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Friedenspolitischer Ratschlag in Kassel:

Presseecho

Der 7. Friedensratschlag, der am 2. und 3. Dezember 2000 in Kassel stattfand, wurde von den Medien durchaus beachtet. Bereits die Vorankündigigungen waren besser als in den vergangenen Jahren. Z.B. wurde ein vom Ratschlag vorab verbreitetes Interview mit Heinz Loquai in verschiedenen Blättern nachgedruckt. Die Hessische Allgemeine (HNA) brachte sogar ein fast halbseitiges Interview mit Elmar Schmähling.
Auch die Resonanz fiel gut aus. Das Hessische Fernsehen bracht in gewohnter Manier einen Filmbericht in der "Hessenschau", und am Montag, den 4. Dezember, erschienen in der HNA und der Frankfurter Rundschau größere Artikel. Beide Artikel wollen wir im Folgenden dokumentieren.

Friedensratschlag

"Ausbau der EU zur Militärmacht stoppen"

Von Rainer Stumpf

"Die Politik zivilisieren" forderte die Friedensbewegung beim 7. Kasseler Friedensratschlag. Vor allem Bundeswehr, EU und Nato hatte die Friedensbewegung im Visier ihrer Kritik.
Kassel Die Stimme der älteren Dame wurde lauter: "Alles Militär muss abgeschafft werden, erst dann ist Frieden möglich", rief sie ins Mikrofon und traf damit den Nerv der Zuhörer, die gerade dem ehemaligen Brigadegeneral und OSZE-Mitarbeiter Heinz Loquai gelauscht hatten: Sie applaudierten heftig. Der hochrangige Ex-Soldat dagegen klatschte nicht. Er lächelte: "Meine Dame, ich nhme ihre Anmerkung zur Kenntnis. Aber ich muss sagen: Solange ich Soldat war, war ich mit dem Auftrag der Bundeswehr zur Landesverteidigung absolut einverstanden." Die Reaktion der etwa 300 Menschen in der Mensa der Universität Gesamthochschule Kassel (GhK) war Schweigen.

Eine Situation, die eines der Kernprobleme der Friedensbewegung deutlich macht: Erfahrene Experten und Verfechter fest installierter Feindbilder einander näher zu bringen. Mitveranstalter Dr. Peter Strutynski von der GhK hatte den Spagat gewagt und zum 7. Kasseler Friedensratschlag am Wochenende Heinz Loquai eingeladen.

Der erneuerte in seinem Vortrag auf dem größten Treffen der deutschen Friedensbewegung seine seit 1999 erhobenen Vorwürfe an die Bundesregierung, während des Kosovo-Krieges gelogen und Propaganda betrieben zu haben. Einen Völkermord an den Kosovo-Albanern, wie von Verteidigungsminister Rudolf Scharping behauptet, habe es nicht gegeben. Vorschläge von jugoslawischer Seite, etwa die Zahl der OSZE-Beobachter zu erhöhen, seien bewusst abgelehnt worden. Loquai: "Der krieg war gewollt."

Mit der Bundeswehr beschäftigte sich Tobias Pflüger von der Tübinger Informationsstelle Militarismus. Heftig kritisierte er deren "zukünftige Rolle als Interventionsarmee". "Der Mythos der Landesverteidigung hat sich verabschiedet", lautete sein Fazit. Laut Pflüger drohe eine zunehmende Militarisierung der Europäischen Union. "Der Ausbau der EU zur Militärmacht muss gestoppt werden", forderte er. Der beschlossene Aufbau einer EU-Eingreiftruppe sei der Weg hin zu einer neuen Militärmacht mitten auf dem Kontinent, deren Arm "bis in den Kaukasus reicht". Den größten Beifall erntete er, als er die Auflösung der Bundeswehr und der Nato forderte. Pflüger mahnte die Zuhörer: "Es liegt viel Arbeit vor uns."

Themen der Zukunft

Das bestätigte auch Peter Strutynski. Für die zukünftige Arbeit der Friedensbewegung machte er drei Aktionsfelder aus: die zunehmende Militarisierung" der westlichen Politik, die geplante Anschaffung von "Offensivwaffen" für die Bundeswehr - etwa dem Eurofighter -, und die geplante US-Raketenabwehr. Die "Zivilisierung der Politik" - so das Motto des Friedensratschlags - müsse umgesetzt werden.

Einen Teil dazu lieferten die Teilnehmer gleich mit. Eine Resolution, in der sie "das Ende der Gewalt gegen das palästinensische Volk", die Bildung eines palästinensischen Staates und die Räumung der von Israel besetzten Gebiete forderten.

Aus: HNA (Hessisch-Niedersächsische Allgemeine), 4. Dezember 2000

Friedensbewegung fürchtet Militarisierung der EU

"Friedenspolitischer Ratschlag" will Politik zivilisieren / Scharfe Kritik an Bundesregierung
Von unserer Mitarbeiterin

Die rot-grüne Bundesregierung ist längst in die Kritik der Friedensinitiativen geraten: Es gehöre zu den großen Enttäuschungen der vergangenen Jahre, dass diese Regierung "passgenau in die Fußstapfen der Vorgängerregierung trat und mit der Teilnahme am Nato-Krieg gegen Jugoslawien sogar noch einen draufsetzte", sagte der Wissenschaftler Peter Strutynski beim diesjährigen "Friedenspolitischen Ratschlag".


ari KASSEL, 3. Dezember. Die Abschlusserklärung des "Ratschlags" (www.friedensratschlag.de), zu dem am Wochenende rund 300 Teilnehmer aus 180 bundesdeutschen Städten und Gäste aus dem Ausland nach Kassel kamen, steht unter dem Motto "Die Politik zivilisieren". Darin wird nicht nur ein Ende der Gewalt gegen das palästinensische Volk gefordert, sondern auch Widerstand gegen die geplante Umwandlung der Bundeswehr in eine Interventionsarmee, gegen Rüstungsexporte in die Türkei und gegen eine "Militarisierung der EU" angekündigt: Die Zeit, da sich die Friedensinitiativen weitgehend in Diskussionszirkeln bewegten, ist offenbar vorbei.

Einer der Hauptreferenten, Brigadegeneral a.D. Heinz Loquai - bis zu seiner "Abstrafung" im Sommer dieses Jahres Mitglied der Deutschen OSZE-Delegation in Wien - warf der Bundesregierung erneut vor, den Krieg gegen Jugoslawien mit groben Manipulationen vorbereitet zu haben. Der von Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) präsentierte "Hufeisenplan" sei ein "geschickt inszenierter Propagandacoup" gewesen, mit dem die Kritik am Krieg gegen Jugoslawien "erstickt wurde".

Die demokratischen Großmächte sind nach Ansicht der Friedensbewegung weit davon entfernt, auf die zunehmenden Gewaltkonflikte in der Welt "mäßigend einzuwirken". So sei zum Beispiel das 1990 vom UN-Sicherheitsrat nach dem Überfall auf Kuwait beschlossene Embargo gegen Irak bis heute nicht aufgehoben worden - trotz seiner katastrophalen Folgen für die Zivilbevölkerung. So soll es schon mehr als 1,4 Millionen "Blockadeopfer" geben, darunter mehr als 500 000 Kinder unter fünf Jahren. US-Wissenschaftler sprächen bereits von "sanktionierten Massenmord". Kriege, so formulierte es die Kölner Soziologin Maria Mies, seien lediglich "gut für die Wirtschaft". Auch der globale Freihandel sorge keinesfalls, wie behauptet, für Frieden. Er vergrößere vielmehr die Kluft zwischen Armen und Reichen - auch innerhalb der jeweiligen Länder.

Durch die Politik der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation (Mies: eine "unheilige Killer-Trinität") würden die Schuldenberge vieler Länder und damit die Armut zunehmen. Die Chefs dieser Organisationen seien die "Väter der Armut", sagte Mies. Auch die so genannte humanitäre Katastrophe im Kosovo-Krieg gehe letztlich auf deren Konto. Der Kosovo-Krieg wurde als eine Art "Übergangs-Ritual" bezeichnet: Seither sei der Krieg "wieder eine gute Sache".

Tatsache ist, dass auch die deutsche Industrie von den Konflikten in der Welt profitiert. Nach den präsentierten Zahlen wurden 1999 aus der Bundesrepublik Rüstungsgüter im Wert von mehr als 2,8 Milliarden Mark exportiert - mehr als doppelt soviel wie 1998.

Aus: Frankfurter Rundschau, 4. Dezember 2000

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