Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Mai 2003

Friedensbewegung in den Medien

Die Online-Ausgabe der Neuen Osnabrücker Zeitung berichtete am 29. Mai von einer Spätfolge der Menschenfriedenskette Münster-Osnabrück, die am 29. März stattgefunden hatte. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse fand lobende Worte für die Friedensbewegung, mahnte sie aber auch ihre "Blauäugigkeit" abzulegen. Im Artikel heißt es u.a.:

„Respekt für Ihr Engagement und die logistische Leistung“ zollte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse den Initiatoren der Friedenskette von Osnabrück nach Münster. „Ihr Engagement wird weiter gebraucht“, sagte er einer Delegation aus beiden Friedensstädten, die ihm gestern in Berlin 5250 Euro aus dem Aufkleberverkauf bei der Friedenskette am 29. März für die Deutsche Stiftung für UNO-Flüchtlingshilfe überreichte.
Eine halbe Stunde nahm sich der zweithöchste Mann im Staate und Schirmherr der Deutschen Stiftung für UNO-Flüchtlingshilfe Zeit, um im Reichstag mit seinen Gästen zu diskutieren: Karin Detert, Dieter Reinhardt und Hartmut Riemann vom Osnabrücker Bündnis gegen den Irak-Krieg sowie Kathrin Vogler vom Friedensforum Münster. (...)
Plakate wie „Saddam nach Den Haag“ hätten gezeigt, dass der Diktator nach Meinung der Beteiligten einer gerechten Strafe zugeführt werden müsse, sie Krieg aber nicht als den richtigen Weg zur Beseitigung der Diktatur im Irak angesehen hätten: „Die Welt muss am völkerrechtlichen Verfahren festhalten“. „Der Westfälische Frieden war der Beginn des Völkerrechtes, um dessen Schicksal es in den kommenden Jahren gehen wird“, griff Thierse den Ball auf. „Angesichts der Herausforderung durch den Terrorismus hoffe ich, dass das Völkerrecht nicht völlig ausgehebelt wird“. Gleichzeitig gab er zu Bedenken, dass sich die Friedensbewegung mit Vorwürfen der Blauäugigkeit auseinandersetzen müsse. (...)
Auch die UN-Charta sehe Krieg vor, „aber nur nach klaren Regeln“, stimmten ihm die Bündnisvertreter zu. Unter dem Titel „Recht vor Macht“ hätten die Organisatoren deshalb einen Aufruf erarbeitet, „das Völkerrecht und die Grundlagen für ein nachhaltiges Leben auf der Erde nicht dem Machtstreben einzelner Länder und ihrer Regierungen unterzuordnen“. (...)
„Stärken Sie mit uns die `Weltvölkergemeinschaft von unten`“ bitten die Mitglieder der Friedensbündnisse von Osnabrück und Münster in einem gemeinsamen Aufruf unter dem Titel „Recht vor Macht“. „Die Vereinten Nationen, die zentrale Einrichtung der Weltvölkergemeinschaft, müssen gestärkt und unterstützt werden“, heißt es darin: „Einzig ihre Organe sind legitimiert, über kriegerische Maßnahmen zwischen und gegen einzelne Staaten zu entscheiden“. (...)
Neuen Osnabrücker Zeitung, online-Ausgabe, 29.05.2003

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"Friedensratschlag im Verfassungsschutz-Visier" überschrieb die in Kassel erscheinende Hessisch-Niedersächische Allgemeine (HNA) ihren Bericht über die erneute Aufnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag in den Verfassungsschutzbericht 2002. Jan Bertram schreibt u.a.:

Das Kapitel "Linksextremistische Bestrebungen" im Bundesverfassungsschutzbericht 2002 hat es in sich: den Eintrag Bundesausschuss Friedensratschlag. "Wiederbelebung" einer antiamerikanischen "Friedensbewegung" lautet die Begründung auf Seite 134.
Ein Sprecher des Verfassungsschutzes verwies auf zwei Merkmale, die der Verfassungsschutz beim Friedensratschlag beobachtet haben will. "Zentrales Motiv" bleibe die Ablehnung der westlichen Bemühungen zur Terrorismusbekämpfung. Punkt zwei: Agitation gegen die militärische Intervention der USA im Irak.
Der Vorwurf der Agitation gegen die völkerrechtswidrige Irak-Intervention, so Dr. Peter Strutynski, Sprecher des Friedensratschlags, treffe vermutlich auch auf Bundeskanzler Gerhard Schröder zu. "Dass eine Friedensbewegung, die gegen jegliche Gewaltanwendung als politisches Mittel protestiert, sich auch gegen jede Form des Terrorismus wendet, muss nicht extra betont werden", sagt er. (...)
HNA, 27. Mai 2003

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Am 27. Mai brachte die Frankfurter Rundschau einen längeren Bericht über eine Veranstaltung der Frankfurter Friedensbewegung vom Vortag (Titel: "22 Prozent der Säuglinge müssen sterben". Auszug:

Von seinem einwöchigen Aufenthalt in der irakischen Hauptstadt, berichtete der Mitbegründer der Hilfsorganisation IPPNW - Ärzte in sozialer Verantwortung, Ulrich Gottstein, beim gestrigen Montagstreffen des Frankfurter Bündnis gegen den Krieg in der Katharinenkirche. Eingeladen war auch ein Mitglied der "Kinderhilfe Irak".
Eher rhetorischer Natur war die von Ulrich Gottstein selbst gestellte Frage während seines Vortrages: "Haben wir mit unserem Widerstand gegen den Krieg richtig gehandelt?" Es sei sehr wohl richtig gewesen, weil viele aufgeklärte Iraker, mit denen er gesprochen habe, wüssten, dass der Angriffskrieg der USA illegal gewesen sei. "Unser Widerstand wird dort voll und dankbar anerkannt." Als "sehr gefährlich" schilderte Gottstein die Situation im Irak. Insbesondere auf der Straße zwischen der jordanischen Hauptstadt Amman, wo sein Hilfstransport gelandet sei und der irakischen Hauptstadt Bagdad würde es regelmäßig zu Überfällen kommen. "Schrecklicher Weise haben die Amerikaner einen Eroberungskrieg durchgeführt, aber sie haben nicht für Sicherheit gesorgt." (...)
Bissig begann auch der im Irak geborene Barik Schuber seinen Vortrag. "Wir wissen, dass Welten zwischen Osama bin Laden und Saddam Hussein liegen." Gemeinsam sei ihnen jedoch, dass sie einst beide Verbündete der Amerikaner waren. "Und zweitens laufen beide frei herum. Ob das ein Zufall ist, weiß ich nicht." (...)
(...) Das Frankfurter Bündnis gegen den Krieg will die Arbeit der Kinderhilfe unterstützen.
FR, 27. Mai 2003

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Unter dem Titel "Primat des politischen Ziels" kommentiert Thomas Kröter in der Frankfurter Rundschau die Debatte um die allgemeine Wehrpflicht, die jetzt anlässlich der Verabschiedung der Verteidigungspolitischen Richtlinien wieder neu entbrannt ist. Immerhin teilt er darin die Auffassung der Friedensbewegung, dass es in diesem Streit nicht um das Wesentliche geht:

(...) Man braucht die Kritik der Friedensbewegung an der Neuausrichtung der Bundeswehr nicht zu teilen, die in den "Verteidigungspolitischen Richtlinien" kodifiziert wird. Aber wenigstens in diesem Befund hat sie Recht: Entscheidend sind die politischen Ziele, zu deren Verwirklichung Militär eingesetzt oder mindestens vorgehalten wird - nicht die Form, in der es seinen Nachwuchs rekrutiert. Diese Grundsatzdebatte wird in der Regierungskoalition nicht geführt. Rot und Grün sind einig über die Neuausrichtung der Bundeswehr. (...)
FR, 22.05.2003

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Die Internetzeitung "www.ngo-online.de" berichtet ausführlicher über die Kritik des Bundesausschusses Friedensratschlag an den Verteidigungspolitischen Richtlinien . Ein Auszug daraus:

Zu den im Kabinett vorgestellten neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) erklärten die Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, Lühr Henken und Peter Strutynski, dass die neuen VPR den Rahmen sprengen, den das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland der Bundeswehr gesetzt hat (Art. 87a), und zwar sowohl in Bezug auf die weltweit möglichen Auslandseinsätze, also auch in Bezug auf den Einsatz der Bundeswehr im Inneren.
Die neuen Richtlinien bedeuteten eine grundlegende Umorientierung der Bundeswehr hin zu weltweiten Militär- und damit Kriegseinsätzen. Die VPR forcierten zudem die Militarisierung der EU und hätten neue teure Rüstungsbeschaffungsmaßnahmen zur Folge. Der Bundesausschuss Friedensratschlag begrüße, dass eine Übernahme der völkerrechtswidrigen US-Doktrin des "Präventivkriegs" durch die VPR weder der Form noch der Sache nach nicht erfolgte.
Der Bundesausschuss Friedensratschlag warnt davor, den koalitionsinternen Streit um die Allgemeine Wehrpflicht und die Debatte um einige Bundeswehrstandortschließungen überzubetonen. Die zentrale Frage, ob die Bundeswehr Interventionsarmee wird oder nicht, bleibe nämlich davon unberührt.
Der Bundesausschuss Friedensratschlag ruft die Bundesregierung auf, über die VPR und die Zukunft der Bundeswehr in einen breiten gesellschaftlichen Dialog einzutreten, so wie das Bundespräsident Rau in seiner "Berliner Rede" vom Dienstag den 20.05.2003 gefordert hat.
>i>www.ngo-online.de, 21. Mai 2003

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Über die Gründung der "Kooperation für den Frieden" am vergangenen Sonntag (18. Mai) berichteten einige Zeitungen, z.B. die taz unter der Rubrik "In Kürze":

Friedensgruppen aus ganz Deutschland haben in Hannover die "Kooperation für den Frieden" gegründet. Das Bündnis wolle durch gemeinsame Kampagnen die öffentliche Wirksamkeit der Friedensbewegung erhöhen, so das Bonner "Netzwerk Friedenskooperative". (epd)
taz, 21. 05. 2003

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Kommt nun auch etwas an den Hochschulen in Gang? Wenn es nach der folgenden Pressemeldung geht, dann tut sich etwas in Sachen Frieden:

Während des Irakkrieges haben sich Schüler sehr für den Frieden engagiert. Deutschlands Studentenschaft dagegen scheint die Proteste verschlafen zu haben. Nun ruft ein Netzwerk für Donnerstag zum bundesweiten Aktionstag "Hochschulen gegen Krieg" auf.
(...) Auf einer Konferenz in Kassel haben am 5. April dieses Jahres Studentenvertreter, Friedensgruppen, Gewerkschafter und Wissenschaftler das "Hochschulnetzwerk gegen Krieg" gegründet. Dem Bündnis gehören u.a. an: Attac, ver.di, die GEW, der Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen (BdWi) sowie der freie Zusammenschluss von StudentInnenschaften (fzs).
In den Hochschulen werde der Krieg in Irak völkerrechtlich und mit seinen Folgen kaum thematisiert, stellte man auf der Konferenz fest. "Das lag auch daran, dass zu der Zeit Semesterferien waren", sagt Tjark Sauer und weiß, dass das eine lahme Ausrede ist. Das Interesse der Studenten habe sich gewandelt. "Sie denken nicht mehr über Weltpolitik nach, sie wollen nur möglichst schnell an den Arbeitsmarkt." Er selbst ist Vorstandsmitglied im fzs, in dem bundesweit 75 Allgemeine Studentenausschüsse sind und der 850000 Studenten vertritt. Auch Reiner Braun, friedenspolitischer Sprecher der NaturwissenschaftlerInnen Initiative, kritisiert die Hochschule als ein "technokratisches Verwahrobjekt", das von den Studenten nur als Durchlaufstation gesehen werde, nicht als gesellschaftlicher Lebensraum.
Besser spät als nie findet nun am morgigen Donnerstag in 20 Städten wie Aachen, Essen, Berlin, Erlangen oder Göttingen der Aktionstag "Hochschulen gegen Krieg" statt. In dem entsprechenden Aufruf des Bundes heißt es: "Hochschulen sind kein unkritisch funktionierender Dienstleistungsbetrieb, sondern ein öffentlicher Raum der wissenschaftlichen, kulturellen und politischen Debatte. Zugleich ist es ihr Auftrag, einen Beitrag zur Zivilisierung von Konflikten und zum Abbau von Feindbildern zu leisten." (...)
Aus: Neues Deutschland, 21. Mai 2003

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In Bad Salzufeln hat sich - "vor voll besetztem Saal" - ein Friedensforum gegründet. Die Lippische Landeszeitung berichtet u.a.:

Bad Salzuflen (vh). Vor voll besetztem Saal fand die erste Veranstaltung des Salzufler Friedensforums statt. Gast in der Gelben Schule war der Paderborner Soziologieprofessor Arno Klönne, Mitbegründer der Ostermärsche und Autor des neu erschienenen Buches "The big stick" über die außenpolitische Doktrin der US-Regierung. Thema der Diskussion war "Krieg heute im Irak und morgen...?"
Hella Hildebrandt-Wiemann erklärte die Ziele, die sich die zehn Gründer des Forums gesteckt haben: "Das Friedensforum wurde während des Irak-Kriegs gegründet. Wir als Bürger wollten mehr in Richtung Frieden und Gerechtigkeit tun. (...)
In seinem Vortrag sprach Klönne über die Hintergründe und Ziele der USA im Irakkrieg. Öl und Außenpolitik, die Rolle der UNO sowie der amerikanische Waffenhandel waren einige der wichtigsten Punkte, die der Sozialwissenschaftler dem Publikum vorstellte. Während der Diskussionsveranstaltung äußerten Angehörige verschiedener Generationen ihre Meinung. (...)
Lippische Landeszeitung, 19.05.2003

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Der Bremer Weser-Kurier widmete sich am 19. Mai 2003 den Plänen von Bundesverteidigungsminister Struck, die Verteidigungspolitischen Richtlinien zu überarbeiten. Der dpa-Artikel ("Job beginnt am Hindukusch", Autorin: Kristina Dunz) geht auch auf die Kritik aus der Friedensbewegung ein:

(...) Fest steht, dass Struck in den Richtlinien das umsetzen wird, was er bereits Ende vorigen Jahres angekündigt hatte: Internationale Krisenbewältigung und nicht mehr Landesverteidigung ist die oberste Aufgabe der Bundeswehr. Der Minister wählte seinerzeit dafür die griffige Formel: "Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt." Verteidigung lasse sich geographisch nicht mehr eingrenzen.
Die Friedensbewegung empörte sich darüber und sprach von einem "Angriff auf das Völkerrecht und einer Verletzung des Grundgesetzes". Man solle sich einmal vorstellen, Chinas Verteidigungsminister stelle eine Planung auf, wonach sein Land auch am Rhein verteidigt werde. Der Bundesausschuss Friedensratschlag befürchtet ferner, dass in den Richtlinien keine klare Abgrenzung von der "völkerrechtswidrigen Präventivkrieg-Doktrin" von US-Präsident George W. Bush zu lesen sei. (...)
Weser-Kurier, 19. Mai 2003

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Die USA sind auf dem Sprung, ihr ihnen selbst auferlegtes Verbot zur Forschung an sog. Mini-Nukes aufzugeben - eine dramatische Weiterentwicklung der US-amerikanischen Atomwaffeneinsatz-Doktrin. Dies war beherrschendes Thema in deutschen Zeitungen am Wochenende (in den USA ist es kein Thema). In der Saarbrücker Zeitung kam für die Friedensbewegung auch Xanthe Hall von der IPPNW zu Wort. Auszüge aus dem Artikel "Bush setzt jetzt auf Mini-Atombomben":

(...) Während bisher das nukleare Arsenal der USA dazu dienen sollte, maximale Abschreckung auf feindliche Nationen auszuüben und damit eine Präventivfunktion erfüllte, orientiert man sich jetzt bereits stark an der praktischen Anwendbarkeit von kleineren Nuklearwaffen, deren Sprengkraft sich - von Sondermodellen abgesehen - auf fünf Kilotonnen beschränken soll. Die über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki während des Zweiten Weltkriegs abgeworfenen Atombomben waren übrigens rund 15 Kilotonnen schwer. (...)
"Es ist eine Illusion, dass es eine Mini-Atomwaffe geben könnte, die unterirdische Ziele zerstört, ohne Radioaktivität freizusetzen", glaubt die Berliner Atomwaffenexpertin Xanthe Hall von der Vereinigung Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs. Durch eine Fünf-Kilotonnen-Mini-Atombombe würde eine Umgebung von 1,5 Kilometern um das Ziel so stark verseucht, dass sie auf Jahrtausende unbewohnbar wäre. "Darüber hinaus kann der radioaktive Staub je nach Wetterlage vom Wind kilometerweit getragen werden", so die Expertin. "Die unterirdischen Mini-Atombomben würden besonders viel radioaktiven Fallout verursachen." Denn bei der unterirdischen Explosion sei die Bombe von einer großen Menge Erdreich umgeben, das sie verstrahle. "Dieses verstrahlte Material wird dann von der Explosion in die Luft geschleudert und verteilt."
Die Explosion von Bomben mit einer Sprengkraft von unter fünf Kilotonnen, wie sie für den Einsatz gegen unterirdische Bunker erwogen werden, blieben erst ab einer Tiefe von 200 Metern vom Erdboden eingeschlossen. "Es gibt aber keine erddurchdringende Rakete, die so tief kommt", so Hall. "Bei bisherigen Tests sind Bomben selbst beim Abwurf aus 13000 Metern nur knapp sieben Meter tief in den Boden eingedrungen."
Saarbrücker Zeitung, 19.05.2003

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Der Besuch des US-Außenministers Powell in Berlin brachte wenig Neues für den Irak-Nachkriegsprozess, er brachte aber auch relativ wenig Demonsrtranten auf die Straße. Eine AFP-Meldung vom 16. Mai abends lautete:

Rund 200 Menschen haben nach Polizeangaben am Freitagabend in Berlin gegen die US-Politik in Irak demonstriert. Anlässlich des Deutschland-Besuchs von US-Außenminister Colin Powell zogen die Demonstranten durch den Stadtteil Mitte Richtung Brandenburger Tor. Einer der beiden Protestmärsche, die sich am Abend zu einer Demo vereinigten, stand unter dem Motto "Besatzer raus aus dem Irak." Powell war bereits vor Beginn der Demonstrationen aus Berlin abgereist.

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Am 13. Mai (am 13.!) legte Innenminister Schily den Jahresbericht des Verfassungsschutzes vor. Die Medien berichteten ausführlich. Kaum jedoch wurde erwähnt, dass unter den als verfassungsfeindlich eingestuften Organisationen auch der "Bundesausschuss Friedensratschlag" aufgeführt ist. Lediglich dem "Neuen Deutschland war dies ein paar Zeilen im Bericht und ein Kommentar wert:

(...) Im Bericht wird der VVN-BdA u.a. ihre "offene Bündnispolitk" auch gegenüber antifaschistischen Initiativen junger Leute vorgeworfen, dem Bundesausschuss Friedensratschlag, der als "linksextremistisch beeinflusst" bezeichnet wird, "Agitation gegen den Krieg der USA gegen Irak." (...)
ND, 14.05.2003

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Der IPPNW-Kongress vom 1. bis 4. Mai ist zweifellos das herausragende Ereignis der Friedensbewegung unmittelbar "nach dem Irakkrieg". Auch ein Ereignis für die Medien.

Die Wochenzeitung "Freitag" griff in der Kongressberichterstattung das wichtige Thema "Medien und Krieg" auf. Regina General (sie heißt so, ist aber nicht so) schreibt in ihrem Beitrag "Alle 25 Jahre eine Wahrheitskommission" u.a.:

(...) Der Kongress begann fast zeitgleich mit jener theaterreifen Inszenierung auf einem US-Flugzeugträger für den obersten Kriegsherrn statt, der - verpackt in die Montur eines Piloten - die Kampfhandlungen im Irak für beendet erklärte. Das Wort "Krieg", das den erbombten Sieg am genauesten umschreibt, wurde vermieden. Dafür meldeten die heute-Nachrichten des ZDF: Der Reichtum des Irak stehe dem Weltmarkt wieder zur Verfügung.
Eine Weltmacht, die alle Möglichkeiten einer herausragenden Wissenschaft auf die Vervollkommnung von Waffen und deren möglichst eindrucksvollen Einsatz konzentriert, verzichtet nicht darauf, den "Erfolg" auch publikumswirksam zu verkaufen und dafür die besten PR-Leute zu rekrutieren. Der IPPNW widmete diesem Aspekt eine eigene Arbeitsgruppe - Krieg als Werbeträger für technologische, vor allem aber gesellschaftspolitische Überlegenheit und als Drohkulisse gegenüber allen, die sich nicht "einordnen".
Dazu wäre eine Presse, die sich als "vierte Kraft im Staat" aufführt, gänzlich unbrauchbar. Sie sollte statt dessen der funktionierende Teil einer Kriegsmaschinerie sein, die für die Vorbereitung, den Krieg selbst und seine Nachbereitung - sprich: die Verwertung seiner Ergebnisse - arbeitet. Und zwar so total, wie es bislang in den USA unbekannt war. Der Kampf um die Bilder sollte im Vorfeld entschieden werden: keine Aufnahmen über die genehmigten hinaus. Daher embedded journalists, die faktisch als Teil der Truppe agieren und nicht imstande sind, einer selbstverständlichen Norm ihrer Zunft - der Objektivität - zu genügen. John McArthur, amerikanischer Medienkritiker und Herausgeber von Harpers Magazin, bewertete eine Reportage mit Originaltönen von GIs über ihre Meinung von Arabern als herausragende Ausnahme. Mehr Realität sei zuletzt in den USA nirgends zu sehen oder zu lesen gewesen. Pressefreiheit werde in seinem Land allerdings nicht erst seit dem Irak-Krieg als Freiheit derer definiert, denen die Medien gehörten.
Eine Gegenöffentlichkeit lässt sich deshalb nicht so ohne weiteres installieren. (...)
Dass dieser Krieg in deutschen elektronischen Medien kritischer kommentiert wurde als beispielsweise der im Kosovo, dürfte der offiziellen Nichtbeteiligung zuzuschreiben sein. Denn wie leicht kritisches Bewusstsein auch bei deutschen Journalisten ausgeschaltet wird, wenn eine Teilnahme der Bundeswehr erwünscht ist, lässt sich an Hand der Berichterstattung im Kosovo-Krieg nachvollziehen. General a. D. Heinz Loquai, ehemaliger Mitarbeiter im Bundesministerium für Verteidigung und ab 1995 Leiter für Verifikationsaufgaben bei der OSZE, dessen Vertrag nach kritischen Bemerkungen nicht mehr verlängert wurde, analysierte diese Berichterstattung in den großen Medien. Nach seinen Recherchen ist die Wahrheit nicht erst im Krieg, sondern schon im Vorfeld gestorben. Zunächst - so sein Fazit - würden alle in Krisenregionen bereits agierenden internationalen Organisationen diskreditiert. Im Kosovo habe man das Prestige der OSZE solange untergraben, bis sie als gänzlich unfähig galt. Im Irak erging es der UNO und ihren Waffeninspektoren nicht anders. Die Presse habe bei diesem Part mitgewirkt, lange bevor von embedded journalists überhaupt die Rede war. Sie kolportierte während der Kosovo-Krise Zahlen von angeblichen Flüchtlingsströmen, die in allen offiziellen Botschaftsberichten ein schlichtes Hundertstel von dem ausmachten, was auf den Titelseiten prangte. So entstand Anfang 1999 der Eindruck einer drohenden humanitären Katastrophe, die militärisches Eingreifen unverzichtbar machte. Jo Angerer vom Monitor-Team des WDR - einer der Autoren, die Berichte über Konzentrationslager nachrecherchierten und zu dem Ergebnis kamen, derartige Gräuel habe es nie gegeben - erzählte in der Arbeitsgruppe Medien, dass die offizielle Kriegs-Informationsplanung sogar länderspezifisch abgestimmt werde. Die Reports über KZ seien in dieser Form nur in Deutschland gelaufen, weil dafür hier eine besondere Sensibilität vermutet wurde.
Journalisten - das war auf dem IPPNW-Kongress unüberhörbar - sind keine verlässliche Spezies, um weltweit Gegenkräfte zu alarmieren. Wenn eine Kultur des Friedens eine Chance haben soll, dann müssen deren Träger so vernetzt sein, dass eine verlässliche Gegeninformation gewährleistet wird. Eine Standesordnung der Journalisten sollte im Übrigen embedded journalists ächten, hieß es.
Aus: Freitag 20, 9. Mai 2003

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Unter dem Titel "Der Hohepriester gegen das Böse" schrieb Eric Chauvistré in der taz u.a.:

(...) "Wir müssen uns klar sein, was die gegenwärtige US-Strategie bedeutet", mahnte Gret Haller, ehemalige OSZE-Menschenrechtsbeauftragte in Bosnien und ehemalige Schweizer Parlamentspräsidentin, bei einem Kongress der deutschen Sektion der "Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges" (IPPNW) am Wochenende in Berlin. "Hier wird das Recht durch die Moral ersetzt."
Den Grund sieht Haller in der Entstehungsgeschichte der USA. Dort habe nie eine Säkularisierung stattgefunden. "Das Fundament der nationalen Gefühle", so Haller, "lag deshalb nicht im staatspolitischen Bereich, sondern im religiösen." Die US-amerikanische Nation verkörpere in ihrem Selbstverständnis deshalb stets das "Gute". "Wenn es das Gute gibt, muss es aber auch das Böse geben." Dieses "Böse" werde immer wieder mit Personen und Staaten identifiziert, und dies schon lange bevor die Achse des Bösen erfunden wurde.
Durch die Dominanz des Religiösen in der US-amerikanischen Identität, so Haller, muss jeder US-Präsident, nicht nur der derzeitige, immer auch die Rolle eines Hohepriesters wahrnehmen. Damit wäre es nicht mehr verwunderlich, wenn ein Präsident, wie es George Bush, getan hat, öffentlich erklärt, mit dem Irakkrieg einen göttlichen Willen vollstreckt zu haben.
(...) Also weitere Kriege im Namen der Demokratisierung? Die erwartet der Erfurter Nahostexperte Kai Hafez. Die Pax Americana hält er aber schon deshalb zum Scheitern verurteilt. "weil sie die Grundwidersprüche von Zwang und Freiheit zu vereinen sucht". Die US-Politik werde "dabei irgendwann in einem Realismus landen, für den sie kein politisches Konzept hat".
Dabei wäre Demokratisierung aus Sicht des Frankfurter Konfliktforscher Ernst-Otto Czempiel tatsächlich die beste Friedensstrategie. Die Beispiele Kosovo und Afghanistan seien aber eher Belege dafür, dass diese militärischen Mittel nicht erfolgreich seien. Und gegenüber dem Irak hätten die USA seit 1991 das genaue Gegenteil dessen praktiziert, was eine Demokratisierungsstrategie beinhalten sollte: Etwas Besseres, als den Irak über Jahre zu bedrohen und zu isolieren, habe man für Saddam Hussein gar nicht tun können. Denn der potenzielle Spielraum für Veränderungen in einem Land, so Czempiel, sei immer "umgekehrt proportional zum Außendruck".
(...) "Im Strategischen Konzept der Nato von 1991 steht alles zu lesen, was die Bush-Administration jetzt praktiziert hat", sagte Czempiel mit Blick auf die darin vorgesehene Möglichkeit zu militärischen Interventionen ohne UN-Mandat. Auch das im November 2002 von den Nato-Mitgliedern beschlossene Aufrüstungsprogramm, die Bildung einer Eingreiftruppe und die geografische Ausweitung des Gebietes für Nato-Einsätze sei ganz im Sinne der Bush-Doktrin.
taz, 5. Mai 2003

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Das "Neue Deutschland" (Andreas Schug) widmete sich vor allem der "Organisationsfrage" der Friedensbewegung:

Einen von der Ärzteorganisation IPPNW veranstalteten Kongress in Berlin nutzten eintausend Teilnehmer zur Standortbestimmung. Dabei ging es auch um eine Bilanz der Proteste gegen den Irak-Krieg und um die Frage, wie sich die Friedensbewegung besser organisieren kann.
(...) Ein international besetztes Frauenpodium diskutierte am Samstag über »Globalisierung – Chance für den Frieden oder Weg in den Krieg?«. Die indische Ökologin Vandana Shiva, die in Thailand arbeitende australische Globalisierungskritikerin Nicola Bullard und die britische Chefredakteurin der Zeitschrift »Red Pepper«, Hillary Wainwright, lehnten die derzeitige Form der kapitalistischen Globalisierung kategorisch ab. Vandana Shiva sagte, der Imperialismus der USA könne nur von einer breiten internationalistischen Bewegung gestoppt werden.
Die Jugendlichen, die in Deutschland einen großen Teil der Proteste gegen den Irak-Krieg getragen haben, waren auf dem Kongress kaum vertreten, doch immerhin kamen viele junge Menschen ab Mitte 20. Der 26-jährige Medizinstudent Eckart Metje aus München traf sich zum Beispiel mit knapp 30 Kommilitonen aus ganz Deutschland, um sich über zurückliegende und geplante Aktionen auszutauschen. Das IPPNW-Mitglied berichtete, dass vor Ort viele Gruppen mit Attac zusammenarbeiten. Die globalisierungskritische Organisation war auch Mitveranstalter der Programmbestandteile zur Globalisierung. Laut IPPNW-Friedensreferent Jens-Peter Steffen ein bewusster Schritt, um den Kontakt von jüngeren Menschen zu den traditionellen Friedensorganisationen zu verbessern.
Die Annäherung zwischen den »Attackies« und manchen alt gedienten Aktivisten verläuft allerdings schwieriger als erwartet. In einer Diskussion zwischen Matthias Jochheim (IPPNW), Peter Strutynski (Kasseler Friedensratschlag), Manfred Stenner (Netzwerk Friedenskooperative), sowie Sven Giegold und Barbara Fucks (beide Attac) kritisierte Giegold, die »Kultur des Friedens« zwischen den Netzwerken und Organisationen sei nicht sehr ausgeprägt. Damit spielte er insbesondere auf die Distanz zwischen dem Kasseler Friedensratschlag und dem Bonner Netzwerk Friedenskooperative an. Laut Giegold will sich Attac erst an einer bundesweiten Friedenskoordination beteiligen, wenn auch die Kasseler Organisation mitmacht. Deren Vertreter Strutynski äußerte Bedenken, die »kulturelle Vielfalt in der Bewegung« könne verloren gehen.
IPPNW-Vertreter Jochheim sah gegenüber ND dennoch keine Veranlassung, die Pläne zur Gründung einer »Kooperation für den Frieden« fallen zu lassen. Derzeit seien 30 Organisationen beteiligt, darunter das Netzwerk Friedenskooperative, Pax Christi, die DFG/VK (Deutsche Friedensgesellschaft), IPPNW und das Komitee für Grundrechte und Demokratie. Vielleicht schaffen sie es am 18. Mai bei ihrem Treffen in Berlin, ein übergreifendes Koordinationsgremium aufzubauen. Wie so oft fängt die »Kultur des Friedens« vor der eigenen Haustür an.
Neues Deutschland, 5. Mai 2003

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Nachdem die Frankfurter Rundschau bereits am 2. Mai das Einleitungsreferat von Horst-Eberhard Richter gekürzt veröffentlichte, berichtete Corinna Emundts am 3. Mai u.a.:

"Wir brauchen jetzt eine neue präventive Diplomatie", mahnte Ronald McCoy, Präsident der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs. Der Irak-Krieg und das Verhalten der USA wirkten als "permantenter Stimulus" für andere Staaten, Massenvernichtungswaffen anzuschaffen, so McCoy. Aus Sicht der so genannten Dritten Welt habe die US-Regierung nicht nur die Charta der Vereinten Nationen verletzt, sondern benehme sich nun auch wie eine "arrogante Militärmacht, die sich jeder Berechenbarkeit im internationalen Recht verweigert". Dieser Krieg sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, urteilte McCoy und erntete tosenden Applaus auf der gut besuchten Tagung.
Die deutsche Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul forderte, dass den UN-Waffeninspektoren in Irak die Möglichkeit gegeben werden müsse, weiter zu arbeiten. Die UN-Resolution 1441 müsse umgesetzt werden. Manche der Besucher überraschte das entschiedene Auftreten der SPD-Politikerin zur Frage der Völkerrechtswidrigkeit: "Um die Maßstäbe im internationalen Recht nicht zu verwischen, muss klar bleiben: Dieser Krieg ist gegen den erklärten Willen der Völkergemeinschaft und ohne völkerrechtliche Grundlage geführt worden. Unsere Haltung muss auch deshalb so klar sein, damit nicht nachträglich eine Uminterpretation des Völkerrechts stattfindet, die zur Legitimierung künftiger Präventivkriege genutzt würde."
Diese Sorge um den Raubbau am Völkerrecht wurde von den Experten auf dem Podium geteilt. "Die Gleichheit und Unantastbarkeit der Staaten innerhalb der Vereinten Nationen muss erhalten bleiben", sagte der Hamburger Völkerrechtsprofessor Norman Paech. Er kritisierte in diesem Zusammenhang die jüngsten Vorschläge der Union zur Änderung des Völkerrechts: "Mit der Scheinheiligkeit der Ahnungslosen fordern sie eine Verrechtlichung des Rechtsbruchs." (...)
(...) Der ehemalige Stellvertreter des UN-Generaksekretärs Kofi Annan, Hans Graf von Sponeck, wies darauf hin, dass sich der UN-Sicherheitsrat gegenüber dem irakischen Volk wegen der Aufrechterhaltung der strengen UN-Sanktionen rechtlich und moralisch schuldig gemacht habe: "Die UN sind ihrer Verantwortung zur Wahrung der Menschenrechte absolut nicht gerecht geworden." So wies Sponeck auf die in den 90er Jahren stark angestiegene Kindersterblichkeit in Irak hin.
Norman Birnbaum, einer der wenigen US-amerikanischen Intellektuellen, die sich wiederholt kritisch zur Politik Washingtons geäußert haben, warnte die Europäer davor, sich zu schnell mit den Amerikanern zu versöhnen und Polizeiaufgaben in Irak zu übernehmen - wie von Amerika gewünscht. (...)
Frankfurter Rundschau, 03.05.2003

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Die "junge Welt" berichtet von der Kongresseröffnung und merkt an, dass die Bundesregierung nicht ins Blickfeld gerückt wurde:

(...) Offiziell eröffnet wurde der Friedenskongreß bereits am Abend des 1. Mai in der Berliner Akademie der Künste. Großen Beifall erntete dabei vor allem Horst Eberhart Richter, Mitbegründer und Ehrenvorsitzender der deutschen IPPNW. Wenige Tage nach seinem 80. Geburtstag forderte der langjährige Friedensaktivist die Kongreßteilnehmer auf, entschlossen gegen Kriege anzugehen. Gerade jetzt dürfe die Friedensbewegung in ihrem Engagement nicht nachlassen, da weitere Kriege im Nahen Osten drohten. Den USA warf Richter vor, den Irak vor allem angegriffen zu haben, um einen »Brückenkopf im arabischen Raum« zu erobern und dort ihre Hegemonie auszubauen. Die Rolle der deutschen Regierung bei den verschiedenen Kriegen der letzten Jahre thematisierte Richter dagegen nicht. Ohnehin gelang den Rednern während der mehrstündigen Kongreßeröffnung das Kunststück, Deutschland, einer der weltweit größten Waffenexporteure, nicht einmal zu erwähnen.
Christoph Bautz, ATTAC-Sprecher und Aktivist der Friedensinitiative »resist«, erklärte den Kongreß zu einer großen Chance. Die globalisierungskritische Bewegung und die Friedensbewegung müßten weiter zusammenwachsen, denn es könne »keinen Frieden ohne soziale Gerechtigkeit und keine soziale Gerechtigkeit ohne Frieden« geben. Außerdem forderte er die Friedensaktivisten auf, sich besser zu organisieren. (...)
junge Welt, 3. Mai 2003


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