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Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof weist Anzeige gegen Bundesregierung zurück

Die Begründung aus Karlsruhe im Wortlaut - Kommentar

Am 8. November 2001 haben zahlreiche Bürgerinnen und Bürger öffentlich Strafanzeige gegen die Bundesregierung wegen des Verdachts der "Vorbereitung eines Angriffskriegs" gestellt. Die Anzeige erschien am 14. November in der Frankfurter Rundschau mit rund 400 Unterzeichnern. Mit Datum vom 30. November 2001 kam die Antwort des Generalbundesanwalts, die wir im Folgenden dokumentieren. Dass darin die Klage zurückgewiesen wird, war nach Lage der Dinge nicht anders zu erwarten.


Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof

Herrn
Dr. Peter Strutynski
Kasseler Friedensratschlag
C/o DGB, Spohrstr. 6
34117 Kassel

Betrifft:
Ihre öffentliche Strafanzeige vom 8. November 2001 gegen Mitglieder der Bundesregierung und andere wegen Verdachts der Vorbereitung eines Angriffskrieges

Sehr geehrter Herr Dr. Strutynski,

Ihre o.a. Strafanzeige ist mir zuständigkeitshalber vorgelegt worden. Ich habe den Sachverhalt geprüft, jedoch von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen, weil zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat nicht gegeben sind (§ 152 Abs. 2 StPO).

Es ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

In den Vormittagsstunden des 11. September 2001 wurden in New York, Washington (DC) und Pennsylvania mittels vier entführter ziviler Verkehrsflugzeuge von arabischen Selbstmordattentätern unterschiedlicher Nationalität Terroranschläge durchgeführt, die vermutlich weit über 4.500 Menschenleben forderten und Sachschäden in noch nicht bezifferbarer Höhe verursachten. Noch am Tattag bekundeten zahlreiche Staats- und Regierungschefs ihr Mitgefühl und sicherten den Vereinigten Staaten ihre uneingeschränkte Unterstützung im Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu. Auch der deutsche Bundeskanzler bezeichnete dabei die Anschläge als "Kriegserklärung an die zivilisierte und freie Welt".

Am 12. September 2001 erklärte der Nordatlantikrat einstimmig, dass der terroristische Angriff vom 11. September 2001 gegen die USA als Handlung im Sinne des Artikels

5 des Washingtoner Vertrages angesehen werde, wenn sich herausstelle, dass dieser Angriff vom Ausland aus verübt wurde. Diese Feststellung wurde durch die NATO am 2. Oktober 2001 getroffen, nachdem die Ermittlungen ergeben hatten, dass die Organisation Al-Qaida um den in Afghanistan aufhältigen Terroristen Osama bin Laden für die Anschläge verantwortlich ist. NATO-Generalsekretär Lord Robertson erklärte dazu (Pressekonferenz vom 2. Oktober 2001):
"Die Tatsachen sind klar und zwingend. Die Information (durch die USA) legte Anhaltspunkte dar, die schlüssig auf eine Rolle der Al-Qaida bei den Angriffen vom 11. September 2001 hinweisen."

Bereits am 19. September 2001 billigte der Deutsche Bundestag einen Entschließungsantrag der SPD und anderer Fraktionen auf der Grundlage einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers (BT-Drucksache 14/6920). Dort heißt es u.a.:
"Der Deutsche Bundestag unterstützt die Bereitschaft der Bundesregierung, den Bekundungen der uneingeschränkten Solidarität mit den Vereinigten Staaten konkrete Maßnahmen de Beistandes folgen zu lassen. Dazu zählen politische und wirtschaftliche Unterstützung sowie die Bereitstellung geeigneter militärischer Fähigkeiten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Über diese Maßnahmen ist nach Kenntnis der amerikanischen Unterstützungswünsche in eigener Verantwortung und gemäß der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu entscheiden."

Seit dem 7. Oktober 2001 werden - ohne deutsche Beteiligung - strategische Ziele und vermutete Ausbildungslager der Al-Qaida-Organisation in Afghanistan militärisch angegriffen. Am 16. November 2001 stimmte der Bundestag einem Antrag der Bundesregierung vom 7. November 2001 (BT-Drucksache 14/7296) zur Entsendung von bi zu 3.900 Soldaten der Bundeswehr als Unterstützung der internationalen Anti-Terror-Operation "Enduring Freedom" mehrheitlich zu.

Dieser Sachverhalt begründet keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für die Einleitung eines in die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft fallenden Ermittlungsverfahrens. Dazu ist im Einzelnen folgendes festzustellen:

Der Straftatbestand der Vorbereitung eines Angriffskrieges nach § 80 StGB erfüllt den Verfassungsauftrag des Artikels 26 Abs. 1 GG. Der für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens erforderliche Anfangsverdacht setzt demnach konkrete Anhaltspunkte für das Vorbereiten eines militärischen Mitwirkens der Bundesrepublik Deutschland bei einer völkerrechtswidrigen bewaffneten Aggression voraus, die geeignet ist und in der Absicht begangen wird, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören.

Davon kann im Blick auf den amerikanisch-britischen Militäreinsatz in Afghanistan ersichtlich nicht die Rede sein, da die USA - und damit auch ihre Verbündeten - auf der Grundlage von Artikel 51 der UN-Charta handeln. Dieser lautet:
Diese Charta beeinträchtigt im Falle eine bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat..."

Dass von einem bewaffneten Angriff auszugehen ist, kann angesichts der Tatsache, dass bei den Terroranschlägen Verkehrsflugzeuge als Massenvernichtungswaffen eingesetzt wurden, keinem vernünftigen Zweifel unterliegen. Auch die Charta der Vereinten Nationen definiert den Begriff nicht als staatliche Aggression und schon der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat am 27. Juni 1986 in der sogenannten Nicaragua-Entscheidung festgestellt, dass die Entsendung bewaffneter Banden als bewaffneter Angriff einzustufen ist, sofern deren Aktionen von einigem Gewicht sind. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verurteilte am 12. September 2001 in ausdrücklicher Anerkennung des Rechts zur Selbstverteidigung die "grauenhaften Terroranschläge" und erklärte weiter, er "betrachte diese Handlungen ... als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" (Resolution 1368/2001). Unter Ziffer 3. fordert der Sicherheitsrat "alle Staaten dringend zur Zusammenarbeit auf, um die Täter, Organisationen und Förderer dieser Terroranschläge vor Gericht zu stellen, und betont, dass diejenigen, die den Tätern, Organisatoren oder Förderern dieser Handlungen geholfen ... haben, zur Verantwortung gezogen werden".

Einer ausdrücklichen Ermächtigung zur Gewaltanwendung durch die Vereinten Nationen bedurfte es danach nicht mehr. Die Vorbereitung militärischer Maßnahmen - und letztlich deren Durchführung - mit dem erklärten Ziel, die Urheberorganisation der Terroranschläge vom 11. September 2001 zu treffen, respektive deren Mitglieder nach Möglichkeit dingfest zu machen und einem ordentlichen Gerichtsverfahren zu unterwerfen, ist jedenfalls völkerrechtlich gerechtfertigt. Dass hierbei auch militärische Ziele des sogenannten Taliban-Regimes angegriffen werden, stellt keinen eigenständige zu beurteilenden Sachverhalt dar, da eben diese Regierung Afghanistans seit Jahren für die Beherbergung und den militärischen Schutz der Al-Qaida-Organisation verantwortlich zeichnet. Nur durch vorherige Ausschaltung dieser Schutzmacht kann die genannte Allianz ihre Ziele, die der UN-Resolution Nr. 1373 entsprechen, erreichen.

Eine andere Beurteilung der Rechtslage ergibt sich auch nicht aus der Handlungsweise der NATO-Vertragspartner. Die Feststellung des Bündnisfalls gemäß Artikel 5 des Washingtoner Vertrages durch den Nordatlantikrat unter Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland war angesichts der objektiven Sachlage keine Willkürentscheidung sondern vertragsgemäß und damit rechtmäßig. In seinem Solidaritätsbeschluss vom 19. September 2001 und der Beistandszusagen vom 16. November 2001 hat der Deutsche Bundestag zudem ausdrücklich auf sein eigenverantwortliches Handeln sowie die völkerrechtlichen und gesetzlichen Vorgaben verwiesen. Hinsichtlich der Solidaritätsbekundungen und des militärischen Engagements handelte die Bundesregierung somit entsprechend der derzeit gültigen Verfassungslage.

Nach allem bleibt festzuhalten, dass weder der Bundestagsbeschluss zu uneingeschränkter Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika noch derjenige zur militärischen Unterstützung der Operation "Enduring Freedom" gegen Völkerrecht, Verfassungsrecht oder innerstaatliche Gesetze verstoßen. Diese Handlungen werden insgesamt von §§ 80 ff. StGB nicht erfasst.

Die zehn Mitunterzeichner Ihrer Anzeige erhalten keinen gesonderten Bescheid.

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
(Dietrich)


Kommentar zum Bescheid des Generalbundesanwalts

Dass der Klage gegen die Bundesregierung kein Erfolg beschieden sein würde, war den Klageführenden von Anfang an bewusst. Aus diesem Grund war die Anzeige auch nicht nur an die Adresse der Generalbundesanwaltschaft gerichtet, sondern an die Öffentlichkeit. In einer großformatigen Anzeige in der Frankfurter Rundschau bekannten sich am 14. November 2001 mit ihrer Unterschrift zum Inhalt der Klage. Nach dem Erscheinen dieser Anzeige schlossen sich noch einmal rund 150 Personen aus allen Landesteilen dieser Initiative an. Die "Blätter für deutsche und internationale Politik" veröffentlichten die Anzeige in ihrer Ausgabe vom Januar 2002 im Dokumentationsteil und sorgten auf diese Weise für zusätzliche Publizität.

Die inhaltliche Begründung des Generalbundesanwalts ist enttäuschend. Sieht man sich den Antrag der Bundesregierung zur Beteiligung an der Operation "Enduring Freedom", der am 16. November vom Bundestag verabschiedet wurde (zusammen mit der Vertrauensfrage), so wurde dort sehr viel umfangreicher und sorgfältiger argumentiert. Im Schreiben aus Karlsruhe finden sich nur ein paar wie zufällig heraus gegriffene Punkte wieder:
  • die vorbehaltliche Bündnisfall-Erklärung der NATO vom 12. September und ihre Bestätigung vom 2. Oktober,
  • der Entschließungsantrag des Bundestag vom 19. September, worin den USA die Bereitstellung "geeigneter militärischer Fähigkeiten" in Aussicht gestellt werden,
  • der Beschluss des Bundestags vom 16. November,
  • der Hinweis auf das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 der UN-Charta,
  • die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats 1368 (2001) vom 12. September 2001 und 1373 (2001) vom 8. Oktober 2001.
All diese Verweise sind den Klageführern natürlich auch bekannt. Nicht die Tatsache, dass der Bundestag den USA seine "uneingeschränkte Solidarität" versprochen hat, oder dass die NATO den "Bündnisfall" nach Art. 5 des Washingtoner Vertrags festgestellt hat, ist einer juristischen Würdigung zu unterziehen (wer zweifelt daran?). Einer juristischen Prüfung zu unterziehen ist vielmehr die Frage, ob diese politischen Beschlüsse mit Buchstaben und Geist des Grundgesetzes, des Strafgesetzbuchs und des Völkerrechts in Übereinstimmung zu bringen sind. Um diese Frage drückt sich der Generalbundesanwalt.

Zentral ist dabei der Absatz in der Begründung des Generalbundesanwalts, worin es heißt, nach der UN-Resolutionen 1368 habe es einer "ausdrücklichen Ermächtigung zur Gewaltanwendung durch die Vereinten Nationen" nicht mehr bedurft. "Die Vorbereitung militärischer Maßnahmen ... ist jedenfalls völkerrechtlich gerechtfertigt." Basta! Der Generalbundesanwalt kümmert sich nicht weiter darum, dass in der Resolution 1368 alle Staaten zur Zusammenarbeit aufgefordert wurden, "um die Täter, Organisatoren und Förderer dieser Terroranschläge vor Gericht zu stellen", nicht aber, um Täter, Organisatoren und Förderer zu bombardieren oder mit anderen militärischen Maßnahmen zu vernichten. Genau das aber taten die USA im Verein mit Großbritannien in Afghanistan und zur Unterstützung eben dieser Maßnahmen diente der Antrag der Bundesregierung vom 7. November. Leicht macht es sich der Generalbundesanwalt im selben Absatz auch mit der Behauptung: Da die afghanische Regierung die Al-Qaida-Organisation beherbergt und unterstützt habe, sei es auch gerechtfertigt gewesen, Afghanistan militärisch anzugreifen, denn: "Nur durch vorherige Ausschaltung dieser Schutzmacht kann die genannte Allianz ihre Ziele ... erreichen." Mit keinem Wort wird auf die verschiedenen Angebote der Taliban-Regierung nach dem 11. September eingegangen, Osama bin Laden in Afghanistan vor Gericht zu stellen (was durchaus internationalem Recht entspräche) bzw. ihn sogar an ein neutrales Land auszuliefern. Überhaupt kein Gedanke ist dem Generalbundesanwalt außerdem die Frage Wert, ob mit dem Luftkrieg gegen Afghanistan nicht auch ein wesentliches Prinzip der Rechtstaatlichkeit verletzt worden sein könnte, nämlich das der Verhältnismäßigkeit der Mittel.

Jedenfalls sind mit dem Bescheid des Generalbundesanwalts die völker- und verfassungsrechtlichen Bedenken, die Norman Paech in seinem Rechtsgutachten dargelegt hat, nicht aus der Welt geschafft.
Pst

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