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Spitzeln für einen Demokratiepreis

Sächsische Initiative lehnt Ehrung wegen "Extremismus-Klausel" ab, die bald bundesweit gilt

Von Hendrik Lasch, Dresden *

Eine Pirnaer Initiative hat den Sächsischen Demokratiepreis abgelehnt, weil sie eine »Extremismus-Klausel« unterschreiben sollte. Das Bekenntnis ist künftig Voraussetzung für Bundesförderung.

Bei der Verleihung des diesjährigen Sächsischen Förderpreises für Demokratie ist es zu einem Eklat gekommen. Das als Hauptpreisträger nominierte Alternative Kultur- und Bildungszentrum Pirna (AkuBiZ) verweigerte die Annahme des mit 10 000 Euro dotierten Preises. Grund ist eine Extremismus-Klausel, die alle zehn Nominierten unterschreiben sollten. Neben einem Bekenntnis zum Grundgesetz verpflichten sich Unterzeichner damit auch, eine entsprechende Gewähr für alle Referenten und Kooperationspartner abzugeben. Dazu sollen sie auch Bewertungen des Verfassungsschutzes einbeziehen. Das lehne man ab, sagte AkuBIZ-Vorsitzender Steffen Richter, der sich »eher an Methoden der Stasi und nicht an die Grundlagen der Demokratie« erinnert fühlt. Der Verein war der Ehrung in der Frauenkirche in Dresden ferngeblieben und hatte vor deren Tür über die Gründe der Ablehnung informiert.

Die Extremismus-Klausel im Wortlaut

Hiermit bestätigen wir, dass wir
  • uns zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und
  • eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit gewährleisten.
Als Nominierte bzw. Preisträger des Sächsischen Förderpreises für Demokratie haben wir zudem im Rahmen unserer Möglichkeiten (Literatur, Kontakte zu anderen Vereinen/Trägern sowie Behörden, Referenzen, die jährlichen Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder etc.) und auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls den Zielen des Grundgesetzes verpflichten. Uns ist bewusst, dass keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass eine Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird.


Quelle: www.akubiz.de


Dem Schritt wird selbst von Initiatoren des seit 2007 verliehenen Preises Respekt gezollt. Sie habe »großes Verständnis«, sagte Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, gestern dem ND: »Wir hätten das auch nicht unterschrieben.« Sie sehe die Klausel als nicht akzeptable Verpflichtung zur »Gesinnungsspitzelei«.

Während der Verleihung des Preises, der von vier Stiftungen ausgelobt wird und dessen Schirmherr Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich ist, hatte die als Laudatorin geladene Ex-Bundespräsidentenkandidatin Gesine Schwan (SPD) vor einer »Kultur des Misstrauens« gewarnt. Auch andere Demokratieprojekte sowie Politiker stärkten dem AkuBIZ den Rücken. Die Dresdner Initiative »Bürger.Courage« als zweiter Hauptpreisträger erklärte, es sei nicht Aufgabe ehrenamtlicher Vereine, die »politische Einstellung von anderen Institutionen zu prüfen«. Grit Hanneforth vom Kulturbüro Sachsen erklärte, sie sei »entsetzt über den Generalverdacht, der erhoben wird«. Die Linksabgeordnete Kerstin Köditz nannte AkuBIZ einen um so würdigeren Preisträger, weil er sich der Forderung nach »Selbstzensur und Diskriminierung seiner Partner« widersetze. Die grüne Bundestagsabgeordnete Monika Lazar kritisiert, mit der Klausel müssten Vereine ihre »zivilgesellschaftliche Unabhängigkeit aufgeben«.

Das Innenministerium, das nach ND-Informationen maßgeblich auf die nachträgliche Unterzeichnung der Erklärung gedrängt hatte, äußerte sich verwundert über die Aufregung Es sei »eine Selbstverständlichkeit«, dass sich Preisempfänger zum Grundgesetz bekennen müssten, sagte Minister Markus Ulbig (CDU). Das wird freilich nicht verweigert. Kritisiert wird der Gesinnungstest für Projektpartner.

Anliegen der Klausel ist es, zu verhindern, dass dem »Anschein (...) einer Unterstützung extremistischer Strukturen« Vorschub geleistet wird. Der CDU-Innenpolitiker Volker Bandmann sagte, es sei »absurd, zu erwarten, dass der Staat mit Steuergeldern kriminelle Gruppen unterstützt«. Dem AkuBIZ wird offenbar die Nähe zur Antifa angelastet. Ein Vereinssprecher sagte, man sei gedrängt worden, entsprechende Links von der Homepage zu nehmen. Bei der Preisverleihung hatte Regierungssprecher Johann-Adolf Cohausz moniert, die Jury habe mit ihrer Wahl der Regierung »ein gewisses Maß an Toleranz abverlangt«.

In ähnliche Nöte wie das AkuBIZ dürften bald viele zivilgesellschaftliche Initiativen geraten. Die Unterzeichnung der Extremismus-Klausel soll bundesweit Voraussetzung für eine finanzielle Förderung werden. Das sehen Pläne von CDU-Bundessozialministerin Kristina Schröder vor. Michael Leutert, LINKE-Bundestagsabgeordneter, nennt das einen »Disziplinierungsversuch auf juristisch wackligen Füßen«. Die Fraktion erwäge daher eine rechtliche Prüfung.

* Aus: Neues Deutschland, 11. November 2010


Annahme verweigert

Im Folgenden dokumentieren wir:

Das Schreiben des Vereins AKuBiZ e.V. an die Jury im Wortlaut:

Liebe Nominierte, werte Gäste, sehr geehrte Jury-Mitglieder,

heute wird hier der Sächsische Demokratiepreis 2010 verliehen. Wir sind Mitglieder und Unterstützer_innen des AKuBiZ e.V., eines Pirnaer Vereins, der für den Preis nominiert ist. Wir werden heute keinen der Preise annehmen und möchten erklären, warum wir uns dafür entschieden haben.

Vor wenigen Tagen forderten die Initiator_innen alle Nominierten auf, eine „antiextremistische“ Grundsatzerklärung(1) zu unterschreiben, deren Inhalt zweifelhaft und kritikwürdig ist. Wir haben dies, wie alle Anderen getan, sehen uns nun aber in der Verantwortung davon zurück zu treten und Stellung zu beziehen.

Im Schreiben heißt es, dass wir als Nominierte nicht den Anschein erwecken dürfen „extremistische Strukturen“ zu unterstützen. Aber ab wann erwecken wir den Anschein? Die jahrelange Unterstützung der Gegenaktivitäten zu Europas größtem Naziaufmarsch in Dresden erfüllt nach Ansicht der Behörden mit hoher Wahrscheinlichkeit diesen Punkt. Uns aber ist es ein Anliegen, dass Nazis nicht ungestört durch die Straßen laufen können, um ihre menschenverachtenden, mörderischen Ideologien zu verbreiten.

Weiterhin fordert die Grundsatzerklärung die Pflicht ein, dass wir als Nominierte alle unsere Partner_innen auf „Extremismus“ prüfen. Dafür schlagen die Verfasser_innen u.a. Nachfragen bei den Verfassungsschutzämtern vor.

Wir aber wählen seit Jahren unsere Partner_innen danach aus, ob sie humanistische Grundsätze teilen, sich gegen Diskriminierung und für gesellschaftliche Teilhabe einsetzen. Wir glauben dies auch besser einschätzen zu können, als der Verfassungsschutz, dem Gerichte wiederholt attestierten, fehleinzuschätzen.

Nach der Definition von Bundesregierung und den Verfassungsschutzbehörden sind beispielsweise Organisationen, die eine sozialistische Gesellschaft anstreben als „extremistisch“ anzusehen. Danach wäre uns selbst eine Zusammenarbeit mit der SPD oder der LINKEN untersagt. Die intransparente Kategorisierung von Initiativen, die sich gegen Rechts engagieren, werden wir nicht mit einer unsolidarischen „Gesinnungsprüfung“ unterstützen. Die Aufforderung an uns, unsere Kooperationspartner_innen auszuleuchten, erinnert eher an Methoden der Stasi und nicht an die Grundlagen einer Demokratie.

Uns stellt sich die Frage, warum die nominierten Initiativen nicht unterschreiben sollten, dass sie sich den Menschenrechten verpflichtet fühlen und dass sie humanistische Grundsätze teilen. Da dem nicht so ist, muss angenommen werden, dass dies den Initiator_innen des Sächsischen Demokratiepreises nicht wichtig ist. Die Zustände in den Heimen für Asylsuchende untermauern diese Vermutung. Stattdessen wurden wir als antirassistische Initiative aufgefordert, die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl (Art. 16a GG) gut zu heißen, indem wir uns den Zielen des Grundgesetzes kritiklos verpflichten.

Seit neun Jahren arbeiten wir ehrenamtlich in der Region in Pirna für Menschenrechte und gegen rechtes Gedankengut. Bei mehr als 30 Veranstaltungen im Jahr leisten wir unseren Beitrag zur Demokratieentwicklung im ländlichen Raum. Für unser Engagement wurden wir angefeindet und Mitglieder unseres Vereins erfuhren Bedrohungen, Körperverletzungen und Sachbeschädigungen durch Brandanschläge.

Unsere vielfältigen Projekte haben die Jury dazu bewogen uns für den Sächsischen Demokratiepreis 2010 zu nominieren. Darüber haben wir uns sehr gefreut, war es doch eine Bestätigung unserer bisherigen Arbeit. Wir stehen für Menschenrechte, Chancengleichheit und Antirassismus. Für diese Ziele werden wir uns auch in Zukunft gemeinsam mit allen, die unsere Grundsätze teilen, einsetzen. Deshalb lehnen wir diesen Preis ab, der uns viel bedeutet und unsere Arbeit gewürdigt hätte!

AKuBiZ e.V. Pirna, 09.11.2010 Dresden

Unterstützungsschreiben (Auswahl in Auszügen)

Bündnis Nazifrei! – Dresden stellt sich quer

Pressemitteilung, 10. November 2010

Dresden, 10.11.2010: Der Pirnaer Verein AKuBiZ e.V. hat am Dienstag eine Entgegennahme des Sächsischen Demokratiepreises abgelehnt. Das Bündnis »Nazifrei! – Dresden stellt sich quer« solidarisiert sich ausdrücklich mit dem Verein und seiner Ablehnung einer »antiextremistischen« Grundsatzklausel. (...)

Das Bündnis »Dresden Nazifrei!« (...) verurteilt das Vorgehen der Initiatoren des Sächsischen Demokratiepreis, antifaschistisches Engagement mittels »Extremismusklauseln« und »Extremismusprüfungen« zu diskreditieren. »Eine solche Klausel stellt die erfolgreiche Zusammenarbeit zahlreicher Initiativen und Vereine in Frage«, sagte Bündnissprecher Stefan Thiele. »Wir lassen uns nicht spalten!« Das Bündnis »Nazifrei! – Dresden stellt sich quer«, bestehend aus antifaschistischen und zivilgesellschaftlichen Gruppen, Gewerkschaften, Parteien, sowie Jugend- und Studierendenverbänden, will im Februar 2011 an den diesjährigen Erfolg der Massenblockaden anknüpfen, an denen sich mehr als 12.000 Menschen beteiligt hatten.


PRESSEMITTEILUNG der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag

Dresden, 10. November 2010

Henning Homann, Sprecher für demokratische Kultur und bürgerschaftliches Engagement der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, erklärt anlässlich der aktuellen Debatte um die Ablehnung des Sächsischen Demokratiepreises durch eine Initiative aus Pirna:

(...) Gleichzeitig verweist Homann auf die Folgen einer solchen „Extremismusklausel“. „Wer entscheidet denn darüber wer extrem ist? Sollen in Zukunft alle Mitarbeiter der Initiativen überwacht werden? Sollen allen Ernstes unabhängige zivilgesellschaftliche Initiativen in einer Art Regelabfrage ihre Kooperationspartner an den Verfassungsschutz melden und überprüfen lassen?“. Klar sei auch, dass es sich um ein bundesweites Problem in Folge der schwarz-gelben Regierungsübernahme handelt. So entspricht die kritisierte „Extremismusklausel“ fast vollständig einem Entwurf von Bundesfamilienministerin Schröder, die eine Überprüfung aller vom Bund geförderten Vereine, Projekte und Initiativen mit dieser Klausel plant. Die CDU verfahre offensichtlich nach dem Motto „Ist der Ruf erst ruiniert, streicht es sich ganz ungeniert.“

„Die vielfältigen Projekte zur Demokratieförderung in Sachsen leisten seit Jahren gute und verlässliche Arbeit. Ihr Engagement für Menschenrechte und demokratische Grundwerte steht außer Frage. Dies muss auch in Zukunft ohne Pauschalverdächtigungen und Extremismusvorwürfe möglich sein. Die Staatsregierung soll konkrete Vorwürfe auf den Tisch legen, statt mit diffusen Verdächtigungen zu hantieren. Landes- und Bundesregierung müssen auf die absurde Klausel verzichten“, stellt Homann abschließend klar. (...)


Bürger.Courage

PRESSEMITTEILUNG, 10. November 2010

Bürger.Courage gewinnt Sächsischen Förderpreis für Demokratie Dresdner Initiative wird für ihr Engagement für Demokratie ausgezeichnet und übt scharfe Kritik an umstrittener Zusatzklausel

Bei der Verleihung des Sächsischen Förderpreises für Demokratie am Dienstag in der Dresdner Frauenkirche hat die Dresdner Initiative Bürger.Courage den mit 10.000 Euro dotierten Sonderpreis des sächsischen Ministerpräsidenten gewonnen. „Alle nominierten Initiativen hätten den Preis verdient gehabt“, sagt Christian Demuth von Bürger.Courage. „Aber wir freuen uns natürlich sehr, dass gerade wir ihn gewonnen haben und danken den Preisverleihern. Wir verstehen den Preis als Belohnung für fünf Jahre ehrenamtliche Arbeit fühlen wir uns dadurch auf unserem Weg bestätigt.“

Der umstrittenen „Extremismusklausel“, die den Verein AkuBiZ e.V. dazu bewogen hat, die Annahme des Förderpreises zu verweigern, steht aber auch Bürger.Courage sehr kritisch gegenüber: „Auch wir haben die Klausel nur mit großen Bauchschmerzen unterschrieben. Wir fragen uns, warum wir explizit erklären müssen, wie wir zum Grundgesetz stehen“, betont Demuth. „Zum Ersten steht für uns völlig außer Frage, dass wir auf dem Boden der Demokratie arbeiten und dies auch von unseren Kooperationspartnern erwarten. Zum Zweiten verstehen wir nicht, warum die sächsische Staatsregierung den demokratischen Initiativen des Freistaates derart misstraut, dass sie ihnen zwar einen Preis verleihen möchte, gleichzeitig aber eine solche Erklärung einfordert. Zum Dritten ist es nicht die Aufgabe von ehrenamtlichen Vereinen und Initiativen, die politische Einstellung von anderen Institutionen zu überprüfen.“

Bürger.Courage fordert die sächsische Staatsregierung und die Bundesregierung auf, auf die Einforderung der Unterzeichnung einer solchen Zusatzklausel zukünftig zu verzichten. „Es gibt genug gesellschaftliche Probleme in Deutschland. Rassistisches und antidemokratisches Denken ist in der gesamten Gesellschaft zu finden. Es wäre falsch, die Probleme allein sogenannten extremistischen Randgruppen zuzuschieben“, so Demuth. „Wenn die Regierung gesellschaftliches Engagement fördern will, dann soll sie bewährte Initiativen ihre Arbeit machen lassen – und sie nicht durch Klauseln daran hindern.“


Hochachtung

Schreiben von Peter Strutynski, Bundesausschuss Friedensratschlag, an den Verein AKuBiZ e.V., 10. November 2010

Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Kolleginnen und Kollegen,


meine Hochachtung vor der Enscheidung des Vereins AKuBiZ e.V., den Sächsischen Demokratiepreis abzulehnen, paart sich mit meiner Empörung über das Ansinnen der Sächsischen Landesregierung, die Preisträger eine "Antiexttremismus-Klausel" unterschreiben zu lassen. Sind wir wieder so weit, dass aufrechte Antifaschisten auf ihre Gesinnung überprüft werden? Sind wir wieder so weit, dass "Extremismus" jeglicher Couleur gleichgesetzt, Linke und Rechte in einen Topf geworfen werden? Werden Initiativen gegen Neonazis nur noch akzeptiert, wenn sie sich zugleich von Sozialisten oder Kommunisten distanzieren? Darf künftig in Dresden gegen den braunen Spuk nur noch demonstrieren, wer den Gesinnungstest der Landesregierung bestanden hat?

Es ist ein Skandal, wie hier versucht wird, antifaschistische Arbeit politisch zu gängeln und zu instrumentalisieren und damit letztendlich wirkungslos zu machen.




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