"Völkerrechtswidrig handelt nicht nur der Aggressor, sondern auch derjenige Staat, der einem Aggressor hilft"
Strafanzeige gegen den Bundeskanzler wegen Vorbereitung eines Angriffskrieges - Im vollen Wortlaut
Am 16. Dezember stellten die rechtspolitische Sprecherin Evelyn Kenzler und der außenpolitische Sprecher
Wolfgang Gehrcke des Parteivorstandes der PDS Strafanzeige gegen Bundeskanzler Schröder. Ihr Vorwurf: Die Bundesregierung leiste Beihilfe bei der Vorbereitung eines Angriffskriegs gegen Irak. In einer Presseerklärung hieß es zur Begründung des Antrags u.a.:
"Gerhard Schröder hat mehrfach öffentlich erklärt, den USA für die
Vorbereitung und Durchführung eines Militärschlags gegen den Irak
Überflugs-, Bewegungs- und Transport-rechte zu gewähren und diesen damit
mittelbar zu unterstützen. Darüber hinaus sollen auch AWACS-Flugzeuge bei
Einsätzen im Kriegsfall mit deutschen Soldaten besetzt sein. Diese
Unterstützung bei der Vorbereitung eines Krieges und nunmehr sogar die
zugesagte direkte Beteiligung an Militäreinsätzen stellt nicht nur einen
Verstoß gegen das völkerrechtliche Gewaltsverbot dar, sondern ist auch
verfassungswidrig und strafbar. Art. 26 Abs. 1 GG und § 80 StGB stellen die
Vorbereitung von Angriffskriegen mit Beteiligung Deutschlands unter Strafe.
Bei dem gegenwärtig von den USA gegen den Irak vorbereiteten Militärschlag
handelt es sich um einen solchen Angriffskrieg, für den kein
völkerrechtlicher Rechtfertigungsgrund vorliegt. Die USA planen umfangreiche
militärische Angriffshandlungen, für die in verschiedenen Regionen des Nahen
Ostens und darüber hinaus weitreichende Truppenstationierungen vorgenommen
wurden, ohne dass ein Agriff des Irak auf die USA oder einen anderen Staat
bevorsteht oder auch nur angedroht wurde. Es liegt weder ein Fall der
individuellen noch kollektiven Selbstverteidigung vor. Die USA berufen sich
angesichts der möglichen Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak auf
ein Recht der präventiven Selbstverteidigung. Das erfordert jedoch zumindest
eine ‚eindeutige und gegenwärtige Gefahr‘, die auf keine andere Weise
abgewendet werden kann. Auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat
mit seiner Resolution 1441 keine militärischen Maßnahmen gegen den Irak
beschlossen und darüber hinaus ist ein Grund für die Mandatierung eines
Militärschlags nach Kap. VII der Charta auch nicht gegeben. Damit bereiten
die USA unzweifelhaft eine Aggression gegen den Irak vor.
Mit der Gewährung von Überflugs-, Bewegungs- und Transportrecht beteiligt
sich Deutschland selbst an der Vorbereitung dieses Krieges. Zu den
Angriffshandlungen zählt auch das zur Verfügung stellen des Hoheitsgebietes
eines Staates, um von hier aus durch einen anderen Staat kriegsrelevante
Aktionen zu begehen. Auch die Duldung und Unterstützung von
Vorbereitungshandlungen sind völkerrechtswidrig und nach dem Grundgesetz
unter Strafe gestellt. Darüberhinaus wurde die direkte Beteiligung in Form
von AWACS-Flügen angekündigt, die militärischen Kampfeinsätzen
gleichzusetzen sind.
Wenn sich Bundeskanzler Schröder dabei auf Bündnisverpflichtungen wie den
NATO-Vertrag, das NATO-Truppenstatut den USA beruft, sind auch das keine
Rechtfertigungsgründe für eine deutsche Kriegsbeteiligung. Die Anwendung von
Waffengewalt ist im Rahmen der NATO nur zum Zweck der kollektiven
Selbstverteidigung möglich. Hierdurch wird auch nicht das Recht der
Bundesregierung beschnitten, die Nutzung seiner Häfen und Flugplätze, seines
Luftraums und den der USA zur Verfügung gestellten Militärstützpunkte für
einen Militärschlag gegen den Irak zu untersagen. Selbst die mit den USA
geschlossenen bilateralen Abkommen können nicht zur rechtlichen Legitimation
von völkerrechtswidrigen Akten dienen. Es gibt keine völkerrechtlichen
Beistandspflichten gegenüber einem Staat, der einen Aggressionskrieg
vorbereitet und durchführt. Entgegenstehende Absprachen sind wegen Verstoßes
gegen zwingende Normen des allgemeinen Völkerrechts wie dem Gewaltverbot
nichtig."
Im Folgenden dokumentieren wir die Strafanzeige im vollen Wortlaut und verweisen auf eine ähnliche
Anzeige aus den Reihen der Friedensbewegung vom Oktober vergangenen Jahres. Diese Anzeige ist damals vom Generalbundesanwalt nicht weiter verfolgt worden (vgl. den
abschlägigen Bescheid des Generalbundesanwalts).
***
Berlin, den 16.12.02
Strafanzeige gegen den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland Gerhard Schröder
Sehr geehrter Herr Generalbundesanwalt Nehm,
Namens und im Auftrag des Anzeigenden, Herrn Wolfgang Gehrcke,
Außenpolitischer Sprecher der PDS, erstatten wir
Strafanzeige
gegen den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland Gerhard Schröder und
stellen
Strafantrag
wegen aller in Betracht kommenden Straftatbestände, insbesondere wegen § 80
StGB i.V.m. Art. 26 GG im Hinblick auf die Einbeziehung deutschen
Hoheitsgebietes und die Beteiligung deutscher Soldaten an der Vorbereitung
eines Angriffskrieges.
Begründung:
I. Sachverhalt
a) Gewährung von Überflugs-, Bewegungs- und Transportrechten
Die Bundesregierung und namentlich der Bundeskanzler Gerhard Schröder hat
seit Sommer diesen Jahres wiederholt erklärt, Deutschland werde an einem
Militärschlag der USA gegen den Irak mit oder ohne Genehmigung des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen nicht teilnehmen. Vor den
Bundestagswahlen erklärte Kanzler Schröder:
"Für die SPD ist ganz klar: Wir werden keine außenpolitischen Abenteuer
mittragen. An einem möglichen Einsatz gegen den Irak werden wir uns nicht beteiligen.
Wir brauchen politische Lösungen für die ganze Region im Nahen Osten. Der Nahe Osten braucht einen neuen Frieden, keinen neuen Krieg." (September-Heft der SPD-Zeitschrift „Vorwärts")
In gleicher Weise äußerte er sich auf mehreren Wahlkampfveranstaltungen der
SPD zu den BT-Wahlen, so u.a. auf der zentralen Kundgebung in NRW in
Dortmund:
"Deutschland wird sich unter meiner Führung nicht an einem Krieg gegen den
Irak beteiligen, auch nicht mit einem Beschluß des VN-Sicherheitsrates."
In der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 29.10.2002 vor dem 15.
Deutschen Bundestag sagte Gerhard Schröder, es gelte nach wie vor,
"dass wir uns an einer militärischen Intervention im Irak nicht beteiligen
werden".
Bei seinem Besuch in Washington am 31.10.2002 rückte Außenminister Fischer
von dieser Position bereits dahingehend ab, daß er die aktive Beteiligung
der Bundesrepublik an einem Militärschlag gegen den Irak ausschloß, die
Frage nach einer passiven Teilnahme jedoch offenließ:
"Wir beteiligen uns nicht an einem Militärschlag, aktiv... Passive Teilnahme
gäbe es nicht. Auf die Diskussion über die Nutzung militärischer Infrastruktur in
Deutschland oder über die Überflugsrechte, die im Falle eines Irakkriegs für die
Amerikaner bestünden, will er sich nicht einlassen." (FAZ v. 01.11.02)
Auf dem NATO-Gipfel in Prag am 21. 11. 2002 relativierte Bundeskanzler
Gerhard Schröder seine zuvor kompromißlose Ablehnung jeglicher Beteiligung
an einem Militärschlag mit der Aussage:
"Die Bundesregierung werde selbstverständlich ihren Bündnisverpflichtungen
nachkommen. Dabei bleibe es aber bei der deutschen Haltung, sich an einer
möglichen Militäraktion gegen den Irak nicht zu beteiligen." (Website der
Bundesregierung vom 21.11.2002)
Mit Blick auf die mit den Bündnispartnern geregelten Überflugrechte sagte
Schröder,
"es sei selbstverständlich, dass die Bewegungsfreiheit unserer Freunde nicht
eingeschränkt würde." (Ebenda)
Laut Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. 11. 2002 ergänzte Schröder:
"das sehen schon die Verträge, die es dazu gibt, so vor und die gedenken wir
einzuhalten."
Am 27. 11. 2002 kündigte der Bundeskanzler zu einer Anfrage der Regierung
der USA auf einer Pressekonferenz an,
"Deutschland werde den Vereinigten Staaten und der NATO im Falle eines
militärischen Vorgehens gegen den Irak Überflug-, Bewegungs- und
Transportrechte gewähren." (Website der Bundesregierung vom 27.11.2002)
Die Bundesregierung beabsichtigt danach nunmehr, militärische Handlungen der
USA gegen den Irak von deutschem Territorium und unter Nutzung des deutschen
Luftraums durch Gewährung von Überflugs-, Bewegungs- und Transportrechten
für amerikanische Streitkräfte in Deutschland zu dulden und sich insofern an
einem Angriffskrieg zu beteiligen.
b) Beteiligung deutscher Soldaten an AWACS-Einsätzen
In der ARD-Sendung "Farbe bekennen" am 11.12.02 erklärte Bundeskanzler
Gerhard Schröder im Hinblick auf den Einsatz von AWACS-Flugzeugen ("Airborne
Warning and Control System"-Maschinen) bei einem Militärschlag gegen den
Irak:
"Die Bündnisverpflichtungen werden erfüllt (...) und das bedeutet auch, dass
zum Schutze des Bündnisgebietes (...) auch AWACS-Flugzeuge mit deutschen
Soldaten besetzt sein werden."
Die Bundesregierung beabsichtigt somit zu anderen auch eine unmittelbare
Beteiligung Deutschlands an dem geplanten Irak-Krieg in Form von Einsätzen
deutscher Soldaten an Bord von AWACS-Flugzeugen.
"Die AWACS-Maschinen aber sind fliegende Gefechtsstände. Hoch genug
aufgestiegen im Himmel über der Türkei, kann die NATO erstaunlich weit nach
Irak hineinschauen ... 500 Kilometer weit." (Frankfurter Rundschau vom
13.12.02)
Der Verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU Bundestagsfraktion
Christian Schmidt schlußfolgert daraus,
"dass eine AWACS-Beteiligung deutscher Soldaten mit einem Kampfeinsatz
gleichzusetzen ist." (Ebenda)
Diese Zusicherung des Bundeskanzlers, den USA für die Vorbereitung und
Durchführung eines Militärschlags gegen den Irak Überflugs-, Bewegungs- und
Transportrechte zu gewähren und sich darüber hinaus auch an Einsätzen von
AWACS-Flugzeugen mit deutscher Besetzung direkt zu beteiligen, ist ein Bruch
des Artikels 26 Abs. 1 GG durch mittelbare wie unmittelbare Beteiligung der
Bundesrepublik Deutschland an der Vorbereitung eines Angriffskrieges der USA
gegen den Irak und verstößt somit gegen § 80 StGB, der die Vorbereitung
eines Angriffskrieges unter Strafe stellt.
II. Tatbestand
1.) Artikel 25 und 26 GG
Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts werden durch Artikel 25 GG in die
deutsche Rechtsordnung transformiert. Er lautet:
"Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts.
Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für
die Bewohner des Bundesgebiets."
Die Streitfrage, welchen Rang sie dort einnehmen, ist in diesem Zusammenhang
nicht von Belang. Jedenfalls verpflichten die allgemeinen Regeln die
Bundesregierung unmittelbar und besitzen Verfassungsrang. Zu den allgemeinen
Regeln des Völkerrechts gehört das Verbot der Androhung und Anwendung von
Gewalt in den internationalen Beziehungen nach Art. 2 Ziffer 4 der Charta
der Vereinten Nationen und das darin eingeschlossene Aggressionsverbot.
Diese Verbote sind außer in der Charta auch gewohnheitsrechtlich verankert,
universal verbindlich und vom Charakter eines ius cogens.(Vgl. Herdegen in
Maunz/Dürig, GG Art. 25, Rdnr. 20 und 26) Ein Verstoß gegen das
völkerrechtliche Gewaltverbot beispielsweise in Form der Beteiligung an
einem Angriffskrieg stellt nicht nur eine schwere Verletzung einer
allgemeinen Regel des Völkerrechts dar, sondern ist somit auch
verfassungswidrig.
Eine gesonderte verfassungsrechtliche Absicherung im Hinblick auf das
Gewaltverbot erfolgte in Art. 26 GG "Verbot des Angriffskrieges". Absatz 1
lautet:
"Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das
friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung
eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter
Strafe zu stellen."
Damit wird eine verfassungsrechtliche Friedenspflicht aller Bundesorgane
statuiert. Es ist nicht nur die Vorbereitung eines Angriffskriegs
verfassungswidrig, sondern auch andere friedensstörende Handlungen.
Kernpunkt ist jedoch die Verfassungswidrigkeit von Handlungen zur
Vorbereitung eines Angriffskrieges.
Bei Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 9. Auflage 1999 Art.
26 Rdnr. 1 heißt es unter Berufung auf Maunz/Dührig, Art. 26 Rdnr. 1:
"Durch Art. 26 soll der Friedenswille des deutschen Volkes ‚und eine
verfassungsrechtliche Sicherung eines völkerrechtsfreundlichen (und zwar
eines völkerfriedensrechtsfreundlichen) Verhaltens der Bundesrepublik und
ihrer Organe’ verfassungsrechtlich garantiert werden".
Art. 26 ist unmittelbar geltendes Recht und verpflichtet die Bundesorgane
entsprechend. Damit unterfallen Vorbereitungshandlungen der
Verfassungswidrigkeit und Strafbarkeit.
2.) 2+4 Vertrag
Die Verfassungs- und Völkerrechtswidrigkeit der Zusicherungen des
Bundeskanzlers wird auch durch die spezielle Verpflichtung Deutschlands aus
Art. 2 des Vertrages über die abschließende Regelung in bezug auf
Deutschland vom 12. 9. 1990 (2+4-Vertrag) verdeutlicht, wonach die beiden
deutschen Regierungen ihre Erklärungen bekräftigen, "dass von deutschem
Boden nur Frieden ausgehen wird".
Die vom Bundeskanzler zugesicherte Bewegungsfreiheit der USA in Deutschland
für die Vorbereitung und Durchführung eines Angriffskriegs gegen den Irak
und die personelle Beteiligung an AWACS-Einsätzen bedeutet, dass von
deutschem Boden wieder Krieg ausgeht. Das ist eine schwere Verletzung des
2+4-Vertrages.
Seit Inkrafttreten des 2+4-Vertrages hat Deutschland nach Art. 7 „volle
Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten" und ist nicht
mehr den bis dahin bestehenden Resten des Besatzungsrechts unterworfen. Die
volle Souveränität Deutschlands schließt die vollständige und
uneingeschränkte Gebietshoheit ein. Aus der Gebietshoheit resultiert die
Lufthoheit und die Folge ist, „dass jede Benutzung des Luftraumes durch
andere Staaten grundsätzlich von der Zustimmung des Bodenstaates abhängig
ist" (Ignaz Seidl-Hohenveldern [Hrsg.], Lexikon des Rechts, Völkerrecht, S.
201). Es ist zu fordern, dass Deutschland von seiner vollen Souveränität in
einer dem Völkerrecht gemäßen Weise Gebrauch macht. In Art. 3 des Abkommens
vom 7. 12. 1944 über die Internationale Zivilluftfahrt wird festgestellt,
dass kein Militärluftfahrzeug eines Vertragspartners "das Gebiet eines
anderen Staates überfliegen oder dort landen [darf], ohne die Erlaubnis, die
es durch eine besondere Vereinbarung oder auf andere Weise erhalten hat, und
nur nach Maßgabe der darin festgelegten Bedingungen". Deutschland hat Kraft
des in der UNO-Charta und gewohnheitsrechtlich verankerten völkerrechtlichen
Prinzips der Souveränität das Recht und sogar die Pflicht, die Nutzung des
deutschen Territoriums, von Stützpunkten auf dem Landgebiet Deutschlands und
des Luftraums über Deutschland durch die Streitkräfte der USA für einen
Militärschlag gegen den Irak zu untersagen.
3.) § 80 StGB
Durch § 80 StGB wird dieser Verfassungsauftrag des Art. 26 Abs. 1 S. 2 GG im
wesentlichen strafrechtlich umgesetzt. Er lautet:
"Wer einen Angriffskrieg (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes), an dem die
Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr
eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit
lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft."
Die Zusicherung des Bundeskanzlers zur mittelbaren und unmittelbaren
Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an einem Militärschlag gegen den
Irak stellt eine solche Vorbereitungshandlung i. S. des § 80 StGB dar. Das
Verbot der Vorbereitung eines Angriffskriegs schließt selbstverständlich das
nicht ausdrücklich genannte Verbot des Angriffskriegs selbst ein. (So
Umbach/Clemens [Hrsg.], Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar und Handbuch Bd.
I, Heidelberg 2002, S. 1582 unter Berufung auf das argumentum a minore ad
majus)
a) Tathandlung
Vorbereiten eines Angriffskrieges
Zur Bestimmung des Begriffs des Angriffskrieges ist der Rückgriff auf das
Völkerrecht erforderlich. Danach führt ein Staat einen Angriffskrieg, wenn
er unter Verletzung des Gewaltverbots in Art. 2 Ziffer 4 der Charta der
Vereinten Nationen Waffengewalt gegen einen anderen Staat anwendet, ohne
dass dafür im Völkerrecht Rechtfertigungsgründe gegeben sind.
Art. 2 Ziffer 4 der Charta lautet:
"Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen
die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines
Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen
unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt."
Der Begriff des Angriffskrieges wird hier zwar nicht verwendet. Aus dem
Sachzusammenhang mit anderen Bestimmungen der Charta ergibt sich jedoch,
dass das Verbot des Angriffskrieges in das Gewaltverbot des Art. 2 Ziffer 4
eingeschlossen ist.
Zur näheren Bestimmung eines Angriffskrieges ist die Definition des Begriffs
Aggression durch die im Konsens angenommene Resolution der
Generalversammlung A/3314 (XXIX) vom 14. 12. 1974 (Europa-Archiv, Folge
12/1975, S. D 318) heranzuziehen. Nach Art. 2 ist es ein „Beweis des ersten
Anscheins für eine Angriffshandlung", wenn ein Staat als erster Waffengewalt
anwendet. Art. 3 zählt als Angriffshandlungen auf:
a) die Invasion durch die Streitkräfte eines Staates auf das Gebiet eines
anderen Staates,
b) die Beschießung oder Bombardierung des Hoheitsgebiets eines Staates durch
die
Streitkräfte eines anderen Staates oder die Anwendung von Waffen jeder Art
durch einen Staat gegen das Hoheitsgebiet eines anderen Staates und
c) der Angriff durch die Streitkräfte eines Staates gegen die Land-, See-
oder Luftstreitkräfte eines anderen Staates.
Der geplante Militärschlag der USA gegen den Irak stellt solche unter
Buchst. a) bis c) aufgeführte Angriffshandlungen dar. Eben diese Handlungen
drohen die USA dem Irak an. So hat die US-Administration mehrfach öffentlich
verlautbart, dass sie militärisch den Irak entwaffnen werde, wenn es der UNO
nicht gelingt.
US-Präsident Bush hat bei einem Treffen mit dem mexikanischen Präsidenten
Vicente Fox am 27.10.02 angekündigt:
"Wenn die Vereinten Nationen nicht handeln und wenn Saddam Hussein nicht abrüstet, werden wir eine Koalition anführen, die ihn entwaffnet."
Es ist auch das erklärte Ziel der US-Regierung Saddam Hussein und sein
Regime zu stürzen. Im Gegensatz dazu macht die französische
Verteidigungsministerin Michele Alliot-Marie deutlich:
"Aber es gehört nicht zu den Aufgaben der internationalen Gemeinschaft, ein
Regime zu stürzen. Es geht ausschließlich um die Beseitigung der
Massenvernichtungs- waffen, wenn es sie denn gibt. Das ist alles, Punkt –
auch wenn manche in Washington andere Ziele verfolgen mögen." (Spiegel
49/2002, S. 142)
Die dazu gegenwärtig laufenden Vorbereitungshandlungen der USA, welche
nachfolgend näher beschrieben werden (vgl. Abschnitte zu Bestimmtheit und b)
Taterfolg) verstoßen gegen das Verbot der Drohung mit Waffengewalt. Sie
gehören zur den Vorbereitungen eines Angriffskrieges, denn Vorbereitung ist
jede den geplanten Krieg fördernde Tätigkeit beliebiger, auch an sich
wertneutraler Art; auch mittelbare und Vorbereitung der Vorbereitung genügen
(vgl. Komm. StGB, Tröndle, zu § 80). Es spricht somit bereits der Beweis des
ersten Anscheins für die Vorbereitung eines Angriffskrieges seitens der USA
gegen den Irak, an der die Bundesrepublik Deutschland mittelbar durch die
verbindliche Zusicherung von Überflugs- Bewegungs- und Transportrechten für
amerikanische Streitkräfte sowie darüber hinaus auch unmittelbar durch
Teilnahme deutscher Soldaten an AWACS-Einsätzen beteiligt sein wird.
In Art. 5 der vorgen. Resolution der Generalversammlung heißt es weiter:
"Keine Überlegung irgendwelcher Art, ob politisch, wirtschaftlich,
militärisch oder sonst wie, kann als Rechtfertigung für eine Aggression
dienen."
Ein Militärschlag der USA gegen den Irak ist damit ein schwerer Verstoß
gegen das Verbot der Anwendung von Gewalt in den internationalen
Beziehungen. Er richtet sich gegen die territoriale Unversehrtheit und
politische Unabhängigkeit des Irak und ist auch im übrigen nicht mit den
Zielen der Vereinten Nationen vereinbar. Die Ziele der Vereinten Nationen
sind in Art. 1 der Charta festgeschrieben. In Ziffer 1 heißt es hierzu:
"den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem
Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu
verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu
unterdrücken und internationale Streitigkeiten und Situationen, die zu einem
Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen
der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen".
Ein Militärschlag der USA ist darüber hinaus auch eine "Angriffshandlung" im
Sinne von Art. 39, die den Sicherheitsrat zu Maßnahmen gegen die USA nach
Kapitel VII berechtigen würde, sowie ein "bewaffneter Angriff gegen ein
Mitglied der Vereinten Nationen" im Sinne von Art. 51 der Charta, der das
Selbstverteidigungsrecht des Irak auslöst. Die nicht identische Verwendung
der Begriffe Gewalt, Angriffshandlung und bewaffneter Angriff in der Charta
ist im vorliegenden Fall unerheblich, weil alle drei Begriffe auf einen
Militärschlag der USA zutreffen. In der Erklärung über die Prinzipien des
Völkerrechts vom 24. 10. 1970, Resolution der Generalversammlung 2625 (XXV)
und in der Erklärung über die Verstärkung der Wirksamkeit des Gewaltverbots
vom 18.11. 1987, Resolution 42/22, beide im Konsens angenommen, wird der
Inhalt des Gewaltverbots näher definiert. Nach der Prinzipienerklärung darf
eine Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung „niemals als Mittel zur Regelung
internationaler Probleme angewandt werden". Ferner heißt es: "Die Staaten
haben die Pflicht, von Vergeltungsmaßnahmen, die die Anwendung von Gewalt
einschließen, Abstand zu nehmen." (Vereinte Nationen 4/78, S. 138 ff.).
Hervorzuheben ist, dass bereits die Androhung von Gewalt verboten ist.
Seitens der USA gegen den Irak ist eine solche Androhung seit Längerem im
Gange (vgl. obige Ausführungen).
Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der Vorbereitung eines
Angriffskrieges
Im Hinblick auf den zu prüfenden Tatbeitrag des Bundeskanzlers Gerhard
Schröder bei der Vorbereitung eines Angriffskrieges gegen den Irak ist Art.
3 Buchst. f) der Aggressionsdefinition lt. Resolution der Generalversammlung
A/3314 (XXIX) vom 14.12.1974 heranzuziehen. Danach gilt als Angriffshandlung
auch
"die Handlung eines Staates, die in der Duldung besteht, dass sein
Hoheitsgebiet, das er einem anderen Staat zur Verfügung gestellt hat, von
diesem anderen Staat dazu benutzt wird, eine Angriffshandlung gegen einen
dritten Staat zu begehen".
"Völkerrechtswidrig handelt freilich nicht nur der Aggressor, sondern auch
derjenige Staat, der einem Aggressor hilft, etwa indem er auf seinem
Hoheitsgebiet dessen kriegsrelevante Aktionen duldet oder gar unterstützt."
(vgl. Dieter Deiseroth, Am Abgrund des Verfassungsbruchs, Frankfurter
Rundschau vom 11.09.02)
Das trifft auf den zu prüfenden Fall in vollem Umfang zu. Die Zusicherung
des Bundeskanzlers, den USA Überflugs-, Bewegungs- und Transportrechte für
den in Vorbereitung befindlichen Krieg gegen den Irak zu gewähren, ist eine
solche Handlung. Sie geht aufgrund der ausdrücklichen Einräumung dieser
Rechte sogar noch über eine bloße passive Duldung hinaus. Die Bundesrepublik
Deutschland ist damit durch die zur Verfügung Stellung ihres Hoheitsgebietes
für Überflugs-, Bewegungs- und Transportrechte amerikanischer Streitkräfte
im Falle eines Militärschlags gegen den Irak an der Vorbereitung eines
Angriffskrieges auf Seiten der kriegführenden Macht beteiligt.
Aus diesem Grund haben auch frühere Bundesregierungen derartige Rechte nicht
eingeräumt. So wurde beispielsweise im Jahre 1973 durch die SPD-Regierung
unter Willy Brandt untersagt, Israel über Bremerhaften mit US-Rüstungsgütern
zu versorgen und 1986 wurde der Überflug zum Angriff auf Lybien nicht
gestattet.
Aufgrund dieser Zusicherung wurde auch auf deutschem Territorium mit den
Vorbereitungshandlungen der US-Streitkräfte für einen Krieg gegen den Irak
begonnen. So sollen auf der US-Basis im bayerischen Grafenwöhr massiv
Soldaten verschiedener Spezialeinheiten zusammengezogen werden. Hierbei ist
von bis zu 3.400 Soldaten mit Familienangehörigen die Rede. Entsprechende
Berichte wurden von der Bundesregierung bestätigt. Daneben wird zu Beginn
des nächsten Jahres auf den rheinland-pfälzischen US-Luftwaffenstützpunkten
Ramstein und Spangdahlem mit dem Bau der größten Start- und Landebahnen in
Europa begonnen. Nach den Plänen der US-Army wird der Übungsplatz zusammen
mit Ramstein und Spangdahlem bei zukünftigen US-Militäreinsätzen vor allem
in der Golfregion und in Zentralasion, d.h. auch bei einem Krieg gegen den
Irak, eine neue und wesentlich größere Rolle spielen (vgl. JW vom 05.11.02)
Darüber hinaus berichtete die Bildzeitung in ihrer Ausgabe vom 16.10.02:
"Die USA haben vier Tarnkappenbomber vom Typ Night Hawk von New Mexico auf
den Stützpunkt Spangdahlem (Rheinland-Pfalz) verlegt. Derzeit werden nach
Air Force Angabe Starts und Landungen geübt. Die Bomber (Wert 100 Millionen
US-Dollar) hatten im Golfkrieg 1991 mit ihren lasergesteuerten Raketen 40%
aller Ziele im Irak getroffen."
Mit seiner Zusicherung, dass AWACS-Einsätze im Kriegsfall auch mit deutschen
Soldaten geflogen werden, wenn die NATO-Flugzeuge auf Anforderung der USA im
bevorstehenden Krieg gegen den Irak eingesetzt werden, geht Bundeskanzler
Schröder über die bisher mittelbar zugesagte Beteiligung deutlich hinaus.
Hierbei handelt es sich eindeutig um die Beteiligung an Militäraktionen
gegen den Irak. AWACS-Flugzeuge dienen gerade dazu, gegnerische Flugzeuge
oder Schiffe auch in weiter Entfernung zu erkennen und Gegenmaßnahmen zu
steuern. Hinzu kommt, dass zu jeder Flugzeugbesatzung auch mehrere
Jagdleitoffiziere gehörden, die Zielzuweisungen an eigene Jagdbomber
durchführen können. Im Zeitalter der sogenannten Hightech-Kriege handelt es
sich hierbei unzweideutig um eine aktive Beteiligung, so dass die
AWACS-Beteiligung deutscher Soldaten mit Kampfeinsätzen gleichzusetzen ist.
Bestimmtheit
Der von Seiten der USA gegen den Irak geplante Krieg ist in der Art seiner
Durchführung in den Grundzügen umrissen und der Zeitpunkt des Ausbruchs
absehbar. So haben die USA vor wenigen Tagen den Abschluss ihres
Truppenaufbaus bekannt gegeben. Es handelt sich hierbei um ein Kontingent
von 60.000 bis 70.000 Mann, welches in verschiedenen Regionen des Nahen
Ostens (z.B. Eritrea) rings um den Irak, in Äthiopien, Dschibuti, Katar u.
a. stationiert ist. In Kuwait allein sind bereits 12.000 GI stationiert, in
Saudi-Arabien 5.000 Soldaten, in Bahrain 4.200 und in Oman weitere 3.000.
20.000 Mann befinden sich auf See. Ebenfalls im Dezember d.J. wurde die 1,5
Milliarden US-Dollar teure Militärbasis im Scheichtum Katar fertiggestellt,
welche mit modernsten Kommando- und Kommunikationsmitteln ausgestattet ist
und auf welcher ebenfalls zwischenzeitlich weitere 3.000 ausländische
Militärs stationiert wurden. Seit dem 09.12.02 läuft überdies in der Region
des Persisch-Arabischen Golfs eine Stabsübung der US-Streitkräfte unter dem
Codenamen "Internal Look" ab, mit dem die Einsatzfähigkeit des neuen mobilen
US-Kommandozentrums im Emirat Katar mit Blick auf den bevorstehenden Angriff
auf den Irak getestet wird.
Der geplante Angriff selbst soll zunächst wochenlange massive Bombardements
beinhalten. Da davon ausgezugehen ist, dass sich die irakische Armee in den
Grossstädten verbarikadiert, Artillerie, Luftabwehr und Panzer in den
Wohnvierteln versteckt, ist allein für den Fall ausschließlicher
konventioneller Kriegsführung nach Expertenschätzungen mit ca. 250.000
zivilen Toten zu rechnen. Bagdad würde mit seinen 5 Millionen Einwohnern im
Straßenkampf erobert werden.
b) Taterfolg
Die Kriegsgefahr besteht bereits, denn es ist mit dem Ausbruch des Krieges
in kürzester Frist zu rechnen. Nach offiziellen Verlautbarungen,
Presseberichten und Expertenmeinungen wird mit einem Kriegsbeginn im Januar
2003 gerechnet. Durch die Nachrichtenagentur Reuters wurden 18
Militärexperten an renommierten Instituten in Europa, den USA, im Nahen
Osten und in Asien befragt. Die Mehrzahl geht davon aus, dass ein Krieg
gegen den Irak wahrscheinlich oder sehr wahrscheinlich ist und im Januar
bzw. Februar nächsten Jahres beginnen wird (vgl. Neues Deutschland vom
11.12.02, S. 1).
Diese Kriegsgefahr erstreckt sich auch auf die Bundesrepublik Deutschland,
welche durch die Zusicherung des Bundeskanzlers ihr Hoheitsgebiet für Rechte
amerikanischer Streitkräfte zur Verfügung stellt und somit mittelbar zu den
kriegsführenden Ländern gehört.
Neben dieser unmittelbaren Gefahr aufgrund eigener konkreter Beteiligung
ergeben sich diverse weitergehende Kriegsgefahren, von denen auch
Deutschland tangiert wird. So besteht die reale Gefahr, dass die israelische
Armee in den Krieg hineingezogen wird bzw. selbst eingreift, wie bereits im
Golfkrieg geschehen. Entsprechende Anforderungen der israelischen Regierung
zur Lieferung von unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallendem Gerät an
Deutschland wurden bereits gestellt. Damit wäre die große Gefahr einer
flächenhaften Ausbreitung des Kriegsgeschehens im gesamten Nahen Osten mit
unabsehbaren Folgen auch für die Bundesrepublik Deutschland verbunden.
Hinzukommt die Gefahr des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen. So wird
der Einsatz sogenannter taktischer nuklearer Waffen von Seiten der USA nach
Expertenmeinung nicht ausgeschlossen. Dies bedeutet eine ernsthafte Gefahr
für den gesamten Weltfrieden.
c) Täter
Der Bundeskanzler kommt als Täter für die Vorbereitung eines Angriffskrieges
in Betracht, da er gemäß Art. 65 GG die Richtlinien der Politik, damit auch
der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, bestimmt und hierfür die
Verantwortung trägt. Aufgrund seiner Zusicherung erteilt der Bundesminister
für Verteidigung Peter Struck die erforderlichen Befehle an die deutschen
Streitkräfte zur Gewährleistung der eingeräumten Überflugs-, Bewegungs- und
Transportrechte sowie zur Beteiligung deutscher Soldaten an AWACS-Einsätzen.
d) Vorsatz
Die Zusicherungen des Bundeskanzlers, Überflugs- Bewegungs- und
Transportrechte zu gewähren und darüber hinaus auch die deutsche Besetzung
von AWACS-Flugzeugen bei Einsätzen im bevorstehenden Krieg gegen den Irak
beizubehalten, sind Handlungen, die sowohl geeignet ist als auch mit der
Absicht vorgenommen wurden, die Führung eines Angriffskriegs vorzubereiten
und damit das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören. In diesem
Zusammenhang erinnert Hartwig (in Umbach/Clemens, a.a.O., S. 1584 f.) an die
Ablehnung von Ermittlungen auf zahlreiche Anzeigen wegen Vorbereitung eines
Angriffskriegs nach §§ 80 und 80a StGB durch den Generalbundesanwalt wegen
der Beteiligung Deutschlands am NATO-Krieg gegen Jugoslawien, „weil
Anhaltspunkte für eine Straftat fehlten".
"Er [der Generalbundesanwalt] hat dabei festgestellt, dass der Begriff des
Angriffskrieges im Zusammenhang mit Friedensstörung ausgelegt werden müsse;
als Angriffskrieg können nur solche Handlungen verstanden werden, welche
geeignet seien und in der Absicht begangen würden, das friedliche
Zusammenleben der Völker zu stören. Bei dem Militäreinsatz der NATO sei es
aber nicht um eine Friedensstörung gegangen, sondern im Gegenteil habe einer
durch die jugoslawische Staatsführung verursachten Friedensstörung ein Ende
gesetzt werden sollen; damit habe der Frieden wieder hergestellt werden
sollen. Diese Argumentation erweist sich allerdings insofern als
problematisch, als noch hinter jedem Krieg die Absicht steht, den Frieden
wieder herzustellen; würde ein Friedenswille in diesem Sinn den Tatbestand
des Krieges ausschließen, ließe sich ein Angriffskrieg schlechthin nicht
mehr definieren."
Ein amerikanischer Militärschlag ist – wie oben ausgeführt – ein durch
nichts gerechtfertigter völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Ein
Angriffskrieg ist eo ipso "geeignet", „das friedliche Zusammenleben der
Völker zu stören". Seine im Gang befindliche Vorbereitung und die mittelbare
Teilnahme Deutschlands daran dient nicht der Beseitigung einer
Friedensstörung durch den Irak sondern ist geeignet, das friedliche
Zusammenleben der Völker im Nahen Osten und darüber hinaus empfindlich und
mit unabsehbaren Folgen zu stören. Auch hat der Irak zu keinem Zeitpunkt
gedroht, die USA oder ihre Verbündeten anzugreifen. Das Regime in Bagdad hat
lediglich auf sein Recht auf Selbstverteidigung gem. Art. 51 der Charta der
Vereinten Nationen für den Fall eines Angriffs hingewiesen.
Die Zusicherungen des Bundeskanzlers sind absichtsvolle Handlungen, deren
friedensstörende und einen Angriffskrieg vorbereitende Wirkung dem
Handelnden klar sein musste. Die Absicht ist aus den Umständen zu folgern,
nicht aus den öffentlichen Erklärungen des Handelnden. Hertwig (a.a.O. S.
1587) bemerkt zutreffend:
"Allerdings kann durch dieses subjektive Tatbestandsmerkmal die
Anwendbarkeit von Art. 26 I sehr eingeschränkt werden, wenn nämlich Absicht
dahin verstanden wird, dass eine Handlung primär auf eine Friedensstörung
gerichtet ist. Denn eine solche Zielrichtung des eigenen Verhaltens wird
regelmäßig von keinem Staatsorgan und keiner Privatperson eingeräumt. Von
einer Absicht des Handelnden ist unabhängig von dessen Bekundungen
regelmäßig auszugehen, wenn die fragliche Handlung offensichtlich zu einer
Friedensstörung führen und die Person, die sie ausführt, sich daher dessen
bewusst sein muß."
Ein vorhandenes Bewußtsein über die Rechtswidrigkeit des sich in
Vorbereitung befindlichen Angriffskrieges und damit eine verbundene Absicht
ergibt sich auch aus verschiedenen Äußerungen des Bundeskanzlers. So stellte
Gerhard Schröder noch am 15.03.2002 klar, dass sich Deutschland ohne
Zustimmung des UN-Sicherheitsrates auf keinen Fall an einem Militärschlag
der USA gegen den Irak beteiligen werden. In dieser relativierenden Äußerung
kommt das Wissen über die fehlende rechtliche Legitimation eines solchen
Krieges zum Ausdruck. Aus diesem Grunde lehnt nunmehr auch Bündnis 90/Die
Grünen die von dem Bundeskanzler eingeräumten Überflugsrechte u.a.
logistische Beteiligung sowie AWACS-Einsätze unter deutscher Beteiligung für
den Fall ab, dass der geplante und vorbereitete präventive Angriffskrieg der
USA gegen den Irak ohne entsprechenden Mandat der UNO geführt wird. Angelika
Beer, die neu gewählte Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen weist in
diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin:
"Das Grundgesetz steht vor der Bündnisverpflichtung."
Es kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben, ob eine UNO-Mandatierung die
notwendige völkerrechtliche Legitimation herbeiführen würde, da eine solche
Resolution bislang nicht vorliegt und derzeit auch nicht absehbar ist,
dennoch jedoch die Vorbereitungen für einen Militärschlag gegen den Irak in
vollem Gange und zum großen Teil bereits abgeschlossen sind. Überdies hat
Bundeskanzler Schröder seine Zusicherung der Überflugs-, Bewegungs- und
Transportrechte sowie der deutschen Beteiligung an AWACS-Einsätzen nicht von
einer UNO-Mandatierung abhängig gemacht.
3. Rechtfertigungsgründe
Es bestehen keine völkerrechtlichen Rechtfertigungsgründe für einen
Militärschlag der USA gegen den Irak, die eine Ausnahme vom Gewaltverbot
begründen könnten. Ein Militärschlag der USA ist weder vom Recht auf
Selbstverteidigung umfaßt noch stellt er einen Anwendungsfall von Kapitel
VII der Charta der Vereinten Nationen dar. Es gibt auch keine
Bündnisverpflichtung zur Duldung von völkerrechtswidrigen Aktionen des
Bündnispartners von deutschem Territorium aus bzw. sogar zur aktiven
Beteiligung an Militäreinsätzen. Entgegen stehende Absprachen sind
völkerrechtswidrig.
a) Völkerrechtliche Rechtfertigungsgründe
Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung
Art. 51 der Charta bestätigt das Recht jedes Staates auf individuelle oder
kollektive Selbstverteidigung "im Falle eines bewaffneten Angriffs" gegen
ihn. Ein bewaffneter Angriff des Irak gegen die USA oder einen anderen Staat
steht offensichtlich nicht bevor. Der Irak hat zu keinem Zeitpunkt damit
gedroht, die USA oder ihre Verbündeten anzugreifen. Ein Militärschlag kann
also mit dem Recht auf Selbstverteidigung nicht gerechtfertigt oder
entschuldigt werden (Vgl. dazu Dieter Deiseroth, Am Abgrund des
Verfassungsbruchs, Frankfurter Rundschau vom 9. 11. 2002 unter III.). Die
US-Regierung kann sich somit nicht auf Artikel 51 der UN-Charta berufen.
Auch Berufungen auf „präventive Selbstverteidigung" ,"humanitäre
Intervention", "Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrats", "Nothilfe für
Minderheiten", „Kampf gegen den Terrorismus", "Besitz von
Massenvernichtungswaffen", "menschenfeindliches Regime" laufen ins Leere.
Sie bieten keinen juristischen Rechtfertigungsgrund für Militärschläge gegen
einen Staat, sondern sind völkerrechtlich unzulässig. Zudem treffen die
diesen Berufungen zugrunde liegenden Sachverhalte mit Ausnahme der derzeit
durch die UNO vorgenommenen Prüfung eines etwaigen Besitzes von
Massenvernichtungswaffen für den Irak nach dem derzeitigen Erkenntnisstand
nicht zu. So ist kein Grund für eine „präventive Selbstverteidigung"
ersichtlich. Ein Angriff des Irak auf die USA oder einen anderen Staat - ob
mit irakischen Massenvernichtungswaffen oder durch irakisch gesteuerte Akte
des internationalen Terrorismus - steht offensichtlich nicht bevor.
Selbst wenn im Wege einer weitergehenden Auslegung des Art. 51 der Charta
der VN ein Recht auf präventive Selbstverteidigung mitunter bejaht wird, so
beispielsweise von der US-Regierung (Im September d.J. wurde durch die
Bush-Administration eine Sicherheitsdoktrin vorgestellt, mit der die
Strategien der "Eindämmung" und "Abschreckung" durch das Konzept
"Präventivschlag" abgelöst wurden.), sind im vorliegenden Fall die dafür
notwendigen Voraussetzungen nicht Ansatz weise gegeben. Dr. Dieter
Deiseroth, Mitglied des wissenschaftlichen Beirates bei der IALANA und
Richter am Bundesverwaltungsgericht führt hierzu zutreffend in einem Beitrag
für die Frankfurter Rundschau vom 11.09.2002 unter der Überschrift "Am Rande
des Verfassungsbruchs" aus:
"Selbst diejenigen Völkerrechtler, die im Wege einer ausdehnenden
Interpretation ein Recht auf präventive Selbstverteidigung aus Artikel 51
der UN-Charta ableiten, begrenzen dies freilich auf den Fall, dass eine
‚eindeutige und gegenwärtige gravierende Gefahr‘ bestehen muss und dass in
dieser Zwangslage keine anderen Mittel zur Abwehr der akuten Gefahr zur
Verfügung stehen. Davon kann indes gegenwärtig im Konflikt zwischen der
US-Regierung und dem Saddam Hussein-Regime keine Rede sein...Würde man...ein
Recht auf präventive Selbstverteidigung anerkennen, würde es damit letztlich
dem einzelnen Staat überlassen, nach seinem Gutdünken über einen drohenden
Angriff zu entscheiden."
Dieser Position schließt sich die Mehrzahl der deutschen Völkerrechtler an,
"denn das wäre ein Einfallstor zur einseitigen Gewaltanwendung" (vgl.
Andreas Paulus, zitiert in Berliner Zeitung vom 11.12.02, S. 7), so u. a. Andreas Paulus und Prof. Jochen Frowein.
Das Mißtrauen der internationalen Gemeinschaft gegenüber dem politischen
System im Irak ist begründet aber kein Kriegsgrund. Der Irak hat bisher alle
Auflagen der Resolution 1441 des Weltsicherheitsrates erfüllt. Weder bedroht
er andere Staaten mit einem Angriff, noch haben die Waffeninspekteure bisher
den Besitz von verbotenen Waffensystemen ermittelt noch liegt ein Nachweis
über Verbindungen zu terroristischen Netzwerken vor. Der Generalsekreträr
der VN Kofi Annan hat am 12.12.02 nocheinmal darauf hingewiesen, dass wenn
der Irak seine Verpflichtungen gegenüber den VN einhält, kein Grund mehr für
eine Militäraktion besteht:
„Noch gibt es Hoffnungen auf eine friedliche Lösung, falls der Irak
vollständig seinen Verpflichtungen gemäß den Resolutionen des
Sicherheitsrates nachkommt." (Kofi Annan, Generalsekretär der VN, FAZ
12.12.2002)
Maßnahmen nach Kapitel VII der UNO Charta
Der Sicherheitsrat hat die Befugnis, durch Beschluss nach Kapitel VII der
Charta unter bestimmten Bedingungen militärische Sanktionsmaßnahmen gegen
einen Staat zu verhängen. Ein solcher Beschluss liegt jedoch in Bezug auf
den Irak nicht vor. Bisherige Resolutionen des Sicherheitsrates zum Irak,
zuletzt die Resolution 1441 über die Waffeninspektionen, enthalten kein
Mandat zu Militärschlägen gegen den Irak. Zwar droht diese Resolution für
den Fall, dass sich der Irak weitere erhebliche Verletzungen der Abrüstungs-
und Kontrollverpflichtungen zu Schulden kommen läßt, ernsthafte Konsequenzen
an. Doch worin diese Konsequenzen bestehen sollen und wie diese anzuordnen
sind, bleibt offen. Es heißt nur weiter, dass der Sicherheitsrat dann zur
Beratung zusammen trete. Militärische Maßnahmen wurden mit dieser Resolution
weder beschlossen noch in Aussicht gestellt. Somit entfällt als
Rechtfertigungsgrund auch die Berufung auf einen Beschluss des
Sicherheitsrates.
Diese Position bezieht auch die französische Verteidigungsministerin Michele
Alliot-Marie, wenn sie zu dem Schluß kommt, dass die Resolution des
VN-Sicherheitsrates 1441 keine Grundlage für ein militärisches Vorgehen
gegen den Irak bietet:
"Es gibt keine Kriegsautomatik." (Spiegel 49/2002, S. 142)
Anders sieht das offensichtlich die deutsche Bundesregierung, deren
Verantwortung als nichtständiges Mitglied im Weltsicherheitsrat ab Januar
2002 bedeutetend höher als heute bereits einzustufen ist, die weitere
Schritte gegen den Irak bereits auf der Grundlage der VN-Resolution 1441 für
möglich hält.
Fraglich ist, ob eine mögliche neue Resolution des Sicherheitsrates, die die
Mandatierung eines Militärschlags gegen den Irak beinhaltet, mit den
Bestimmungen der Charta vereinbar ist oder nicht lediglich eine Bemäntelung
einer Aggression der USA wäre. Der Sicherheitsrat hat bei seinen Beschlüssen
großen politischen Handlungsspielraum. Er ist jedoch an die Charta gebunden.
Ein formal ordnungsgemäßes Zustandekommen eines Beschlusses des Rats - d.
h. ohne Veto und mit mindestens neun Ja-Stimmen - garantiert noch nicht
automatisch dessen völkerrechtliche Unantastbarkeit, sondern kann auch
bestimmten politischen Kräftekonstellationen und Interessen geschuldet sein,
die mit den Zielen der Charta nicht ohne weiteres konform gehen. Der Rat
muss nämlich der friedlichen Streitbeilegung nach Kapitel VI der Charta und
nichtmilitärischen Maßnahmen nach Art. 41 den Vorrang geben. Selbst wenn die
Inspektoren ein Versäumnis des Irak bei der Durchführung der Resolution 1441
melden würden, würde die Genehmigung eines Militärschlags als Antwort dem
Prinzip der Verhältnismäßigkeit widersprechen. Hinzu kommt, dass die Praxis
unspezifizierter und inhaltlich unbegrenzter Mandatierung von Staaten zu
Militärschlägen durch den Sicherheitsrat der Eigenverantwortung des
Sicherheitsrates widerspricht und eine chartawidrige Selbstentmannung des
Sicherheitsrates sowie eine Preisgabe seiner in Art. 21 der Charta
festgelegten „Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der
internationalen Sicherheit" bedeutet.
b) Völkerrechtliche Bündnisverpflichtungen
Es liegen keine Rechtfertigungsgründe aus völkerrechtlichen
Bündnisverpflichtungen weder für die mittelbare und schon gar nicht für die
aktive Teilnahme Deutschlands am Krieg der USA gegen den Irak vor. Die
Zusicherungen des Bundeskanzlers, deutsches Territorium für diesen Krieg und
seine Vorbereitung zur Verfügung zu stellen und deutsche Beteiligung an
AWACS-Einsätzen sicher zu stellen, kann sich weder auf den NATO-Vertrag,
noch auf das Nato-Truppenstatut und das Zusatzabkommen, noch auf bilaterale
Verträge mit den USA stützen.
NATO-Vertrag
Der NATO-Vertrag vom 4. 4. 1949 liefert keine Begründung dafür, dass
Deutschland zur Zusicherung des Bundeskanzlers verpflichtet sein könnte. Ein
Militärschlag der USA gegen den Irak ist ein Bruch des NATO-Vertrags und
könnte daher Bündnispflichten nicht auslösen. Der Vertrag enthält in Art. 1
die Verpflichtung der NATO-Mitglieder,
"in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen jeden
internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege
so zu regeln, dass der internationale Friede, die Sicherheit und die
Gerechtigkeit nicht gefährdet werden, und sich in ihren internationalen
Beziehungen jeder Gewaltandrohung und Gewaltanwendung zu enthalten, die mit
den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar ist."
Die Anwendung von Waffengewalt ist nach Art. 5 nur zum Zweck der kollektiven
Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff möglich. Nur „im Falle
eines solchen bewaffneten Angriffs" besteht eine Pflicht, dem Angegriffenen
Beistand zu leisten, wobei jeder Staat selbst über die Art dieses Beistands
entscheidet. Ein solcher Fall der Selbstverteidigung ist - wie bereits
ausgeführt - nicht gegeben. Die in Art. 3 des NATO-Vertrags festgelegte
"gegenseitige Unterstützung" bezieht sich auf die Erhaltung und
Fortentwicklung "der gemeinsamen Widerstandskraft gegen bewaffnete
Angriffe", nicht auf völkerrechtswidrige Militärschläge.
Der Völkerrechtler Andreas Paulus verweist in diesem Zusammenhang darauf:
"Auch die NATO ist an das völkerechtliche Gewaltverbot gebunden." (vgl.
Berliner Zeitung vom 11.12.02, S. 7)
Gewalt ist demzufolge nur als Selbstverteidigung zulässig. Da ein Angriff
des Irak gegen die USA nicht vorliegt und auch nicht unmittelbar zu
befürchten ist, kommt ein Rückgriff auf das Selbstverteidigungsrecht nicht
in Betracht (vgl. ebenda).
Im Übrigen soll der angekündigte Militärschlag gar nicht von der NATO, nach
deren Regeln und unter deren Oberkommando, sondern von einer ad hoc
geschaffenen Koalition nach den Regeln und unter dem Oberkommando der USA
durchgeführt werden. Die USA wollen sich offenbar nicht durch notwendige
Abstimmungen innerhalb der NATO die Hände binden lassen. Es ist nicht
nachvollziehbar, dass der NATO-Vertrag Deutschland zur Duldung der
"Bewegungsfreiheit" der US-Streitkräfte auf deutschem Territorium für
Aktionen verpflichten soll, die keinen Anwendungsfall von Art. 5 des
NATO-Vertrages darstellen und sich nicht im Rahmen der NATO vollziehen.
NATO-Truppenstatut und Zusatzabkommen
Schon aus dem letztgenannten Grund ist das NATO-Truppenstatut vom 19. 6.
1951 und das Zusatzabkommen vom 3. 8. 1959 in der Fassung vom 18. 3. 1993
für Aktionen der US-Streitkräfte in Deutschland zur Vorbereitung und
Durchführung eines Militärschlags gegen den Irak nicht maßgeblich. Es
handelt sich nicht um voraussetzungslose Vereinbarungen, sondern um
Folgeabkommen zum NATO-Vertrag. Sie regeln die Rechte und Pflichten der
US-Streitkräfte im Rahmen des NATO-Vertrags, nicht aber Aktivitäten
außerhalb dieses Rahmens. Sie beschneiden in keiner Weise das Recht der
Bundesregierung, die Nutzung deutschen Territoriums für einen Militärschlag
der USA zu untersagen. Die Stationierungs- abkommen dienen nicht der
Absicherung militärischer Schläge der USA gegen andere Staaten sondern der
Verteidigung der NATO-Mitglieder gegen einen bewaffneten Angriff. Eine mit
diesem Stationierungszweck nicht übereinstimmende Verwendung der
Streitkräfte der USA kann Kraft der Souveränität Deutschlands verweigert und
muss verweigert werden, wenn dies völkerrechtlich und verfassungsrechtlich
geboten ist. Die Verwendung deutschen Territoriums durch die USA verbleibt
in der Entscheidungskompetenz Deutschlands.
Im Truppenstatut werden Fragen der Rechtsstellung der Truppen eines
NATO-Staates und ihres zivilen Gefolges beim Aufenthalt in einem anderen
NATO-Staat detailliert geregelt. Das betrifft Ein- und Ausreise,
Gerichtsbarkeit, Steuern, Zölle, Übungen und Manöver usw. Das Zusatzabkommen
enthält spezielle Regelungen für den Aufenthalt von NATO-Truppen in
Deutschland. Diese Vereinbarungen beschränken das Recht Deutschlands nicht,
über die Nutzung des deutschen Territoriums durch fremde Streitkräfte zu
militärischen Aktionen in dritten oder gegen dritte Staaten zu entscheiden.
Sie gewähren keine "Bewegungsmöglichkeiten unserer Freunde in Deutschland",
die man nicht einschränken wolle, weil man Verträge einhalten müsse, wie
Bundeskanzler Schröder behauptet.
Das Zusatzabkommen wurde nach der Herstellung der staatlichen Einheit
Deutschland sowie in Anbetracht der Bestimmungen des Einigungsvertrags vom
31.8. 1990 und des 2+4-Vertrags überprüft und 1993 geändert. Die
Bundesregierung betonte in ihrer Denkschrift zu dieser Vertragsänderung als
"grundlegende Verbesserung" die nunmehrige "Zustimmungsbedürftigkeit aller
Land- und Luftübungen der Entsendestaaaten außerhalb der Liegenschaften, die
ihren Streitkräften zur ausschließlichen Benutzung überlassen sind"
(Deutscher Bundestag, Drucksache 12/6477, S. 59). Zur Neufassung des Art. 45
des Zusatzabkommens wird festgestellt, dass es
"künftig von der Zustimmung deutscher Behörden ab[hängt], unter welchen
Bedingungen ein Entsendestaat Manöver oder andere Übungen außerhalb der ihm
zur ausschließlichen Nutzung überlassenen Liegenschaften durchführen darf".
Gleiches gilt nach der Neufassung von Art. 46 für Übungen und Manöver im
Luftraum. Sie unterliegen der Zustimmung deutscher militärischer Behörden.
(Ebenda, S. 66) Wenn schon Manöver und Übungen zustimmungspflichtig sind,
dann umso mehr Truppenbewegungen zur Vorbereitung und Durchführung eines
Militärschlags. Eine Zustimmung kann dann aber auch Kraft der Souveränität
Deutschlands verweigert und muss verweigert werden, wenn dies
völkerrechtlich und verfassungsrechtlich geboten ist.
Als "grundlegende Verbesserung" wird in der Denkschrift ferner die
"grundsätzliche Geltung des deutschen Rechts " auch auf den Liegenschaften
der Entsendestaaten herausgestellt (Ebenda, S.59). Zur Achtung des Rechts
des Aufenthaltsstaates durch eine Stationierungstruppe verpflichtet bereits
generell Art. II des Truppenstatuts. In dem insoweit weiter geltenden Art.
53 des Zusatzabkommens wird bestimmt, dass eine Stationierungstruppe
innerhalb der zur ausschließlichen Nutzung überlassenen Liegenschaften und
im Luftraum darüber „die zur befriedigenden Erfüllung ihrer
Verteidigungspflichten erforderlichen Maßnahmen treffen" kann. In den
Liegenschaften sind also nur Maßnahmen erlaubt, die der Verteidigung dienen.
Das Änderungsabkommen zum Zusatzabkommen bestimmt: „Für die Benutzung
solcher Liegenschaften gilt das deutsche Recht...". Sodann werden Ausnahmen
festgelegt, die im gegebenen Fall nicht zutreffen. Zu den wesentlichsten
Bestimmungen des deutschen Rechts, die auch in den Liegenschaften der USA
gelten müssen, gehören die Verfassungswidrigkeit der Vorbereitung eines
Angriffskriegs nach Art. 26 GG und die Strafbarkeit nach § 80 StGB. Daraus
ist ein Verbot der Nutzung von Liegenschaften der USA für die Vorbereitung
und Durchführung eines völkerrechtswidrigen Militärschlags gegen den Irak
abzuleiten.
Im geänderten Art. 57 des Zusatzabkommens werden den Stationierungstruppen
Rechte zur „Einreise mit Land-, Wasser- und Luftfahrzeugen in die
Bundesrepublik und zur Bewegung im Bundesgebiet" nur "vorbehaltlich der
Genehmigung der Bundesregierung" zugestanden. Es heißt dann weiter:
"Transporte und andere Bewegungen im Rahmen deutscher Rechtsvorschriften
einschließlich dieses Abkommens und anderer internationalen Übereinkünfte
... gelten als genehmigt".
Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass auch Aktionen zur Vorbereitung
eines Militärschlags gegen den Irak keiner speziellen Genehmigung bedürfen,
sondern pauschal als genehmigt gelten. Es kann sich bei den als genehmigt
geltenden Bewegungen nur um landläufige Routine-Vorgänge von den im Rahmen
der NATO stationierten US-Truppenteilen handeln, nicht aber um so
schwerwiegende Aktionen, wie die Vorbereitung und Durchführung von
Militärschlägen gegen andere Staaten. Das zeigt auch die Denkschrift der
Bundesregierung, in der es zu Art. 57 heißt:
"Neu eingefügt worden ist der Vorbehalt der Genehmigung der Bundesregierung.
Das Erfordernis der Genehmigung beim Überschreiten der nationalen Grenzen
ist international üblich. Um nicht jede einzelne Bewegung eines Angehörigen
der Streitkräfte einer deutschen Genehmigung zu unterwerfen, ist in Absatz 1
Buchstabe a Satz 1 zweiter Halbsatz eine Genehmigungsfiktion aufgenommen
worden." (Ebenda, S. 73)
Eine solche Position wird auch durch Dr. Dieter Deiseroth vertreten, wenn er
schreibt:
"Wollen dagegen anderweitig in den USA stationierte US-Truppenteile mit
Luftfahrzeugen etwa auf ihrem Weg in den Nahen Osten (Irak pp) in
Deutschland lediglich den deutschen Luftraum benutzen oder zwischenlanden um
... und anschließend – ohne ‚NATO-Auftrag‘ – in ein Kriegsgebiet außerhalb
des ‚NATO-Gebietes‘ weiterfliegen, bleibt es bei der grundsätzlichen
Genehmigungsbedürftigkeit nach allgemeinem Völkerrecht und Art. 57, Abs. 1,
Halbsatz 2 ZA-NTS 1994."
Das Truppenstatut und das Zusatzabkommen können also nicht zur Begründung
einer Bündnispflicht Deutschlands herangezogen werden, die Nutzung des
deutschen Bodens und Luftraums und der Militärstützpunkte der USA in Deutschland zur Vorbereitung
und Durchführung eines Militärschlags gegen den Irak zu dulden. Diese
Verträge beschneiden das Recht der Bundesregierung nicht, die Nutzung seiner
Häfen und Flugplätze, seines Luftraums und der den USA zur Verfügung
gestellten Militärstützpunkte für einen Militärschlag der USA gegen den Irak
zu untersagen. Die Verwendung deutschen Territoriums durch die USA verbleibt
in der Entscheidungskompetenz Deutschlands.
Auf eine Besonderheit ist in diesem Zusammenhang hinzuweisen, zumal die
Bundesregierung dies bisher unterlassen hat: Nach Art. 5 Abs. 3 des
2+4-Vertrags dürfen ausländische Streitkräfte nicht im Gebiet der ehemaligen
DDR und Berlins stationiert oder dorthin verlegt werden. Nach Art. 11 und
Anlage 1 des Einigungsvertrages gelten das NATO-Truppenstatut und die
Zusatzvereinbarungen im "Beitrittsgebiet" nicht.
Bilaterale Verträge
Auch die zwei einschlägigen bilateralen Verträge zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und den USA, nämlich das Abkommen vom 30. Juni 1955 über
gegenseitige Verteidigungshilfe und das Abkommen vom 15. 4. 1982 über
Unterstützung durch den Aufnahmestaat in Krise oder Krieg können
Bündnisverpflichtungen im gegebenen Fall nicht auslösen. Beide Abkommen
beziehen sich auf den NATO-Vertrag und damit nur auf einen möglichen
Verteidigungsfall.
Im Abkommen vom 30.06.1955 über gegenseitige Verteidigungshilfe ergibt sich
dies schon aus der Präambel. Hier ist von der Erhaltung und Fortentwicklung
der "gemeinsamen Widerstandskraft gegen bewaffnete Angriffe" die Rede.
Ebenso aus Art. II, in dem auf Hilfe Bezug genommen wird, die die
Bundesregierung "gegebenenfalls genehmigt".
Einer genaueren Betrachtung muss das letztere Abkommen unterzogen werden. In
Art. 1 heißt es:
"Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika beabsichtigt, im Falle
einer Krise oder eines Krieges im Einvernehmen mit der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland ihre in der Bundesrepublik stationierten vier
Divisionen und dazugehörigen fliegenden Staffeln innerhalb von 10 Tagen um
sechs weitere gepanzerte, mechanisierte und Infanteriedivisionen und
dazugehörige fliegende Staffeln zu verstärken, um in der Bundesrepublik
Deutschland nach Möglichkeit bei Beginn oder erwartetem Beginn der
Kampfhandlungen zehn Divisionen und dazugehörige fliegende Staffeln für eine
erfolgreiche Vorneverteidigung bereitzustellen. Für Zwecke dieses Abkommens
stellen die Vertragsparteien gemeinsam fest, wann eine Krise oder ein Krieg
besteht. Die Bereitstellung derartiger Kräfte ist Gegenstand von
Konsultationen zwischen den Vertragsparteien und der NATO, die gemäß Art. 3
und 5 des Nordatlantikvertrags vom 4. April 1949 geführt werden."
In Art. 2 werden Art und Umfang der deutschen Unterstützung detailliert
geregelt.
So dubios das Abkommen für einen souveränen Staat auch sein mag: Es soll
erstens – wie es in der Präambel heißt – der Stärkung der
"Verteidigungsfähigkeit des Nordatlantischen Bündnisses". dienen. Das zeigt
der Verweis auf die Artikel 3 und 5 des NATO-Vertrages und auf das Ziel
erfolgreicher „Vorneverteidigung". Ein Militärschlag der USA wäre – wie
ausgeführt – kein Verteidigungsfall, auch kein Fall von „Vorneverteidigung".
Zweitens enthält das Abkommen keinen Automatismus dergestalt, dass die
Aufstockung der US-Streitkräfte im Einzelfall keiner deutschen Genehmigung
bedürfte. Es heißt, dass die Verstärkung der Präsenz der US-Streitkräfte "im
Einvernehmen mit der Bundesrepublik Deutschland" erfolgt. Die
Bundesregierung kann die Genehmigung auch verweigern bzw. die Aufstockung
untersagen. Drittens gilt auch hier der Einwand, dass es sich um ein
Folgeabkommen zum NATO-Vertrag handelt, das für Aktionen außerhalb des
NATO-Vertrages nicht anwendbar ist. Und viertens ist daran zu erinnern, dass
kein Abkommen dazu dienen kann, eine Pflicht Deutschlands zur Duldung,
Unterstützung oder sogar aktiven Teilnahme an völkerrechtswidrigen,
aggressiven Handlungen der USA von deutschem Boden aus zu begründen.
Beide Abkommen beziehen sich somit nicht auf die Unterstützung von
Militärschlägen der USA sondern auf die Stärkung der Verteidigungskraft. Sie
anerkennen die Entscheidungsbefugnis der Bundesrepublik Deutschland, können
also nicht als Rechtfertigung der mittelbaren sowie unmittelbaren Teilnahme
Deutschlands am Angriffskrieg der USA gegen den Irak dienen.
Nach allgemeinem Völkerrecht dient kein Abkommen zur rechtlichen
Legitimation von völkerrechtswidrigen Handlungen. Hierauf kann demgemäß auch
keine Pflicht Deutschlands zur Duldung, Unterstützung oder Teilnahme an
völkerrechtswidrigen, aggressiven Handlungen der USA gegründet werden. Es
gibt keine völkerrechtlichen Beistandspflichten gegenüber einem Staat, der
einen Aggressionskrieg vorbereitet und durchführt. Absprachen zwischen
Deutschland und den USA, die dem entgegen stehen, sind nach Art. 53 des
Wiener Übereinkommens vom 23. 5. 1969 wegen Verstoßes gegen eine zwingende
Norm des allgemeinen Völkerrechts nichtig. Art. 103 der Charta lautet:
"Widersprechen sich die Verpflichtungen von Mitgliedern der Vereinten
Nationen aus dieser Charta und ihren Verpflichtungen aus anderen
internationalen Übereinkünften, so haben die Verpflichtungen aus dieser
Charta Vorrang."
Verpflichtungen Deutschlands aus Übereinkünften im Rahmen der NATO oder mit
den USA, deutsches Territorium für einen Krieg der USA gegen den Irak zur
Verfügung zu stellen, widersprächen – so es sie gäbe – den Verpflichtungen
Deutschlands aus der Charta, die vorrangig zu erfüllen sind.
Der Anzeigende legt Wert darauf, dass der Generalbundesanwalt den
vorstehenden Sachverhalt unter allen strafrechtlichen Gesichtspunkten prüft,
insbesondere dem der Vorbereitung eines Angriffskrieges gem. § 80 StGB und
ein Ermittlungsverfahren einleitet.
Dr. Kenzler
Rechtsanwältin
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