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Bundesamt für Balanceverzicht

Regierung will neues Verfassungsschutzgesetz: Alles im Dienste der Terrorbekämpfung

Von René Heilig *

Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes vorgelegt. Der ist nach Meinung von Experten Pfusch und überdies ohne jedes Fundament. Gestern hatte der Innenausschuss des Bundestages zur Anhörung geladen.

»Sehr begrüßenswert« nennt Dr. Alexander Eisvogel den Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes und wiederholt am Ende seines entsprechenden Gutachtens, dass der »im Entwurf zum Ausdruck kommende, stets immanente Balanceakt zwischen Befugnissen, die dem Schutz der Bürger und des Staates vor terroristischen Gewaltakten dienen einerseits und deren rechtsstaatlicher Absicherung und zurückhaltender Formulierungen andererseits, als sehr gelungen zu bezeichnen ist«. Also alles in der richtigen Balance?

Diese denkbare Wertung relativiert sich, wenn man weiß, dass Eisvogel Vizechef des Verfassungsschutzes ist und dem obersten Terrorjäger Hans-Peter Friedrich (CSU) untersteht. Der Bundesinnenminister ist auch Dienstherr von Peter Schaar. Und der will - bevor er der vorgesehenen Ausweitung der Verfassungsschutzbefugnisse zustimmt - erst einmal wissen, ob sich die fortzuschreibenden Regelungen aus dem Terrorbekämpfungsergänzungsgesetz überhaupt bewährt haben.

Schaar ist als Bundesbeauftragter für den Datenschutz genaueres Hinsehen gewohnt. Er geht der Regierung deshalb nicht auf den Leim, wenn die behauptet, alle Gesetze seien ordnungsgemäß evaluiert worden. Das, was Evaluierung genannt wird, ist nach seiner Ansicht »methodisch wie inhaltlich keine tragfähige Grundlage«, um die Befugnisse der Nachrichtendienste zu erweitern. Er fordert eine unabhängige Prüfung nach einheitlichen, wissenschaftlichen und vom Bürger nachvollziehbaren Kriterien. Stattdessen hat die Regierung gerade einmal einen »Entwurf« eines Evaluierungsberichts zustande gebracht, der nur »allgemein gehaltene Ausführungen« enthält.

Das nach dem Willen der schwarz-gelben Regierung zu verabschiedende Bundesverfassungsschutzgesetz gibt den Geheimagenten zahlreiche neue Möglichkeiten für noch rationellere Ausforschung. So sollen sie demnächst nicht nur die Fluggesellschaften um deren Passagierdaten erleichtern, sondern sich gleich in den Buchungssystemen bedienen können. Ähnlich verhält sich das mit sogenannten Kontostammdaten. Auch die zapft man zentral an.

Bürgerliche Grundrechte hin oder her - ein Recht des Bürgers, zu erfahren, wer was mit seinen Daten anstellt, ist so nicht vorgesehen. Durch die Einführung einer Auskunftspflicht für sämtliche Auskunftsverlangen, der sich kein Dienstleister entziehen kann - siehe Gesetzentwurf Paragraf 8a - wird das Trennungsgebot zwischen Nachrichtendiensten und Polizei weiter aufgeweicht. Das Gebot hatten die Alliierten im »Polizeibrief« von 1949 nicht von ungefähr verlangt. Deutschland hatte schließlich (damals) mehr als ausreichende Erfahrungen mit einer Geheimpolizei.

Prof. Dr. Martin Kutscha von der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin hegt darüber hinaus die Ansicht, dass sich der Verfassungsschutz auf fremdem Terrain tummelt. Wie es sein Name und der Artikel 87 des Grundgesetzes sagen, soll der Geheimdienst eben dieses schützen. Terrorismus sei nichts anderes als eine Form schwerer Kriminalität und gefährdet in der aktuellen Form gewiss nicht die Verfassung. Mithin, so die Logik, sei Terrorismusbekämpfung Sache der Polizei.

Freilich, es gibt genügend regierungsnahe Gutachter, die die Veränderungen im Verfassungsschutzgesetz absegnen. Doch auch sie verlangen ein tragfähiges Evaluierungsfundament. Das, so ein Antrag der Bundestagsgrünen, müsse »ernsthaft, umfassend und weitgehend transparent« geschaffen werden. Schaar schlägt vor, die Gesetzesänderungen zu stornieren und bis zum Ende der Legislaturperiode alles beim Alten zu lassen. Dann - vermutlich mit der Hoffnung auf die Anti-Terror-Gesetz-Erfinder von Rot-Grün - will er richtig evaluieren. Die Linksfraktion mag darauf nicht vertrauen: Wer keine solide Evaluierung der bestehenden Anti-Terror-Gesetze fristgerecht vorlegen kann oder will, der müsse in Kauf nehmen, dass entsprechende Befugnisse außer Kraft gesetzt werden.

* Aus: neues deutschland, 18. Oktober 2011


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