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Extrem gleichgültig

Fehlende Demokratieerklärung: Bundesregierung stört sich nicht an Streichung von Projekten gegen Rechts

Von Katja Herzberg *

Im neuen Programm »Toleranz fördern – Kompetenz stärken« bekommen viele Initiativen kein Geld mehr, weil sie die Demokratieerklärung nicht unterschreiben. Die Bundesregierung sieht darin kein Problem.

Gedenkveranstaltungen am 9. November an den einstigen Standorten zweier Synagogen, die Pflege eines Denkmals für die ersten Opfer im Konzentrationslager Dachau und die Spurensuche nach den mehr als 1000 Kindern und Jugendlichen, die aus Fürth deportiert wurden – diese Projekte zur Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen sollten mit Geldern der Bundesregierung finanziert werden. Doch das »Fürther Bündnis gegen Rechtsextremismus und Rassismus« will die Demokratieerklärung nicht unterzeichnen. Da dies Voraussetzung für die Auszahlung der Gelder ist, können die Ideen nicht realisiert werden.

Generalverdacht des Extremismus

Mit ihrer Weigerung, das auch als »Extremismusklausel« bezeichnete Schriftstück, mit dem Projektträger ihre Verfassungstreue und die ihrer Kooperationspartner bestätigen müssen, zu unterschreiben, ist das Fürther Bündnis nicht allein. Mehrere Organisationen im Bundesgebiet befürchten einen Vertrauensverlust bei ihren Partnern. Schlimmer noch: »Antirassistische und antifaschistische Initiativen werden dem Generalverdacht des Extremismus ausgesetzt. Ihre Arbeit wird diskreditiert«, kritisiert das Fürther Bündnis den »Schnüffelparagraphen«.

Die Geldgeber stört das nicht. »Die Bundesregierung sieht keine Probleme mit der Kontinuität der Arbeit vor Ort in ihren Programmen zur Extremismusprävention«, heißt in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag, die ND vorliegt. Welches zivilgesellschaftliche Engagement auf der Strecke bleibt, will das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend scheinbar gar nicht erkennen. Zwar weiß das Haus, dass fast alle Lokalen Aktionspläne, die die Projekte auswählen, ihre Arbeit aufgenommen haben. Doch wie viele Initiativen die Demokratieerklärung ablehnen und wegen ihr auf die Förderung verzichten, ist dem Ministerium nicht bekannt. Es führe dazu keine Listen. Vielmehr müssten die Demokratieerklärungen bei der Kommune oder dem Landkreis eingereicht werden. »Hier agieren die Lokalen Aktionspläne eigenverantwortlich«, erklärte der Parlamentarische Staatssekretär im Familienministerium, Hermann Kues (CDU).

Obwohl etwa die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin bereits ankündigte, die Gesinnungsprüfung zu verweigern, gibt die Bundesregierung in ihrer Antwort ebenso keinerlei Hinweis auf die schwierige Situation der Organisationen, die schon mehrere Jahre in erfolgreichen Beratungsnetzwerken tätig sind.

»Die Antworten der Bundesregierung bestätigen unsere Befürchtung, dass sie kritische und linke Projekte aus den Programmen gegen Rechtsextremismus herausdrängen will«, kommentierte Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, die wenig konkreten Ausführungen des Familienministeriums.

Bundesregierung beharrt auf Unterzeichnung

Das Fürther Bündnis versucht nun ohne die Förderung vom Bund, aber mit Hilfe der Stadt, wenigstens noch das Gedenken an die Reichspogromnacht im November auf die Beine zu stellen. Ihren Entschluss zur Extremismusklausel werden die Vertreter der Kirchen, Gewerkschaften, des Ausländerbeirats, des jüdischen Museums, von Jugendeinrichtungen und Lokalpolitiker nicht ändern. »Wir grenzen niemanden aus«, so Ruth Brenner. Vorwürfe gegen die Antifaschistische Linke Fürth, mit der das Bündnis zusammenarbeitet, versteht sie nicht. »Wir haben ein Problem mit Rechtsextremisten. Straftaten von Linksextremisten kann ich nicht erkennen.«

Auf den Verzicht der Demokratieerklärung durch die Bundesregierung ist nicht zu hoffen. Auch Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) befand das Engagement der Bundesregierung gegen Nazis bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts Ende letzter Woche für ausreichend – obwohl er einen Zuwachs bei den gewalttätigen Neonazis konstatierte.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Juli 2011


Blockadetraining darf verboten werden

Scharfe Kritik von Bürgerrechtlerin und Gewerkschafter an Aachener Urteil

Von Marcus Meier **


Ein Blockadetraining kann rechtswidrig sein, sofern es darauf ausgerichtet ist, künftige Neonaziaufmärsche zu verhindern oder auch nur zu stören. So urteilte jetzt das Aachener Verwaltungsgericht.

Das Verwaltungsgericht Aachen wies eine Klage gegen das Verbot eines Blockadetrainings im Vorfeld eines zwei Monate später stattfindenden Neonaziaufmarsches als unbegründet zurück. Die Übung war im Februar 2011 vom Aachener Polizeipräsidenten Klaus Oelze untersagt worden. Aus seiner Sicht drohte eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Zwar genehmigte er eine antifaschistische Veranstaltung, jedoch nur unter der Auflage, dass sie nicht das geplante Blockadetraining umfassen dürfe.

Zu Recht, wie die Richter am Freitag befanden: Das Blockadetraining sei auf die Störung oder Verhinderung einer Demonstration von Nazis ausgerichtet gewesen. Damit, teilte das Gericht mit, sei es »untrennbar mit der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten im Sinne des § 111 des Strafgesetzbuches verbunden und durfte vom Aachener Polizeipräsidenten zu Recht untersagt werden«.

»Das Verwaltungsgericht hat ein absurdes und demokratisch-grundrechtlich unhaltbares Urteil gefällt«, zeigt sich Elke Steven empört. Gemäß Versammlungsgesetz seien erst »grobe Störungen« und Gewalttätigkeiten gegenüber Versammlungen strafbar, hebt die Versammlungsrechtsexpertin des Komitees für Grundrechte und Demokratie hervor. Das Training habe jedoch lange vor dem eigentlichen Naziaufmarsch vom 8. und 9. April stattgefunden und nicht einmal eine andere Veranstaltung behindert. Sollte das Urteil Bestand haben, sei zu befürchten, »dass Polizei und manche Gerichte vermehrt gegen die vorgehen, die die Demokratie verteidigen«.

Auch Ralf Woelk, Regionalvorsitzender des DGB, ist über den Richterspruch verärgert: »Das stößt bei mir auf Unverständnis, genauso wie ich bereits zuvor die Auflagen der Polizeibehörde gegen das angemeldete Blockadetraining für völlig überzogen und unangemessen gehalten habe.« Aus Sicht des Gewerkschafters müsste das Blockadetraining im Interesse der Behörden sein, da »es einen grundsätzlich deeskalierenden Charakter hat«.

Woelk und Steven setzen nun darauf, dass übergeordnete Gerichte das Urteil einkassieren. Steven verweist dabei auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die in Sitzblockaden in aller Regel keine nötigende Gewalt sehen, so das Mutlangen-Urteil von 1985.

Das nun für rechtswidrig erklärte Blockadetraining sollte auf Aktionen vorbereiten, die sich gegen einen Neonaziaufmarsch in Stolberg bei Aachen richteten. Es fand am 5. Februar mit rund 70 Teilnehmern statt – trotz Provokationen durch NPD-Kader »friedlich und ohne große Komplikationen«, wie die Lokalpresse vermeldete. In Anwesenheit von Polizeipräsident Oelze hätten die Bündnismitglieder wie angekündigt das Blockieren trainiert, in dem sie sich gegenseitig wegtrugen, hieß es in einem Medienbericht.

Einen Aufruf, »den Naziaufmarsch gemeinsam (zu) blockieren«, unterstützten eine Reihe von Personen, Parteien und sonstigen Institutionen – von Rudi Bertram, dem Bürgermeister der Stadt Eschweiler, über diverse SPD-, Grünen- und LINKE-Politiker bis hin zu Gewerkschaftern und Geistlichen aus der Region.

Auch DGB-Chef Woelk warb dafür, sich an der Menschenblockade gegen die Nazis in Stolberg zu beteiligen. Die Blockade sei »eine Bürgerpflicht« und »die einzig wirksame und legale Aktionsform, um Naziaufmärsche zu verhindern«.

** Aus: Neues Deutschland, 5. Juli 2011


Urteil gegen Zivilcourage

Von Marcus Meier ***

Immer wieder Polizeiübergriffe gegen friedliche Demonstranten. Die Hetzkampagne gegen Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, der sich spontan einem Naziaufmarsch in den Weg setzte. Die massiven Spitzeleien gegen antifaschistische Demonstranten in Dresden. Und jetzt das Aachener Skandalurteil ... Alle mal herhören: Das Schlimmste an einem Naziaufmarsch ist nicht die Gegenaktion, sondern der Naziaufmarsch selbst. Das sollte eigentlich verstehen können, wer die Befähigung zum Richteramt erwerben kann. Die Aachener Verwaltungsrichter haben einen Ermessensspielraum ausgenutzt, als sie feststellten, dass friedliche Blockaden gegen Nazis Straftaten seien, ein Blockadetraining damit ein Aufruf zu Straftaten und deshalb zu verbieten sei. Sie hätten die Blockaden auch anders einstufen können – so wie andere Richter vorher auch, darunter solche, die rote Roben tragen und in Karlsruhe agieren.

Die Aachener Richter haben ein politisches Urteil gegen Zivilcourage gefällt – und damit über sich selbst geurteilt. Soweit die schlechte Nachricht. Die gute: Das Bündnis, das dem alljährlichen Stolberger Naziaufmarsch entschlossen, bunt und friedlich entgegentritt, lässt sich offenbar nicht allzu stark beeindrucken von absurden Weisungen. Das verbotene und nun als rechtswidrig eingestufte Blockadetraining fand ebenso statt wie die Blockade des Aufmarsches selbst. Geht doch – trotz allem.

*** Aus: Neues Deutschland, 5. Juli 2011 (Kommentar)


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