Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Friedenspolitischer Ratschlag 2000

Presseecho - Weitere Artikel

Von zwei weiteren Artikeln über den 7. Friedensratschlag soll nun die Rede sein. Einmal erschien am 4. Dezember ein Beitrag im "Neuen Deutschland", zum anderen am 7. Dezember ein Interview in der "jungen welt" mit zwei Teilnehmern am Ratschlag.
Der Beitrag im ND war leider relativ nichtssagend, weil der Autor offenkundig gar nicht selbst am Ratschlag teilgenommen hatte und lediglich ein paar vorgefertigte Meinungen wiedergab. Obwohl das Bemühen zu erkennen war, umfassend über den Ratschlag zu berichten, fehlte dennoch das Wichtigste: die Aktionsorientierung und das Bemühen der Friedensbewegung um gemeinsame Projekte. Ärgerlich war auch die Überschrift zum Artikel: "Die stark verkleinerte Friedensbewegung traf sich". Stark verkleinert ist die Friedensbewegung gewiss - verglichen mit der Situation der 80er- und Anfang der 90er Jahre. Diese Überschrift hätte zu den Ratschlägen 1994 bis 1998 sehr wohl gepasst. Seit 1999 macht eine solche Kennzeichnung aber keinen Sinn mehr: Die Friedensbewegung ist nicht weiter geschrumpft, sondern hat sich eher "berappelt", ist inhaltlich sehr viel präziser geworden und hat auch an Aktionsfähigkeit dazu gewonnen. Wer's nicht glaubt, sehe sich nur die Arbeit der lokalen Friedensinitiativen im Land an! - Mal sehen, ob es ein paar Leserbriefe gibt, die den schlechten Eindruck des Artikels wieder etwas ausbügeln.
Die "junge welt" hatte den Friedensratschlag bereits im Vorfeld freundlich begleitet (ein Interview mit den Organisatoren, ein langes Interview mit Heinz Loquai). Im Nachhinein sollte es wieder ein Interview sein - wir dokumentieren es im Folgenden -, diesmal mit Elmar Schmähling und Wolfgang Richter. Beide waren beim Ratschlag dabei (Elmar Schmähling als Referent) und beide konnten daher auch die wesentlichen politischen Ergebnisse der Konferenz authentisch zusammenfassen. Die Idee eines "Europäischen Friedenskonvents" selbst stammt indessen nicht vom Ratschlag, sondern hat andere Väter (oder sogar Mütter?). Die Friedensbewegung sollte sich mit dieser Initiative auseinandersetzen.


Wie weiter nach Kasseler Friedensratschlag?

jW sprach mit Prof. Wolfgang Richter und Admiral a. D. Elmar Schmähling von der Gesellschaft für Bürgerrecht und Menschenwürde (GBM)

F: Sie waren auf dem 7. Kasseler Friedensratschlag am vergangenen Wochenende. Was gab es Neues, was sind die wichtigsten Ergebnisse?

W. R.: Das ist schwer auf einen Nenner zu bringen. Der Ratschlag war, wie Peter Strutinsky am Schluß betonte, wie in jedem Jahr eine wichtige Anleitung für die Friedensbewegung vor Ort. Er leistete einen wichtigen Beitrag zur Enthüllung der neuen Kriegsgefahren, die unter dem Mantel einer »humanitären Intervention« oder der Durchsetzung der Menschenrechte daherkommen. Er verwies auf die großen Gefahren für die Menschheit, die von den Atomwaffen ausgehen, und auf die Möglichkeit, die Menschheit ohne Waffen umzubringen, z. B. durch eine ökologische Katastrophe.

F: Welche Lehren wurden, besonders nach den neueren Entwicklungen, aus dem Krieg gegen Jugoslawien gezogen?

E. S.: Mit Krieg wird nicht mehr nur gedroht, sondern er wird geführt. Die NATO ist uns voraus mit der galoppierenden Entwicklung der von ihr ausgehenden Gefahren. Die Organisiertheit der Friedensbewegung hält nicht Schritt. Angesichts dieser zunehmend dramatischen Situation müssen wir unsere Anstrengungen vereinen und vervielfachen. Der Jugoslawien-Krieg sollte doch nicht deshalb Modell für das künftige Jahrhundert sein, weil er militärisch so gekonnt geführt wurde. Da war er eher dilettantisch. Aber er wurde paradigmatisch in Mißachtung des geltenden Völkerrechts geführt. Macht und Interessen wurden über das Recht gestellt, und die USA verlangten Vasallendienste.

W. R.: Angesichts der internationalen Bedrohungen wird den Friedensbewegungen die nationale Jacke zu eng. Die NATO ist eine internationale Militärorganisation mit weltweiten Interessen, die EU entwickelt sich zur Militärunion mit eigenen Einsatzkräften, der Auftrag der Streitkräfte ist nach der neuen NATO-Doktrin nicht mehr nur und keineswegs in erster Linie die Verteidigung, sondern die Intervention. Die Antwort der Friedensbewegung muß die Internationalisierung ihrer Aktionen und die Vernetzung ihrer Anstrengungen sein. Die zeigte sich z. B. bei den Tribunalen über den Jugoslawien-Krieg, die in mehr als einem Dutzend Länder stattfanden. Dort wurde auch die Idee eines Europäischen Friedenskonvents geboren, die in Kassel in den Aktionsplan aufgenommen wurde.

F: Das ist sicher eine Idee, die in der Luft liegt, aber reichen dafür die Kräfte?

E. S.: Diese Idee fand z. B. auf dem bulgarischen Tribunal in Sofia große Unterstützung, auch in Belarus. Am kommenden Wochenende werde ich auf der zweiten Beratung für die Vorbereitung einer europäischen Konferenz über Frieden und Menschenrechte, zu der die Bertrand Russell Friedensstiftung nach Brüssel eingeladen hat, für die Teilnahme am 1. Europäischen Friedenskonvent am 24. März 2001 werben. Aus Italien erreichte uns der Wunsch nach größerer Vernetzung. So überraschte uns auch nicht, daß die Vertreter aus Griechenland, Rußland, Tschechien und Schweden, die auf dem Kasseler Friedensratschlag anwesend waren, diese Idee sehr begrüßten. Wir rechnen im März mit über 20 europäischen Ländern. Aber diese Idee zielt nicht nur auf die Friedensbewegung sondern auf alle friedliebenden Menschen, die in besonderer Verantwortung stehen.

W. R.: Vielleicht entsteht aus diesem Ansatz so etwas wie ein Europäisches Friedensforum. Die GBM versucht jedenfalls, gemeinsam mit dem Ostdeutschen Kuratorium und mit der Berliner Friedenskoordination dahin zu kommen. Wichtig ist, daß auf dem Konvent Vertreter anwesend sind, die in ihren Ländern etwas repräsentieren, ob die Friedensbewegung, ob NGOs, ob Parlamentsfraktionen oder Parteien, Gewerkschaften, Kirchen oder ob sie einfach als Künstler, Wissenschaftler oder Politiker bekannt sind. Dem Vorhaben kommt gewiß entgegen, daß der 24. März in vielen Ländern der Welt, z. B. auf dem Balkan, als Aktionstag gegen den Krieg begangen wird.

E. S.: Die breite Beteiligung aus allen gesellschaftlichen Gruppierungen, aus Wissenschaft und Politik ist auch deshalb so wichtig, weil immer mehr die wahren Ursachen und wahren Ziele der modernen Interventionskriege in das Blickfeld geraten. Sie sind nicht militärischer, sondern ökonomischer und machtpolitischer Natur.

W. R.: Wichtig ist das Thema des ersten Konvents, der sich jährlich und zu besonderen Anlässen treffen soll. Nach dem Jugoslawien-Krieg ist die »humanitäre Intervention« die wirksamste Ideologie, um die Menschen nicht nur an die Idee des Krieges zu gewöhnen, sondern sie auch zu bewegen, sich mit den Aggressoren zu solidarisieren. Das ist die gefährlichste Situation für den Weltfrieden überhaupt, wenn die Menschen Aggressionen moralisch akzeptieren, für normal halten und in ihr Weltbild aufnehmen. Deshalb haben wir für den ersten Konvent ein Diskussionspapier zum Thema »Menschenrechte und Intervention« vorgelegt.

E. S.: General a.D. Heinz Loquai sagte auf dem Kasseler Friedensratschlag, es sei nicht wahr, daß die Wahrheit das erste sei, was im Krieg umgebracht wird, sie werde schon vorher füsiliert, sonst würde es gar nicht zum Krieg kommen. Deshalb ist die Verbreitung der Wahrheit eine so wichtige präventive Maßnahme, um nächste Kriege zu verhindern. Darin soll auch der Friedenskonvent als eine ständige Institution eine vornehmliche Aufgabe sehen.

Interview: Arnold Schölzel
Aus: junge welt, 7. Dezember 2000

Zu anderen Artikeln über den Ratschlag

Zurück zur Seite "Friedensratschlag 2000"

Zurück zur Homepage