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V-Mann auf NSU-Liste

Hitler-Verehrer arbeitete für Sachsens Verfassungsschutz. Ehemaliger NPD-Abgeordneter zählt auch zum Umfeld der rechten Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund«

Von Markus Bernhardt *

Die Serie von Erkenntnissen über Verstrickungen des Verfassungsschutzes in das mörderische Treiben des neofaschistischen Terrornetzwerkes »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) reißt nicht ab. Nach dem sächsischen NPD-Chef Holger Szymanski ist nun auch der ehemalige NPD-Landtagsabgeordnete Peter Klose aus Zwickau als V-Mann des Verfassungsschutzes aufgeflogen. Ermittlungsbehörden rechnen letzteren zum NSU-Umfeld. So findet sich Kloses Name auf der kürzlich bekanntgewordenen Liste mit 129 Personen wieder, die laut Bundesanwaltschaft die drei NSU-Haupttäter Beate Zschäpe, Uwe Bönhardt und Uwe Mundlos unterstützt haben sollen. Auf einer vorangegangenen Liste mit 100 Kontaktleuten fehlte Kloses Name hingegen noch.

Klose selbst ist in der rechten Szene alles andere als das, was man ein unbeschriebenes Blatt nennen könnte. Der Hitler-Verehrer rückte im Dezember 2006 für den sächsischen NPD-Abgeordneten Matthias Paul in das Landesparlament nach. Der hatte sein Mandat zurück- und alle Parteiämter aufgegeben, nachdem bekanntwurde, daß gegen ihn wegen Besitzes und Verbreitens von Kinderpornographie ermittelt wird. Nach Verwerfungen mit der NPD trat Klose, der mittlerweile aufgrund eines Schlaganfalles nicht mehr ansprechbar ist, im April 2011 aus der Partei aus. Im November 2011 hatte der überzeugte Neonazi neuerlich für Schlagzeilen gesorgt. Klose präsentierte sich – wohlgemerkt noch vor den Enthüllungen über den NSU-Terror – im Internetportal Facebook unter dem Namen »Paul Panther«, als Profilfoto verwendete er die Zeichentrickfigur »Paulchen Panther«. Dieser Vorgang sorgte damals für Spekulationen, inwiefern Klose von den NSU-Verbrechen gewußt hat. Schließlich hatten die NSU-Terroristen die Zeichentrickfigur in ihrem später bekanntgewordenen Bekennervideo genutzt.

Dafür, daß Klose selbst in das NSU-Unterstützernetzwerk verstrickt war, spricht auch, daß er eine Bindegliedfunktion zwischen verschiedenen neofaschistischen Gruppierungen und Personen ausfüllte. So galt er unter anderem als Unterstützer der Gruppe »Nationale Sozialisten Zwickau«. Der soll auch André Eminger angehört haben, der sich ab April als NSU-Unterstützer auf der Anklagebank im Münchner Oberlandesgericht wiederfindet. Auch zu Thomas »Ace« Gerlach, der mit der mutmaßlichen NSU-Helferin Mandy Struck liiert war, soll Klose Kontakt gepflegt haben.

Kritik am Verfassungsschutz übte am Mittwoch Kerstin Köditz, Landtagsabgeordnete der sächsischen Linksfraktion und deren Sprecherin für antifaschistische Politik: »Der ehemalige sächsische Geheimdienstchef Reinhard Boos stellte auf meine Frage im NSU-Untersuchungsausschuß, weshalb Peter Klose nicht als Kontaktperson dem Generalbundesanwalt zugearbeitet worden sei, dessen Relevanz in Frage. Der stellvertretende Verfassungsschutzpräsident Olaf Vahrenhold hat immer betont, es gäbe keine sächsischen V-Leute auf der Hunderterliste. Hat man vielleicht Klose bewußt weggelassen, um nicht die Unwahrheit zu sagen?« Gegenüber junge Welt erklärte Köditz, sie fühle sich durch diesen neuen Fall in zwei Aussagen bestätigt, »die ich schon lange als bewiesen ansehe: Erstens war das Umfeld der Helfer und Kontaktleute so groß, daß man unmöglich von Einzeltätern oder einer Zelle sprechen kann, und zweitens wimmelte es in der Nähe des NSU von staatlich bezahlten Spitzeln.«

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 28. März 2013


"Verfassungsschutz abwickeln"

Sächsische Linksfraktion fordert Auflösung der Inlandsgeheimdienste. Ein Gespräch mit André Hahn **

Dr. André Hahn ist innenpolitischer ­Sprecher der sächsischen Linksfraktion.

Anfang Januar gab Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) bekannt, daß der Verfassungsschutz künftig nicht mehr die ganze Linkspartei überwacht, sondern nur noch deren »extremistische Zusammenschlüsse«. Sie haben sich in Sachsen unter anderem aufgrund Ihres antifaschistischen Engagements einen Namen gemacht und wurden dafür sogar vor Gericht gezerrt. Verfügen Sie über Erkenntnisse, ob auch Sie vom Geheimdienst überwacht wurden oder sogar noch werden?

Die Überwachung der Linken und auch die von deren Abgeordneten durch den Verfassungsschutz ist ein völlig absurder Vorgang ohne jede Grundlage. Deshalb muß diese Bespitzelung auch sofort eingestellt werden.

In Sachsen werden nach offiziellen Angaben derzeit noch die »Kommunistische Plattform« und das »Marxistische Forum« beobachtet. Schließlich muß man ja den Vorgaben der CDU-Innenpolitik und deren Extremismustheorie entsprechen, nach denen linke und rechte Gruppierungen gleichermaßen gefährlich seien und deshalb observiert werden müßten. Linke-Abgeordnete werden in Sachsen angeblich nicht überwacht, doch es würde mich schon sehr wundern, wenn nicht auch von uns Daten gespeichert würden. Was mich selbst anbelangt, so war ich über 17 Jahre als parlamentarischer Geschäftsführer und Vorsitzender der Landtagsfraktion in herausgehobenen Funktionen tätig, was auch der Verfassungsschutz registriert haben wird. Allerdings wäre es natürlich ein Politikum, wenn gerade jetzt herauskommen würde, daß der Geheimdienst in meinem Fall tätig geworden ist, während man beim »Nationalsozialistischen Untergrund« angeblich nichts herausfinden konnte. Zudem sind ja bekanntlich auch diverse Akten vernichtet worden, so daß ich eine eindeutige Antwort auf Ihre Frage nicht geben kann.

Das Dresdner Landesamt für Verfassungsschutz war in der Vergangenheit in diverse Skandale involviert. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den sogenannten Sachsensumpf, aber vor allem auch an die Verstrickungen bzw. das Nichtstun der Behörde im Fall des von Ihnen bereits erwähnten neofaschistischen Terrornetzwerks »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU). Bisher hat es jedoch kaum Konsequenzen gegeben …

Offenbar ist man sich bei den Verantwortlichen einer Schuld oder wenigstens Mitschuld noch immer nicht bewußt. Die Verfassungsschutzämter haben nicht nur relativ wenig gebracht, sie haben sogar nachweisbar geschadet. Wenn ich beispielsweise an das 2003 vor dem Bundesverfassungsgericht gescheiterte NPD-Verbotsverfahren denke, weil in dem Beweismaterial gleich dutzendfach auf staatlich bezahlte V-Leute zurückgegriffen wurde und die Richter am Ende nicht mehr sicher unterscheiden konnten, welche Aussagen denn nun authentisch von der NPD stammten.

Dieses Problem gibt es ja bis heute. Seit dem Auffliegen des NSU im November 2011 befinden sich die Geheimdienste in der Bundesrepublik in einer tiefen Krise und sehen sich zu Recht existentiell gefährdet. Bis auf ein paar Rücktritte von Verfassungsschutzchefs ist aber in den zurückliegenden Monaten nicht viel geschehen. Durchgreifende Reformen – Fehlanzeige. Rückhaltlose Aufklärung in den eingesetzten Untersuchungsausschüssen – Fehlanzeige. Übernahme politischer Verantwortung für die Pannen von Polizei und Geheimdiensten – Fehlanzeige. Abschaltung der V-Leute – Fehlanzeige. Stärkung der parlamentarischen Kontrolle – ebenfalls Fehlanzeige.

Das gilt auch für das sächsische Landesamt. Zwar hat Präsident Reinhard Boos seinen Hut genommen. Sein Vizepräsident, der viele Jahre für den Rechtsextremismusbereich zuständig war und auch im Untersuchungsausschuß eine denkbar unglückliche Figur abgegeben hat, ist dagegen nach wie vor im Amt.

Wir haben im Landtag einen durchaus kritischen Abschlußbericht der Parlamentarischen Kontrollkommission behandelt, und Innenminister Markus Ulbig setzte schließlich eine sogenannte Expertenkommission zur Neuordnung des Landesamtes für Verfassungsschutz ein, die Ende Februar ihre Vorschläge präsentiert hat.

Von der Einsetzung dieser Kommission erfuhren die gewählten Abgeordneten aus der Presse. Weder konnte das Parlament auf deren Zusammensetzung Einfluß nehmen, noch wurden die Mitglieder im Nachgang den zuständigen Gremien vorgestellt.

Der Bericht enthält daher neben bereits bekannten Kritikpunkten auch wenig Neues: Es gibt keine erkennbare Neuorganisation des Landesamtes für Verfassungsschutz und keine personellen Veränderungen infolge der Pannenserie der letzten Monate.

Am höchst umstrittenen V-Leute-System soll weiter festgehalten werden, lediglich eine kontinuierliche »Quellenkritik« hält man für geboten. Es gibt offenkundig keinerlei strukturelle Korrekturen, statt dessen spricht der Innenminister von einem »Philosophiewechsel«. »Modern und service­orientiert« solle der Verfassungsschutz werden, so Markus Ulbig. Das alles sind wohlfeile Schlagworte ohne jede Untersetzung. Der Innenminister agiert – wie so oft – mut- und kraftlos.

Geheimdienste, das sagt bereits die Bezeichnung aus, agieren im geheimen. Ist es nicht naiv, wenn manche Politiker nun fordern, daß die Verfassungsschutzämter zukünftig transparenter arbeiten müßten?

Ich weiß nicht, ob das naiv ist. Aber es liegt in der Natur der Sache, daß ein Nachrichtendienst, der sich wirklich kontrollieren läßt, eben nicht mehr geheim agieren kann.

Sie selbst sind Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission, der PKK, des Sächsischen Landtages, die das Wirken des Landesamtes für Verfassungsschutz auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüfen soll. Die PKK-Mitglieder sind jedoch unter Strafandrohung zur Geheimhaltung verpflichtet. Was könnten Sie unternehmen, sollten Ihnen massive Rechtsverstöße des Geheimdienstes bekannt werden?

Das ist insofern eine schwierige Frage, weil ich im Zweifel Gefahr laufen würde, mich strafbar zu machen, und für Geheimnisverrat drohen bis zu drei Jahre Haft. Dem Vernehmen nach wurde schon mehrfach diesbezüglich auch gegen Mitglieder der sächsischen PKK ermittelt, wenn brisante Informationen den Weg in die Medien fanden, selbst wenn sie gar nicht von dort kamen. Und gerade bei Vertretern meiner Partei ist man bekanntlich in Sachsen sehr schnell, wenn es um die Einleitung juristischer Verfahren geht.

Aber zurück zu Ihrer allgemein gehaltenen Frage, auf die ich auch entsprechend antworten möchte. Wenn mir wirklich gravierende Rechtsverstöße des Verfassungsschutzes bekannt werden würden, dürfte ich als einzelnes Mitglied weder das Parlament noch die Öffentlichkeit darüber informieren. Dies wäre nur dann möglich, wenn die Mehrheit der PKK beschließt, eine Presseerklärung herauszugeben.

Zu einer solchen Erklärung dürften meine Fraktionskollegin Kerstin Köditz und ich dann auch eine Minderheitsposition formulieren. Wenn die regierungstragende Mehrheit von CDU und FDP jedoch einen brisanten Vorfall verschweigen will, dann kann sie dies tun, ohne daß wir uns dagegen wehren könnten. Und wenn wir dann doch etwas öffentlich machen würden, greift wieder das Strafrecht. Soviel zum Thema parlamentarische Kontrolle von Geheimdiensten …

Ihre Partei fordert mehrheitlich die Auflösung der bundesdeutschen Inlandsgeheimdienste. Bestünde dann nicht die Gefahr, daß neofaschistische Parteien und Organisationen noch unkontrollierter agieren könnten?

Ich vermag nicht zu erkennen, daß das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz in den vergangenen zwei Jahrzehnten wirklich einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung von Nazistrukturen oder auch Parteien der extremen Rechten geliefert haben. Zivilgesellschaftliche Initiativen und auch einzelne Publizisten sowie Medienvertreter haben hier deutlich mehr geleistet. Und wenn man sich die Vorgänge um den »Thüringer Heimatschutz« ansieht, dann hat man den Eindruck, daß der Verfassungsschutz durch den Einsatz von V-Leuten und deren Bezahlung den Aufbau neofaschistischer Strukturen nicht verhindert, sondern eher noch befördert hat. Von daher würde eine schrittweise Abwicklung von Inlandsgeheimdiensten ganz bestimmt keine zusätzlichen Gefährdungen mit sich bringen.

Welche Schritte müßten eingeleitet werden, um eine ernsthafte Demokratisierung des Behördenapparates beim Verfassungsschutz zu erreichen?

Ich glaube, dazu ist es inzwischen zu spät. Wie auch die Grünen in Sachsen haben wir als Linke keinerlei Vertrauen mehr in die Erneuerungsfähigkeit des hiesigen Verfassungsschutzes. Er ist schlichtweg nicht mehr reformierbar. Deshalb plädieren wir für seine geordnete Abwicklung und die Errichtung eines Informations- und Dokumentationszentrums ohne geheimdienstliche Befugnisse.

Interview: Markus Bernhardt

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 28. März 2013


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