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Munition nicht tödlich genug: G36 wird als zu schwach kritisiert

von André Maertens *

Der Kommandeur der deutschen Truppen in Afghanistan, Brigadegeneral Jörg Vollmer, hat den "19. Erfahrungsbericht Einsatz" vorgelegt. Wie in den Erfahrungsberichten Nr. 17 und Nr. 18 werden dem von H&K entwickelten Gewehr G36 darin Mängel bescheinigt. Aktuell wird jedoch auch das Kaliber des Gewehrs selbst kritisiert. Dieses sei ungeeignet, weil gerade auf größere Entfernung nicht die von der Bundeswehrführung gewünschte "Mannstopp-wirkung" erzielt werden könne. Gemeint ist mit diesem zynischen Begriff das Töten oder Ver-letzen eines Menschen, so dass dieser nicht mehr schießen oder andere Handlungen ausführen kann. Herr Vollmer bezieht sich damit auf das 1993 in den NATO-Armeen als Standardpatrone eingeführte Kaliber 5,56 mm, das mit dem G36 verschossen wird.

Tatsächlich hat dieses Kaliber im Vergleich etwa zum früheren G3-Kaliber 7,62 mm weniger Geschossenergie, so dass feste Hindernisse wie Mauern oder Panzerungen nur bedingt durchschlagen werden können. Und auch die mögliche Einsatz-Reichweite ist mit rund 200 m relativ gering. Doch der General verschweigt wichtige wundballistische Tatsachen bzw. entfernt sich von humanitären Standards für die Wirkungs-kraft von Schusswaffen. Denn durch die hohe Geschossgeschwindigkeit der Munition ent-stehen ungleich größere Wunden im mensch-lichen Körper als bei der Verwendung lang-samerer Munition - wie etwa dem Kaliber 7,62 NATO (vgl. DAKS-Newsletter Juni 2007). Als US-Soldaten im Vietnam-Krieg begannen, dieses Kaliber einzusetzen, gab es deshalb umgehend Proteste des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes. "Übertrieben brutal" bis "völkerrechts-widrig bedenklich" müssten die Kommentare des Generals lauten - müssten, wenn in der heutigen Bundeswehr nicht in Wirklichkeit eine ganz andere Strategie verfolgt würde. Denn "mehr Feuerkraft" ist das Zauberwort der westlichen Armeen angesichts der Guerilla-Taktik ihrer Gegner. - Die Waffenhändler freut?s, in Deutschland also auch die Firma Heckler & Koch, die so gut wie alle Handfeuer-waffen für die Bundeswehr liefert.

Während im Häuserkampf das Kaliber 5,56 mm im militärischen Sinne eine gute Lösung darstellt, braucht es beim Kampf auf größere Distanzen eine Munition, die auch über die Entfernung noch genug tödliche Energie besitzt. Deshalb suchen die Waffenentwickler weiter nach einer Lösung für dieses Problem. Die Fertigung und der Verkauf eines neuen "Mittelkalibers" ist ihr nächstes Projekt (vgl. DAKS-Newsletter Juli 2007). Diese Patrone soll nicht wieder so schwer sein wie frühere Munitionstypen, aber die gewünschte "Mannstoppwirkung" haben.

Bis diese Waffen auf den Markt kommen, bleibt das G36 der Renner, ebenso dessen Weiter-entwicklung, der Karabiner HK416, der für den Wettbewerb um die Neuausrüstung der US-Truppen entworfen wurde. Und auch das Vorgängermodell, also das G3, bleibt - entgegen dem öffentlichen Bild von Ausmusterung und Verschrottung - weiter im Dienst. Dieses Gewehr gehört noch lange nicht zum alten Eisen, denn es hat eben jenes kräftigere Kaliber. Nur entspricht das G3 nicht mehr den heutigen Waffenstandards (und verdienen lässt sich damit ja auch nichts mehr...). Zu sehen ist diese Waffe aber immer wieder auf Einsatz-Bildern und auch die Bundeswehr weist im Internet darauf hin, dass G3-Gewehre im Kriegseinsatz dabei sind. Dies zumindest haben deutsche Soldaten dann gemeinsam mit den Millionen von Soldaten, Rebellen, Folterknechten und auch Kinder-soldaten, die weltweit auf die Erzeugnisse aus dem Hause Heckler & Koch zurückgreifen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass parallel zum HK416 (Kaliber 5,56 mm) auch ein weiteres Gewehr, das HK417, angeboten wird, mit dem wieder die alte Patrone im Kaliber 7,62 mm verschossen werden kann. Das macht das HK417 für Armeen attraktiv, die weiterhin - oder wieder - Waffen in diesem Kaliber verwenden möchten. Dabei handelt es sich dann allerdings um Waffen, die sich auf dem Stand der Technik befinden. Gedacht ist das HK417 deshalb gerade auch für den US-Markt. Heckler & Koch ist also im weltweiten Wettbewerb um Aufträge bestens aufgestellt. Moral ist weiter kein Thema beim blutigen Geschäft mit dem Tod. Und nach dem zur Zeit drohenden Erfolg des G36 werden "Produkte" der Marke H&K noch gefragter sein. Dies gilt es unbedingt zu verhindern!

Was die von Herrn Vollmer beklagten "Mängel bei der Ausrüstung der Bundeswehr" angeht, sollte eher nach ethischen Aspekten gefragt werden: Womit ist der Kriegseinsatz und der Einsatz dermaßen verstümmelnder Schuss-waffen gerechtfertigt? Und warum stoppt die Regierung die Machenschaften der international tätigen Waffendealer nicht?

Lesenswert ist in diesem Zusammenhang, welche Kritik die Welthungerhilfe an der gefährlich kontraproduktiven "zivil-militärischen Strategie" der Bundeswehr äußert.

* Aus: DAKS-Kleinwaffen-Newsletter. Informationen des Deutschen Aktionsnetzes Kleinwaffen Stoppen - Ausgabe 10/09


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