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Zitate der Woche (41 bis 48)

Juni bis Dezember 2002

Zitat Nr. 47 und 48: Weihnachten 2002

Dieter Süverkrüp
Weihnachtslied

Heute abend
hat sich die Betonstadt hinterm Güterbahnhof
bis zum Rand mit Andacht vollgedröhnt.
Heute abend
wird vom Ersten, Zweiten und privaten Fernsehn
Weihrauchduft mit Tränengas verströmt.
Heute abend
fällt der kranke, stinkbesoffne Wermutsbruder
heulend aus dem Obdach-Bunker raus.
Heute abend
sehn die Fenster in den Vorort-Villen
wie barocke Weihnachtskrippen aus.

Stille Nacht, allerseits!
Heilig abend, zusammen.
Macht die Tür zu, das Licht aus,
die Kerzen an. Amen!

Heute abend
hofft die Mutter, dass ihr arbeitsloser Jüngster
sich nicht wieder heimlich Haschisch kauf'.
Heute abend
hat der dicke Kindesmörder dienstfrei, heute
ißt er alle Bonbons selber auf.
Heute abend
pinkelt der Erfinder der Neutronenbombe
viele kleine Herzen in den Schnee.
Heute abend
gibt es einen zart-gebratenen Friedensengel
bei Herrn Wehrexperten zum Diner.
Heute abend
sind die Strassen leichenblass und abgegessen,
dass man ihrem Frieden nicht mehr traut.
Heute abend
vor der Stadt in der Raketenstellung kriegt ein
junger Offizier die Gänsehaut.

Stille Nacht, allerseits!
Heilig Abend, zusammen.
Macht die Tür zu, das Licht aus,
die Kerzen. Amen!

Heute abend
sitzt dem Vater unterm Hemd die Angst um seinen
Job - weil auch sein Herz nicht mehr so will!
Heute abend
weiß Direktor Dings vom ober'n Management
natürlich längst: bald liegt der Laden still.
Heute abend
warten viele dünne, starre Hungerkinder
einzig und allein auf dein Gebet.
Heute abend
ginge es, dass alle immer satt sein könnten,
wenn nur ginge, was schon lange geht.
Heute abend
bringt ein ernster Volksvertreter einen Toast
auf unseren Verteidigungsbeitrag aus.
Heute abend
feiert so ein zweifelhafter Friedenspfarrer
mit den Typen vom besetzten Haus.

Heilig Abend zusammen!
Stille Nacht allerseits!
Ob der Frieden doch noch kommt?
Er bewegt sich wohl bereits

Und wer jetzt noch nicht weiß, was er mit Weihnachten anfangen soll, ob er schenkt, beschenkt wird oder sich beschenken lässt, selbst wenn er keinerlei fromme Wünsche hat, der bereite sich auf das Fest so vor:

Weihnachten
[nach Robert Gernhardt]

Ich bin Erika.
Jetzt kommt Weihnachten.
Ich schenke Vati einTischfeuerzeug zu 32,50 Euro.
Vati schenkt Michael Tennisschläger zu 22 Euro.
Michael schenkt Mutti eine Schälmaschine zu 19,70 Euro.
Mutti schenkt mir CDs im Wert von 28 Euro.
4,50 Euro muss ich noch bekommen.
Von wem?
Ich bin so gespannt auf Weihnachten.




Zitat Nr. 46: 10. Dezember 2002

Harold Pinter: "Schau in den Spiegel, Kumpel!"

Es gibt eine alte Geschichte über Oliver Cromwell. Nachdem er die irische Stadt Drogheda eingenommen hatte, wurden die Bewohner auf den größten Platz gebracht. Cromwell befahl seinen Stellvertretern: "OK! Tötet alle Frauen und vergewaltigt alle Männer!" Einer seiner Adjutanten sagte daraufhin: "Entschuldigung, General. Muss es genau umgekehrt heißen?" Eine Stimme aus der Menge rief: "Mr. Cromwell weiß, was er tut."

Diese Stimme ist die Stimme von Tony Blair. - "Mr. Bush weiß, was er tut."
Tatsache ist, dass Mr. Bush und seine Bande wissen, was sie tun und Blair, wenn er nicht wirklich der arme Irre ist, als der oft erscheint, weiß auch, was sie tun. Bush und Co haben, ganz simpel ausgedrückt, fest vor, die Welt und die Bodenschätze der Welt zu kontrollieren. Und es ist ihnen egal, wie viele Menschen sie auf diesem Weg umbringen. Und Blair ist an ihrer Seite.

Er besitzt nicht die Unterstützung der Labour Party, er besitzt nicht die Unterstützung des Landes oder die der gefeierten "internationalen Gemeinschaft". Wie kann er es rechtfertigen, dieses Land an einen Krieg zu beteiligen, den niemand will? Er kann es nicht. (...)
...
Das "besondere Verhältnis" zwischen den USA und Großbritannien hat in den letzten zwölf Jahren tausende Menschen im Irak, in Afghanistan und Serbien den Tod gebracht. All dies bei der Führung des "moralischen Kreuzzuges" durch die USA und Großbritannien, um der Welt "Frieden und Stabilität" zu bringen.
Der Gebrauch von abgereichertem Uran im Golfkrieg war besonders effektiv. Die Strahlenwerte im Irak sind besonders hoch. Kinder werden ohne Gehirn, ohne Augen, ohne Genitalien geboren. Wo sie Ohren, einen Mund oder ein Rektum haben sollten, sind Öffnungen, aus denen Blut fließt.
...
Bush sagte: "Wir werden es nicht dulden, wenn die schlimmsten Waffen der Welt in den Händen eines der schlimmsten Führer der Welt bleiben." Richtig. Schau in den Spiegel, Kumpel. Du bist es. (...)

Harold Pinter ist Dramatiker, Regisseur, Schauspieler, Dichter und politischer Aktivist. Der Text, den wir hier nur in Auszügen dokumentieren, wurde zuerst als Rede bei einer Antikriegsversammlung vor dem Unterhaus gehalten. Übersetzung: Tony Kofoet. Der Orginalartikel "The War Against Reason" ist auf der Homepage von http://www.zmag.de/ erschienen.




Zitat Nr. 45: 19. November 2002

Weil es doch wahr ist...

Im letzten Monat hat die UNO eine weltweite Umfrage durchgeführt. Die Frage war:"Geben Sie uns bitte Ihre ehrliche Meinung zur Lösung der Nahrungs-Knappheit im Rest der Welt."
Die Umfrage stellte sich, nicht unerwartet, als Riesenflop heraus ...


In Afrika wußten die Teilnehmer nicht was "Nahrung" ist.
Osteuropa wußte nicht, was "ehrlich" heißt.
Westeuropa kannte das Wort "Knappheit" nicht.
Die Chinesen wußten nicht, was "Meinung" ist.
Der Nahe Osten fragte nach, was denn "Lösung" bedeute.
Südamerika kannte die Bedeutung von "bitte" nicht.
Und in den USA wußte niemand, was "der Rest der Welt" ist

Die ursprüngliche Herkunft dieser treffenden Zusammenfassung einer weltweiten UNO-Umfrage ist uns nicht bekannt. Unser Dank geht aber an Erika Bosch für die Übermittlung des Textes.




Zitat Nr. 44: 3. Oktober 2002

Arundhati Roy über "Antiamerikanismus"

Jene, die in den letzten Wochen Kritik an der amerikanischen Regierung geübt haben, wurden des Antiamerikanismus bezichtigt. Dieser Begriff erhält gegenwärtig die Weihen einer Ideologie. Gewöhnlich verwendet das amerikanische Establishment diese Bezeichnung, um seine Kritiker zu diskreditieren und ihnen ein (nicht völlig falsches, eher: ungenaues) Etikett zu verpassen. Sobald jemand als Antiamerikaner abgestempelt ist, kann der Betreffende damit rechnen, umstandslos verurteilt zu werden, und sein Argument wird im Aufschrei eines verletzten Nationalstolzes untergehen. Was bedeutet Antiamerikanismus? Daß man nicht gern Jazz hört? Daß man gegen Meinungsfreiheit ist? Daß man nicht für Toni Morrison oder John Updike schwärmt? Bedeutet es, daß man die Hunderttausende von Amerikanern nicht bewundert, die gegen Atomwaffen demonstriert haben? Oder die Tausende von Kriegsdienstverweigerern, die ihre Regierung zwangen, sich aus Vietnam zurückzuziehen? Bedeutet es, daß man alle Amerikaner haßt?

Diese raffinierte Vermengung von amerikanischer Musik, Literatur, der atemberaubenden Schönheit des Landes, den einfachen Vergnügungen der einfachen Leute mit der Kritik an der Außenpolitik der amerikanischen Regierung ist eine bewußte und außerordentlich wirkungsvolle Methode. Es erinnert an eine zurückweichende Truppe, die in einer dichtbevölkerten Stadt Unterschlupf sucht, in der Hoffnung, der Feind werde aus Sorge vor zivilen Opfern von einem Beschuß absehen.

Viele Amerikaner wären verärgert, wenn man sie mit der Politik ihrer Regierung identifizierte. Die nachdenklichsten, schärfsten, bissigsten und geistreichsten Kommentare über die Heuchelei und die Widersprüche der amerikanischen Politik stammen ja gerade von den Amerikanern selbst. (...) Jemandem Antiamerikanismus vorzuwerfen ist Ausdruck eines Mangels an Phantasie, der Unfähigkeit, die Welt anders zu sehen als in der vom Establishment vorgegebenen Weise: Wer nicht gut ist, ist böse. Wer nicht für uns ist, ist für die Terroristen. ...

Das Zitat stammt aus dem neuesten Essay von Arundhati Roy, der am 2. Oktober 2002 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter dem Titel "Wie man einen Krieg verkauft" veröffentlicht wurde (Übersetzung aus dem Englischen: Matthias Fienbork).

Arundhati Roy, die Autorin des Bestseller-Romans "Der Gott der kleinen Dinge", hatte vor einem Jahr - ebenfalls in der FAZ, 28. 09. 2001 (siehe auch unser Zitat Nr. 28) - eine heftige Diskussion über die Politik der USA nach den Terroranschlägen ausgelöst. Damals hatte die Autorin die Rhetorik der US-Regierung unter dem Titel "Wut ist der Schlüssel" als "töricht" und "arrogant" verurteilt. Jetzt verstärkt sie ihre Kritik noch. Sie schreibt, sie habe sich damals geirrt. "Tatsächlich handelt es sich um eine raffinierte Werbekampagne für einen irrigen, gefährlichen Krieg." Doch würden die USA mit ihrem Imperialismus letztlich Schiffbruch erleiden. Am Schluss ihres Essays schreibt Arundhti Roy: "Der sowjetische Kommunismus ist nicht gescheitert, weil er grundsätzlich böse war, sondern weil er einen Fehler hatte. Zu wenige Leute konnten zuviel Macht an sich reißen. Der amerikanische Kapitalismus des einundzwanzigsten Jahrhunderts wird aus dem gleichen Grund scheitern."





Zitat Nr. 43: 5. August 2002

Altbundeskanzler Helmut Schmidt über den amerikanischen Raubtierkapitalismus

... Die europäischen Regierungen wären klug beraten, wenn sie die heutige amerikanische Entschlossenheit zum Alleingang als Tatsache ansähen und sich darauf einrichteten, dass der Unilateralismus auf lange Sicht, möglicherweise auf Jahrzehnte, in Washington die Oberhand behalten wird. Zwar sind weder die isolationistischen noch die internationalistischen Kräfte innerhalb der amerikanischen Gesellschaft untergegangen. Jedoch wird die voraussichtlich lange Dauer des islamistischen Terrorismus die imperiale Phase ausdehnen; vor allem wird wahrscheinlich das Hochgefühl uneingeschränkter Macht entscheidend zur Fortsetzung des Unilateralismus beitragen. Schon heute hört man Amerikaner ihr Land mit dem Weltreich des klassischen Rom vergleichen, dabei weisen sie ganz Europa die provinzielle Rolle Athens zu, wohin die römischen Patrizier ihre Söhne schickten, um Rhetorik und Philosophie zu studieren. Weil es noch lange dauern wird, bis die Europäische Union eine umfassende Handlungsfähigkeit nach außen erreicht, werden die Europäer sich mit diesem Zustand abfinden müssen. Allenfalls werden sie punktuell dann erfolgreich eingreifen können, wenn sie sich im Einzelfall zu gemeinsamem Handeln aufraffen.

Die Europäer haben es allerdings keineswegs nötig, sich selbst zu Instrumenten amerikanischer Weltpolizei zu machen oder machen zu lassen. Sie sind 1999 auf dem Gipfel zum fünfzigjährigen Jubiläum der Allianz mit der Ausrufung einer "neuen Nato" und mit ihren Reden über neue Verantwortungen schon viel zu weit gegangen. Gegen welchen Feind sollte sich die neue Nato richten? Etwa gegen alle sechs oder sieben der damals noch so genannten Schurkenstaaten? Oder hatten die versammelten Regierungschefs neue friedenschaffende militärische Interventionen außerhalb Europas im Sinn - ŕ la Balkan oder ŕ la Somalia oder Ruanda oder Timor? Oder ŕ la Desert Storm im Irak?

Gegenwärtig bereitet sich Washington militärisch und logistisch auf einen abermaligen Krieg gegen den Irak vor. Ob und wann der Entschluss dazu tatsächlich gefasst werden wird, steht dahin. Auch ist offen, ob George Bush junior dazu, wie seinerzeit sein Vater, einen Beschluss des Sicherheitsrates der UN für nötig hält. Die amerikanische Öffentlichkeit wird heute zunehmend auf präventive Kriegsführung eingestimmt. Sogar vom Erstschlag mit nuklearen Waffen ist die Rede. Unklar ist, wie man sich die anschließende innenpolitische Situation im Irak oder in Saudi-Arabien vorstellt, im Libanon, in den von zwanzig Millionen Kurden bewohnten Teilen des Irak und der Türkei, in Israel, im Westjordanland und in Gaza - und wie Washington damit umgehen will.

Es gibt einige Einsichten, vor denen Washington die Augen nicht verschließen sollte:

1) Ein Krieg gegen den Irak kann zwar die beiden Risiken der Unberechenbarkeit des Machthabers Saddam Hussein und der irakischen Verfügung über Massenvernichtungswaffen beseitigen. Der Krieg kann aber nicht den vielfältigen islamistischen Terrorismus auslöschen, dieser würde vermutlich im Gegenteil von einem amerikanisch-irakischen Krieg eher noch angestachelt werden.

2) Die heterogenen islamistischen Terrorismen haben in manchen der über sechzig islamisch geprägten Staaten geheimen Unterschlupf gefunden. Sie werden erheblich aus einigen reich gewordenen Opec-Staaten finanziert. Neben mehreren religiös-fanatischen geistlichen Führern und Missionszentren spielt in den arabischen Staaten die Solidarisierung mit den Palästinensern eine entscheidende Rolle. Auf dem Nährboden der Armut, zumal in den übervölkerten Städten, bedroht der Extremismus fast überall den inneren Frieden und die Regierungen, die durch die einseitig proisraelische Politik der USA in Bedrängnis geraten. Ihnen kann nur durch eine weitsichtige Politik und finanzielle Unterstützung, nicht durch Raketenschläge geholfen werden.

3) Die USA besitzen im Mittleren Osten eine singuläre Einflussposition, nur sie können dort für Ordnung und Frieden sorgen; sie haben gute Beziehungen zu Israel, zu Saudi-Arabien, Ägypten und zur Türkei und verfügen außerdem in der Region über einzigartige militärische und finanzielle Hebel. Jedoch ist die Politik Washingtons gegenüber der komplexen Problematik im Mittleren Osten seit Jahrzehnten inkonsistent und ohne eindeutiges Ziel - und zwar weitgehend aus innenpolitischen Gründen. Solange es dabei bleibt, wird niemand sonst im Mittleren Osten eine friedliche Ordnung herstellen können.

4) Ein amerikanischer nuklearer Ersteinsatz - gegen wen auch immer - wäre eine globale Umwälzung der bisher von den USA, von allen Nato-Partnern und von Russland einvernehmlich verfolgten Nuklearstrategie der Nonproliferation. Er würde zugleich ein gefährliches Präjudiz für die anderen sieben Staaten, die heute über Nuklearwaffen verfügen.
...
... Wir Europäer sollten aus Gründen der gemeinsamen Geschichte und der einander verwandten Kultur die Freundschaft und das Bündnis mit Amerika pflegen. Das muss uns nicht hindern zu erkennen, dass wir kein Interesse am Ausbau der amerikanischen Tendenz zum Alleingang oder gar zum Imperialismus haben. Wir müssen keineswegs jedweder außenpolitischen Wendung der USA folgen, so auch nicht dem Druck, künftig wieder mehr Geld für Rüstung auszugeben. Wir haben guten Grund, keineswegs den Beispielen der sehr hohen und täglich wachsenden Auslandsverschuldung der US-Wirtschaft oder der wachsenden Staatsverschuldung Amerikas oder den erschreckenden Auswüchsen des amerikanischen Raubtierkapitalismus zu folgen.

Die Textauszüge stammen aus einem längeren Beitrag, den Altbundeskanzler Helmut Schmidt am 1. August in der Wochenzeitung DIE ZEIT, zu deren Herausgebern er auch gehört, veröffentlichte. Der Beitrag stand unter dem Titel "Europa braucht keinen Vormund" und befasst sich insgesamt mit der wechselhaften Geschichte der US-Außenpolitik in den letzten 150 Jahren und der Rolle, welche die europäischen Staaten spielen sollten.




Zitat Nr. 42: 16. Juni 2002

Bush brauchte Osama

In den USA liegen zur Zeit die Nerven blank: Was wusste Präsident Bush vor dem 11. September? Die Antwort ist offensichtlich, behauptet am 26. Mai Oberstleutnant Steve Butler in einem Leserbrief an das kalifornische Blatt "Monterey Herald". Der mittlerweile vom Dienst suspendierte Butler hat mit seinen Beschuldigungen nationale Aufmerksamkeit erregt. Wir dokumentieren Auszüge des Briefes nach dem "Freitag" vom 14. Juni 2002:

"Selbstverständlich wusste Präsident George Bush vor dem 11. September von den bevorstehenden Attacken auf Amerika. Er tat aber nichts, um das amerikanische Volk zu warnen, weil er diesen Krieg gegen den Terrorismus brauchte. Sein Vater hatte Saddam Hussein, und er brauchte Osama. Seine Präsidentschaft ging ins Nichts. Er wurde nicht vom amerikanischen Volk gewählt, sondern vom konservativen Obersten Gerichtshof ins Amt eingesetzt. Die Wirtschaft rutschte in die Rezession, und er brauchte etwas, um sich als handlungsfähiger Präsident zu präsentieren und zu legitimieren.
Wenn die Republikaner auf Monica Lewinsky zeigen, um die angebliche Verkommenheit der Demokratischen Partei zu belegen, dann muss die Gegenfrage erlaubt sein: Wie viele Menschen starben wegen Monica Lewinsky? Selbst Konservative sollten erkennen: Bill Clinton war ein großartiger Präsident, während George Bush junior ein Witz ist. Zu seinem eigenen politischen Vorteil verschweigt er dem amerikanischen Volk, was er weiß!




Zitat Nr. 41: 9. Juni 2002

Überbietungen

Von Antisemiten und Anti-Antisemiten und Anti-Anti-Antisemiten...

Wenn man wissen will, was eigentlich Antisemitismus ist, sollte man nicht den Fehler begehen, die zu befragen, die man für Antisemiten hält. Denn in der Regel halten sich Antisemiten für alles andere als für Antisemiten, und sie werden diese Zuschreibung entsprechend weit von sich weisen. Nein, man muss bei denen nachfragen, die man als Anti-Antisemiten bezeichnen könnte. Der Anti-Antisemit weiß nämlich, dass der Antisemit sich nicht für einen solchen hält. Er weiß, dass der Antisemit sagt und meint, er habe nichts gegen Juden. Der Anti-Antisemit weiß aber auch, dass der Antisemit vor allem deshalb Antisemit ist, weil er sich als Opfer fühlt: als Opfer einer Weltverschwörung oder - in der soften Variante - als Opfer etwa einer Medienmacht, gegen die er glaubt, sich wehren zu müssen. Weil sich der Antisemit nicht als Antisemit versteht und zu erkennen gibt, muss der Anti-Antisemit mit dem Instrument des Verdachts arbeiten: mit der Prämisse, dass es neben dem eher seltenen offenen Antisemitismus auch einen "latenten" Antisemitismus, einen Antisemitismus "der Mitte" gibt. Damit begibt er sich aber in schwieriges Gelände, in das der Deutung von Sprache und Rhetorik. Der Anti-Antisemit muss den Nachweis führen, dass das explizit Gesagte nicht das implizit Gemeinte ist, er muss Sprache als doppelbödig entlarven. Er muss ein Raster entwickeln, das unterscheidet: zwischen persönlicher Animosität (die grundsätzlich legitim ist) und Kritik an Entscheidungen jüdischer Institutionen oder der israelischen Regierung (die ebenso legitim ist) auf der einen Seite und auf der anderen Seite einer Haltung, bei der Animosität und Kritik nur Ausdruck einer tieferliegenden Einstellung gegen Juden sind. Ob die jeweilige Zuordnung zum einen oder anderen Typus zutrifft, kann der Anti-Antisemit nie mit letzter Gewissheit beweisen, weil ihm eben nur Indizien und Interpretationen zur Verfügung stehen. Richtig kompliziert wird die Sache dadurch, dass es längst nicht nur mehr Antisemiten und Anti-Antisemiten gibt, sondern auch Anti-Anti-Antisemiten. Der Anti-Anti-Antisemit kritisiert die Haltung des Anti-Antisemiten, weil er glaubt, dass sich nicht nur der Antisemit in einem Wahnsystem bewegt, sondern auch der Anti-Antisemit. Ihm zufolge kultiviert nicht nur der Antisemit die fatale Haltung, Phänomene als Indizien für eine kollektive Verschwörung zu deuten, sondern auch der Anti-Antisemit, der ebenfalls dazu neige, sprachliche und andere Phänomene für bloßen Schein, ja für Nebel zu halten zu halten, hinter dem sich ein andersartiges Sein verbirgt - ohne dies aber vollends schlüssig beweisen zu können. Der Anti-Anti-Antisemit ist also ein Anti-Verschwörungstheoretiker. Er meint, dass Antisemiten wie Anti-Antisemiten in die gleiche Falle tappen. Er plädiert dafür, aus der Spirale der gegenseitigen Zuschreibungen auszusteigen und Äußerungen nicht als Ausdruck von etwas Latentem zu sehen, sondern sie zum Nennwert zu nehmen. Das ruft freilich eine weitere Überbietungsfigur auf den diskursiven Plan: den Anti-Anti-Anti-Antisemiten. Dieser wirft dem Anti-Anti-Antisemiten vor, ins gegenteilige Extrem zu verfallen und daher zu übersehen, dass das Phänomen des latenten Antisemitismus tatsächlich existiert - obwohl eben nicht jeder Verdacht auf latenten Antisemitismus sich als tatsächlich begründet erweist. Man müsste also, meint er, ein Raster, eine Methode entwickeln, um latenten Antisemitismus von legitimer Kritik sinnvoll unterscheiden zu können ... U. Sp.

Diesen hintersinnigen Text, der mehr Fragen aufwirft als er beantwortet (was er vermutlich aber auch gar nicht beabsichtigte), haben wir deshalb zum "Zitat der Woche" gekürt, weil er auch der gegenwärtigen Medien-Kampagne um Westermann/Möllewelle verdientermaßen den Spiegel vorhält.
Den Text haben wir dem Feuilleton der Frankfurter Rundschau vom 7. Juni 2002 (S. 21, Rubrik "Times mager") zu verdanken. Gratulation dem Kürzel U. Sp.!




In Kürze


Freund und Feind
"Wer im Feind den Menschen ignoriert, der ist des Menschen Feind."
"Wer für den Frieden kämpft, nicht aber für des Feindes Frieden, der ist des Friedens Feind."
So hat man Freunde bei den Feinden und Feinde bei den Freunden.

Markus Sebastian Rabanus

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Baltimore
"Die Artikel der Charta der Vereinten Nationen und der Prinzipien des Internationalen Rechts zur friedlichen Lösung von Konflikten bekräftigend,
der ständig angedrohten Verletzung der Charta der Vereinten Nationen und des Internationalen Rechts durch militärische Präventivschläge der Vereinigten Staaten gegen die irakische Nation uns widersetzend,
die fortdauernden nicht-militärischen Sanktionen und die ins Auge gefassten militärischen Operationen verurteilend,
fordern wir die Bush-Regierung und ihre Vertreter im Bund auf, mit und durch die Vereinten Nationen zu arbeiten, um die Zusammenarbeit des Irak mit der UNO im Rahmen der im Sicherheitsrat beschlossenen Resolutionen zur Eliminierung der Massenvernichtungswaffen zu erreichen."

Beschluss des Stadrats von Baltimore (18 Ja-Stimmen, 1 Enthaltung)(Originaltext: http://www.baltimorecitycouncil.com/la_agenda_20021209.htm)

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Zwickmühle
"Wenn Saddam angibt, dass er Massenvernichtungswaffen hat, dann gibt er zu, die Welt belogen zu haben. Wenn er angibt, keine Massenvernichtungswaffen zu haben, sagt er etwas, was nachweislich falsch ist."
Ari Fleischer, Sprecher des Weißen Hauses (zit. n. Hessisch-Niedersächsische Allgemeine, 04.12.2002)

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Für jeden etwas
"Schröder lehnt Irak-Hilfe für USA strikt ab"
Überschrift auf Seite 1 am 28. November 2002 in der Springer-Zeitung "Die Welt"
"Kanzler verspricht USA Unterstützung für Irak-Krieg"
Überschrift auf Seite 1 am 28. November 2002 in der Springer-Zeitung "Bild"

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Auf uns kommt es jetzt an, ob wir den Menschen einen Ekel vor dem Krieg einflößen und ob wir ihnen diesen so fest einprägen, dass ihn keine Reden von Ehre und Heldentaten mehr aus ihren Herzen verdrängen können.
Selma Lagerlöf (1858-1940), schwedische Nationalschriftstellerin und erste weibliche Trägerin des Literaturnobelpreises 1909

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"UK polls: 1 in 3 say Bush is biggest threat"
Laut einer repräsentativen Umfrage in Großbritannien halten 32 Prozent der Briten den US-Präsidenten Bush für eine größere Bedrohung für die Sicherheit der Welt als den irakischen Diktator Saddam Hussein. Fast zwei Drittel sind der Meinung, dass die USA Saddam ins Visier genommen haben, weil er einer US-Kontrolle über das Nahost-Öl im Weg steht; nur ein Viertel glaubt, die Bedrohung des Weltfriedens durch Saddam sei der Grund für die US-Kriegspläne.
Quelle: The Guardian, 14. November 2002

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Krieg ist der Kampf der Menschen, Frieden ist der Kampf der Geister.
Victor Hugo

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krieg ist im bush
Ralph-M. Luedtke, 19.10.02

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"Wir haben also einen Präsidenten, der denkt, dass fremdes Territorium der Unterstand des Gegners ist und Kaschmir ein Pullover."
"Ich frage mich, wer am Ende den Preis bezahlt für dieses kapriziöse Abenteuer zur Weltherrschaft."

Pete Stark, demokratischer Abgeordneter aus Kalifornien, in der Debatte um die Kriegsermächtigungs-Resolution im Repräsentantenhaus am 10. Oktober 2002

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"Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne Frieden nichts. Ich begreife eine Politik für den Frieden als wahre Realpolitik dieser Epoche."
Willy Brandt

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Krieg ist nur eine brutale Entweihung des Gedenkens. Denn einen neuen Krieg (gegen den Irak) zu entfachen, indem man die Trauer manipuliert, sie für Fernsehsondersendungen zurechtmacht, die von Waschmittel- oder Sportschuhherstellern gesponsert werden, heißt, diese Trauer zu entwerten. Es zeigt, daß die intimsten Gefühle der Menschen rücksichtslos für politische Zwecke geplündert werden.
Arundhati Roy in einem Essay in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 2. Oktober 2002

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"Die Iraker, die ungeheuerliches Leid erfahren haben, mögen Saddam Hussein nicht, doch sie unterstützen ihn und sein Regime, denn uns mögen sie noch weniger."
Der amerikanische Ex-Waffeninspekteur Scott Ritter in einem "Welt"-Interview, 17. September 2002



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