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Keine Entschädigung für Kundus-Opfer

Kölner Gericht bestätigte Vorinstanz-Urteil - Ex-Bundeswehr-Region im Zentrum der Taliban-Offensive

Von René Heilig *

Das Oberlandesgericht Köln hat eine Schadenersatzklage von Angehörigen der beim Kundus-Luftangriff im September 2009 Getöteten abgewiesen.

Das nächtliche Bombardement am 4. September 2009 hatte der damalige Bundeswehroberst - heute General - Georg Klein als Kommandeur des nordafghanischen Stützpunktes Kundus befohlen. Aufständische hatten damals zwei Tanklaster gekapert, die sich aber im Kundus-Fluss festgefahren hatten. Bei dem Angriff waren nahezu 140 Menschen - in der Mehrzahl Zivilisten - umgekommen.

Klein sei keine schuldhafte Verletzung von Amtspflichten vorzuwerfen, befanden die Richter am Donnerstag. Er habe vor Erteilung des Angriffsbefehls alle möglichen Aufklärungsmaßnahmen genutzt und nicht erkennen können, dass sich Zivilpersonen bei den Tanklastern befanden. Das Kölner OLG bestätigte damit ein Urteil des Bonner Landgerichts.

Diese Sichtweise ist höchst umstritten, zumal die Rolle des Auslandsgeheimdienstes BND, der gemeinsam mit einer Bundeswehrspezialtruppe und einem einheimischen Informanten bei dieser Aufklärung beteiligt war, weitgehend im Dunkeln geblieben ist.

Geklagt hatten ein afghanischer Vater, dessen zwei Söhne getötet wurden, sowie eine Witwe und Mutter von sechs Kindern, die durch die Bombardierung ihren Mann, den Ernährer der Familie, verloren hatte.

Obwohl selbst der damalige US-Oberbefehlshaber der ISAF-Truppen unmittelbar nach dem Angriff dessen Rechtmäßigkeit bezweifelt hatte, wurde Klein in Deutschland nie strafrechtlich verfolgt. Der Generalbundesanwalt stufte den Einsatz in Afghanistan als Teilnahme an einem bewaffneten Konflikt ein. Auch das Kölner Gericht sah die Tanklaster als legitimes militärisches Ziel an.

In Afghanistan war zum Jahreswechsel der NATO-geführte ISAF-Kampfeinsatz nach 13 Jahren zu Ende gegangen. Am Folgeeinsatz zur Ausbildung und Beratung der afghanischen Truppen sind 12 000 Soldaten, vor allem aus den USA, sowie bis zu 850 Bundeswehrsoldaten beteiligt.

Das Gebiet um Kundus scheint derzeit ein wichtiger Schauplatz der von den Taliban angekündigte Frühjahrsoffensive zu sein. Wie US-Medien berichten, sei ein Bataillon der Kabuler Sicherheitskräfte eingeschlossen worden. Die US-Streitkräfte hätten versucht, die Verbündeten durch den Einsatz von Kampfjets zu entlasten.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 2. Mai 2015


Kein Schadenersatz für Bundeswehr-Opfer

Kundus-Massaker: Kölner Gericht weist Klage von Angehörigen Getöteter und Verletzter zurück **

Die Opfer des verheerenden Angriffs bei Kundus bzw. deren Angehörige haben keinen Anspruch auf Schadenersatz von der Bundesrepublik Deutschland. Das Kölner Oberlandesgericht (OLG) hat am Donnerstag eine Klage von Hinterbliebenen zurückgewiesen. Dem damaligen deutschen Oberst Georg Klein, der die Attacke 2009 in Afghanistan befohlen hatte, sei keine schuldhafte Verletzung von Amtspflichten vorzuwerfen. Das OLG bestätigte damit ein Urteil des Bonner Landgerichts. Bei der Bombardierung von zwei Tanklastwagen waren 2009 etwa 100 Zivilisten getötet worden. Die OLG-Richter ließen die Revision beim BGH zu (Aktenzeichen 7 U 4/14).

Nach Auffassung des Gerichts hatte Klein, der später zum General befördert wurde, vor dem Angriffsbefehl alle verfügbaren Aufklärungsmaßnahmen genutzt, um auszuschließen, dass sich Zivilisten am Zielort befanden. Tatsächlich traf der Angriff keine Militärs, sondern Menschen, die Benzin aus den Tankwagen abfüllen wollten. Die Anwälte der Kläger hatten angekündigt, dass sie bei einer Niederlage Rechtsmittel gegen die Entscheidung einlegen wollten.

Geklagt hatten ein afghanischer Vater, dessen zwei Söhne mutmaßlich bei der Bombardierung getötet wurden, und eine Witwe, deren Mann ums Leben kam. Als freiwillige Leistung hatte die Bundesrepublik Deutschland an die Familien von 90 Opfern jeweils 5000 US-Dollar (4470 Euro) gezahlt.

Sahra Wagenknecht, Erste Stellvertretende Vorsitzende der Links-Fraktion im Bundestag, bezeichnete das Urteil am Donnerstag als »Schande«. »Der von Seiten der Bundesregierung immer wieder betonte Drang, ›mehr Verantwortung‹ in der Welt übernehmen zu wollen, gilt offensichtlich nicht für die bitterarmen afghanischen Opfer deutscher Kriegspolitik.« Als »Schlag ins Gesicht der Opfer und Hinterbliebenen« bezeichnete Christine Buchholz, verteidigungspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Köln am Donnerstag.

** Aus: junge Welt, Samstag, 2. Mai 2015


Kundus-Urteil und BND-Affäre: Neujustierung

Von Arnold Schölzel ***

Aghanische Staatsbürger haben keinen Anspruch auf Entschädigung, wenn ihre Angehörigen auf Befehl eines Bundeswehr-Oberst getötet wurden. Das Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom Donnerstag schreibt deutsche Standards fort. Was für Griechenland und die Massaker der deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg als Recht gilt, kann für deutsche Okkupanten in Afghanistan nicht Unrecht sein.

Zufällig stieg am Tag dieses Gerichtsspruchs die Aufregung um die Wurmfortsatzfunktion des BND bei der Politik- und Wirtschaftsspionage Washingtons um einige Erregungszustände. Ein Zufall war allerdings nur die Gleichzeitigkeit, nicht der Tatbestand. Wer in Afghanistan gemeinsam in einem illegalen Krieg globale Apartheid exekutiert, ist selbstverständlich auch sonst zu jedem gemeinschaftlich begangenen kleineren oder größeren Verbrechen bereit. Internationale Institutionen hielten mehrfach fest: Deutsche Behörden helfen den USA bei Entführung, beim Foltern und beim Vertuschen, vorneweg stets das Bundeskanzleramt, z. B. seinerzeit mit Frank-Walter Steinmeier (SPD) als zuständigem Minister für den Fall des Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz. Ermittlungen einheimischer Justizbehörden gibt es deswegen nicht. Angesichts notorischem Belügens des Parlaments, der Weigerung des angeblichen Partners jenseits des Atlantiks, irgendeine Auskunft zu geben, und angesichts des Anteils deutscher Geheimdienste bei der Organisation von neofaschistischem Mord und Totschlag im eigenen Land ist ein »Prüfauftrag« des Generalbundesanwalts weniger als ein Witz. Es ist undemokratischer bundesdeutscher Standard.

Die Gnadenlosigkeit der Institutionen dieses Landes bei der Exekution dessen, was sie für richtig und Recht halten, wird nur durch die Härte bei der Abwehr jedes Versuchs, ihre Interna zu durchleuchten, übertroffen. Im Notfall laufen die Schredder, weiß ein hessischer Ministerpräsident, der einen mordverdächtigen Geheimdienstler geschützt hat, von nichts, fragen die sogenannten Medien wie in Schilda angesichts eines offenen Daches, warum es ins Haus regnet. Versagen, Fehler,Pannen? Die abgehörte Kanzlerin erklärt das Internet für »Neuland«, die angebliche Kontrolle der Geheimdienste durch Parlamentsgremien ist eine Groteske.

Das ist so seit Bestehen der Bundesrepublik. Sie wurde gegründet, um die deutsche Monopolbourgeoisie wieder zu installieren. Das sicherte die Kontinuität des Staatsapparats aus vergangenen Zeiten und die letztliche Unterordnung unter die Interessen der Vormacht USA. Die Gemeinsamkeiten in der Front gegen die Sowjetunion mögen im Kalten Krieg größer gewesen sein als nach deren Verschwinden, aufgelöst haben sie sich – wie der vom Westen angezettelte Putsch und Krieg in der Ukraine zeigt – bei weitem nicht. Allerdings verändert sich das Kräfteverhältnis zwischen beiden Mächten. Die Lecks des BND sind ein Symptom, dass der Kampf um die Neujustierung der Beziehungen zwischen Berlin und Washington begonnen hat.

*** Aus: junge Welt, Samstag, 2. Mai 2015 (Kommentar)


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