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Verschleierungstaktik

Brauner Terror und Verfassungsschutz: Nur durch Einrichtung eines Untersuchungsausschusses und einer "zivilgesellschaftlichen" Kommission besteht Chance auf Aufklärung

Von Markus Bernhardt *

Die Chancen, daß die offensichtlichen Verstrickungen der Inlandsgeheimdienste in die Morde und Bombenanschläge des neofaschistischen Terrornetzwerkes »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) tatsächlich aufgeklärt werden, schwinden zunehmend. Zwar beantragte die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen am Dienstag die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses im Bundestag, der Licht in das Dickicht des größten Geheimdienstskandals der Nachkriegsgeschichte bringen soll. Ob dieser jedoch tatsächlich zustande kommt, gilt als fraglich, da CDU/CSU, FDP und SPD sich bisher einzig für die Einrichtung einer sogenannten Bund-Länder-Kommission aussprechen. Diese wäre jedoch in Sachen Aufklärung gänzlich ungeeignet. Eine solche Kommission hätte im Gegensatz zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß, dessen Einrichtung mindestens ein Viertel aller Bundestagsabgeordneten zustimmen müßten, keinerlei Recht, Zeugen vorzuladen und zu befragen sowie Beweismittel zu sichten. Somit besteht derzeit die akute Gefahr, daß einzig den Polizei- und Verfassungschutzbehörden die Rolle zuteil wird, den von ihnen selbst verursachten Skandal »aufzuarbeiten« – oder daß das Ganze hinter den Türen der geheim tagenden »Parlamentarischen Kontrollgremien« von Bund und Ländern stattfindet.

Zwar wäre fernab der parlamentarischen Aufklärung über die Förderer, Verharmloser und Mitglieder des braunen Terrornetzwerkes tatsächlich eine Kommission von Nöten. Diese sollte jedoch im Gegensatz zu den bisher unterbreiteten Vorschlägen keinesfalls aus Mitarbeitern der Geheimdienste, Polizeibehörden und aus aktiven Politikern aus Bund und Ländern bestehen. Schließlich befindet auch kein Bankräuber vor Gericht selbst über das über ihn gefällte Urteil. Erfolgversprechender wäre – als Ergänzung zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß – vielmehr eine Kommission aus gesellschaftlich anerkannten namhaften Persönlichkeiten zu gründen, wie etwa den Altliberalen Burkhard Hirsch und Gerhard Baum, den Bürgerrechtlern und Publizisten Günther Wallraff und Rolf Gössner sowie Vertretern von Migranten, die maßgeblich von den Morden und Anschlägen des NSU betroffen ist. Eine solche Kommission böte zumindest die Chance, den für eine reale Aufklärung nötigen öffentlichen Druck zu erzeugen.

Nach wie vor sind viele Fragen offen, die zwar schlaglichtartig in der Berichterstattung der Mainstreammedien auftauchen, dann aber ebenso schnell wieder verschwinden. So ist nicht befriedigend geklärt, ob Beate Zschäpe vom »Zwickauer Terrortrio« tatsächlich im Dienst des Verfassungsschutz stand, wie etwa die Leipziger Volkszeitung im November berichtet hatte. Unbeantwortet ist außerdem noch immer, ob sich die beiden weiteren NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am 4. November in ihrem Wohnmobil in Eisenach tatsächlich selbst richteten. Zwar wird diese Version nach wie vor von den Ermittlungsbehörden behauptet, Anwohner hatten jedoch ausgesagt, weder vor noch während des Brandes des Wohnmobils Schüsse gehört zu haben, sodaß davon auszugehen ist, daß Mundlos und Böhnhardt schon tot waren, als das Wohnmobil in Brand gesetzt wurde (jW berichtete). Darüber hinaus ist der Öffentlichkeit bis heute nicht bekannt, was aus der Beute aus den mindestens 14 Banküberfällen, die das Neonazitrio verübt haben soll, geworden ist.

Erklärungsbedarf besteht außerdem bezüglich des früheren Thüringer Verfassungsschutzchefs Helmut Roewer und seine Verstrickungen in das V-Leute-System des Inlandsgeheimdienstes. Dieser war im Jahr 2000 unter anderem suspendiert worden, weil er höchst eigenwillig mit der Zahlung von Honoraren für die V-Leute der Behörde hantiert haben soll. Nach Informationen der FAZ (Mittwochausgabe) enthält ein geheimer Bericht über den thüringischen Verfassungsschutz aus dem Jahr 2001 die Auffassung, der Geheimdienst habe seine V-Leute nicht im Griff. Die Untersuchung des damaligen Innenstaatssekretärs sei von der Spitze des Verfassungsschutzes abgeblockt worden. Im Innenministerium, wo der Bericht entstand, sollen Kabel verlegt gewesen sein, die geeignet gewesen sein sollen, mit Richtmikrofonen auf den Raum zu zielen, in dem der Staatssekretär die VS-Mitarbeiter befragte.

Auch die Aktivitäten des mit dem Spitznamen »kleiner Adolf« versehenen früheren hessischen Verfassungschutzmitarbeiters sind bisher keineswegs aufgeklärt. Die Landesregierung in Wiesbaden hat offensichtlich keinerlei Interesse an einer Untersuchung ihrer eigenen Verstrickungen. So soll Hessens Innenminister Boris Rhein (CDU) Medienberichten zufolge den Antrag der Generalbundesanwaltschaft (GBA) auf Akteneinsicht im Verfassungsschutz seines Landes als »feindlichen Akt« bezeichnet haben. Der frühere Innenminister und heutige CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier schließlich hat im Jahr 2006 genauere Hintergründe über Ermittlungen gegen den damaligen hauptamtlichen VS-Mitarbeiter »Kleiner Adolf« verschwiegen.

Sollten die verschiedenen Verfassungsschutzämter, Ermittlungsbehörden und auch der ebenfalls in den Skandal verstrickte Bundeswehrgeheimdienst MAD weiterhin nicht zur Offenlegung der eigenen Verstrickungen und des – zumindest derzeit noch – existierenden Aktenmaterials in Sachen NSU gezwungen werden, steht zu befürchten, daß die bundesdeutschen Geheimdienste weiterhin als Staat im Staate agieren können. Vor diesem Hintergrund erscheint auch die Einsetzung von mehr als 420 Ermittlern, die derzeit im NSU-Komplex tätig sind, als nahezu wertlos. Vor allem vor dem Hintergrund, daß sämtliche Landesinnenminister – inklusive des »rot-rot« regierten Brandenburg – ihren Landeskriminalämtern eine Aussagegenehmigung vor dem Innenausschuß des Bundestags verweigert haben und somit die Aufklärung des Skandals – ganz im Gegensatz zu ihrern Beteuerungen – massiv behindern.

* Aus: junge Welt, 15. Dezember 2011


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