Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Abgang der Agentenführer

Nach NSU-Aktenskandal muss auch Thüringens Verfassungsschutzchef gehen

Von René Heilig *

Agentenführer gehen, Fragen bleiben. Kaum hat der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Heinz Fromm, seinen Abschied eingereicht, da traf es seinen Thüringer Landeskollegen Thomas Sippel. Kritik wächst auch gegen den Militärischen Abschirmdienst (MAD) und das Bundeskriminalamt (BKA). Die Bundesregierung gerät unter Druck - nicht nur wegen vernichteter Akten zu den NSU-Ermittlungen.

Eilmeldung am gestrigen Abend: Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) teilte mit, dass der Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Sippel, wegen der Pannen bei der Verfolgung der Terrorzelle des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) sein Amt aufgeben muss. Zu Wochenbeginn hatte der Präsident des Verfassungsschutzes, Heinz Fromm, seine Versetzung in den vorgezogenen Ruhestand erbeten. Während er sich auf die Zeugenaussage am Donnerstag vor dem Berliner Untersuchungsausschuss vorbereitet, verstärkt sich die Diskussion über seine Behörde. Auch der Bundesinnenminister meldete sich mit ungewohnten Worten. Der Verfassungsschutz sei »nicht für sich da, sondern für die Information der Bevölkerung«, ließ sich Hans-Peter Friedrich (CSU) gestern zu früher Stunde im »Deutschlandfunk« vernehmen. Dann wurde Friedrich für seine Verhältnisse gar wunderlich. Er versprach, den Abgeordneten des Untersuchungsausschusses man werde »die Klarnamen all derjenigen, die dort angeworben wurden beziehungsweise wo Anwerbeversuche gemacht wurden, bereitstellen«.

Und tatsächlich: Die Obleute des Ausschusses können heute die ungeschwärzten Akten zu diesem Komplex in der Außenstelle des BfV einsehen. Diese Offenheit ist neu. Bislang bestimmten die Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern weitgehend darüber, wann die Abgeordneten was zum »Nationalsozialistischen Untergrund« und dem »Versagen« des Staates lesen durften. Es ist nicht bekannt, dass die Bundesregierung gegen diese Taktik interveniert hätte. Der Ausschuss-Vorsitzende Sebastian Edathy (SPD) beklagte bei der gestrigen 22. Sitzung, dass die Abgeordneten weiter behindert werden. Sogar die FDP erwägt rechtliche Schritte gegen die Behörden. Noch immer fehlen wesentliche Dokumente. So weigert sich der MAD weiter, Akten zu liefern.

Der Untersuchungsausschuss hat sich gestern mit den beiden NSU-Sprengstoff-Anschlägen in Köln und dem Mord an einem Kioskbesitzer in Dortmund befasst. Es ging zwar nicht in die Tiefe, doch zeitweise hoch her. Petra Pau, Obfrau der LINKEN, musste sogar mit der Anrufung eines Gerichts drohen. Als Zeugen geladen waren drei Polizisten und ein Staatsanwalt aus Nordrhein-Westfalen. Bei den Anschlägen 2001 und 2004 wurden fast 30 Personen zum Teil schwer verletzt.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 4. Juli 2012


Keinen Schritt weiter als am ersten Tag

NSU-Untersuchungsausschuss: Immer mehr Ungereimtheiten zu Ermittlungen in Köln

Von René Heilig **


Der sogenannte NSU-Untersuchungsausschuss hat sich in seiner Sitzung am Dienstag mit den beiden mutmaßlich von der »Zwickauer Terrorzelle« 2001 und 2004 verübten Sprengstoffanschlägen in Köln und dem Mord an einem Kioskbesitzer in Dortmund 2006 befasst. Geladen waren dazu drei Polizisten und ein Staatsanwalt aus Nordrhein-Westfalen.

Es sei bei den Ermittlungen »nicht wirklich etwas schief gelaufen«, resümierte der nordrhein-westfälische Kriminalhauptkommissar Markus Weber und ergänzte: »Dummerweise: Am Ende der Ermittlungen waren wir keinen Schritt weiter als am ersten Tag.« Bei diesen Worten blickte er gestern in ebenso ungläubige wie fassungslose Gesichter von Abgeordneten aller Fraktionen im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages.

Weber, 50 Jahre alt, ist auch als Kriminalist kein »heuriger Hase«. Seit 18 Jahren untersucht er bei der Kölner Kripo Tötungsverbrechen, seit 15 Jahren ist er befugt, als Chef von Mordkommissionen zu arbeiten. Weil er am 9. Juni 2004 Dienst hatte, wurde er alarmiert, als gegen 16 Uhr in der Kölner Kolbstraße eine Nagelbombe explodierte und rund 30 Menschen zum Teil schwer verletzte.

Zunächst waren Sprengstoffexperten gefragt, dann kam die kriminalistische Kleinarbeit. Schließlich fand man die Aufzeichnungen von zwei Überwachungskameras, auf denen zwei junge Männer extrahiert wurden. Einer schob zwei Mountainbikes - wie sich später herausstellte, waren es wohl die beiden Fluchtfahrzeuge der Täter. Ein anderer schob ein Fahrrad mit schwerer Last auf dem Gepäckträger. Das war vermutlich die Bombe. Sie bestand aus einem dickwandigen Schweißgasbehälter und einem Funkfernzünder. Die beiden müssen Bombenexperten gewesen sein, denn sie hielten unter anderem exakt jenen Abstand ein, der notwendig war, damit kein anderer zufällig die eingestellte Funkfrequenz aktiviert und die Bombe damit vorzeitig zündet.

Kein Zeuge kannte die Beiden, bei denen es sich vermutlich um Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die beiden männlichen Mitglieder der »Zwickauer Zelle« handelte. Ihnen werden zehn Morde an zumeist migrantischen Kleinhändlern zur Last gelegt.

Man habe in alle Richtungen ermittelt, sagte Weber gestern vor dem Ausschuss. Und man hatte ja auch eine vierseitige Operative Fallanalyse der Polizei-Profiler, die davon ausgingen, dass Türkenfeindlichkeit aus persönlichen Gründen im menschenverachtend-bösen Spiele sein musste. Die Psychologen wiesen auf politische Motive hin. Terror? Ja, nein, vielleicht

Doch die Fahnder und die Staatsanwaltschaft schlossen daraus nicht etwa fremdenfeindliche Hintergründe. Im Gegenteil: Terrorismus ausgeschlossen, hieß es am Tag 1 nach der Tat auf einer Pressekonferenz. Kein terroristischer Hintergrund, so sprach das Landesinnenministerium. Kein Terrorismus, verkündete der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) nur einen Tag nach der Tat.

Kein Terrorismus? Komisch, die Betreffzeile einer ersten Informations-E-Mail aus dem NRW-Landeskriminalamt zum Fall, sie ging um 17.04 Uhr raus, lautete: »Terroristische Gewaltkriminalität« Die Korrektur kam 17.45 Uhr: Es liegen keine Hinweise auf terroristische Gewaltkriminalität vor. Weber, der Chef der Untersuchungskommission, war aber erst ab 18 Uhr mit dem Fall befasst.

Ob der Sinneswandel mit einem Anruf des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu tun hat, der um 17.53 Uhr im Lagezentrum des NRW-Innenministeriums einging? Gewünscht war eine Verbindung zur Abteilung 6, das ist der Landesverfassungsschutz. Der meldete sich drei Minuten später und tat die Absicht kund, mit dem polizeilichen Staatsschutz Rücksprache zu nehmen.

Man kann nur spekulieren. Und leider muss man das, weil der Ermittlungsstand zu den NSU-Taten noch immer höchst vage ist. Mehr noch, offenkundig versucht »jemand« noch immer Tricks und Täuschungen anzubringen. Beispielsweise wenn es um ein Flugblatt geht, das nach dem Anschlag in einer Kölner Straßenbahn gefunden wurde. Da wird die Tat begrüßt und gehetzt, die Deutschen hätten genug von den Türken in der Kolbstraße. Der Wisch gipfelte in den Aufruf: »Deutsche wehrt euch!!!!« Schlecht informiert

Es bleibt das Geheimnis der Staatsanwaltschaft, die gestern durch den Pensionär Josef Rainer Wolf vertreten war, wie man daraus »Widerstand gegen Ausländerfeindlichkeit« herauslesen kann ... Noch 2012 hielt die Behörde an dieser Lesart fest. Hauptkommissar Weber ließ sich gestern von Ausschussmitgliedern zum Nachdenken drängen und hielt danach sowohl eine fremdenfeindliche wie das Gegenteil für möglich. Doch dazu musste der Grünen-Obmann Wolfgang Wieland schon schweres historisches Bildungsgeschütz auffahren. Er fragte den Kölner Polizisten nach Losungen, die im Hitlerreich an die Schaufenster jüdischer Geschäfte gesudelt worden waren. Weber musste passen, hatte dann aber doch schon mal irgendwann den Spruch »Deutsche wehrt euch...« gehört. Bereits mehrere Zeugen hatten im Verlauf der parlamentarischen Untersuchungen - gestern war bereits die 22. Sitzung des Ausschusses - beklagt, dass es keine Bekennerschreiben gegeben habe. So habe man ja nicht auf rechtsextremistische Hintergründe kommen können.

Manchen Ermittlern ist das dennoch gelungen - sogar bundesdeutschen Verfassungsschützern. Petra Pau von der Linksfraktion hatte in den zugestellten Aktenstapeln ein Dossier zum Sprengstoffanschlag in Köln entdeckt. Es war am 8. Juli 2001, also ungewöhnlich zeitnah erstellt und noch nicht vernichtet worden. Darin ist zu lesen, dass Nagelbomben dieser Bauart von »Combat 18« benutzt werden und dass diese militante Neonaziorganisation im Umfeld der Blood&Honour-Gruppierung auch Bauanleitungen publiziert. Der Bundesverfassungsschutz hatte sich sogar die Mühe gemacht, herauszufinden, wie viele Leute aus dem Großraum Köln Nutzer auf entsprechenden Websites sind. Doch derartige Informationen erreichten Polizisten wie Markus Weber nicht.

Auch ein früherer Kollege und Sprengstoff-Fachmann Edgar Mittler, der bereits pensioniert ist, aber gestern vor dem Ausschuss über Ermittlungen zum ersten Kölner Bombenanschlag gegen eine iranische Flüchtlingsfamilie 2001 berichtete, sah sich schlecht informiert. Doch Nazi-Täter wären ohnehin Sache des Staatsschutzes gewesen und er sei froh, da nie gearbeitet zu haben. Mittler hatte - letztlich nicht beachtete - Bezüge zum späteren Anschlag in der Kolbstraße gesehen. Doch zwischen beiden Bombenkonstruktionen hätten Welten gelegen.

Was waren seine ersten Gedanken, als man 2011 herausfand, dass auch für »seinen« Fall die Täterschaft des NSU-Terror-Trios angenommen werden muss? Irgendwie glaubt er das noch immer nicht, schließlich könne sich ja jeder mit irgendwelchen Taten auf einer selbstgebrannten DVD »schmücken«.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 4. Juli 2012


Bouffier keilt zurück

Von Sebastian Carlens ***

Um markige Worte ist Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) selten verlegen. Nachdem in der vergangenen Woche bekannt wurde, daß ein Ukas des damaligen Landesinnenministers die polizeiliche Befragung eines mordverdächtigen Verfassungsschutzmitarbeiters im Jahr 2006 verhindert hatte, geht der Politiker in die Offensive. Eine »Unverschämtheit« sei die »Unterstellung« des NSU-Ausschußvorsitzenden, ließ Bouffier seinen Regierungssprecher Michael Bußer mitteilen. Sebastian Edathy (SPD) hatte dem ehemaligen Innenminister in einem Interview mit dem ARD-»Morgenmagazin« am Dienstag »Verhinderung von Strafverfolgung im Amt« vorgeworfen. Bouffiers Stellvertreter Jörg-Uwe Hahn (FDP) äußerte, er habe noch nie erlebt, daß ein Ausschußvorsitzender »in einer solchen Dreistigkeit eine solche Bewertung vorgenommen hat, bevor Zeugen befragt wurden«. Der Bundestag solle »sich gut überlegen«, ob ein Gremium unter Edathys Leitung noch objektiv sei.

Dokumentation zum Download:

"Brauner Sumpf in der hessischen CDU"
Eine Dokumentation von Heidemarie Scheuch-Paschkewitz und Achim Kessler, Schwalmstadt und Frankfurt am Main



Dem Schlagabtausch zwischen Edathy und Bouffier war eine Zeugenbefragung vor dem Ausschuß in der vergangenen Woche vorausgegangen, bei der der Leitende Kasseler Kriminaldirektor Gerald Hoffmann ausgesagt hatte, vom hessischen Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) bei der Aufklärung eines Mordfalles behindert worden zu sein. Die »erste und einzige heiße Spur« nach dem Mord an dem Kasseler Internetcafébetreiber Halit Yozgat, der später der Zwickauer Terrorzelle zugeordnet werden konnte, habe zu dem während der Tat anwesenden Mitarbeiter des LfV, Andreas Temme, geführt. Seine Befragung sei vom Landesamt abgelehnt worden, schließlich ginge es »nur um Mord«. Bouffier stellte sich damals als oberster Dienstherr mit Verweis auf die »Sicherheit des Landes Hessen« hinter diese Entscheidung. Auch eine Befragung der V-Männer aus der neofaschistischen Szene, die Temme betreut und kurz vor sowie nach der Tat angerufen hatte, wurde unterbunden. Dieses Vorgehen Bouffiers bezeichnete Edathy als »drastisches Beispiel« politischer Versäumnisse.

Bouffiers aggressive Vorwärtsverteidigung fällt mit dem größten deutschen Geheimdienstskandal seit Jahrzehnten zusammen. Erst am Montag hatte der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Heinz Fromm, sein Ausscheiden aus dem Amt zum Monatsende angekündigt. Er zog damit die Konsequenzen aus der Vernichtung von Akten, die möglicherweise Hinweise zu Anwerbeversuchen der Terrorzellenmitglieder Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe durch deutsche Geheimdienste enthalten haben könnten. Der für die Schredderaktion verantwortliche Referatsleiter des BfV solle am morgigen Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuß befragt werden, kündigte Edathy an. Auch Heinz Fromm ist für Donnerstag als Zeuge vor das Gremium geladen.

Sein Rückzug bleibt möglicherweise nicht die letzte personelle Konsequenz aus dem Debakel um Fahndungspannen, Behördenvertuschungen und Falschaussagen vor dem Bundestagsausschuß. CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach sagte, der Rücktritt des Behördenchefs erledige das Thema keineswegs: »Bei persönlichen Konsequenzen für den Präsidenten wird es wohl nicht bleiben können«, sagte er dem Kölner Stadt-Anzeiger (Dienstagausgabe). Ausschußmitglied Patrick Kurth (FDP) sagte demselben Blatt: »Wir sind nahe an dem Zeitpunkt, zu dem geprüft werden muß, inwiefern die Parlamentarier auch juristisch gegen falsche Aussagen und Vertuschung vorgehen können.« Volker Bouffier könnte dafür ein erster geeigneter Kandidat sein.

*** Aus: junge Welt, Mittwoch, 4. Juli 2012


Wut wächst

Von René Heilig ****

Zum 22. Mal traf sich gestern der Bundestagsuntersuchungsausschuss, der herausfinden soll, weshalb unsere Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung der rechtsextremistischen NSU-Terror-Morde so kläglich versagten.

Als Zuhörer sind zwar in der Regel nicht mehr allzu viele deutsche Medienvertreter auf dem Rang, dafür umso mehr Interessierte aus der sogenannten türkischen Community. Man kennt sich, diskutiert - und spürt: Das Wort »Versagen« wird immer öfter mit einem ungläubigen Unterton ausgesprochen. Die Unzufriedenheit mit dem, was Zeugen aussagen, wächst. Man vermutet - wie in der Heimat - einen »tiefen Staat«, der über allem eine lenkende und eine schützende Hand hat.

Wie kann es sonst sein, dass dieses oberlehrerhafte Deutschland, dem Freiheit und Demokratie angeblich so viel bedeuten, Menschen schutzlos Nazibanden ausliefert? Und sich dann zufrieden geben will mit dem Rückzug von Präsident Fromm. Jemand erinnerte an den Fall eines jungen Deutschen, der sich unlängst in der Türkei einem britischen Mädchen zu derb genähert haben soll. Wie aktiv haben sich Bundespolitiker da eingeschaltet?! Von wegen, alle Menschen sind gleich... Die Opfer des NSU waren lediglich dienstbare Türken, heißt es bitter und man fragt: Wären die Ermittlungen auch so im Sande verlaufen, hätten die Nazis Jagd auf deutsche Banker und Staatsanwälte gemacht, wie weiland die RAF.

Die Fragen der türkischen Mit-Zuhörer werden drängender, man spürt nur mühsam gezügelte Wut und hat kaum Argumente dagegen.

**** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 4. Juli 2012 (Kommentar)

Reaktionen: »Ungeheuerlicher Vorgang« *****

Die Türkische Gemeinde in Deutschland hat den Rücktritt des Verfassungsschutzpräsidenten Heinz Fromm wegen der bekanntgewordenen Aktenvernichtung im Zusammenhang mit Ermittlungen über die Neonaziterrorgruppe NSU begrüßt. »Es ist höchste Zeit, politische Konsequenzen zu ziehen«, erklärte der Bundesvorsitzende Kenan Kolat am Montag in Berlin. Den deutschen Behörden warf Kolat vor, »den Rassismus in Deutschland« jahrelang »kleingeredet« zu haben. »Jetzt sitzen wir alle auf den Scherben dieser Politik.« In der Berliner Zeitung vom Dienstag wurde er deutlicher: Die Vernichtung von Akten im Bundesamt für Verfassungsschutz sei »ein ungeheuerlicher Vorgang«. »Das macht mich stutzig, ob es nicht eine Verquickung des Verfassungsschutzes mit den Terroristen gab.« Nachdem die NSU-Zelle aufgeflogen sei, habe er noch sehr viele Fragezeichen hinter diesen Verdacht gemacht. »Heute kann ich maximal noch ein Fragezeichen machen. Ich habe heute überhaupt kein Vertrauen mehr in die Sicherheitsorgane – in den Verfassungsschutz schon gar nicht.«

Die Obfrau der Linken im NSU-Untersuchungsausschuß, Petra Pau, verlangte gestern, daß auch die Frage nach der politischen Verantwortung gestellt werde. So müsse etwa geklärt werden, warum der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) unmittelbar nach dem Nagelbombenanschlag in Köln im Juni 2004 erklärt habe, daß ein fremdenfeindlicher Hintergrund ausgeschlossen werden könne und wie diese Erklärung die Ermittlungen beeinflußt habe. Pau nannte es einen Skandal, daß der Militärische Abschirmdienst (MAD) seine Akten zur »Operation Rennsteig« nicht herausgeben will. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) müsse dies bei Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) erwirken.

Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, bilanzierte: »Der Verfassungsschutz hat nicht nur Fehler gemacht, er ist der Fehler.« Die nun bekanntgewordene Vernichtung von Akten zum V-Leute-Einsatz in der Neonaziszene sei nur das i-Tüpfelchen in einer Kette von Skandalen. Sie verlangte die Auflösung der »demokratisch nicht zu kontrollierenden« Verfassungsschutzämter (siehe auch ihren Kommentar in jW vom 3. Juli). (dapd/AFP/jW)

***** Aus: junge Welt, Mittwoch, 4. Juli 2012




Zurück zur Verfassungsschutz-Seite

Zur Seite "Rassismus, Rechtsradikalismus, Neonazismus"

Zurück zur Homepage