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"Sentinel" zum Anfassen

Iran will erbeutete US-Spionagedrohne präsentieren. Flugkörper war von Afghanistan aus gesteuert. Wie weit ist Bundesregierung in verdeckte Kriegführung Washingtons verwickelt?

Von Knut Mellenthin *

Iran wird angeblich demnächst die erbeutete Spionagedrohne RQ-170 Sentinel der Öffentlichkeit vorführen. Das berichteten Teheraner Medien am Freitag. Ausgestellt werden sollen angeblich auch vier israelische und drei US-amerikanische ferngesteuerte Flugkörper, die den Iranern bereits früher in die Hände fielen. Zur Besichtigung sollen Journalisten und in Teheran stationierte ausländische Diplomaten eingeladen werden. Eine offizielle Bestätigung dieser Meldungen gibt es bisher nicht.

Die RQ-170 war erstmals am 8. Dezember in einem kurzen Video im iranischen Fernsehen gezeigt worden. Einige Medien des Landes hatten schon vier Tage vorher unter Berufung auf eine anonyme Militärquelle gemeldet, dass in einer vereinten Aktion von Luftwaffe und Revolutionsgarden eine aus Afghanistan eingedrungene Drohne der USA „zu Boden gebracht“ worden sei. Das mehrtägige Schweigen der Teheraner Regierung zu dem Vorfall erläuterte Außenminister Ali Akbar Salehi am Wochenende: Man habe erst einmal die amerikanischen Reaktionen abwarten und testen wollen.

Das US-Militär hatte zunächst lediglich mitgeteilt, dass der Kontakt zu einem ferngelenkten Flugkörper abgerissen sei, hatte sich aber nicht über den Typ der Drohne und ihren Einsatzauftrag geäußert. Ein Sprecher der internationalen Besatzungstruppen in Afghanistan (ISAF) behauptete in einem ersten Statement, die Maschine habe einen Aufklärungsflug über dem Westen des Landes absolviert. Inzwischen ist durch Äußerungen US-amerikanischer Militärs und Geheimdienstler eindeutig klar, dass die Mission des Flugkörpers Teil eines umfassenden Programms zur Ausspionierung Irans und zur verdeckten Kriegführung gegen dieses Land war. Wie weit die ISAF sich daran unmittelbar beteiligt, ist eine offene Frage, die auch an die deutsche Bundesregierung zu richten ist.

Nach iranischen Angaben wurde die RQ-170 ungefähr 225 bis 250 Kilometer von der afghanischen Grenze entfernt abgefangen und zur Landung veranlasst. Sie soll dabei kaum beschädigt worden sein. Iranische Ingenieure haben inzwischen nach eigenen Angaben die Auswertung der Technologie und der gespeicherten Daten des Beutestücks weitgehend abgeschlossen. Dieser Drohnentyp ist in Stealth-Technik gebaut, um der Erkennung durch feindliche Radarsysteme zu entgehen. Daran dürften unter anderem Russland und China sehr interessiert sein.

Wie es den iranischen Streitkräften gelang, die Maschine in ihre Gewalt zu bekommen, ist immer noch nicht restlos geklärt. Offiziell behaupten die USA, es sei praktisch ausgeschlossen, dass die Iraner die Kontrolle über die Fernsteuerung der Drohne übernommen hätten. Es habe lediglich ein „technischer Defekt“ vorgelegen. Warum der Flugkörper dann aber ohne größere Beschädigungen landen konnte, statt abzustürzen und zu zerschellen, hat bisher noch kein Sprecher Washingtons erklären können.

Möglicherweise hilft ein ausführlicher Artikel weiter, den die US-amerikanische Zeitschrift Christian Science Monitor am 15. Dezember veröffentlichte. Grundlage ihrer Darstellung sind Informationen, die sie angeblich von einem – namentlich nicht genannten – iranischen Ingenieur erhalten hat. Demzufolge war es den Iranern gelungen, die Funkverbindung zwischen Drohne und Bodenstation zu stören und zu unterbrechen. In einer solchen Situation schaltet der Flugkörper auf den Autopiloten, das heißt, er versucht, selbsttätig zu seinem Heimatflughafen zurückzukehren. Zu diesem Zweck orientiert er sich über das Global Positioning System (GPS), das ihm seinen Standort und die Zieldaten liefert. Den iranischen Technikern sei es jedoch gelungen, die Navigation der Drohne mit falschen Daten zu füttern. Dadurch „glaubte“ diese, sie würde auf ihrer Basis in Afghanistan landen, während sie in Wirklichkeit im Iran zu Boden ging.

Verteidigungsminister Leon Panetta hat am 13. Dezember in einem Gespräch mit dem Neocon-nahen Sender Fox News angekündigt, dass die USA die Spionageflüge gegen Iran von ihren Stützpunkten in Afghanistan aus fortsetzen wollen. Nicht bekannt ist, ob die Regierung in Kabul diesen Einsätzen zugestimmt hat. Teheran hat aufgrund des jüngsten Vorfalls eine entsprechende Anfrage an Afghanistan gerichtet. Präsident Hamid Karsai hatte in der Vergangenheit wiederholt erklärt, dass sein Land für feindliche Aktivitäten gegen Iran nicht zur Verfügung stehe.

Eine ähnliche Frage stellt sich auch bezüglich der Türkei. Bisher war Irak Ausgangspunkt zahlreicher US-amerikanischer Drohneneinsätze – unter anderem höchstwahrscheinlich auch gegen Iran. Damit ist nun, zumindest offiziell, nach dem Abzug der amerikanischen Truppen Schluss. Die Regierung in Bagdad hat allerdings zugestimmt, dass US-Drohnen auch künftig im irakischen Luftraum „aufklären“ dürfen, insbesondere über der Kurdenregion im Norden des Landes. Inzwischen wurden schon mindestens vier Flugkörper vom Typ Predator auf den US-Stützpunkt Incirlik in der Türkei verlegt. Ankara wird, soweit es die kurdischen Gebiete angeht, mit den ermittelten Informationen versorgt. Unbekannt ist jedoch, ob Incirlik künftig auch Basis für Spionageflüge gegen Iran werden wird.

* Aus: junge Welt, 19. Dezember 2011

Hintergrund: Verletzbares Waffensystem

Wenige Tage nach dem Verlust einer »RQ-170 Sentinel« im Iran mußte die U. S. Air Force bestätigen, daß eine weitere Drohne, diesmal eine »MQ-9 Reaper«, beim Anflug auf ihren Stützpunkt auf den Seychelleninseln im Indischen Ozean zu Bruch gegangen war. Die dort stationierten Maschinen werden, angeblich ausschließlich unbewaffnet, für Aufklärungsflüge über Somalia eingesetzt.

Ohne den vorausgegangenen spektakulären Zwischenfall hätte man über die Crash-Landung der Reaper vermutlich kaum irgendwo etwas gelesen. Von der Öffentlichkeit zumeist nicht registriert, weist die noch junge Drohnen-Technologie erhebliche Schwachstellen und folglich eine hohe Verlustrate auf.

Die im Internet zu findende »Drone Crash Database« listet für die Zeit seit 1. Januar 2007 insgesamt rund 90 Abstürze auf. Mehr als 70 dieser verlorengegangenen Flugkörper gehörten den Vereinigten Staaten. Einige der registrierten Fälle sind nur aus Pressemeldungen bekannt, aber die Mehrheit ist durch Berichte der US-Luftwaffe und teilweise auch durch interne Papiere, die von Wikileaks publiziert wurden, sicher dokumentiert. Die meisten Zwischenfälle ereigneten sich naturgemäß in Afghanistan, da die meisten Drohnen von dort aus operieren. Aber auch in Dschibuti wurden in diesem Jahr schon zwei Abstürze verzeichnet. Aus anderen Quellen ist bekannt, daß den USA seit 2001 von rund 60 in Afghanistan eingesetzten »RQ-1 Predator« zwanzig verlorengingen, hauptsächlich durch Systemausfälle aufgrund von Vereisung.

In einem Belgrader Museum ist eine Predator ausgestellt, die während der NATO-Angriffe 1999 mit einer Luftabwehrrakete abgeschossen wurde. Insgesamt büßten die USA während dieses Krieges drei Drohnen ein. Feindliche Einwirkungen sind allerdings bisher eine ganz seltene Ausnahme unter den Gründen für das Ende eines ferngelenkten Flugkörpers. Dabei sind Drohnen, schon auf Grund ihrer relativ geringen Geschwindigkeit, eigentlich ein leichtes Opfer. In einer zwischenstaatlichen Konfrontation würde das mit Sicherheit zum Tragen kommen. (km)

(Aus: junge Welt, 19. Dezember 2011)




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