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"Dieses Urteil ist eine schallende Ohrfeige für die baden-württembergische Kultusbürokratie"

Erfolg für Heidelberger Lehramtsbewerber Michael Csaszkóczy - Urteil gegen Berufsverbotspraxis

Vor drei Jahren ist Michael Csaszkóczy der Eintritt in den baden-württembergischen Schuldienst verweigert worden. Die Begründung: Es bestünden Zweifel an seiner Verfassungstreue. Der Beleg: Csaszkóczy engagiert sich seit Jahren in der "Antifaschistischen Initiative Heidelberg", wurde bei Demonstrationen gegen Neonazi-Aufmärsche oder gegen den Irak-Krieg gesichtet. Der Verfassungsschutz stufte ihn als "Linksextremen" ein. Damit durfte er weder in Baden-Württemberg noch in Hessen unterrichten.
Nun gab es ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Baden-Württemberg, der die Berufsverbotspraxis im Fall Csaszkóczy für nicht rechtens erklärte. Das Aktenzeichen des Urteils: 4 S 1805/06
Im Folgenden dokumentieren wir hierzu

  1. die Pressemitteilung des Gerichts und
  2. eine Presseerklärung von Dr. Rolf Gössner (Internationale Liga für Menschenrechte), der als Prozessbeobachter fungierte.



Teilerfolg für Heidelberger Lehramtsbewerber

Datum: 14.03.2007

Kurzbeschreibung: Dem Heidelberger Lehramtsbewerber Michael Csaszkoczy (Kläger) wurde vom (damals zuständigen) Oberschulamt Karlsruhe zu Unrecht die Einstellung in den Schuldienst des Landes wegen Zweifel an seiner Verfassungstreue verweigert. Dies hat der 4. Senat des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) aufgrund der mündlichen Verhandlung am 13.03.2007 entschieden. Die entgegenstehenden Bescheide des Oberschulamts wurden deshalb aufgehoben und das beklagte Land verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Einstellung in den Schuldienst unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Kläger hatte sich im Sommer 2002 in Heidelberg beim Oberschulamt um eine Stelle als Realschullehrer im Schuldienst des Landes Baden-Württemberg beworben. Dieses lehnte die Einstellung des Realschullehrers u.a. wegen dessen Mitgliedschaft in der Antifaschistischen Initiative Heidelberg ab. Auf die Klage des Lehramtsbewerbers hat das Verwaltungsgericht im März 2006 die von der Behörde angenommenen Zweifel an der Verfassungstreue des Klägers bestätigt und die Klage abgewiesen.

Der Verwaltungsgerichtshof ist dieser Auffassung nicht gefolgt und hat das Urteil des Verwaltungsgerichts auf die Berufung des Klägers geändert. Dabei war für das Gericht maßgeblich, dass die Behörde bei ihrer ungünstigen Prognose wesentliche Beurteilungselemente - wie das Verhalten des Klägers im bereits absolvierten Vorbereitungsdienst - nicht hinreichend berücksichtigt habe und den Anforderungen an eine sorgfältige und vollständige Würdigung des Sachverhalts und der Person des Klägers nicht gerecht geworden sei. Die dem Kläger vorgehaltene „Sündenliste“ mit zahlreichen Einzelvorfällen sei nicht geeignet, die Annahme mangelnder Verfassungstreue zu rechtfertigen. Gleichwohl lägen derzeit die rechtlichen Voraussetzungen für eine Verpflichtung des Landes zur Übernahme des Klägers in das Beamtenverhältnis nicht vor, weshalb dieses nur zur Neubescheidung des Antrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verpflichtet werden konnte. Das ausführlich begründete Urteil des Gerichts wird den Beteiligten in den nächsten Wochen zugestellt.

Die Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen. Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht anfechten (AZ: 4 S 1805/06).

Quelle: Pressemitteilung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) vom 14. März 2007


Gerichtlicher Erfolg für Heidelberger Lehramtsbewerber

Bürgerrechtsorganisationen zeigen sich erleichtert über Entscheidung des Verwaltungsgerichts Baden-Württemberg

Prozessbeobachter Rolf Gössner: „Dieses Urteil ist eine schallende Ohrfeige für die baden-württembergische Kultusbürokratie und das Verwaltungsgericht Karlsruhe. Und ein Signal gegen Versuche, die Berufsverbotspraxis vergangener Jahrzehnte wiederzubeleben.“

Mit Erleichterung reagieren die drei Bürgerrechtsorganisationen, die das gerichtliche Berufsverbotsverfahren von Anfang an beobachtet haben, auf die heutige Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Baden-Württemberg. Mit seinem Urteil hat der VGH den Bescheid des Oberschulamtes aus dem Jahre 2004 aufgehoben, mit dem dem Heidelberger Lehramtsbewerber Michael Csaszkoczy die Einstellung in den öffentlichen Schuldienst verwehrt worden war. Auch das erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe, das dieses Berufsverbot mit einer illiberalen, staatsautoritären Diktion gerichtlich absegnete, wird damit entsprechend abgeändert.

Liga-Präsident Dr. Rolf Gössner, der im Auftrag der Internationalen Liga für Menschenrechte, des Komitees für Grundrechte und Demokratie und des Republikanischen Anwältinnen- und Anwaltsvereins den Prozess beobachtet hat, zu dem Urteil: „Der VGH hat dem Oberschulamt in aller Deutlichkeit attestiert, Michael Csaszkoczy zu Unrecht die Einstellung in den Schuldienst des Landes wegen Zweifeln an seiner Verfassungstreue verweigert zu haben. Das Berufungsgericht wirft der Behörde letztlich Einseitigkeit und Unfähigkeit bei der Würdigung von Sachverhalt und Person des Klägers vor.“

So bemängelt der VGH, dass das Oberschulamt wesentliche Beurteilungselemente, wie etwa das Verhalten des Klägers im Vorbereitungsdienst, nicht hinreichend berücksichtigt habe. Das Amt sei „den Anforderungen an eine sorgfältige und vollständige Würdigung des Sachverhalts und der Person des Klägers nicht gerecht geworden“, heißt es in der Verlautbarung des VGH. Die dem engagierten Antifaschisten von der Behörde vorgehaltene „Sündenliste“, die vom Verfassungsschutz des Landes zusammengestellt worden war, sei „nicht geeignet, die Annahme mangelnder Verfassungstreue zu rechtfertigen“ – schließlich handelte es sich dabei ausschließlich um die Wahrnehmung verfassungsrechtlich verbriefter Grundrechte.

Die Bürgerrechtsorganisationen werten dieses Urteil als eine „schallende Ohrfeige für die baden-württembergische Kultusbürokratie und das Verwaltungsgericht Karlsruhe - und als Signal gegen Versuche, die Berufsverbotspraxis vergangener Jahrzehnte wiederzubeleben.“

Jetzt ist das Land Baden-Württemberg am Zug, das dazu verurteilt wurde, den Antrag des Klägers auf Einstellung in den öffentlichen Schuldienst unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Rolf Gössner: „Damit ist die Hoffnung verbunden, dass nicht noch einmal aus Gesinnungsgründen mit der Lebenszeit von Michael Csaszkoczy so schamlos gespielt wird.“

Quelle: Pressemitteilung der "Internationalen Liga für Menschenrechte" vom 14. März 2007


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