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Brauner Geheimbund

Beiträge aus Internetforum belegen Verbindungen zwischen militantem Neonazinetzwerk und NPD. Sachsens Neofaschisten diskutierten, "Polizeiwache abzufackeln"

Von Markus Bernhardt *

Kurz vor dem für das kommende Wochenende anberaumten Parteitag der NPD gerät die neofaschistische Organisation, die sich aus Angst vor einem neuerlichen Verbotsverfahren in der Öffentlichkeit nur allzu gern von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung distanziert, in die Bredouille. So sorgt die Veröffentlichung interner Forenbeiträge des neofaschistischen Internetportals »Freies Netz« (FN) aus Sachsen durch Leipziger Antifaschisten für ungewolltes Aufsehen. Beim sogenannten »Freien Netz« handelt es sich fernab der betriebenen Internetpräsenz um eine der bedeutendsten Vereinigungen militanter Neonazis, die vorranging in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen aktiv sind.

Insgesamt 1300 Forenbeiträge haben die Leipziger Aktivisten der Gruppe »Gamma – antifaschistischer Newsflyer für Leipzig und Umgebung« ausgewertet. Sie kommen dabei zu dem Schluß, daß die extremen Rechten aus den Reihen des »Freien Netzes« aus »instrumentellen und strategischen Gründen« die Nähe zur NPD suchen. Die am Sonntag veröffentlichten Beiträge belegen außerdem, daß führende Neonazis aus Leipzig und Umgebung eine »NS-Ersatzorganisation« schaffen wollen und dafür die NPD-Jugendgruppierung »Junge Nationaldemokraten« (JN) nutzen. »Der Landesvorstand der JN in Sachsen ist komplett mit revolutionären Kräften besetzt, die auf Linie sind, der Landesführer ist einer von uns, und die Ausrichtung der JN wird kontinuierlich in Richtung ›NS-Ersatzorganisation‹ vorangetrieben«, heißt es etwa in einem der Forenbeiträge der Neofaschisten.

»Die Partei garantiert den Anschein von Legalität, leitet Geld an Kameradschaftsgruppen weiter und bietet bezahlte Posten. Das FN nutzt seine Kontakte, um Entscheidungen innerhalb der NPD zu beeinflussen und die eigenen, neonazistischen Leitlinien durchzusetzen oder ihre Berücksichtigung gar zu erpressen«, schlußfolgern die Leipziger Neonazigegner in ihrer Auswertung. Darüber hinaus bietet die Veröffentlichung einen eindrucksvollen Einblick in das Innenleben der gewaltbereiten Szene samt ihrer antisemitschen und völkisch-rassistischen Ideologiekonstrukte und zeichnet ein aufschlußreiches Bild über die Aktivitäten der Hintermänner des »Freien Netzes«. So wurde in dem internen Forum etwa angeregt, eine »Polizeiwache anzugreifen und abzufackeln«. Ein Nutzer kommentierte diesen Vorschlag mit dem Eintrag »Ohne einen abzustechen? Ist ja langweilig«.

Außerdem diskutierten die militanten Faschisten, verkleidet als Punks Sachbeschädigungen an Ladengeschäfte und Fahrzeugen zu verüben, um bei der Bevölkerung Vorbehalte gegenüber Linken zu schüren.

Die sächsische Linksfraktion bezichtigt den dortigen NPD-Fraktionschef und Vorsitzenden des Landesverbandes, Holger Apfel, der als möglicher Herausforderer des amtierenden Bundesvorsitzenden der neofaschistischen Partei gilt, die Radikalisierung der extremen Rechten »wesentlich gefördert« zu haben. So hätten unter Apfel, der versucht, sich einen gemäßigten Anschein zu geben, wichtige Führungspersonen des »Freien Netzes« bezahlte Posten und Mandate in Sachsen erringen können.

Fernab der NPD dürfte die aktuelle Veröffentlichung indes vor allem den Inlandsgeheimdienst in Erklärungsnöte bringen. Der hatte im aktuellen Verfassungsschutzbericht erneut erklärt, daß es sich beim »Freien Netz« einzig um ein Internetportal handelt.

Unterdessen mehren sich Hinweise, daß keineswegs nur sächsische Strukturen der neofaschistischen NPD und ihrer Jugendorganisation über exzellente Kontakte zu militanten Kameradschaften und sogenannten »Autonomen Nationalisten« verfügen. So warnte etwa der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) am Wochenende vor einer Unterwanderung der Landes-NPD durch neonazistische Kameradschaften, die in etlichen Kreisverbänden schon das Sagen hätten.

* Aus: junge Welt, 7. November 2011


"Verfassungsschutz ist Teil des Problems"

Antifaschisten publizieren Brisantes zur Neonaziszene Sachsens. Die Linke fordert Konsequenzen. Gespräch mit Kerstin Köditz **

Kerstin Köditz ist Landtagsabgeordnete der sächsischen Linksfraktion und deren Sprecherin für antifaschistische Politik.

Am Sonntag (6. Nov.) haben Antifaschisten Beiträge aus dem internen Forum des neofaschistischen »Freien Netzes« veröffentlicht, die einen tiefen Einblick in das Innenleben der militanten braunen Szene gewähren. Wie schätzen Sie die publizierten Datensätze ein?

Es ist äußerst brisantes Material, bezeichnend für die latente Gewalttätigkeit dieser konspirativen Kaderorganisation. Wenn jemand aus dem Führungszirkel erklärt, man habe am Rande der jährlichen Neonazidemonstration in Dresden einen Überfall auf eine Polizeiwache durchführen und diese abfackeln wollen, und der heutige stellvertretende Landesvorsitzende der NPD darauf wörtlich antwortet: »Ohne einen abzustechen? Ist ja langweilig«, dann ist das an Deutlichkeit kaum noch zu überbieten.

Wenn man außerdem berücksichtigt, daß das »Freie Netz« in der Vergangenheit Veranstaltungen mit militanten Neonazis wie Karl-Heinz Hoffmann, Gottfried Küssel oder Peter Naumann durchgeführt hat, muß man befürchten, daß sich hier unter dem Dach der NPD eine kriminelle Vereinigung entwickeln könnte.

Aus den veröffentlichten Forenbeiträgen geht hervor, daß das »Freie Netz« offenbar über eine enge Anbindung an die sächsische NPD bzw. deren Jugendorganisation »Junge Nationaldemokraten« (JN) verfügt. Wie bewerten Sie diese Kontakte der neofaschistischen Partei, die mit acht Abgeordneten eine Fraktion im sächsischen Landtag stellt?

Der JN-Landesvorsitzende ist selbst Führungskader des »Freien Netzes«, ebenso der stellvertretende NPD-Landesvorsitzende Maik Scheffler. Etliche aus dieser Struktur verdienen ihr Geld über die NPD oder deren Fraktion, andere haben Mandate für sie inne. Die Forenbeiträge zeigen deutlich, daß das »Freie Netz« die innerparteiliche Entwicklung der sächsischen NPD intern plant, sie beeinflußt. Nicht zuletzt durch den Mitgliederverlust in den vergangenen Jahren ist der Landesverband auf Gedeih und Verderb auf die Aktivisten des »Freien Netzes« angewiesen. Diese allerdings haben keinerlei Loyalität gegenüber der NPD selbst. Auch das ist in dem Forum nachzulesen. Die NPD stellt die Ressourcen zur Verfügung, die das »Freie Netz« dann nutzt.

Die NPD führt am kommenden Wochenende ihren Bundesparteitag durch, bei dem Holger Apfel, Vorsitzender der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag, für den Bundesvorsitz der Partei kandidiert. Könnten die aktuellen Veröffentlichungen daran etwas ändern?

Apfel wird kandidieren und vielleicht auch gewählt werden. Aber er wird sich weniger als bisher als gemäßigt im Vergleich zu Udo Voigt darstellen können. Er ist verantwortlich dafür, daß diese militanten Kräfte in der NPD beständig einflußreicher wurden. Er als Fraktionsvorsitzender ist verantwortlich dafür, daß einige Kader bei der Fraktion der NPD beschäftigt sind. Diese Kräfte sind weniger dämlich als die Karikaturnazis um Udo Voigt, also erheblich gefährlicher. Er kann sich aber, wie deren interne Diskussionen zeigen, ihrer dauerhaften Unterstützung keineswegs sicher sein. Die NPD wird dann einen Parteivorsitzenden haben, der erpreßbar ist.

Das Landesamt für Verfassungsschutz hat in der Vergangenheit stets betont, daß es sich beim »Freien Netz« lediglich um ein Internetportal handelt. Trägt es aufgrund seiner offensichtlichen Ignoranz der Neonaziszene eine Mitverantwortung am Erstarken militanter Faschisten in Sachsen?

Der sächsische Verfassungsschutz ist nicht Teil der Lösung des Problems, er ist selbst Teil des Problems. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder, sie haben gewußt, was sich in der NPD und beim »Freien Netz« tut. Dann haben sie jahrelang die Öffentlichkeit und den Landtag belogen. Oder aber sie haben es wirklich nicht gewußt. Dann ist das der Gipfel der Unfähigkeit und sollte Grund genug sein, den Schlapphüten keinen Cent aus Steuergeldern mehr zu geben. So oder so ist die Ablösung des Verfassungsschutzpräsidenten überfällig.

Wie wird die Linksfraktion diesen neuerlichen Skandal parlamentarisch aufarbeiten?

Wir werden zeitnah zur weiteren Aufklärung der Vorgänge Anträge in den Landtag einbringen. Vom Innenminister Markus Ulbig (CDU) erwarten wir, daß er am Donnerstag im Innenausschuß ausführlich Stellung zu den Enthüllungen von »Gamma« nehmen wird. Ich bin gespannt, auf welche Weise er wieder einmal versuchen wird, jegliche Verantwortung von sich wegzuschieben.

Interview: Markus Bernhardt

** Aus: junge Welt, 7. November 2011


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