Friedensbewegung im Verfassungsschutzbericht
Nachdem der "Friedensratschlag" im Verfassungsschutzbericht 1998 unter der Rubrik "linksextremistische Bestrebungen" aufgeführt wurde, beschwerte sich der Bundesausschuss darüber beim zuständigen Innenminister. (vgl. den
Brief des Bundesaussschusses weiter unten) 10 Wochen später kam Antwort aus dem Ministerium, die wir im Folgenden wörtlich wiedergeben.
Reinhard Rupprecht
Ministerialdirektor
im Bundesministerium des Innern
Alt-Moabit, den 9. Dezember 1999
Betr.: "Arbeitsausschuss Friedensratschlag"
Bezug: Ihr Schreiben vom 29. September 1999
Sehr geehrter Herr Dr. Strutynski,
ich nehme Bezug auf Ihr Schreiben vom 29. September d.J. zur Erwähnung des "Arbeitsausschusses Friedensratschlag" im Verfassungsschutzbericht des Bundes für 1998. Minister Schily hat mich beauftragt, Ihnen zu antworten.
Mutiges Engagement für Frieden und Abrüstung verdienen zweifellos die ungeteilte Aufmerksamkeit und den Respekt von Staat und Gesellschaft. Die gleichen Ziele, nämlich Frieden und Abrüstung, bestimmen die Anstrengungen der Bundesregierung auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik.
Die Erwähnung des "Arbeitsausschusses Friedensratschlag" im Verfassungsschutzbericht des Bundes für 1998 stellt somit, auch ausweislich des Wortlautes, nicht etwa eine Abwertung oder Diskreditierung der vom "Arbeitsausschuss Friedensratschlag" propagierten Idee von Frieden und Abrüstung dar; der Bericht dient lediglich der Aufklärung der Öffentlichkeit über die Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden zu verfassungsfeindlichen Bestrebungen und Tätigkeiten, gleich in welchem gesellschaftlichen oder politischen Kontext solche Erkenntnisse anfallen.
Die Erwähnung des Arbeitsausschusses Friedesnratschlag im Verfassungsschutzbericht für 1998 beruht auf gesicherten Feststellungen der Verfassungssschutzbehörden. Sie ergeben, dass die Friedesnratschläge auf Initiative von DKP und DFU, einer Vorfeldorganisation der DKP, hin entstanden sind. Auch der Gründungsbeschluss des "AfriRa" aus dem Jahr 1996 und seine Konstituierung im Jahr 1997 waren dem Bundesamt für Verfassungsschutz bekannt. Die Formierung dieser Struktur wurde daraufhin aufmerksam verfolgt. So werden bei den Aktivitäten des Friedensratschlages als Bündnispartner in erster Linie frühere Aktiviste aus den Vorfeldorganisationen der DKP, aber auch Organisationen aus dem Umfeld der ehemaligen SED und der ehemaligen KPdSU angesprochen, wie der "Deutsche Friedensrat" (ehemals Friedensrat der DDR) und der früher von der KPdSU gesteuerte "Weltfriedensrat" (der heute maßgeblich von der "Französischen Kommunistischen Partei" beeinflusst ist).
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
(Unterschrift)
Einen nahezu wortgleichen Brief erhielt auch Herr Konrad Gilges, der sich auf Bitten des Bundesausschusses Friedensratschlag als SPD-Bundestagsabgeordneter in der selben Angelegenheit an den Innenminister gewandt hatte und Aufklärung darüber verlangte, warum der "Arbeitsausschuss Friedensratschlag" im Verfassungsschutzbericht aufgeführt ist. Interessant ist, dass der Brief aus dem Innenministerium (als Absender zeichnet in diesem Fall der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper) zwei Passagen enthält, die im Schreiben des Ministerialdirektors fehlten. Hier sind die Sätze:
"Die vom Bundesausschuss des Friedensratschlages in den Vordergrund gestellten friedenspolitischen Aktivitätn sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es zur steten Praxis komministischer Bündnisse gehört, Forderungen aufzustellen, die für sich betrachtet, auch im demokratischen Meinungsspektrum vermittelbar sind. Die letztgültigen Zielsetzungen werden im unklaren belassen und erschließen sich erst im Gesamtzusammenhang ihrer politischen Aktivitäten...."
"...Solche Aktivitäten sind keineswegs im Einklang mit der von uns politisch verantworteten aktiven Friedenspolitik der neuen Bundesregierung, deren Bemühen, neben der Verhinderung und Schlichtung von lokalen Konflikten in verschiedenen Weltregionen auf die Behauptung und Verbreitung der demokratischen Ideale und auf diesem Wege auf die Vermeidung potentieller und die Lösung und Entschärfung bestehender politischer Konflikte gerichtet ist."
Der Brief des Bundesausschusses Friedensratschlag an den Innenminister hatte folgenden Wortlaut gehabt:
An den
Bundesminister des Innern
Herrn Otto Schily
D-11014 Berlin
Kassel, den 29.September 1999
Sehr geehrter Herr Minister,
mit großem Befremden haben wir zur Kenntnis genommen, dass der "Arbeitsausschuss Friedensratschlag" im neuen Verfassungsschutzbericht unter der Rubrik "Linksextremistische Bestrebungen" aufgeführt ist (S. 113f). Da wir uns als Teil der Friedensbewegung stets für die Einhaltung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere seiner friedens- und sicherheitspolitischen Bestimmungen, eingesetzt haben, kommt uns eine solche Einstufung äußerst merkwürdig vor. Wie viele andere Friedensinitiativen und andere demokratische Organisationen haben wir z.B. eine deutsche Beteiligung am NATO-Krieg gegen Jugoslawien im Frühjahr d.J. entschieden abgelehnt - unter ausdrücklicher Berufung auf dessen Völkerrechts- und Grundgesetzwidrigkeit. Seit Jahren setzen wir uns darüber hinaus für eine spürbare Abrüstungspolitik ein, für eine Reduzierung der Bundeswehr und ihre strikte Beschränkung auf den vom Grundgesetz vorgeschriebenen Verteidigungsauftrag (Art. 115 GG), für eine weltweite Ächtung von Atomwaffen, für eine Reduzierung der Rüstungsexporte oder für die Gleichstellung der Zivildienstleistenden mit den Wehrpflichtigen. Dass solche Positionen und Forderungen oder dass pazifistische Grundanschauungen, die in unseren Kreisen vertreten werden, mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sein sollen, war uns bislang unbekannt.
Absurd und an den Haaren herbeigezogen kommen uns auch die im Verfassungsschutzbericht angeführten und offensichtlich in denunziatorischer Absicht vorgenommenen "Beweisketten" vor, wonach der "Friedensratschlag" auf Weisung der "DKP" und ihrer "Vorfeldorganisation" "DFU" gegründet worden sein soll, von "ehemaligen DFU-Funktionären sowie von Mitgliedern der DKP und der PDS beherrscht" werde oder wonach er versuche, "die Anleitungs- und Koordinierungsfunktion in klassischen Aktionsfeldern des kommunistischen 'Friedenskampfes' wie der 'Ostermarsch-Bewegung'" zu "übernehmen". Zu einem solchen Griff in die Mottenkiste des Kalten Kriegs war sich Ihre Vorgängerregierung zu schade (im Verfassungsschutzbericht 1997 war der Friedensratschlag nicht aufgeführt). Dass sich das Amt für Verfassungsschutz unter Ihrer Ägide zu so einem Schritt verleiten ließ, bedauern wir zutiefst.
Zu allem Überfluss ist der uns betreffende Teil des Verfassungsschutzberichts noch nicht einmal gut recherchiert. Der AFriRA (Arbeitsausschuss Friedensratschlag) existiert nicht erst seit 1996, sondern hat sich schon ein Jahr früher zusammengetan. "Friedenspolitische Ratschläge" gibt es in Kassel seit 1994; im Augenblick bereiten wir den nächsten, den 6. "Ratschlag" am 4./5. Dezember 1999 vor. Der "AFriRa" hat sich vor geraumer Zeit in "Bundesausschuss Friedensratschlag" umbenannt und stellt keine "Funktionärsgruppe" dar, sondern setzt sich aus einem jederzeit offenen Kreis von Vertreterinnen und Vertretern lokaler und regionaler Friedensinitiativen aus dem ganzen Land zusammen. Die Beratungen dieses Ausschusses sind genauso öffentlich wie die jährlichen "Ratschläge" selbst. Letztere werden regelmäßig dokumentiert in einer Publikationsreihe ("Kasseler Schriften zur Friedenspolitik"), die in einem Kasseler Verlag erscheint. Wesentliche friedenspolitische Positionen des "Ratschlags" sind in einem umfassenden "Friedensmemorandum 1999" nachzulesen, das im Frühjahr d.J. herausgegeben wurde und die Unterschrift von rund 130 Friedensaktivisten und Friedenswissenschaftlern trägt.
Die behördliche Beobachtung des Friedensratschlags empfinden wir nicht nur als einen politischen Skandal, sie ist auch völlig überflüssig. Ein Griff in jede gut sortierte Bibliothek genügt, um die Staatsorgane über unsere "Bestrebungen" jederzeit umfassend ins Bild zu setzen. Diese Bestrebungen mögen der gegenwärtigen Bundesregierung politisch nicht passen, "linksextremistisch" im Sinne von verfassungswidrig können sie nur für jemanden sein, der selbst jeden verfassungsrechtlichen Maßstab verloren hat.
Aus all diesen Gründen fordern wir Sie auf Ihre Behörde anzuweisen, die Observierung des "Friedensratschlags" einzustellen und den "AFriRa" bzw. den Bundesausschuss Friedensratschlag künftig nicht mehr in den jährlichen Verfassungsschutzbericht aufzunehmen.
Mit freundlichen Grüßen
f.d. Bundesausschuss Friedensratschlag
(Dr. Peter Strutynski)
Kommentar (fast) überflüssig
Man ist geneigt, den geschilderten Vorgang mit politischer Abgeklärtheit auf sich beruhen zu lassen und auch den substanzlosen Briefen aus dem Ministerium des Innern keine weitere Beachtung zu schenken. Jeder blamiert sich eben, so gut er kann, und wenn ein SPD-geführtes Ministerium in Sachen "Kontinuität" seinen Vorgänger (CDU-Kanther!) sogar noch übertrifft und die Schnüffelpraxis aus dem "Kalten Krieg" genauso umstandslos in das rot-grüne Regierungsprojekt einbringt wie den Angriffskrieg, dann erübrigt sich jedes Wort.
Aus zwei Gründen darf uns aber der Vorgang nicht kalt lassen:
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Wer Kriege wieder für führbar hält (uns sie auch wieder führt!), ist bemüht, die "Heimatfront" hinter sich zu bringen oder mindestens ruhig zu stellen. Dazu bedient sich die Politik all der Mittel der "psychologischen Kriegsführung", die sie in Jahrhunderten vordemokratischen Regierungshandelns gelernt hat. Die Verleumdung des politischen Gegners, d.h. in diesem Fall der Pazifisten und Kriegsgegner, als "vaterlandslose Gesellen", als "Kommunisten" oder eben als "Verfassungsfeinde" spielt dabei eine zentrale Rolle. Und wenn die Anhaltspunkte für einen derartigen Vorwurf fehlen, dann werden sie "abgeleitet": Gerade weil die Friedensbewegung "Forderungen aufstellt", die "für sich betrachtet, auch im demokratischen Meinungsspektrum vermittelbar sind", setzt sie sich dem Verdacht aus "linksextremistisch" zu sein. Denn genau das ist ja angeblich "kommunistische" Praxis.
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Die Observierung von Friedensinitiativen und einzelner Friedensaktivistinnen und -aktivisten durch Spitzel des Verfassungsschutzes dürfte weit über den Kreis des "Bundesausschusses Friedensratschlag" hinaus gehen. Aus Aachen erreichte uns vor kurzem ein entsprechender Hinweis auf die Bespitzelung des Ostermarsches Rheinland. Ostermärsche gibt es überall. Und Schnüffler und Spitzel gibt es - auch im Jahr 10 der deutschen Einigung - offenbar auch überall. Damit darf sich eine demokratische Bewegung wie die Friedensbewegung niemals abfinden.
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