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Nicht ohne Rußland

Gas und Öl aus USA und Vorderasien, Pipelines nur in Freundesland? Nach Scheitern ambitionierter Projekte ist Westeuropas energiepolitischer Wunderglaube am Ende

Von Rainer Rupp *

Es ist ein alter Hut. Die EU soll bei ihrer Energieversorgung von Rußland unabhängig werden. Dies beschworen in den zurückliegenden Jahren interessierte Kreise in Brüssel und anderswo regelmäßig. Und nicht nur das: Mit »konkreten Projekten« wollte man gewissermaßen Nägel mit Köpfen machen. Zuletzt predigte am 15. Januar Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite zu diesem Thema, die sich auch keine Mühe gab, ihre rußlandfeindliche Haltung zu verstecken. Allerdings deutet alles darauf hin, daß mit Wunschdenken keine energiepolitischen Realitäten zu schaffen sind.

Heerscharen von Geostrategen in der EU sahen »Europas« (der Gesamtvertretungsanspruch für den Kontinent ist Programm) Energiesicherheit bereits durch Gaslieferungen aus neuen Quellen mehr als ausreichend gedeckt:

Da gab es die Idee einer Pipeline aus dem Golfemirat Katar durch Syrien und die Türkei. Flüssiggastanker sollten zudem aus den USA Brennstoff heranschippern. Und natürlich träumte man bei Eurokraten und Lobbyisten von einer Rallye auf dem vermeintlichen Königsweg der künfigen Energieträgergewinnung – der umweltschädigenden und das Grundwasser vergiftenden Fracking-Methode.

Inzwischen sind die drei vermeintlichen Trümpfe zu Luschen geworden. Der vom Westen geschürte Umsturzversuch in Damaskus steht vor dem Scheitern, die Katar-Pipeline bleibt ein Hirngespinst.

Um Flüssiggas in ausreichenden Mengen aus den USA in die EU zu bringen, müßten erst eine riesige Tankerflotte gebaut und entsprechende Infrastrukturinvestitionen wie Verflüssigungsanlagen in den Verschiffungshäfen gebaut werden. Die dafür notwendigen gewaltigen Investitionen dürften kaum aufgebracht werden können – nicht zuletzt wegen der auch in den USA zunehmenden Zweifel an der Ausbeute und Nachhaltigkeit der Schiefergasproduktion. Es gibt zwar zahlreiche Vorkommen, doch die sind längst nicht so ergiebig wie von den Investoren dereinst versprochen, als sie Geld für den Start der Förderung sammelten. Um das einmal erreichte Produktionsniveau zu halten, müssen zudem immer mehr Lagerstätten angebohrt und »gefrackt« werden. Das treibt die Förderkosten in schwindelnde Höhen. Schon jetzt ist absehbar, daß sich Fracking im dicht besiedelten EU-Europa höchstens punktuell und damit in unbedeutendem Umfang durchsetzen läßt.

Die Auswirkungen eines Schiefergasbooms auf die USA und Europa seien weit übertrieben, heißt es in einer Mitte Februar veröffentlichten Studie der französischen Denkfabrik »Institut für Nachhaltige Entwicklung und Internationale Beziehungen« (IDDRI). Unter dem Titel »Unkonventionelle Wahrheiten. Eine wirtschaftliche Analyse von US-Schiefergas und Implikationen für die EU« räumt sie mit der Schönfärberei auf. Demnach war der drastische Preisverfall von Erdgas seit Beginn des Frackings in den USA auf 1,95 Dollar pro MBTU (BTU, British Termal Unit, eine Million BTU entsprechen etwa 293 Kilowattstunden; d. Red.) nur eine vorübergehende Erscheinung. Schon Anfang Januar 2014, also noch vor dem Kälteeinbruch in den USA, waren die Preise bereits wieder auf 4,69 Dollar pro MBTU gestiegen. Auf lange Sicht werden die Vereinigten Staaten ein Importeur von Rohöl bleiben, und der Preis für eine MBTU werde sich bei 10,06 Dollar einpendeln. Wegen Umweltschutzauflagen und Beschränkungen der Exploration seien die Vorteile des Fracking für EU-Europa noch geringer, so die Analyse.

Oft werde der Studie zufolge übersehen, daß der Förderung von US-Schiefergas mehrere Jahrzehnte geologischer Erforschung vorangegangen sind. Dazu hätten allein von 2000 bis 2010 in den USA insgesamt 17268 Probebohrungen stattgefunden, durchschnittlich 130 Bohrungen pro Monat. In der EU seien es bisher insgesamt weniger als 50 Bohrungen. Laut Studie könnten dann im Zeitraum 2030 bis 2035 vielleicht drei Prozent und im günstigsten Fall bis maximal zehn Prozent des Energiebedarfs der EU mit Fracking-Gas gedeckt werden. »Schiefergas sollte daher nicht als eine Lösung für die EU-Energie-Herausforderung angesehen werden«, heißt es dann auch am Schluß. Ein Fazit, das die siebte Europäische Gas Konferenz (28. bis 30. Januar in Wien) teilt.

Auch deren Teilnehmer aus 80 westeuropäischen Energieunternehmen gaben zu, daß in den nächsten Jahrzehnten die EU-Energieversorgung ohne russisches Gas nicht zu sichern ist. »Der in den letzten Jahren im Westen gepflegte Glauben an das Wunder vom Schiefergas, das Wunder von den erneuerbaren Quellen und die wundersamen Prognosen, daß in zwanzig Jahren die EU-Länder selbst ausreichend Energie produzieren werden, hat der ernüchternden Rückkehr zur Realität und der sorgenvollen Erkenntnis, daß etwas sehr falsch gelaufen ist, Platz gemacht«, so das Fazit des Konferenzergebnisses, das der Chef des Moskauer Instituts für Energie und Finanzen, Vladimir Feygin, am 30. Januar 2014 gegenüber der Nachrichtenagentur RIA Novosti zog.

* Aus: junge Welt, Samstag, 22. Februar 2014


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