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Verfassungsschutz setzt auf PR

Nach diversen Skandalen will der Inlandsgeheimdienst sein Image aufpolieren

Von Markus Mohr *

Ende August verabschiedeten im Haus des Bundesrates in Berlin die Innenminister der Länder und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ein »Strategiepapier zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes«. Es ist unter dem Eindruck der Anfang November 2011 aufgedeckten Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) entstanden – einer Terrorzelle, die in der zweiten Hälfte der 90er Jahre aus der neofaschistischen Organisation »Thüringer Heimatschutz« hervorgegangen ist, die zuvor mit Protektion und großzügiger Alimentierung der Verfassungsschutzbehörden aufgebaut worden war.

Das Strategiepapier, das jetzt auf der Website des niedersächsischen Innenministeriums abrufbar ist, trägt wesentlich die Handschrift der Verhandlungsführer für die SPD-Länder, NRW-Innenminister Ralf Jäger, und des niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann für die CDU. Anders als der Titel suggeriert, geht es nicht um eine »Neuausrichtung«. Vielmehr handelt es sich um Vorschläge zur Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit. Mit dem erklärten Ziel, das »Zutrauen der Menschen in die Leistungsfähigkeit der Verfassungsschutzbehörden zu stärken«, hoffen die Protagonisten darauf, eine von kritischen Einwänden aller Art unbehinderte Weiterarbeit der Verfassungsschutzbehörden zu gewährleisten. Immer noch gelten den Ministern die Inlandsnachrichtendienste »auf Grund ihrer Erkenntnisse« als »Experten und maßgebliche Bewertungsinstanz für Extremismus«. Ihre Meinung sei gefragt, »gerade in kritischen Zeiten«. Deshalb sollten sie sich an öffentlichen Diskussionen in der Gesellschaft »noch stärker beteiligen als bisher«. Die in den letzten Jahren vom Verfassungsschutz frei von jeder gesetzlichen Grundlage forcierte »politische Bildungsarbeit« wird dabei als »Form der Aufklärung und Prävention« besonders hervorgehoben.

Unter der von den Verfassungsschutzmitarbeitern Armin Pfahl-Traughber und Thomas Grumke 2010 in einem Wissenschaftsverlag plazierten Formel des »offenen Demokratieschutzes« sollen sich die Ämter neben der Fortführung ihrer operativen Arbeit durch »eine offensive Öffentlichkeitsarbeit, Aufklärung vor Ort und die Zusammenarbeit mit allgemein anerkannten Initiativen der Gesellschaft« dieser noch »weiter öffnen«. Dies, so zeigen sich die Innenminister überzeugt, würde den geheimen Diensten »auf der anderen Seite Akzeptanz für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel« verschaffen.

Das Strategiepapier kann als ein Plädoyer dafür interpretiert werden, in naher Zukunft die Eindringtiefe dieser irregulär tätigen Behörden in die Gesellschaft weiter zu forcieren. Es gehört zur Wettbewerbspropaganda des entfesselten Kapitalismus, daß der freie Markt auch für ein Scheitern einzelner seiner Spieler sorgen kann. Die aktuelle Entwicklung in der Finanzbranche, aber auch der Agenturen der Inneren Sicherheit widerlegt eben diese Propaganda und kreiert eine Paradoxie: Diejenigen Institutionen, denen nach den Spielregeln des etablierten Systems in aller Öffentlichkeit »Versagen« bescheinigt wird, profitieren im Ergebnis genau davon. Am Ende werden sie mit zusätzlichen Ressourcen und Kompetenzen belohnt.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 12. September 2012


Dokumentiert:

Innenminister der Länder beschließen Neuausrichtung des Verfassungsschutzes

Presseinformation des Niedersächsiscxhen Ministeriums für Inneres und Sport

HANNOVER/BERLIN. Die Innenminister der Länder haben bei ihrem Arbeitstreffen in Berlin ein Zehn-Punkte-Konzept zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes beschlossen. Darin schlagen die Minister konkrete Maßnahmen vor, um einen modernen, transparenten und zukunftsfähigen Verfassungsschutz zu schaffen, teilt Innenminister Uwe Schünemann mit. „Eine bundesgesetzliche Absicherung der einzelnen Maßnahmen muss noch in dieser Legislaturperiode erfolgen." Schon im Vorfeld von gesetzlichen Regelungen auf Bundesebene werden die Länder in eigener Kompetenz ihre Verfahrensregelungen zur Zusammenarbeit überarbeiten und präzisieren, so Innenminister Schünemann.

„Niedersachsen wird sich auch für eine Stärkung der Zentralstellen- und Koordinierungsfunktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz einsetzen, ohne dadurch originäre Länderkompetenzen einzuschränken. Die Gefahren entstehen vor Ort und müssen auch dort erkannt werden. Die länderübergreifende Analyse muss deutlich verbessert werden, um aussagekräftige Lagebilder zu erhalten. Hierfür sind als Basis örtliche und regionale Kenntnisse der Behörden für eine starke Extremismusbekämpfung unverzichtbar", betont Uwe Schünemann. Die Kompetenzen der Länder liegen gerade in der örtlichen und regionalen Informationsgewinnung bzw. -beschaffung und -analyse. „Wer die extremistischen Gefahren wirklich ‚Sehen' will, darf die Länder nicht blind machen! Wir brauchen ein starkes Bundesamt und starke Landesämter, darin liegt die Zukunft des Verfassungsschutzes. Das klare Ziel des Verfassungsschutzes muss heißen: Wir sammeln, um zu erkennen und auszutauschen", so der Minister.

Nach den Vorgängen rund um die NSU dürfe jetzt, so Schünemann weiter, kein Kompetenzgerangel zwischen dem Bund und den Ländern entstehen. Vielmehr sollen die vorhandenen Strukturen optimal genutzt werden. Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten müssen klar formuliert sein. „Das bedeutet vor allem, dass der gegenseitige Austausch von wichtigen Informationen selbst verpflichtend, strukturierter und standardisierter zwischen Bund und Ländern erfolgen muss.

Vorgesehen sei außerdem ein Ausbau der parlamentarischen Kontrolle.

Auf dieser Legitimationsgrundlage sei der Verfassungsschutz für aktuelle und zukünftige Herausforderungen gewappnet.

Zur Erfüllung seines gesetzlichen Auftrages als Frühwarnsystem der wehrhaften Demokratie ist für den Verfassungsschutz der Einsatz von Vertrauensleuten neben anderen nachrichtendienstlichen Mitteln von entscheidender Bedeutung. Die Auswahl von V-Leuten, ihre Führung und die Kontrolle ihres Einsatzes müssen jedoch klaren und verbindlichen Regeln folgen. Deshalb halten wir einen bundesweiten Standard für die V-Mann Führung für erforderlich.

Für die Aus- und Fortbildung im Verfassungsschutz müssen Standards gefunden werden, die laufend an den aktuellen Forschungs- und Erkenntnisstand angeglichen werden. Dabei sollten die Ausbildungsmöglichkeiten des Bundes von den Ländern noch mehr genutzt werden.

In der Anlage befinden sich das Eckpunkte- sowie das Strategiepapier zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes.

Hier geht es zu beiden Papieren: [externer Link]




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