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"Handelsminister besorgt über den Druck durch die EU"

Europa will Bedingungen durchsetzen, die den Ländern Afrikas eine Menge Nachteile bringen. Ein Gespräch mit Offah Obale


Der Kameruner Offah Obale ist Experte für Wirtschaftsfragen Afrikas. Er nahm kürzlich als Berater an einer Konferenz der Handelsminister des Kontinents in Ruanda teil.

In einer Erklärung afrikanischer Handelsminister wurde kürzlich deutliche Kritik an den von der EU gewünschten »Wirtschaftspartnerschaftsabkommen« (Economic Partnership Agreements/EPA) laut. Sie haben an der Ministerkonferenz in Ruanda als Berater teilgenommen, wogegen richtet sich die Kritik?

Ein zentraler Punkt war, daß die afrikanischen Handelsminister die EU aufforderten, bei den EPA-Verhandlungen mehr Verständnis für die Besorgnisse Afrikas und mehr Flexibilität zu zeigen, damit die gesteckten Entwicklungsziele erreicht werden können. Dazu gehören die Bewahrung politischer Handlungsspielräume, die Notwendigkeit, regionale Integration zu vertiefen sowie das Nichtakzeptieren der »WTO-Plus-Verpflichtungen«.

Was versteht man darunter?

Die Entwicklungsländer haben bei Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) mit Erfolg dafür gekämpft, Bereiche wie Investitionen, Wettbewerb und öffentliches Beschaffungswesen – die sogenannten Singapur-Themen – aus mulilateralen Abkommen herauszuhalten. Unglücklicherweise besteht die EU darauf, genau diese Themen in die EPAs aufzunehmen.

In welchen weiteren Punkten sind Afrika und die EU unterschiedlicher Ansicht?

Zum Beispiel bei den Exportsteuern für Rohstoffe. Afrikanische Präsidenten sehen sie als ein Mittel zur Industrialisierung ihrer Länder an, das ist einer der Streitpunkte. Ein weiterer ist die von der EU verlangte Meistbegünstigungsklausel. Umstritten ist auch die Forderung der EU an einige afrikanische Staaten, eine Gemeinschaftsabgabe aufzuheben, die an den Grenzen westafrikanischer Staaten erhoben wird, um die regionale Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS zu stärken. Deren Abschaffung würde das Funktionieren von ECOWAS schwer treffen. Die Handelsministerin Senegals hat mir gesagt, die Gemeinschaftsabgabe sei eine »rote Linie«, die nicht überschritten werden dürfe.

Einige deutsche Nichtregierungsorganisationen vertreten die Ansicht, die EPA-Verträge würden Afrika ins Unglück stürzen. Halten Sie das für überzogen?

Nein, das beschreibt die Wirklichkeit: Die Verträge in ihrer jetzigen Form würden Afrikas Lage verschlimmern. Es wurde viel von Milleniumszielen gesprochen, von der Halbierung der Armut bis 2015. Wenn man afrikanischen Ländern aber das Recht verwehrt, Arbeitsplätze zu schaffen, ist es heuchlerisch, überhaupt von diesen Zielen zu sprechen.

Wie würden sich die EPA-Verträge auswirken?

Sie würden die industrielle Entwicklung, die Ernährungssicherheit, die Lebensbedingungen und die regionale Integration behindern.

Ein Problem ist der Verlust wichtiger Zolleinnahmen, den die EPA-Verträge für Afrika zur Folge hätten. Würde das nicht bedeuten, daß viel weniger Geld z.B. für den Bau und die Unterhaltung von Schulen und Krankenhäusern zur Verfügung stünde?

Das ist eine sehr ernste Sache – 80 Prozent unserer Importe wären dann zollfrei. Die meisten afrikanischen Länder haben beschlossen, ihre Argrarwirtschaften durch Zölle zu schützen – aber ich sehe nicht, wie sie ohne diese Zölle dem Wettbewerb mit subventionierten europäischen Agrarprodukten standhalten könnten.

Die EU bietet einen Ausgleich an, aber der scheint recht vage zu sein. Es soll Zahlungen aus dem Europäischen Entwicklungsfonds (EDF) geben, um Verluste bei den Zolleinnahmen zu mildern. Die sind aber eher unbedeutend – für Westafrika hat eine Untersuchung ergeben, daß die Zahlungen fünf Jahre lang um ein Drittel unter dem liegen würden, was zum Ausgleich benötigt würde.

Das alles ergibt doch keinen Sinn. Besser ist es doch, wenn wir mit Hilfe von Zöllen unsere Industrie in ihrer Aufbauphase schützen und einen integrierten regionalen Markt aufbauen können. Das sind sicherere Wege für wirtschaftliches Wachstum in Afrika.

Hat die EU afrikanische Staaten unter Druck gesetzt, die Verträge in der von ihr gewünschten Fassung zu unterzeichnen?

Unsere Handelsminister haben in einer Erklärung ihre Besorgnis über den Druck geäußert, den die EU auf einige Länder und Regionen ausübt. Die Minister meinten, das würde Fortschritte im Verhandlungsprozeß gefährden.

Interview: Rolf-Henning Hintze

* Aus: junge Welt, 13. November 2010

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