Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Die Bedingungen der EU verschärfen die Unterentwicklung in Afrika"

Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) schaden dem afrikanischen Kontinent

Die multilaterale Doha-Entwicklungsrunde der Welthandelsorganisation ist gerade in Genf gescheitert. Auf der bilateralen Ebene wird weiter seitens der USA und der EU versucht, die Liberalisierung voranzutreiben. So versucht die EU, noch bis Ende 2008 mit den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) zu schließen. Mit Dot Keet vom »Alternativen Informations- und Enwicklungszentrum« in Kapstadt sprach darüber für ND Rolf-Henning Hintze.



ND: Verschiedene Organisationen der afrikanischen Zivilgesellschaft haben ungewöhnlich heftige Kritik an den EPA, den sogenannten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Economic Partnership Agreements) geübt. Man ging so weit, sie schlichtweg »entwicklungsfeindlich« zu nennen. Weshalb diese starke Ablehnung?

Dot Keet: Die jahrzehntelangen schlechten Erfahrungen afrikanischer Länder mit den »Strukturanpassungsprogrammen« des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank sowie die Handels- und Investionserleichterungen für Industrieländer sind bekannt und dokumentiert. Sie bedeuten eine Warnung, dass die noch viel weitergehende Liberalisierung, die Europa mit den sogenannten »Wirtschaftlichen Partnerschaftsabkommen« fordert, unausweichlich schwere Nachteile für Afrika mit sich brächte.

Inwiefern?

Diese Bedingungen würden die Probleme von Unterentwicklung und Armut vergrößern und zwangsläufig auch zu mehr Instabilität führen. Die Bedingungen dienen einseitig den Interessen europäischer Unternehmen und der weiteren Ausbeutung der Ressourcen in diesen Ländern. Sie bedrohen die Steuereinnahmen der afrikanischen Regierungen, und sie bedrohen lokale Produzenten und Industrien und schwächen die Ernährungssouveränität Die Bedingungen der Europäer sind so weitreichend, dass sie praktisch auf eine Re-Kolonisierung hinauslaufen.

Südafrika hat sich zur Überraschung vieler geweigert, das Abkommen zu unterschreiben. Aus welchen Gründen?

Die südafrikanische Regierung hat eine umfassende Kritik der EPA-Bedingungen vorgelegt, besonders im Hinblick auf die Störung der Verhandlungen über geeignete Regionalabkommen zwischen Mitgliedern regionaler Kooperationsgemeinschaften wie der Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrikas (SADC) und zwischen benachbarten Regierungen. Aber auch die Meistbegünstigungsklausel, die von der EU in die Abkommen eingeschlossen wurde, hält Südafrika für nicht hinnehmbar. Sie würde bedeuten, dass Regierungen in Afrika keine Abkommen mehr mit anderen Ländern wie China oder Indien abschließen könnten, die diesen Vorzugsbedingungen einräumen würden. Die gleichen Vorteile müssten sie dann der EU einräumen.

Eine Reihe afrikanischer Länder hat unter starkem Druck der EU am Ende aber doch »Interim-Abkommen« mit der EU unterschrieben. Welche Kompromisse mussten afrikanische Länder bei den Interim-EPA akzeptieren?

Erst einmal ist festzuhalten, dass nur 18 der 47 afrikanischen Regierungen in letzter Minute zugestimmt haben. Sie verpflichteten sich damit, bis Ende 2008 umfassende EPA mit der EU auszuhandeln. Die EPA beziehen sich nur auf den Handel mit Gütern -- nicht auf Investitionen, die Öffnung des Dienstleistungssektors und andere Forderungen der EU. Die EU ist entschlossen, alle diese Themen in die »umfassenden« Abkommen einzuschließen. Bis Ende 2008 soll das abgeschlossen sein. Ob dies der EU gelingen wird, bezweifle ich allerdings stark.

Die EU sieht das von ihr geforderte Prinzip der Gegenseitigkeit als nicht verhandelbar an. Für die meisten AKP-Staaten ist das unannehmbar. Weshalb?

Die EU behauptet, ihre Forderungen seien in Übereinstimmung mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO. Doch die Regeln der WTO beinhalten keine Verpflichtung schwächerer Länder, ihre Wirtschaft reziprok denen von stärkeren Ländern zu öffnen. Die EU ignoriert rundweg die Forderung der Entwicklungsländer nach speziellen und differenzierten Bedingungen, die von zentraler Bedeutung in ihren Verhandlungen mit der WTO sind. Vor allem versucht die EU jetzt durch die EPA, den kombinierten Widerstand der Entwicklungsländer in der WTO gegenüber den »neuen Themen« zu unterminieren.

Worin besteht Ihrer Ansicht nach die Hauptaufgabe der sozialen Bewegungen in Deutschland im Zusammenhang mit dem Problem der EPA?

Ich sehe die Hauptverantwortung der sozialen Bewegungen in Deutschland und Europa darin, die etwas komplizierten Bedingungen der EPA zu verstehen und zu begreifen, dass diese nicht ausgehandelt wurden, sondern den AKP-Staaten aufgezwungen werden sollen. Diese Bedingungen vergrößern die Probleme der Unterentwicklung und Armut.

Wie beurteilen Sie die EU-Strategie mit dem Namen »Global Europe«?

Bei der Strategie handelt es sich um kaum verhüllte unilaterale Forderungen der EU-Kommission, die vom EU-Rat übernommen wurden. Es ist eine agressive Strategie, die europäischen Wirtschaftsinteressen und den globalen Interessen der EU dient. Während die früheren Abkommen mit afrikanischen Regierungen trotz vieler Beschränkungen und Probleme auch einige positive Aspekte enthielten, wird jetzt Platz gemacht für eine rücksichtslose neoliberale Ära. Brüssel fordert von Afrika leichtere Marktzugänge für landwirtschaftliche und industrielle Exporte und verbesserte Möglichkeiten für europäische Unternehmen, die in die Warenproduktion, den Bergbau und den Dienstleistungsbereich investieren wollen, außerdem Garantien für geistige Eigentumsrechte (intellectual property rights) und den Schutz von Eigentum besonders bei Schürfrechten und Landbesitz. Diese neue strategische Aufstellung geht aber nicht allein zu Lasten der Völker des Südens, sie betrifft auch die europäische Bevölkerung selbst mit den ernsten Bedrohungen ihrer Rechte.

* Aus: Neues Deutschland, 12. August 2008


Zurück zur Afrika-Seite

Zur EU-Europa-Seite

Zur Seite "Entwicklungspolitik"

Zurück zur Homepage