Säbelrasseln rund um Berg-Karabach
Drohungen werden wieder lauter
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Bisher sind es nur Drohungen, doch die nehmen an Aggressivität deutlich zu: Die Spannungen um
Berg-Karabach, die zu Aserbaidshan gehörende, mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region, die
sich 1988 für unabhängig erklärt hatte, werden wieder angeheizt.
Sollte Aserbaidshan Gewalt anwenden und sich in ein neues »militärisches Abenteuer« stürzen,
werde Armenien die Sicherheit der Bevölkerung Berg-Karabachs »mit allen verfügbaren Mitteln
gewährleisten« und die Unabhängigkeit der Region juristisch verbindlich anerkennen, drohte der
armenische Präsident Sersch Sargsjan ausgerechnet auf dem Gipfel der Organisation des Vertrags
für Kollektive Sicherheit, des Verteidigungsbündnisses der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS.
Fast zeitgleich berichtete die russische »Nesawissimaja Gaseta«, der armenischen
Nationalversammlung lägen bereits mehrere Resolutionen zur Anerkennung Berg-Karabachs vor.
Zwar scheiterte eine Abstimmung letzten Freitag am Boykott der regierenden Koalition aus drei
Parteien. Die hielten einen solchen Beschluss noch für verfrüht – vermutlich weil die
Oppositionspartei »Erbe« den Antrag eingebracht hatte. Ihr eigenes Papier halten Sargsjans
Republikaner derzeit noch unter Verschluss. Dafür machen die Medien bereits für einen neuen
Waffengang im Südkaukasus mobil. In Armenien wie in Aserbaidshan.
Aserbaidshan droht mit einer Anti-Terror-Operation in Berg-Karabach, Armenien und die
Separatisten versprechen eine »adäquate Antwort«. Da Journalisten von beiden Regierungen an
sehr kurzer Leine geführt werden, ist derartiges Säbelrasseln ohne Auflassung von ganz oben
undenkbar. Ebenso die Kenntnis brisanter Details. Zeitungen in Jerewan wie in Baku berichten, die
jeweilige Diaspora sammle bereits Geld für Waffenkäufe und wolle bei Bedarf 150 000 bis 200 000
Freiwillige und Söldner in den Krieg schicken. Ein paar hundert Legionäre sind nach Erkenntnissen
der »Nesawissimaja« bereits in der Krisenregion.
Die Großwetterlage im Südkaukasus, urteilt auch Konstantin Satulin, der Vizevorsitzende des Duma-
Ausschusses für GUS-Angelegenheiten, habe sich rapide verschlechtert. Experten sehen das
genauso und machen dafür neben der Entlassung Kosovos in die Unabhängigkeit durch den Westen
und der Anerkennung Südossetiens und Abchasiens durch Russland auch die OSZE im
Allgemeinen und Kasachstans schwache Vorstellung als Vorsitzender im laufenden Jahr
verantwortlich. Angetreten mit dem Anspruch eines Konfliktmanagers auf dem Gebiet der
ehemaligen UdSSR, habe Kasachstans Regierung nicht nur die Nachbarn in Kirgistan durch
Passivität bei den Unruhen im Juni enttäuscht. Auch der Konflikt um Berg-Karabach habe sich 2010
zugespitzt.
In der Tat: Es gab wieder Positionsgefechte, Tote und Verletzte auf beiden Seiten. Und die
Vermittlungsversuche der 1994 von der OSZE eingesetzten »Minsker Gruppe« – Russland,
Frankreich, USA – treten seit Jahren auf der Stelle. Baku will erst nach der Rückgabe umliegender
Gebiete verhandeln, die Armenien 1993 besetzte, um einen Korridor in die Exklave zu schlagen,
Jerewan pocht auf Verhandlungen ohne Vorbedingungen und will die vertriebenen Aseri nicht an der
Abstimmung über den künftigen Status Berg-Karabachs beteiligen. Dessen Bevölkerung – seit 1988
so gut wie ausschließlich Armenier – habe bereits bei zwei Volksentscheiden für Unabhängigkeit
gestimmt Russland Präsident Dmitri Medwedjew brachte zwar Sargsjan und dessen
aserbaidshanischen Amtsbruder Ilham Alijew zusammen auf die Couch, doch eine Lösung des
Konflikts rückte nicht näher.
An Berg-Karabach scheiterte auch die Normalisierung der Beziehungen zwischen der Türkei und
Armenien, die vor allem für Jerewan von Vorteil gewesen wäre. Die Republik muss, weil die Türken
ihre Grenzen aus Solidarität mit den ethnisch eng verwandten Aseri 1993 schloss, ihren gesamten
Außenhandel über Iran abwickeln, was auch der aktiven Teilnahme am EU-Projekt östliche
Partnerschaft enge Grenzen setzt.
* Aus: Neues Deutschland, 14. Dezember 2010
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