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Kein Fracking-Wunder

Wunschdenken trifft auf eigene Zahlen: In absehbarer Zeit können die steigenden US-Fördermengen der EU keinen Ersatz für russisches Gas bieten

Von Rainer Rupp *

Die USA gehen dank ihrer Öl- und Gas-Fracking-Bonanza einer strahlenden Energiezukunft entgegen. Bald könnten Exporte »Europa« (gemeint ist die EU) von russischem Gas unabhängig machen. Zugleich machte Anfang dieses Monats (8. April) ein weiteres Energiemärchen aus den Vereinigten Staaten Schlagzeilen. Wissenschaftlern soll es im Auftrag der US-Navy gelungen sein, Meerwasser in billigen Treibstoff umzuwandeln. In Zukunft brauchen sich US-Kriegsschiffe auf den Weltmeeren keine Sorgen mehr um Treibstoffnachschub zu sorgen. Sie können ihren Ölersatz überall selbst produzieren. Da fehlt nur noch, daß Wissenschaftler des Heeres den »Sandvergaser« erfinden, damit Freiheit und Demokratie bringende US-Tanks in den Wüsten des Orients mit unbegrenzter Reichweite operieren können.

Das transatlantische Freudengeschrei über jenes US-Energiewunder ist derart stark vom Wunschdenken der Politiker und gleichgeschalteter Medien geprägt, daß diese resistent gegen Tatsachen geworden sind. Selbst dann noch, wenn die Fakten aus dem eigenen Regierungsapparat kommen. So hat kürzlich die regierungsoffizielle Energy Information Agency (EIA) der USA in ihrem Jahresbericht für 2013 eine Tabelle (siehe Kurzlink) veröffentlicht, die unter Extrapolierung der erhofften Öl- und Gasbonanza und unter Anrechnung der geplanten Energiesparmaßnahmen zeigt, daß die USA frühestens im Jahr 2037 energetische Selbstversorger sein könnten. Selbst dieses, in ferner Zukunft liegende Ziel, kann dabei nur unter der Voraussetzung erreicht werden, daß bis dahin die hochgiftige, die Umwelt zerstörende und das Grundwasser vergiftende Frackingmethode nicht wegen eines ökologischen Desasters gestoppt wird, ein Problem, auf das im EIA-Bericht natürlich nicht eingegangen wird.

An die Fakten hat auch Charif Souki von Cheniere Energy am 11. April gegenüber der Londoner Financial Times erinnert: Die Fähigkeit der USA, Europa von russischen Lieferungen unabhängiger zu machen, sei weit übertrieben, so der Chef jenes Konzerns, der im nächsten Jahr als erster US-Gas exportieren darf: »Das schmeichelt zwar, wenn man so über uns redet, aber es ist Unsinn. Es ist ein derartiger Unsinn, daß ich mir nicht vorstellen kann, daß jemand tatsächlich daran glaubt«, so Souki.

Ein anderer Grund, weshalb die Idee, russisches Gas in Europa auf diese Weise zu ersetzen, in Wolkenkuckucksheim entstanden sein muß, sind die notwendigen Investitionen, die laut Fachkreisen »frühestens in zehn Jahren« größere US-Exporte ermöglichten. Dazu müßten Verflüssigungsanlagen (für Liquide Natural Gas; LNG) in US-Häfen, eine LNG-Tankerflotte, LNG-Vergasungsanlagen in europäi­schen Häfen gebaut werden und dazu noch teure Pipelines, die das Gas zu den Verbrauchern weitertransportieren. Dem stehen schier unüberwindliche Hürden im Weg: Erstens, die hohen Investitions- und Transportkosten würden US-amerikanisches Flüssiggas viel teurer als russisches Erdgas machen. Wäre das anders, würde die EU längst LNG aus Katar beziehen, das über große Förderreserven und Verflüssigungsanlagen verfügt und LNG nach Japan exportiert.

Zweitens machen sehr hohe Anfangsinvestitionen erst ab einem großen Gastransportvolumen ökonomischen und politischen Sinn. Denn erst bei großen Mengen sinken die Stückkosten, und die Diversifizierung der Bezugsquellen trägt bei kleinen Mengen nicht zur Versorgungssicherheit bei. Laut EIA sind größere Gasexporte aber erst ab 2037 möglich. Zudem müßten auf dem »freien Markt« des Westens Investoren gefunden werden, die die enormen Kosten für dieses politisch motivierte, aber ökonomisch nicht wettbewerbsfähige und daher nicht tragbare Projekt aufbringen.

Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob durch LNG-Gasimporte aus den USA oder von Katar die Energiesicherheit Europas tatsächlich gestärkt würde. Lieferungen aus dem instabilen Feudalstaat Katar sind bestimmt nicht sicherer als die aus Rußland. Und in den USA gehören Wirtschaftsboykotte und -Sanktionen zum eingespielten außenpolitischen Instrumentarium, um anderen Nationen die eigene Linie aufzuzwingen. Anscheinend hat auch Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) diese Zusammenhänge erkannt, als er letzte Woche gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung einräumte: »Selbst in finstersten Zeiten des Kalten Krieges hat Rußland seine Verträge eingehalten« und hinzufügte, daß es zum Import von Erdgas aus Rußland »keine vernünftige Alternative« gibt. Weshalb derselbe Gabriel dann an der Seite der neokonservativen Brandstifter – gegen deutsche Industrie- und Wirtschaftsinteressen – beim »Haut die Russen«-Spiel so kräftig mitmacht, ist nicht zu begreifen.

* Aus: junge Welt, Samstag 19. April 2014


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