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Deutsche Waffen in Kriegsgebieten

Kirchen kritisieren Rüstungsexportpolitik / Zahl der Kriege 2009 leicht gesunken

Laut dem jährlichen Rüstungsexportbericht der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) geraten friedens- und entwicklungspolitische Dimensionen der Rüstungsexportpolitik immer mehr zugunsten der rein außenwirtschaftlichen Aspekte ins Hintertreffen. Die Koalition soll die Exporte besser kontrollieren, fordert die GKKE. Die Zahl der Kriege und bewaffneten Konflikte sank 2009 leicht.

Berlin/Hamburg (Agenturen/ND-Meyer). Die deutschen Rüstungsexporte stoßen bei den beiden großen Kirchen auf Kritik. Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) stellte am Montag in Berlin ihren Rüstungsexportbericht 2009 vor. Die Kirchen kritisieren vor allem die Lieferungen an Pakistan.

Der Wert der von der Bundesregierung erteilten Einzelausfuhrgenehmigungen für Rüstungstransfers stieg um 36,5 Prozent gegenüber 2007 auf 5,78 Milliarden Euro. Der Wert der 2008 erteilten Sammelausfuhrgenehmigungen in EU-, NATO- oder gleichgestellte Staaten sank um die Hälfte auf 2,54 Milliarden Euro. Insgesamt hat Deutschland 2008 Kriegsgut im Wert von 8,3 Milliarden Euro exportiert und ist weiterhin drittgrößter Waffenexporteur nach den USA und Russland.

Knapp die Hälfte der Waffenexporte geht an EU- und NATO-Staaten. Im Dezember 2008 wandelte der EU-Rat den seit 1998 geltenden Verhaltenskodex für Waffenexporte in einen Gemeinsamen Standpunkt um, der aber die Erwartungen nicht erfülle, sagte Bernhard Moltmann von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. Zwar gebe es Vorgaben für Rüstungsexporte, der Vertrag verzichte aber auf Verbindlichkeit und Sanktionen. So erhielten 41 Länder, in denen die Menschenrechtssituation prekär ist, 2008 die Genehmigung, deutsche Rüstungsgüter zu importieren. In 24 Staaten, in die deutsche Waffen exportiert werden dürfen, sind schwere Gewaltkonflikte im Gange. Der evangelische GKKE-Vorsitzende, Prälat Bernhard Felmberg kritisierte, dass Pakistan auch 2008 zu den großen Empfängern deutscher Rüstungsexporte gezählt habe.

Die Rüstungsexportpolitik der neuen Bundesregierung orientiere sich vorrangig an außenwirtschaftlichen und industriepolitischen Gesichtspunkten und vernachlässige friedens- und entwicklungspolitische Dimensionen, sagte der katholische Vorsitzende der GKKE, Prälat Karl Jüsten. Die Konferenz forderte die Bundesregierung auf, Rüstungsexporte stärker zu kontrollieren und die Korruption einzudämmen.

Dass die Waffen auch benutzt werden, zeigte die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) in ihrer jüngsten Untersuchung – wenngleich danach die Zahl der Kriege und bewaffneten Konflikte 2009 weltweit um fünf auf 34 gesunken ist. Das sei der niedrigste Stand seit 1993, teilte die AKUF am Montag in Hamburg mit. Die von organisierten Kämpfen am stärksten betroffenen Weltregionen sind nach wie vor Asien und Afrika mit jeweils elf militärischen Auseinandersetzungen. Im Nahen und Mittleren Osten gab es neun Kriege oder bewaffnete Konflikte, in Lateinamerika drei. Weit über 90 Prozent aller Kriege finden in der sogenannten Dritten Welt statt. Negativ verlief die Entwicklung vor allem in Afrika, wo zwei neue Kriege aufflammten.

Der generelle Trend der vergangenen Jahre bedeute allerdings nicht, dass die Welt friedlicher geworden wäre, teilte die AKUF weiter mit. Auch 2009 habe es zahlreiche Auseinandersetzungen unterhalb der Kriegschwelle gegeben. Dazu zählten etwa die Kämpfe zwischen Anhängern und Gegnern der Regierung auf Madagaskar und die Unruhen zwischen Uiguren und Chinesen in der chinesischen Region Xinjiang.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Dezember 2009


Fairer Wettbewerb?

Von Jörg Meyer **

Der deutsche Rüstungsexport boomt. Dass seit 1960 deutsche Hersteller 117 U-Boote ins Ausland verkauften, die Bundesmarine aber selber nur 36 bestellt hat, zeigt, dass Bereiche der Rüstungsindustrie schwerpunktmäßig für den Export produzieren. Die Kontrolle des Waffenverkaufs in alle Welt gerät dabei jedoch ins Hintertreffen. Fleißig wird produziert und in Länder exportiert, in denen Kriege geführt und die Menschenrechte nicht geachtet werden.

Im Koalitionsvertrag heißt es, die schwarz-gelbe Regierung wolle »den globalen Trend neuer Aufrüstungsspiralen« umkehren. Die Erosion der internationalen Verträge im Bereich Rüstungskontrolle sehen die Koalitionäre mit Sorge. Aber anstatt die eigene Exportpolitik zu hinterfragen und vor allem unter stärkere Parlamentskontrolle zu stellen, sollen laut dem Papier »bürokratische Hemmnisse« abgebaut und »faire Wettbewerbsbedingungen für die deutsche Wirtschaft« gewährleistet werden. Ob man so »Aufrüstungsspiralen« entgegentreten kann? Kaum.

Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung hat zu Recht scharfe Kritik an der Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung geäußert. »Enttäuscht und unzufrieden« sei man über die politische Gestaltung der Kontrolle von Waffenexporten. Wer sich einerseits als Friedensmacht darstellt, andererseits aber kräftig am Verkauf von Kriegsgut in alle Welt profitiert, ist unglaubwürdig.

** Aus: Neues Deutschland, 15. Dezember 2009 (Kommentar)


"Bei Kleinwaffen ist Endverbleib das Problem"

Aus Deutschland exportierte G3-Sturmgewehre werden in Pakistan und Afghanistan auf dem Schwarzmarkt gehandelt. Gespräch mit Tim Kuschnerus

Tim Kuschnerus ist Evangelischer Geschäftsführer der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung, die gestern in Berlin ihren Rüstungsexportbericht 2009 vorgestellt hat.

Ihr am Montag vorgestellter »Rüstungsexportbericht« verzeichnet einen rasanten Zuwachs bei den Einzelausfuhrgenehmigungen auf 5,8 Milliarden Euro, und zugleich einen Rückgang bei den Sammelgenehmigungen. Worin unterscheiden sich diese Kategorien?

Sammelgenehmigungen werden erteilt für Ausfuhren in NATO- bzw. EU-Staaten, die Genehmigungsprozedur ist dabei stark vereinfacht. Aus unserer Sicht sind die Einzelausfuhren die entscheidende Größe, weil diese in sogenannte Drittstaaten gehen, so hat Südkorea mit 1,87 Milliarden Euro die größte Genehmigung erhalten. Wir kritisieren insbesondere, daß Rüstung in Länder exportiert wird, die unmittelbar in Konflikt- oder Kriegssituationen verwickelt oder sogar Empfänger von Entwicklungshilfe sind. Rüstungsexporte für fast 510 Millionen Euro sind 2008 an Entwicklungsländer bewilligt worden, darunter Staaten wie Pakistan, Indien, Ägypten und nicht zuletzt Afghanistan – also Länder, die zum Teil gewalttätige Konflikte erleben oder hoch verschuldet sind.

Ihr Bericht erscheint traditionell lange vor dem offiziellen Regierungsbericht.

Das stimmt. Wir haben die Zahlen mit den erteilten Genehmigungswerten aus der Meldung der Bundesregierung bei der EU bekommen. Dem Bundestag liegt der offizielle Bericht für 2008 noch immer nicht vor. Er kann seiner Aufgabe, die Rüstungsexporte kritisch zu begleiten, nicht effektiv nachkommen, wenn er nicht zeitnah informiert wird.

Wie bewerten Sie die Transparenz und Vollständigkeit der Regierungszahlen?

Gerade der Bereich der sogenannten Kleinwaffen ist lange nicht so detailliert aufgeschlüsselt, wie wir uns das wünschen. Zu bemängeln ist auch, daß die Regierung keine Angaben zu den Voranfragen macht, die Rüstungsunternehmen im Vorfeld zu den Genehmigungschancen von Rüstungsgeschäften stellen. Ebenso wenig gibt es Angaben über abgelehnte Exportanträge. Die Anwendung der Genehmigungskriterien bleibt unklar. Dual-use-Güter, die sowohl für zivile als auch militärische Zwecke verwendbar sind, bleiben obendrein ein Graubereich, in dem die Genehmigungspraxis viel zu lasch ist.

Nun gehen die meisten Waffenexporte in NATO-Staaten – was ja nicht unkritisch ist, weil die meisten von ihnen Krieg führen. Die Frage ist aber doch, wo die gelieferten Waffen am Schluß landen und ob sie nicht über Dreiecksgeschäfte dann doch in Staaten gehen, die keine Genehmigung erhalten hätten.

Das ist ja leider die Gefahr: Bei Exporten in NATO-Staaten gibt es Reexporte. Insbesondere bei Kleinwaffen ist der Endverbleib ein Problem. Man braucht aber nicht unbedingt nach komplizierten Dreiecksgeschäften zu suchen, nehmen Sie das Beispiel Afghanistan oder Pakistan: Da tauchen die gelieferten G3-Sturmgewehre auf dem lokalen Schwarzmarkt auf.

Wie schätzen Sie die Zukunft der deutschen Rüstungsindustrie ein?

Im Koalitionsvertrag wird zwar einerseits an den im europäischen Vergleich restriktiven Kriterien der rot-grünen Bundesregierung aus dem Jahr 2000 festgehalten, auch wenn diese in der Praxis nicht immer konsequent eingehalten wurden. Andererseits drängt sich beim Lesen des Textes der Eindruck auf, daß die deutsche Rüstungsindustrie stärker gefördert werden soll. Die Rede ist davon, daß Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen EU-Staaten ausgeräumt werden sollen. Wir fürchten, daß sich die Genehmigungspraxis künftig noch stärker an außenwirtschaftlichen und industriepolitischen Motiven ausrichtet.

Warum fordern Sie nicht konsequent das Verbot von Rüstungsexporten?

So grundsätzlich wäre das doch ein bißchen steil. Wir fordern in unserem Bericht, daß Rüstungstransfers nicht die Wahrscheinlichkeit von gewaltförmigem Handeln von Staaten steigern dürfen. Sie müssen geeignet sein, dem Bedürfnis der Menschen nach Schutz vor physischer Gewalt zu dienen. Das schließt die Prüfung ein, ob der Bedarf an Sicherheit auch auf anderem Weg befriedigt werden kann.

Interview: Frank Brendle

*** Aus: junge Welt, 15. Dezember 2009


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