschließung, die ihm freie Hand für einen evtl. Angriff auf Irak geben soll. Bush drängt darauf, dass der Kongress rasch zustimmt um so dem UN-Sicherheitsrat unter Druck zu setzen. Der UN-Sicherheitsrat müsse eine klare Botschaft an Saddam senden. "Wenn der UN-Sicherheitsrat das Problem nicht löst, werden die USA und einige unserer Freunde es tun."
    Der Oberbefehlshaber des US-Zentralkommandos, General Tommy Franks, traf am 19. September in Kuwait ein. Er nahm an einer Konferenz von Befehlshabern der US-Streitkräfte in der Region teil. In Kuwait und anderen Golfstaaten sind zurzeit rund 30.000 US-Soldaten stationiert.
    Kuwait dementierte Berichte über militärische Vorbereitungen für einen US-Angriff auf Irak. Damit reagierte Kuwait auf eine Ankündigung des US-Verteidigungsministers (vom 16.09.02), etwa 2.000 Marineinfenteristen würden Ende des Monats an einem dreiwöchigen Manöver in Kuwait teilnehmen.
    CSU/CDU-Kanzlerkandidat Stoiber sprach sich am 19. September wieder eindeutig gegen einen Alleingang der USA aus. Er ging sogar soweit zu sagen, dass die USA bei einem Alleingang auch die deutschen Stützpunkte nicht nutzen dürften. Diese Äußerung wurde später aber von einem Sprecher Stoibers relativiert.
    Der Leiter der UN-Waffeninspekteure, Hans Blix, berichtete am 19. September (Ortszeit) dem UN-Sicherheitsrat in new York über seine Gespräche mit irakischen Experten. Es sei vereinbart worden, dass vom 30. September bis 2. Oktober in Wien logistische Einzelheiten über die Rückkehr der Inpekteure erörtert werden sollen. Etwa zwei Wochen später soll eine Vorhut der Waffenkommission UNMOVIC nach Bagdad reisen und voraussichtlich am 15. Oktober ihre Arbeit aufnehmen.
  • Am 20. September telefonierte US-Präsident Bush mit dem russischen Präsidenten Putin wegen dessen Haltung zu einer verschärften Irak-Resolution im UN-Sicherheitsrat. Außenminister Iwanow hob die Übereinstimmung mit den USA hervor. Aus Paris wurde signalisiert, eine neue Resolution mittragen zu wollen.
    Der türkische Außenminister Sükrü Sina Gürel forderte am 20. September die USA auf, einen Krieg gegen Irak aufzuschieben, bis ein internationaler "Konsens" erreicht sei.
    Die arabische Zeitung Al-Hayat berichtete am 20. September, Washington habe der Türkei zehn Milliarden Dollar angeboten, wenn sie ihr Territorium den US-Truppen zur Verfügung stelle.
  • Am 21. September berichtete die "New York Times", US-Präsident Bush liege seit Anfang September ein geheimes Papier vor, das verschiedene militärischen Optionen im Falle eines Irakkrieges beschreibt. Thomas Franks, der Oberbefehlshaber des für den Nahen Osten zuständigen US-Zentralkommandos, habe die Unterlagen dem US-Präsidenten übergeben. Ein etwaiger Angriff würde aus der Luft unter Führung von B-2-Bombern beginnen, schreibt die "Times" unter Berufung auf die Militärs. Diese erste Angriffswelle werde sich gegen Kommando-, Kontroll- und Luftabwehrstellungen richten. Zehntausende von Soldaten der Armee und Marineinfanterie würden gleichzeitig von Kuwait und möglicherweise anderen Ländern aus angreifen. Die Pläne enthielten genaue Zahlen von Truppen, Flugzeugen und Kampfgruppen der Marine, die beteiligt wären.
    Inzwischen verstärken die amerikanischen Truppen, die bereits in der Golfregion stationiert sind, ihre Manöver. Weitere amerikanisch-kuwaitische Militärübungen seien nach Auskunft von General Franks für die kommenden Wochen geplant. Die US-Truppen seien auch für den Ernstfall bei einem möglichen Angriff gegen Irak vorbereitet. "Wir sind bereit zu allen Einsätzen und Aktionen, die unsere Nation von uns verlangt", sagte Franks.
    Aus dem Irak hieß es am 21. September, man werde im Konflikt um Massenvernichtungswaffen nicht auf eine neue Resolution des Uno-Sicherheitsrates eingehen. "Irak gibt bekannt, dass er nicht mit einer neuen Resolution kooperieren wird, die von dem, was mit dem Uno-Generalsekretär vereinbart wurde, abweicht", hieß es in einer Erklärung, die vom staatlichen Rundfunk verbreitet wurde.
    Israels Ministerpräsident Ariel Scharon ist einem Bericht der "New York Times" vom 21. September zufolge entschlossen, im Fall eines irakischen Angriffs dieses Mal militärisch zurückzuschlagen. Die Zeitung beruft sich in ihrem Bericht als Quelle auf nicht näher genannte israelische und westliche Diplomaten-Kreise. Der frühere Botschafter Israels in den USA David Ivri sagte der Zeitung, für Israel würde es im erneuten Angriffsfall um die Glaubwürdigkeit seiner Abschreckung gehen. Heute verfüge Israel im Vergleich zur Lage 1991 über weitaus mehr Optionen, um sich wirksam zu verteidigen, sagte Ivri der Zeitung. Dazu gehöre beispielsweise auch der Anschluss Israels an das satellitengestützte Raketen-Frühwarnsystem der USA. Auch scheine der Irak heute nicht mehr über so viele Scud-Raketen zu verfügen wie damals, sagte Irvi.
  • Am 22. September äußerte die britische Entwicklungshilfeministerin Clare Short Kritik an der Irak-Politik Tony Blairs. Sie werde höchstens einzelne Militäraktionen, nicht aber einen Krieg gegen Irak unterstützen. "Wir dürfen keinen neuen Golfkrieg bekommen", sagte sie. Für "undenkbar" hält auch der Fraktionsvorsitzende von Labour, Robin Cook, einen Krieg ohne UN-Mandat.
    Kuwait will die Nutzung von US-Einrichtungen nur gestatten, wenn für den Angriff auf Irak ein UN-Mandat vorliegt, sagte Verteidigungsminister Dschaber Mubarak el Sabah in einem Zeitungsinterview. - Jemen und Bahrain forderten alle arabischen Staaten auf, ihre Territorien nicht für einen US-Angrifff zur Verfügung zu stellen.
  • Nach Angaben des kanadischen Außenministers Bill Graham, die in der Zeitung "Globe and Mail" am 23. September wiedergegeben waren, planen die USA den Angriff auf Irak im kommenden Februar. Der "amerikanische Spielplan" sehe eine Invasion nach dem islamischen Fastenmonat vor. Kanada wolle dei USA zu einer Kooperation mit den Vereinten Nationen drängen. Der UN-Sicherheitsrat sollte die nächsten Schritte gegenüber Irak festlegen.
    Die Sicherheitsberaterin des US-Präsidenten, Condoleezza Rice, sagte laut Financial Times vom 23. September, es gehe den USA nicht nur um die Rückkehr der UN-Inspekteure. Die USA sähen sich auch verpflichtet, am Aufbau eines demokratischen Irak mitzuwirken. Die USA erwarteten effektive Schritte der UNO. Andernfalls würden sich die USA des Problems annehmen.
  • Am 24. September legte der britische Premier Tony Blair das seit längerem angekündigte Dossier vor, in dem nachgewiesen werden soll, dass die Bedrohung von Seiten des Irak so groß sei, dass gehandelt werden müsse. Die "Gefahr der Untätigkeit" sei "größer als die der Aktion", sagte er bei der Vorstellung des Papiers im Parlament. Im Papier ("IRAQ`S WEAPONS OF MASS DESTRUCTION"), das auf britischen Geheimdienstberichten beruht, wird behauptet, der Irak besitze beträchtliche Mengen von schemischen und biologischen Waffen einschließlich der Trägerraketen und das Regime könne in ein bis zwei Jahren Atomwaffen herstellen. - Am Abend machte Bundeskanzler Schröder einen Blitzbesuch bei Blair.
  • Die Irakfrage wird immer mehr auch zum politischen Streitpunkt im US-amerikanischen Wahlkampf. Am 25. September wehrte sich der Voristzende der Demokraten im Senat, Tom Daschle, gegen den Vorwurf des US-Präsidenten, den Demokraten sei nicht an der Sicherheit des Landes gelegen. Daschle nannt diesen Vorwurf "empörend" und wies in einer dramatischen Rede auf das Engagement der Demokraten im Vietnam-Krieg und gegen Hitler im Zweiten Weltkrieg hin. Er forderte von Bush eine Entschuldigung.
  • Am 26. September versicherte US-Präsident nach einem Gespräch mit Kongressabgeordneten, die Republikaner und Demokraten sprächen in der Irakfrage mit einer Stimme. Gleichzeitig warf er dem Regime in Bagdad vor, es unterstütze das Terrornetzwerk Al Qaida. Und US-Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice sagte, Bagdad habe Al Qaida beim Bau von Chemie-Waffen geholfen.
    Die Parlamentarische Versammlung des Europarats verabschiedte am 26. September eine Resolution, in der die Absicht der USA kritisiert wird, den Irak auch ohne UN-Mandat anzugreifen. "Eine solche Haltung steht nicht im Einklang mit den Prizipien des Völkerrechts", heißt es darin.
    Die Washington Post berichtete von weiteren Kriegsvorbereitungen der USA. So sollen 1.000 oppositionelle Iraker als Hilfskräfte für US-Truppen trainiert werden. Sie sollen als Übersetzer, Kundschafter und Berater ausgebildet werden.
    Am 26. September bombardierten US-Kampfflugzeuge den Flughafen von Basra und zerstörten nach Auskunft des Pentagon eine Radaranlage.
  • Washington und London haben sich am 27. September auf eine gemeinsame Irak-Resolution für den UN-Sicherheitsrat geeinigt. Der Entwurf erlaubt im Falle einer Behinderung der UN-Waffeninspekteure die sofortige Anwendung militärischer Gewalt gegen Bagdad. In der Vorlage wird dem irakischen Staatschef Saddam Hussein außerdem eine Frist von sieben Tagen gesetzt, um der Rückkehr der Waffeninspektoren und vollständigen Offenlegung von Dokumenten zuzustimmen. Bagdad hat den Entwurf zurückgewiesen.
    Drei demokratische Mitglieder des US-Repräsentantenhauses trafen am 27. September in Bagdad ein, um sich ein Bild über die Folgen eines möglichen US-Anmgriffs zu machen. Sie handeln im Auftrag des US-Kirchenrats und der Stiftung "Life Foundation".
  • In London sind am 28. September hundertausende Menschen gegen einen möglichen Krieg gegen den Irak auf die Straße gegangen. Nach Angaben der Organisatoren handelte es sich um eine der größten Friedenskundgebungen in der Geschichte Großbritanniens. Die Veranstalter sprachen von 350.000 Demonstranten, die Polizei gab ihre Zahl mit 150.000 an. Zu der Demonstration hatte ein Bündnis von Friedensgruppen und verschiedene Moslemorganisationen aufgerufen. Unter den Demonstranten, die unter einem Pfeifkonzert zu dem Amtssitz von Premierminister Tony Blair in der Downing Street zogen, waren auch Abgeordnete von Blairs Labour-Partei und Prominente wie der Regisseur Ken Loach. Bei der abschließenden Kundgebung im Hyde-Park sprach unter anderen Londons Bürgermeister Ken Livingstone. Livingston kritisierte die Wirtschaftsinteressen, die hinter den Plänen der USA stünden. Der Labour-Abgeordnete George Galloway forderte die ständigen Sicherheitsratsmitglieder Frankreich, China und Russland auf: "Leistet Bush Widerstand".
    Auch in Italien gingen 100.000 Menschen gegen den drohenden Krieg auf die Straße. Die kommunistische Partei PRC sowie Vertreter der linksdemokratischen Opposition und verschiedene Friedensverbände hatten zu der Demonstration aufgerufen.
    Die Friedensbewegung in Deutschland wird ebenfalls gegen den Irak-Krieg mobil machen. Am 28. September beschloss der Bundesausschuss Friedensratschlag in Kassel, die Friedensbewegung bundesweit zu dezentralen Aktionen am 26. Oktober aufzurufen. Anlass für den Termin: An diesem Tag wird es in den USA zwei landesweite Großdemonstrationen geben.
    Der irakische Vizepräsident Taha Jassin Ramadan erklärte am 28. September in Bagdad, die Haltung seines Landes zu den Inspektoren stehe fest. "Jede weitere Maßnahme soll Irak schaden und ist inakzeptabel." Der stellvertretende Ministerpräsident Tarik Asis sagte, die USA müssten bei einer Invasion in Irak mit hohen Verlusten rechnen. Irak sei zum Widerstand entschlossen.
  • Ob die Großdemonstration vom Vortag schon Wirkung zeigt? Der britische Premierminister Tony Blair hat am 29. September erstmals die Möglichkeit von zwei getrennten UN-Resolutionen zum Irak angedeutet. Wichtigstes Ziel sei zunächst, dass der UN-Sicherheitsrat eine "grundlegende Resolution" zur Entwaffnung des Iraks verabschiede. Damit setzte sich Blair erstmals von der Linie von US-Präsident George W. Bush ab, der eine einzige UN-Resolution einschließlich der Androhung einer Militäraktion bevorzugt. Details eines entsprechenden Entwurfs wurden bereits am 27. September publik. Frankreich plädiert für ein stufenweises Vorgehen: In einer ersten UN-Entschließung soll Irak zunächst zur Abrüstung aufgefordert werden. Erst wenn dies scheitert, soll nach dem Willen des französischen Präsidenten Jacques Chirac über eine weitere Resolution beraten werden, die ein militärisches Vorgehen vorsieht.
    Mehrere tausend Demonstranten protestierten am 29. September in Washington gegen einen möglichen Krieg gegen Irak. In einem Protestmarsch zogen sie zum Wohnhaus von US-Vizepräsident Dick Cheney. Sie zeigten Transparenten mit Aufschriften wie "Kein Blut für Öl" und beschimpften Cheney als Kriegstreiber. Es handelte sich um den dritten Protesttag in Folge während der Herbsttagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank in Washington.
  • Nach einer lebhaften Debatte haben die Delegierten des Labour-Parteitages der Irak-Politik Blairs am 30. September ihre Zustimmung gegeben. Die Delegierten im Seebad Blackpool stimmten einem Antrag zu, in dem die Anwendung militärischer Gewalt gegen Irak für zulässig erklärt wird, wenn diese "innerhalb des Rahmens des Völkerrechts und mit der Autorität der Vereinten Nationen" erfolge und alle anderen Mittel zuvor fehlgeschlagen seien. Der Antrag von Kriegsgegnern, die sich gegen einen militärischen Einsatz aussprachen, erhielt aber immerhin 40 Prozent der Delegiertenstimmen, 60 Prozent votierten dagegen.
    Frankreich bekräftigte indessen seinen Widerstand gegen die von Bush gewünschte harte Irak-Resolution. "Wir werden für einen militärischen Einsatz keinen Blankoscheck ausstellen", schrieb Außenminister Dominique de Villepin in der Tageszeitung "Le Monde" am 30. September. Frankreich werde keine Resolution akzeptieren, die die Anwendung von Gewalt ohne erneute Beratungen im Sicherheitsrat erlaube. Paris lehne das "Risiko einer Intervention ab, die nicht vollständig die Erfordernisse der kollektiven Sicherheit berücksichtigt".
    In der SPD scheint die Debatte über die deutsche Irak-Politik neu zu beginnen. Der außenpolitische Sprecher der Fraktion, Gert Weiskirchen sagte in einem Rundfunkinterview am 30. September, man müsse in Berlin bereit sein, über die Androhung einer Militäraktion "noch mal zu debattieren". Hans-Ulrich Klose (SPD), Voritzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, meinte, neue Beweise für eine Zusammenarbeit zwischen Irak und Al Qaida könnten die deutsche Position zu einem Krieg gegen Irak verändern.
    In Wien begannen am 30. September die Verhandlungen zwischen Vereinten Nationen und Irak über die Einzelheiten der Waffeninspektionen. Neben UN und Irak ist auch die Internationale Atomenergieorganisation IAEA beteiligt. Die Delegation der Vereinten Nationen leitet der Unmovic-Chef Hans Blix (UNMOVIC: United Nations Monitoring, Verification and Inspection Commission). Irak ist mit Präsidentenberater Amir al-Saadi vertreten, für die IAEA deren Direktor Mohammed el Baradei.
    Der US-Senat rechnet damit, dass ein Krieg gegen Irak monatlich bis zu neun Milliarden Dollar kosten wird. Das geht aus einem Bericht hervor, den der Senat in Auftrag gegeben hatte und der am 30. September veröffentlicht wurde. Eine Truppenverlegung würde dem Bericht des Haushaltsbüros zufolge zwischen 9 und 13 Milliarden Dollar kosten. Je nach Kriegsverlauf ist demnach mit weiteren sechs bis neun Milliarden Dollar im Monat für den Unterhalt der Truppen zu rechnen. Ein Abzug kostet am Ende noch einmal fünf bis sieben Milliarden Dollar. Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses des Senats, Kent Conrad, erklärte bei der Veröffentlichung des Berichts, finanzielle Aspekte dürften nicht das Hauptargument in der Irak-Debatte sein. Der Abgeordnete der Demokratischen Partei sagte, es sei jedoch wichtig, sich bewusst zu machen, dass ein dreimonatiger Kampfeinsatz mit Bodentruppen, gefolgt von einer fünfjährigen Truppenpräsenz, mehr als 272 Milliarden Dollar kosten könnte.
Fortsetzung der Chronik: Oktober 2002


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