"Das ist ein Hinweis auf einen Staat im Staat"
Niedersachsens Verfassungsschutz bespitzelte illegal auch Journalistin – und belog sie. Ein Gespräch mit Sven Adam *
Sven Adam ist Rechtsanwalt in Göttingen und vertritt Andrea Röpke, die für ihre Recherchen über Neonazis mehrfach ausgezeichnet wurde.
Am Mittwoch wurde bekannt, daß mindestens sieben Menschen vom niedersächsischen Verfassungsschutz in unrechtmäßiger Weise bespitzelt wurden, so auch Andrea Röpke, die unter anderem für die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt. Wie wurde ihr gegenüber die Überwachung begründet?
Ihr gegenüber gab es keine Begründung. Am Mittwoch gegen halb zwölf rief Maren Brandenburger, neue Präsidentin des niedersächsischen Verfassungsschutzes, persönlich bei Andrea Röpke an. Sie informierte sie, wenige Minuten später finde eine Pressekonferenz statt, auf der Boris Pistorius (SPD), Innenminister von Niedersachsen, und sie zusammen mitteilen würden, daß es diese Überwachung gegeben hätte. Außerdem sagte sie zu Frau Röpke, daß es sich bei ihr um einen Sonderfall handele, weil die Behörde sie sogar angelogen hat. Da bezieht sich Frau Brandenburger auf eine Anfrage von uns aus dem vergangenen Jahr, ob gespeicherte Daten über meine Mandantin vorlägen. Damals hat uns die Behörde gesagt, es lägen keine Daten vor. Das war offensichtlich nicht die Wahrheit.
Welchen Sinn machen solche Informationsrechte, wenn die Behörden lügen?
Erst einmal widerspricht es der Pressefreiheit, wenn Journalisten überhaupt wegen der Ausübung ihres Berufs überwacht werden. Es ist allerdings zusätzlich noch eine andere Baustelle, wenn die Betroffenen dann auch noch angelogen werden. Das hat mit dem Handeln einer an Recht und Gesetz gebundenen Behörde nichts mehr zu tun. Das ist ein Hinweis auf einen Staat im Staat. Eine völlig entfesselte Behörde, die sich offensichtlich selbständig gerichtlicher und behördlicher Kontrolle entziehen will.
Wie groß ist das generelle Ausmaß der Überwachung? Es werden ja sogar derart renommierte Journalisten bespitzelt – Andrea Röpke hat für ihre Recherchen mehrere Auszeichnungen erhalten.
Anscheinend stehen mittlerweile 9000 Menschen unter Beobachtung des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Wir wissen, daß Politiker dabei sind ebenso wie Journalisten. Wir können nicht einschätzen, was für eine Größenordnung das hat.
Auch die genauen Ausmaße der Überwachung von Frau Röpke kennen wir nicht. Sie hat sechs Jahre gedauert. Und Frau Brandenburger hat durchblicken lassen, daß ein Teil der gesammelten Daten rekonstruiert werden könnte. Wir wollen, daß in einem transparenten Verfahren alles offengelegt wird. Das einzige, was Frau Brandenburger direkt gesagt hat – wahrscheinlich, um noch mehr Schaden von ihrer eigenen Behörde abzuwenden – ist, daß zumindest kein V-Mann und keine Telefonüberwachung gegenüber Frau Röpke eingesetzt worden seien.
Die Verfassungsschutzbehörde teilte mit, daß die unrechtmäßige Überwachung aufgedeckt wurde, weil es stichprobenartige Überprüfungen über die Zulässigkeit der Speicherung gab. Denken Sie, wir können jetzt eine wirkliche Aufklärung der Vorgänge erwarten?
Ich glaube, daß sich die Verantwortlichen so weit aus dem Fenster gelehnt haben, daß sie an einem gewissen Maß an Aufklärung gar nicht mehr vorbeikommen. Letztlich wird auch der Posten von Frau Brandenburger und der von Boris Pistorius mittlerweile daran hängen, wie weit diese Aufklärung betrieben wird oder inwieweit das nur Wahlkampfgetöse gewesen ist. Man merkt im Augenblick, daß die Presse nicht mit sich spaßen läßt und das einfordern wird. Dies ist ein fundamentaler Eingriff in die Pressefreiheit. Jeder Journalist könnte potentiell der Überwachung ausgesetzt sein.
Wie finde ich heraus, ob der Staat mich bespitzelt?
Erst einmal gibt es den gesetzlich verbrieften Auskunftsanspruch. Man kann bei der Behörde anfragen, ob und welche personenbezogenen Daten gespeichert oder an andere Behörden weitergeleitet wurden.
Ist das der Punkt, an dem Frau Röpke angelogen wurde?
Genau. An diesem Punkt gab es einen offensichtlichen Vertuschungsversuch. Aber prinzipiell gibt es diesen Anspruch. Wenn er vom Verfassungsschutz nicht erfüllt wird, frage ich mich allerdings, welche Existenzberechtigung eine Behörde in einem demokratischen Rechtsstaat haben kann, die derart eigenständig handelt.
Interview: Claudia Wrobel
* Aus: junge Welt, Freitag, 20. September 2013
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