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Wowereit schweigt zur NSU-Affäre

Innensenator Henkel lässt unterdessen Druck bei Polizeivizepräsidentin Koppers ab

Von Martin Kröger *

Klaus Wowereit (SPD) hat an diesem Donnerstagmittag mit dem Sturm zu kämpfen. Der Wind reißt ihm kurz sogar einige Blätter für seine Eröffnungsrede zur neuen Black Box zum Kalten Krieg am Checkpoint Charly aus der Hand, danach rauscht es permanent im Mikrofon. Über den medialen Sturm, der derzeit zu seinem rot-schwarzen Senat in der Stadt tobt, will sich Berlins Regierender Bürgermeister am gestrigen Mittag jedoch nicht äußern.

Auf Nachfrage des »neuen deutschland«, ob er finde, dass die »Krise des Senats medial aufgebauscht« sei?, fragte Wowereit nur lässig zurück: »Hier in der Black Box?« Nein, natürlich zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) und seinem Innensenator Frank Henkel (CDU). Dazu sagt Wowereit gar nichts. Er schiebt stattdessen den Reporter mit dem Satz: »Gewöhnt euch mal daran, einen eigenen Platz zu finden« zur Seite. Aber können die NSU-V-Mann-Affäre und die Verwicklung der Berliner Behörden und vor allem der stark angeschlagene Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU) Wowereit wirklich kalt lassen? Ausgerechnet jener Klaus Wowereit, der sich in den vergangenen Jahren sehr glaubhaft für ein Verbot der rechtsextremen NPD einsetzte?

Natürlich lässt das auch Wowereit nicht unberührt. Aus dem Umfeld des Regierenden heißt es, dass es zurzeit allerdings Sache der Innenverwaltung sei, Licht ins Dunkel der V-Mann-Affäre zu bringen. Überdies sei es selbstverständlich wichtig, dass alles restlos aufgeklärt werde. Dafür biete sich der unabhängige Sonderermittler an, den Innensenator Frank Henkel ins Spiel gebracht habe. Am Ende muss durch Aufarbeitung sichergestellt sein, dass so etwas nicht noch mal passiert.

Ganz ähnlich klingt auch die neue Verteidigungsstrategie, mit der die Berliner CDU ihren massiv unter Druck stehenden Landeschef und Innensenator entlasten will: »Materiell« seien die Aussagen der Generalbundesanwaltschaft und des Innensenators gar nicht widersprüchlich, sondern das werde nur »inhaltlich« so interpretiert, heißt es in einer Erklärung der innen- und verfassungsschutzpolitischen Sprecher der CDU, Robbin Juhnke und Stefan Lenz. Henkel war auch deshalb in Erklärungsnöte geraten, weil er gesagt hatte, dass seine Polizeibehörde Akten zum V-Mann des Berliner Landeskriminalamtes und mutmaßlichen NSU-Unterstützer Thomas S. im März dieses Jahre nicht an den Bundestagsuntersuchungsausschuss weitergeleitet habe, weil er die laufenden Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft zum im NSU-Kontext Beschuldigten S. nicht vereiteln wollte. Außerdem sei über den V-Mann Vertraulichkeit mit der Generalbundesanwaltschaft (GBA) vereinbart worden.

Die Chefermittler aus Karlsruhe sehen dies freilich weiter anders. »Die Bundesanwaltschaft hat das Polizeipräsidium Berlin oder dessen vorgesetzte Landesbehörde zu keinem Zeitpunkt angewiesen, aufgefordert oder gebeten, die in Rede stehenden Kenntnisse nicht an den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages weiterzuleiten.« Wer Recht hat, wird sich zeigen.

Fest steht, dass sich weder in den Akten noch an anderer Stelle bisher eine schriftliche Notiz zur Vertraulichkeit über den V-Mann findet. Polizeivizepräsidentin Margarete Koppers bleibt indes ebenfalls bei ihrer Darstellung. »Es wurde vereinbart, dass weder von Seiten der GBA noch von Berliner Seite Informationen herausgegeben werden.« Eine Aussage, hinter der sich der Innensenator Frank Henkel inzwischen verschanzt: Laut Polizei habe es eine Vereinbarung mit dem Generalbundesanwalt gegeben, Informationen über S. solange geheim zu halten, bis die Gefährdung des V-Mannes und der Ermittlungen geprüft sei. »Ich habe keinen Anlass, an dieser Darstellung zu zweifeln«, hatte Henkel wiederholt betont. Das heißt aber auch: Wenn daran etwas nicht stimmt, muss Koppers dafür gerade stehen.

Aus dieser Sicht scheint es nicht ausgeschlossen, dass die Vizepolizeipräsidentin ihren Posten wegen der NSU-V-Mann-Affäre in Berlin verlieren könnte. Ihre Chancen, den vakanten Chefposten bei der Polizei zu ergattern, dürften auf jeden Fall stark geschrumpft sein.

Die Aufarbeitung der V-Mann-Affäre soll bereits am Montag im Innenausschusses des Abgeordnetenhauses weitergehen. Am 22. Oktober will dann der ehemalige Innensenator Ehrhart Körting Rede und Antwort stehen, in dessen Amtszeit die Anwerbung des V-Mannes Thomas S. stattfand. Nach eigenen Angaben wusste Körting nichts von dem brisanten V-Mann.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 21. September 2012


Von "Vertrauensmännern" umhegt

Immer mehr Unterstützer des NSU werden als Spitzel enttarnt

Von Jörn Boewe und Sebastian Carlens **


Der Spitzel Thomas Starke, der über zehn Jahre dem Berliner Landeskriminalamt (LKA) zuarbeitete, wird von der Bundesanwaltschaft der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung – dem »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) – verdächtigt. Doch nicht nur das Berliner LKA, auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) soll einen »Vertrauensmann« mit dem Decknamen »Corelli« von 1997 bis 2007 in unmittelbarer Umgebung des NSU geführt haben, berichtete die taz am Donnerstag. Bei »Corelli« handelt es sich nach jW-Recherchen um Thomas Richter aus Halle, der heute in Leipzig lebt. Der rechte Multifunktionär engagierte sich unter anderem bei »Blood and Honour«, einem klandestinen Zusammenschluß, der im Jahr 2000 bundesweit verboten worden war. Auf einer handschriftlichen Liste aus der Feder von Uwe Mundlos, die von der Polizei schon 1998 gefunden wurde, taucht Richter mit einer Postfachnummer und telefonischen Kontaktmöglichkeiten auf. Unter den Spitznamen »HJ-Tommy« und »weißer Wolf« ist Richter noch immer in der Neonaziszene aktiv: Als »nationaler Demonstrationsbeobachter« soll er politische Gegner ausspionieren, so die taz. Dem Zeitungsbericht zufolge sei Richter laut Verfassungsschutzunterlagen eines von rund 20 Mitgliedern der »European White Knights of the Ku-Klux-Klan« gewesen. In dieser Zweigstelle des US-»Ku-Klux-Klan« waren auch zwei Kollegen der 2007 mutmaßlich vom NSU ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter aktiv. Das Leipziger Gamma-Magazin hatte zudem schon im Juli auf eine weitere Parallele aufmerksam gemacht: Richter unterstützte auch die Neonazi-Postille Der Weiße Wolf, die schon im Jahr 2002 einen »Dank an den NSU« druckte. Das vom heutigen NPD-Abgeordneten im mecklenburgischen Landtag, David Petereit, herausgegebene Heft hatte wohl Geld von den NSU-Terroristen erhalten, das diese bei Banküberfällen erbeutet haben könnten. Ein entsprechender Brief des NSU an Petereit fand sich denn auch bei einer Hausdurchsuchung. Ein weiterer Verfassungsschutzagent mit dem Decknamen »Piato« hatte schon 1998 einen Hinweis gegeben, nach dem der sächsische »Blood and Honour«-Funktionär Jan Werner persönlichen Kontakt zu den drei späteren NSU-Gründern halte. Der V-Mann gab auch Hinweise auf geplante Banküberfälle. Hinter »Piato« verbirgt sich der im Juli 2000 durch einen Spiegel-Bericht als V-Mann des Verfassungsschutzes enttarnte Carsten Szczepanski, der die militante rechte Szene in Brandenburg von Anfang an mitaufgebaut hatte.

Der aus Berlin-Neukölln stammende Neonazi inszenierte im September 1991 in der Nähe von Königs Wusterhausen eine Kreuzverbrennung, an der auch der damalige Chef des US-amerikanischen »Ku-Klux-Klan«, Dennis Mahon, teilnahm. Anfang 1992 fand die Polizei in seiner Wohnung Materialien zum Bombenbau. Das BKA nahm Ermittlungen wegen Verdachts auf Bildung einer terroristischen Vereinigung auf und bot eine Einstellung des Verfahren bei »tätiger Reue« an. Wenige Wochen später versuchten Szczepanski und weitere Neonazis, einen nigerianischen Asylbewerber zu ermorden. Ermittelt wurde nur schleppend. Im Mai 1995 wurde Szczepanski zu acht Jahren Haft verurteilt, fuhr aber schon bald als Freigänger zu Neonazitreffen im gesamten Bundesgebiet. 1999 vorzeitig entlassen, übernahm er die Führung des Königs Wusterhausener Ortsvereins der NPD, den er zu einem der aktivsten der Republik machte.

** Aus: junge Welt, Freitag, 21. September 2012


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