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Waffen der Zukunft

Zahl der US-Drohneneinsätze steigt dramatisch. Neue Aufgabengebiete auch im Inland

Von Knut Mellenthin *

Ferngelenkte unbemannte Flugkörper, sogenannte Drohnen, sind die wichtigste militärische Errungenschaft, die die USA dem von ihnen proklamierten »Krieg gegen den Terror« verdanken. Gezielt gearbeitet wird an dieser Technologie schon seit den 1980er Jahren. Aber erst die Situation nach dem 11. September 2001 lieferte die propagandistischen Vorwände und die praktischen Gelegenheiten, auf diesem Gebiet einen riesigen Sprung nach vorn zu machen. Die Produktion solcher Geräte wurde vervielfacht, Washington nutzte sie weltweit und ließ sie anhand einer Vielzahl von unterschiedlichen Einsatzerfahrungen wesentlich weiterentwickeln.

Nach Schätzungen von Experten haben US-amerikanische Drohnen im vergangenen Jahrzehnt mehr als 2,3 Millionen Flugstunden absolviert. Allein die Zahl der von der Armee eingesetzten ferngesteuerten Flugkörper ist seit Beginn des Afghanistan-Krieges im Oktober 2001 von 54 auf mehr als 4000 gestiegen. Das schließt rund 1300 Minidrohnen ein, die in einen Rucksack passen und von einzelnen Soldaten gestartet werden können. Insgesamt verfügen die US-Streitkräfte und der Auslandsgeheimdienst CIA zur Zeit nach unterschiedlichen Zählweisen und Schätzungen über 6000 bis 7000 UAV: Unmanned aerial vehicles.

Bewaffnete Drohneneinsätze gibt oder gab es bisher in Afghanistan, im Irak, in Pakistan, im Jemen, in Somalia und in Libyen. Einsatzregeln und praktische Ergebnisse der mit solchen Flugkörpern durchgeführten Angriffe unterliegen absoluter Geheimhaltung. Insbesondere für die unerklärte Kriegführung und sogenannte verdeckte Operationen hat die US-Regierung in den ferngelenkten Flugkörpern ein ideales Instrument gefunden. Da grundsätzlich nicht Gesundheit und Leben eigener Soldaten auf dem Spiel stehen, ist das Interesse der Öffentlichkeit an diesen Einsätzen sehr gering.

Neben einer Vielzahl von Bodenstationen in den Vereinigten Staaten selbst und vermutlich auch in anderen NATO-Ländern verfügen die USA über Start- und Landeplätze für Drohnen zumindest in Afghanistan, im nordostafrikanischen Dschibuti, in Äthiopien, auf den Seychellen im Indischen Ozean und an bisher unbekannten Standorten auf der Arabischen Halbinsel. Nach der Räumung ihrer Stützpunkte im Irak haben die amerikanischen Militärs bereits einige Drohnen, die bisher dort stationiert waren, nach Incirlik in der Türkei verlegt. Ihre Basis Schamsi in Pakistan mußten sie gerade eben räumen. UAV werden zunehmend auch von Flugzeugträgern aus operieren und können damit sehr viel flexibler als bisher eingesetzt werden.

Ein wesentliches Aufgabengebiet der Drohnen sind in Zukunft Einsätze im Inneren. Einzelne örtliche Versuche haben in den USA und einigen anderen Ländern bereits begonnen. Bisher wird das Thema nur unter dem Aspekt der Aufklärung im Rahmen der Verbrechensbekämpfung und humanitärer Missionen diskutiert. Indessen wird der Weg, wenn er erst einmal beschritten ist, auch zu bewaffneten Einsätzen, einschließlich der Aufstandsbekämpfung, führen.

* Aus: junge Welt, 19. Dezember 2011

Hintergrund: Verletzbares Waffensystem

Wenige Tage nach dem Verlust einer »RQ-170 Sentinel« im Iran mußte die U. S. Air Force bestätigen, daß eine weitere Drohne, diesmal eine »MQ-9 Reaper«, beim Anflug auf ihren Stützpunkt auf den Seychelleninseln im Indischen Ozean zu Bruch gegangen war. Die dort stationierten Maschinen werden, angeblich ausschließlich unbewaffnet, für Aufklärungsflüge über Somalia eingesetzt.

Ohne den vorausgegangenen spektakulären Zwischenfall hätte man über die Crash-Landung der Reaper vermutlich kaum irgendwo etwas gelesen. Von der Öffentlichkeit zumeist nicht registriert, weist die noch junge Drohnen-Technologie erhebliche Schwachstellen und folglich eine hohe Verlustrate auf.

Die im Internet zu findende »Drone Crash Database« listet für die Zeit seit 1. Januar 2007 insgesamt rund 90 Abstürze auf. Mehr als 70 dieser verlorengegangenen Flugkörper gehörten den Vereinigten Staaten. Einige der registrierten Fälle sind nur aus Pressemeldungen bekannt, aber die Mehrheit ist durch Berichte der US-Luftwaffe und teilweise auch durch interne Papiere, die von Wikileaks publiziert wurden, sicher dokumentiert. Die meisten Zwischenfälle ereigneten sich naturgemäß in Afghanistan, da die meisten Drohnen von dort aus operieren. Aber auch in Dschibuti wurden in diesem Jahr schon zwei Abstürze verzeichnet. Aus anderen Quellen ist bekannt, daß den USA seit 2001 von rund 60 in Afghanistan eingesetzten »RQ-1 Predator« zwanzig verlorengingen, hauptsächlich durch Systemausfälle aufgrund von Vereisung.

In einem Belgrader Museum ist eine Predator ausgestellt, die während der NATO-Angriffe 1999 mit einer Luftabwehrrakete abgeschossen wurde. Insgesamt büßten die USA während dieses Krieges drei Drohnen ein. Feindliche Einwirkungen sind allerdings bisher eine ganz seltene Ausnahme unter den Gründen für das Ende eines ferngelenkten Flugkörpers. Dabei sind Drohnen, schon auf Grund ihrer relativ geringen Geschwindigkeit, eigentlich ein leichtes Opfer. In einer zwischenstaatlichen Konfrontation würde das mit Sicherheit zum Tragen kommen. (km)

(Aus: junge Welt, 19. Dezember 2011)




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