Wieland: Es wird eng für Henkel
Innensenator wegen V-Mann immer stärker in Erklärungsnot
Von Nissrine Messaoudi und Martin Kröger *
Die Affäre um einen V-Mann des Berliner LKA, der als Unterstützer des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) beschuldigt ist, bekommt eine neue Qualität. Nach einem Bericht des »Spiegel« sind die Akten zum V-Mann lückenhaft. Die Kritik an Berlins CDU-Innensenator Frank Henkel reißt unterdessen nicht ab.
Nervös wackelte Frank Henkel (CDU) gestern im Abgeordnetenhaus mit den Füßen. Erneut musste er wegen der V-Mann-Affäre Rede und Antwort stehen. Der Berliner Innensenator Henkel geriet wieder in Bedrängnis, nachdem die Bundesanwaltschaft seiner Aussage vom Dienstag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses widersprach, die Karlsruher Ermittler hätten darum gebeten, den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages zunächst nicht über den Berliner V-Mann des Landeskriminalamtes (LKA) zu informieren. Henkel wies diese Aussagen der Generalbundesanwaltschaft (GBA) gestern erneut zurück.
Auch Berlins amtierende Polizeipräsidentin Margarete Koppers betonte nochmals: »Es wurde vereinbart, dass weder von Seiten des Generalbundesanwalts noch von Berliner Seite Informationen herausgegeben werden.«
»Dass es eine genaue Absprache gab, wann die Informationen weiterzugeben sind, haben weder ich noch Frau Koppers behauptet«, fügte Henkel im Verfassungsschutzausschuss hinzu. Es sei jedoch darum gegangen, laufende Ermittlungen und das Leben des V-Mannes nicht zu gefährden. »Dabei habe ich mich auf die Einschätzung meiner Polizeispitze verlassen«, betonte Henkel. Der Senator gab jedoch zu, nicht »sensibel genug« auf den Sachverhalt reagiert zu haben.
Der LINKE-Abgeordnete Hakan Taş sieht unterdessen die Glaubhaftigkeit der Behörden in Deutschland und auch in Berlin nachhaltig geschädigt. »Mir reicht es langsam mit den Vertuschungen«, sagte Taş. Die Familien der NSU-Opfer und auch die gesamte Migranten-Community fühlten sich zunehmend verhöhnt. Es sei Zeit, für Aufklärung zu sorgen. Dafür sei allerdings kein Sonderermittler nötig, das müsse Henkel selber tun. »Ich bin mir meiner Verantwortung bewusst«, konterte Henkel. Deshalb habe er die Schuld auch nicht der Bundesanwaltschaft zugewiesen. Den Berliner Abgeordneten stehe des Weiteren »volle Akteneinsicht« zu.
Dass der LKA-Spitzel Tomas S. bis 2011 als V-Mann tätig war, obwohl er 2005 wegen Volksverhetzung verurteilt wurde, ist der Grünen-Abgeordneten Clara Herrmann schleierhaft. »Das war dem Verfassungsschutz nicht bekannt«, versicherte Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid. Obwohl ein »intensiver Austausch« zwischen den Behörden stattfinde, werden Namen von Informanten geheim gehalten. Sonst könne man keine Spitzel mehr anwerben. Henkel verteidigte das Einsetzen von V-Leuten. »Die Quellen sind und bleiben wichtig.«
Was genau in den jetzt zugänglich gemachten Akten zum Einsatz des Spitzels Thomas S. mit dem Decknamen »VP 562« steht, dürfen die Parlamentarier aufgrund der Geheimhaltungspflicht nicht sagen. Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses im Bundestag, Sebastian Edathy (SPD), der die Akten bereits am Dienstag gesichtet hatte, erhob derweil neue Vorwürfe gegen Henkel: »Ich habe in den Akten keinerlei Hinweise darauf gefunden, dass der Generalbundesanwalt das Land Berlin gebeten habe, uns keine Informationen zukommen zu lassen.« Auch der Grüne Obmann im NSU-Ausschuss, Wolfgang Wieland, sandte gestern einen neuen Fragenkatalog an den Innensenator. »Es wird eng für Henkel« stellt Wieland am Ende seiner Stellungnahme fest.
Aber wird es das wirklich? Der Linksfraktionschef Udo Wolf im Abgeordnetenhaus mahnte am Mittwoch die »politische Verantwortung« Henkels an. »Er ist der Chef, er hätte sich seit März 2012 persönlich um den Vorgang kümmern müssen«, sagt Wolf. Und wenn es nur ein Anruf beim NSU-Untersuchungsausschuss oder der Bundesanwaltschaft gewesen wäre, was sie vom Vorgang halten. Stattdessen sage Henkel erneut die »Unwahrheit« in der Auseinandersetzung mit der GBA, so Wolf. Henkel selbst wies Rücktrittsforderung indirekt zurück. Im ZDF sagte er: »Es geht doch gar nicht um mich persönlich. Es geht mir darum, dass wir Licht ins Dunkel dieser Angelegenheit bringen.« Auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) stärkte Henkel den Rücken. »Er wollte nie irgendwo etwas verheimlichen.«
Eine neue Dimension könnte die V-Mann-Affäre indes laut Erkenntnissen des Magazins »Spiegel« erhalten: Demnach führte der Berliner Staatsschutz die Akten zu Thomas S. »lückenhaft«, Teile des Archivs zwischen 2000 und 2003 sollen verschwunden sein. Das wäre eine weitere Facette von Behördenschlamperei im NSU-Desaster - und auch ein weiteres dickes Problem für Berlins Innensenator Frank Henkel.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 20. September 2012
Kein Meilenstein
Datei für rechtsextreme Gewalttäter in Betrieb
Polizei und Nachrichtendienste
aus Bund und Ländern haben
gestern eine zentrale Datei für
gewaltbezogene Rechtsextremisten
und deren Bezugspersonen
in Betrieb genommen. Bundesinnenminister
Hans-Peter
Friedrich (CSU) hatte eine solche
Verbunddatei im November
vergangenen Jahres in Aussicht
gestellt – als Ad-hoc-Reaktion
auf die Mordserie der NSU-Terroristen.
Vorbild war die 2007
geschaffene Antiterrordatei. Die
36 Sicherheitsbehörden von
Bund und Ländern sollen in der
Datei vor allem Erkenntnisse
über gewaltbereite Neonazis
speichern und abrufen können.
Der Minister würdigte den
Verbund als einen »Meilenstein
in der Zusammenarbeit der
deutschen Sicherheitsbehörden
«. Künftig genüge ein Mausklick,
um bestimmte Personen
oder Organisationen ausfindig
zu machen.
Eine größere Übertreibung
ist kaum denkbar. Allenfalls ist
die Datei ein kleiner Mosaikstein
im Kampf gegen Rechtsextremismus.
Zudem beklagen
nicht nur Polizisten die Einseitigkeit
der Datei. Beispiel: Hat
es ein Neonazi erst einmal geschafft,
bis zum V-Mann des
Verfassungsschutzes aufzusteigen,
schon ist er fein raus. Denn
Spitzel sind künftig nur in einer
Extra-Datei des Bundesamtes für
Verfassungsschutz gespeichert.
Die ist tabu für Ermittler. Demgegenüber
können Verfassungsschützer
jederzeit nachschauen,
ob Polizei oder Justiz sich zu nah
an ihre Schützlinge heranwagen.
Angesichts jüngster Aktenverweigerungen,
die mit de Maizière
und Henkel sogar die Bundes-
und Landesministerebene
erreicht haben, ist zudem fraglich,
ob jeder alles pflichtgemäß
in die Datei einstellt.
Am Rande der Veranstaltung
wurde bekannt, dass der Chef
des Bundeskriminalamts Jörg
Ziercke entgegen Friedrichs bisherigen
Absichten bis Mitte
2014 im Amt bleibt. René Heilig
(nd, 20.09.2012)
"Corelli" spielt nicht Violine
Nun muss auch Sachsen-Anhalt in das Terrornetzwerk des "Nationalsozialistischen Untergrundes" einbezogen werden
Von René Heilig **
Haben Verfassungsschützer erneut
Wissen zurückgehalten? Nun ist im
Umfeld der Neonazi-Terroristen ein VMann
»Corelli« aufgetaucht.
Eigentlich ist Corelli als Violinist
und Komponist bekannt – jedenfalls
der, der auf den Vornamen
Arcangelo hörte und im 17. Jahrhundert
lebte. Doch aktuell muss
es einen »Corelli« geben, der lieber
»singt«. Und zwar gegenüber dem
Bundesamt für Verfassungsschutz.
Zwischen 1997 und 2007 sollen
diverse »Ständchen« über die Nazi-
Szene in Sachsen-Anhalt, Sachsen
und Thüringen aufgezeichnet
worden sein. Es spricht einiges
dafür, dass der Geheimdienst dem
Bundestags-Untersuchungausschuss,
der Versäumnisse im
Kampf gegen die NSU-Mörderbande
untersuchen soll, abermals
»Notenblätter« vorenthält.
Die Indizien dafür führen zunächst
nach Sachsen-Anhalt. Das
Bundesland galt als NSU-armes
Gebiet. Doch dass Volker Limburg,
Präsident des Magdeburger Verfassungsschutzamtes,
in der vergangenen
Woche seinen Hut
nahm, machte stutzig. Anzunehmen,
dass die Amtsflucht mit einer
verschwunden geglaubten Akte
des Militärgeheimdienstes zu tun
hat, die auch in seinem Dienst lag,
ist absurd. Es gebe »Hinweise darauf,
dass ein Vertreter der Neonaziszene
aus Sachsen-Anhalt, der
Kontakt zum NSU-Terroristen
Mundlos hatte, Informant des Verfassungsschutzes
war«, fabulierte
die Landtagslinke nebulös.
Obwohl Vermutungen kein Beweis
sind und die Rechercheure
der »Magdeburger Volksstimme«
keine Ahnung von einem »Corelli«
hatten, titelten sie: »Petra Pau gibt
Informationen aus Untersuchungsausschuss
weiter – V-Mann
fliegt nach Indiskretion der Linken
auf«.
»Ich kann nichts verraten haben,
was ich nicht gewusst habe«,
konterte die Obfrau im Bundestagsausschuss.
Sie habe von keinem
V-Mann gesprochen, sondern
dem MDR lediglich gesagt, dass
sich ein Thomas R. bis zum Abtauchen
der Nazi-Mörder 1998 im
Freundeskreis von NSU-Mitglied
Mundlos aufgehalten habe.
Der »Volksstimme« war das
egal, denn: »In Geheimdienst- und
Regierungskreisen herrschen indes
blankes Entsetzen und heftiger
Zorn über die Indiskretion von
Petra Pau. Damit dürfte das Leben
des bis zuletzt im aktiven Einsatz
befindlichen V-Mannes in großer
Gefahr sein.«
Worum geht es eigentlich? Um
die Benennung eines – im übrigen
längst medial bekannten – Neonazis
oder um die Diskreditierung der
engagierten Aufklärerin? Es gibt
durchaus Interessenten, die in die
überparteiliche Arbeit des Berliner
Untersuchungsausschusses Keile
treiben wollen.
Davon »unberührt sollten das
Bundesamt für Verfassungsschutz
wie auch diverse Landesämter
endlich alles auf den Tisch der
Parlamentarier legen – sowohl das,
was man über Thomas R. weiß,
wie das, was »Corelli« betrifft.
Dann wird man auf möglicherweise
vorhandene Identitäten stoßen.
Von R. ist auch ohne Geheimdienstkooperation
einiges bekannt.
Beispielsweise mischte er
im militanten Neonazi-Netzwerk
Blood & Honour mit und bespitzelt
bis heute mit seinem »Nationalen
Beobachter« (und Nachfolger) die
linke Szenen. Hat der Verfassungsschutz
vielleicht Interesse an
solchen Informationen?
Wenn von einem Informanten
aus Sachsen-Anhalt die Rede ist,
sollte sich der sächsische Verfassungsschutz
nicht wegducken.
Nicht nur, weil R. seit einiger Zeit
in Leipzig wohnt. Auch in den Jahren
davor war hier sein wichtigstes
Betätigungsfeld.
Gefordert ist auch das Thüringer
Landesamt. R.'s Name und
weitere Kontaktdaten sind auf einer
Adressliste vermerkt, die Anfang
1998 gefunden wurden und
dem NSU-Mitglied Uwe Mundlos
zugerechnet wird. R. gründete zudem
mit anderen Anfang der
neunziger Jahre den European
White Knights of the Ku Klux Klan
(EWK KKK). In der Truppe, die
rund 20 Mitglieder hatte, war auch
Michael Schäfer aus Wernigerode
organisiert. Er ist Bundeschef der
NPD-Jugendorganisation. Aus Baden-
Württemberg gehörten zwei
Bereitschaftspolizisten dazu.
Mögliche Berührungspunkte zum
Mord an der Polizistin Michelle
Kiesewetter 2007, dem mutmaßlich
letzten des NSU, sind nur in
Ansätzen aufgearbeitet. Immerhin
waren beide Klan-Polizisten aus
Kiesewetters Böblinger Einheit
und einer am Mordtag Einsatzchef.
Auch Brandenburgs V-Mann
»Piato« gehörte zu der Kapuzengang.
1991 war er sogar der
»Grand Dragon«, also der führende
Kopf mit Sitz in Berlin.
Man sieht, an R. und gegebenenfalls
»Corelli« können sich Ermittler
in vielen Regionen »abarbeiten
«. Auch die in Schwerin. R.
unterstützte die Nazi-Hetzschrift
»Der Weiße Wolf«, die zeitweise
von David Petereit, heute NPDLandtagsabgeordneter,
herausgegeben
wurde und in der bereits
2002 ein Gruß an den bis dahin
unbekannte NSU abgedruckt war.
Man wollte für eine vierstellige
Bargeldspende danken. Das NSUGeld
stammte vermutlich aus einem
Banküberfall.
** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 20. September 2012
Blood and Honour
Blood&Honour ist in Deutschland verboten. Doch die Welt ist groß. Dieser
Tage wird man beispielsweise in Polen des am 24. September 1993
bei einem Verkehrsunfall gestorbenen Gründers des »Blood&Honour«-
Netzwerks, Ian Stuart Donaldson, gedenken. Zwei deutsche Rechtsrock-
Bands sind angekündigt. Am 22. September sollen »Oidoxie« aus Dortmund
und »Sturmwehr« aus Gelsenkirchen auftreten. Bei solchen »Musik
«-Festivals wird regelmäßig auch die Terrorstrategie des führerlosen
Widerstandes des bewaffneten Arms »Combat 18« propagiert. hei
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