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Bundeswehr soll Interventionsarmee werden

Erste Ergebnisse der Zukunftskommission der Bundeswehr sickern durch

Die folgende Meldung des Bonner "Generalanzeigers" vom 7.5.2000 gibt den Kern dessen wieder, was in der "Zukunftskommission" (früher: "Wehrstruktur-Kommission") ausgearbeitet und Mitte/Ende Mai 2000 der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll.

Weizsäcker-Kommission will eine völlig neue Bundeswehr schaffen

Bonn (dpa) - Die Zukunftskommission der Bundeswehr unter Leitung des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker will eine völlig neue Bundeswehr schaffen. Das geht aus dem Ergebnis der Beratungen des Gremiums hervor, das am 11. Mai auf seiner letzten Sitzung in Berlin die Diskussionen abschließen will. Die Bundeswehr soll von 320 000 auf 240 000 Mann reduziert und praktisch zu einer Interventionsarmee für internationale Einsätze umgestaltet werden. Es soll nach dem über 100 Seiten umfassenden Papier, das der dpa vorliegt, nur noch 30 000 Grundwehrdienstleistende geben. Bisher umfasst die Bundeswehr 130 000 Wehrpflichtige. Die Wehrpflichtdauer soll bei zehn Monaten bleiben. Es soll 210 000 Berufs- und Zeitsoldaten geben.
Generalanzeiger, 07.05.2000

Unser Kommentar

Zunächst einmal: Diese Meldung kommt nicht überraschend. Schon seit längerem war durchgesickert, dass es in der "Zukunftskommission der Bundeswehr", einem Gremium, das Verteidigungsminister Scharping kurz nach seinem Amtsantritt ins Leben gerufen hat, weitgehend Einigkeit über eine erhebliche Verminderung der Personalstärke der Bundeswehr und ihre vordringliche Ausrichtung auf Auslandseinsätze geben würde. In einer Übersicht über vorliegende Pläne verschiedener politischer Akteure veröffentlichte die ZEIT schon am 30. März 2000 die Eckpunkte der Kommission: 240.000 Soldaten, 10 Monate Grundwehrdienst und 30.000 Wehrdienstleistende. Dem wurden Überlegungen aus Parteien und dem Generalinspekteur gegenübergestellt:

(Abkürzungen: SU: Streitkräfteumfang, WD: Wehrdienstdauer, WL: Wehrdiensleistende)

Bundeswehr zur Zeit:
SU: 323.000, WD: 10 Monate (freiwillig bis 23 Monate), WL: 134.000 (inkl. freiw. Dienende)

Generalinspekteur
SU: 280.000 (-290.000), WD: 9 Monate, WL: ? (keine Festlegung)

Zukunftskomm.
SU: 240.000, WD: 10 Monate, WL: 30.000

SPD (Modell Kröning)
SU: 250.000, WD: 9 Monate, WL: 105.000

CDU (Modell Breuer)
SU: 300.000, WD: 9 Monate (freiw. bis 23 Monate), WL: 100.000

Bü90/Grüne (Modell Beer/Nachtwei)
SU: 200.000, WD: 0, WL: 0 (also: Abschaffung der Wehrpflicht, reine Berufs- bzw- Freiwilligenarmee)

F.D.P.
SU: 260.000, WD: 5 Monate, WL: 65.000
(Aus: DIE ZEIT, 30.03.2000)

Was den Streitkräfteumfang betrifft, bewegt sich die Zukunftskommission in etwa in der Mitte zwischen den CDU-PLänen und den Vorstellungen der zu realo-militärischen Strategen gewendeten "Friedensbewegten" Angelika Beer und Winni Nachtwei von den Grünen. SPD und F.D.P. sind nicht weit weg davon. Mit der grundsätzlichen Aufrechterhaltung der Wehrpflicht kommt die Kommission den Wünschen der großen Parteien SPD und CDU sowie den Vorstellungen der Bundeswehrführung entgegen. Einen Kompromiss kann es in dieser Frage aber auch nicht geben. In der Wehrdienstdauer geht die F.D.P. noch am weitesten (5 Monate), diese Überlegungen dürften aber wohl kaum eine Chance haben (obwohl sie der Realität der Ausbildung noch am ehesten entsprechen: 5 Monate reichen im Allgemeinen aus, um die wesentlichen Handgriffe des einfachen Soldaten zu erlernen).

Am brisantesten sind im Rahmen der vorliegenden Vorschläge die Abweichungen hinsichtlich der Zahl der Wehrdienstleistenden. Während sich der Generalinspekteur diesbezüglich nicht festlegen wollte (in der Logik des Denkens der Bundeswehr dürften es aber kaum weniger als 100.000 sein), klafft eine große Distanz zwischen den Forderungen von SPD und CDU (105.000 bzw. 100.000) auf der einen, und den Vorstellungen der Zukunftskommission (30.000) auf der anderen Seite. Die F.D.P. liegt hier in der Mitte. Sie käme bei einerr vorgesehenen Wehrdienstdauer von nur 5 Monaten genauso in Schwierigkeiten wie die Zukunftskommission, das zu gewährleisten, was heute allgemein als "Wehrgerechtigkeit" gehandelt wird. Von den jungen Männern, die sich zur Bundeswehr melden, würde der Großteil gar nicht mehr eingezogen werden können. Soll die Entscheidung darüber, wer "dienen" darf und wer nicht, über ein Losverfahren laufen? Soll man sich "freikaufen" können? So schlug z.B. die CDU-Wehrexpertin Anita Schäfer vor, junge Männer, die trotz Tauglichkeit weder Wehr- noch Zivildienst leisteten, zur Kasse zu bitten: Für jeden Monat, den andere "dienten", sollten sie eine Abgabe von 0,5 Prozent ihres Einkommens zahlen. (Hessische Allgemeine-Sonntagszeit, 07.05.2000) Eine Sondersteuer für die Bundeswehr also! Scharping dürfte sich darüber freuen, auch wenn nur ein paar Millionen pro Monat dabei herausspringen.

Wesentlicher als solche Fragen ist aber die Zielbestimmung der künfigen Bundeswehr: Sie soll zu einer reinen Interventionstruppe ausgebaut werden. Die ZEIT macht - in Kenntnis der Diskussionen innerhalb der Zukunftsdiskussion - folgende Rechnung auf:
"Zwei Krisen zugleich sind zu bewältigen, wie im vergangenen Jahr, als deutsche Soldaten gleichzeitig im Kosovo und in Bosnien im Einsatz waren (DIE ZEIT vergaß die Sanitätstruppe in Australien für Ost-Timor, P.S.). Würde Deutschlnd ode ein Verbündeter in dieser Zeit angegriffen, müsste sich seine Armee vielleicht nicht aus beiden, aber doch aus einem Konflikt zurückziehen.
Für jeden Einsatz wiederum brauchte man eine Brigade Heeressoldaten, also etwa 5.000 MMann, die nach einem halben Jahr im Ausland ausgetauscht werden müssten, um dann zwei Jahre in Deutschland zu verbringen; auf diese Weise will der Verteidigungsminister die Belastung verringern, die solche Einsätze für die Familien der Soldaten mit sich bringen. Insgesamt würde damit zweimal 25.000 Soldaten des Heeres benötigt, zu ihrer Unterstützung noch Pioniere und Heeresflieger, außerdem Einheiten von Marine und Luftwaffe für Transport und zur Unterstützung im Gefecht. So käme man auf etwa 70.000 Soldaten pro Krisenherd, macht insgesamt 140.000 einsatzfähige Soldaten. Zu ihrer Unterstützung in Deutschland brauchte es noch einmal etwa 100.000 Mann der militärischen Grundorganisation, für Ausbildung, Nachschub und Wartung von Gerät.
240.000 Soldaten: Das ist auch die Truppenstärke, die der Mehrheit in der Wehrstrukturkommission vorschwebt."
(DIE ZEIT, 30.03.2000)

Kommentar beinahe überflüsig! Nicht nur die Umwandlung der Bundeswehr in eine Interventionsarmee wird hier vollzogen, sondern Interventionen gehören künftig zum Alltag der Bundeswehr. Deutschlands Rolle wird so gesehen, als befände sie sich in einem permanenten Kriegszustand. Da gilt kein Clausewitz mehr (Krieg als Fortsetzung der Politik in Ausnahmefällen), da entlarvt sich der Satz aus der rot-grünen Koalitionsvereinbarung von 1998, wonach deutsche Außenpolitik "Friedenspolitik" sei, als verlogene Phrase. Krieg ist nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel.
Peter Strutynski, 07.05.2000

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