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Sag mir, bist du Extremist?

Länder und Initiativen gegen Rechts üben Kritik an Gesinnungscheck

Von Hendrik Lasch *

Initiativen, Vereine, Privatpersonen und Politiker haben am Dienstag (1. Feb.) mit hunderten Mails und Faxschreiben gegen die umstrittene Extremismusklausel von Bundesregierung und Freistaat Sachsen protestiert, die Initiativen gegen Rechts abverlangt wird. Trotz des Widerstandes dürften in Zukunft viele Vereine zähneknirschend unterschreiben müssen.

Die Wortwahl ist geharnischt. Als »Störfeuer« für das Engagement der Bürger gegen Rechts bezeichnet Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann (SPD) die Extremismusklausel, die Empfänger von Bundesfördergeldern künftig unterschreiben sollen. Das Land, in dem sich die NPD für den Einzug in den Landtag rüstet, habe ein gehöriges Problem mit dem Rechtsextremismus; der Widerstand dagegen wuchs nur langsam. Auch dank Ermunterung durch Initiativen wie den Verein »Miteinander« oder das Dessauer Projekt »Gegenpart« wuchsen aber immer öfter Bündnisse gegen Rechts. Wenn jetzt ein »Gesinnungscheck als Eintrittkarte« verlangt werde, drohe die Entwicklung gebremst zu werden: »In einem Klima des Misstrauens wachsen keine Bündnisse«, so Hövelmann.

Mit dieser Furcht ist der SPD-Minister nicht allein. Bundesweit protestierten an einem Aktionstag gestern Vereine, Träger und Politiker gegen die Klausel, mit der sich Empfänger von Fördergeldern nicht nur selbst zum Grundgesetz bekennen, sondern auch eine Bürgschaft für ihre Projektpartner abgeben sollen. Dazu müssten Dossiers angelegt und Rechenschaft bei den Geldgebern abgelegt werden. Hunderte Protest-E-Mails, Faxe und Briefe gingen gestern bei dem von der CDU-Frau Kristina Schröder geführten Bundesfamilienministerium und Bundeskanzlerin Angela Merkel ein. Initiatoren des Protests waren die Aktion Sühnezeichen, das Kulturbüro Sachsen, die Opferperspektive Brandenburg und der Verein für Demokratische Kultur in Berlin.

Auch in Sachsen bekamen Regierungspolitiker Post. Der Freistaat will als einziges Bundesland die Erklärung auch auf eigene Programme anwenden. Nach massiver Kritik soll die Forderung geändert werden, wie genau, ist allerdings noch nicht bekannt. Die Abstimmungen mit dem Justizressort laufen, heißt es.

Jenseits solcher politischen Vorstöße hatte das Land Berlin zuletzt angekündigt, Widerspruch gegen die Extremismuserklärung einzulegen. Anlass dafür ist ein Fördermittelbescheid des Bundes, der an das Land geht; dieses stockt die Gelder auf und reicht sie an die Vereine und Initiativen weiter. Das Vorgehen werde von Sachsen-Anhalt »unterstützt«, sagt Susi Möbbeck, Integrationsbeauftragte und im Sozialministerium für die Koordination der Mittelvergabe zuständig. Auf diese Weise komme es zu einer Prüfung der Klausel, gegen die ein Gutachten des Rechtswissenschaftlers Ulrich Battis starke juristische Einwände formuliert hatte. Sachsen-Anhalt werde aber nicht selbst Widerspruch gegen den eigenen Bescheid erheben, sondern das Resultat der Prüfung in Berlin abwarten – Devise: Doppelt hält nicht immer besser.

In vielen Vereinen würde die »Gesinnungsschnüffel-Erklärung«, wie Miteinander-Geschäftsführer Pascal Begrich formuliert, neben erheblicher Mehrarbeit auch große Gewissenskonflikte bewirken: »Staatlich verordnetes Misstrauen stellt unsere Arbeitsgrundlage in Frage.« Lenkt Schwarz-Gelb im Bund nicht ein, kommen sie gleichwohl kaum um eine Unterschrift herum, wenn nicht der völlige Abbruch der Arbeit riskiert werden soll. Das räumt auch Möbbeck ein. Zwar hofft man dank breiten politischen Drucks doch noch auf ein Einlenken im Hause Schröder. Andererseits könne es sich das Land gerade im Vorfeld der Wahl »nicht leisten, Programme auf die lange Bank zu schieben, bis die juristische Prüfung abgeschlossen ist«. Im Klartext: Die Träger könnten zwar mit den Zähnen knirschen – zur Verweigerung aber wird zumindest das Land nicht raten.

* Aus: Neues Deutschland, 2. Februar 2011

Gesinnungsprüfung

Die ver.di-Jugend ist empört über die sogenannte Extremismusklausel:

»Initiative Demokratie stärken«, unter diesem Motto hat Bundesfamilienministerin Kristina Schröder eine mehr als fragwürdige Verfahrenspraxis für die Bereitstellung von Projektmitteln ihres Ministeriums eingeführt. Danach sollen sich künftig alle Antragssteller einer Gesinnungsprüfung unterziehen, indem sie eine Extremismusklausel unterschreiben. Die ver.di-Jugend erkennt darin den Versuch, Initiativen, die sich für mehr Demokratie einsetzen und Rechtsextremismus bekämpfen, von der Vergabe von Fördergeldern auszuschließen.

Für den 1. Februar hat ein bundesweites Bündnis, bestehend aus zivilgesellschaftlichen Gruppen und Initiativen, zu einem Aktionstag aufgerufen. Unter dem Motto »Aktionstag für Demokratie – gegen Mißtrauen und Bekenntniszwang!« wendet sich die ver.di-Jugend gegen diese auch verfassungsrechtlich bedenkliche Klausel.

Mit der »Extremismusklausel« werden alle Gruppen unter Verdacht gestellt, die sich kontinuierlich gegen Demokratiedefizite in der Gesellschaft einsetzen: »Der mühsame Einsatz für demokratische Werte und gesellschaftliche Teilhabe muß gefördert und darf nicht durch bürokratische Gesinnungsklauseln behindert werden. Demokratiegefährdung geht –anders als Frau Ministerin Schröder vermutet – längst von der Mitte der Gesellschaft aus. Man findet sie in Betrieben, in Familien, in alltäglichen Situationen«, so Bundesjugendsekretär Ringo Bischoff.

Quelle: junge Welt, 2. Februar 2011



"Demokratie ist nichts starres"

Das Kulturbüro Sachsen fordert die Rücknahme der Verfassungstreueklausel **

Das Kulturbüro Sachsen hat den gestrigen bundesweiten Aktionstag gegen die Gesinnungsprüfung mit initiiert und auch auf Landesebene zu Protesten aufgerufen. Der Freistaat will als einziges Bundesland die Erklärung auch auf eigene Programme anwenden. Mit der Geschäftsführerin Grit Hanneforth sprach für das Neue Deutschland (ND) Ines Wallrodt.

ND: Haben Sie die Klausel unterschrieben?

Hannefort: Nein. Wir beraten Gemeinden, Sportvereine, Feuerwehr, Wohlfahrtsverbände und viele kleinere ehrenamtliche Initiativen vor Ort, wie sie demokratische Grundstrukturen stärken können und die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus aussehen kann. Die sollen wir auf Wunsch von Ministerin Schröder alle überprüfen. Das ist absurd.

Das könnte bedeuten, dass Sie Ihre Arbeit einstellen müssen?

Wir hoffen, dass wir durch politischen Druck Richtung Bund und Land noch etwas bewirken. Deshalb der Aktionstag.

Ihr Verein fördert demokratisches Bewusstsein. Warum können Sie die Idee von Unterschriften unter die freiheitlich-demokratische Grundordnung für sich und Ihre Partner trotzdem nicht leiden?

Union und FDP drücken ihr Misstrauen gerade denen gegenüber aus, die sich seit Jahren für demokratische Entwicklungen einsetzen. Nicht einmal die Bundeswehr oder Bürgermeister müssen sich zum Grundgesetz bekennen, sondern nur Beamte. Die geforderte Überprüfung der Projektpartner ist nicht verfassungskonform. In einem Rechtsstaat stellt nur die Judikative fest, ob sich jemand verfassungskonform verhält. Aber nun will der Bund diese hoheitliche Aufgabe an die Zivilgesellschaft übertragen. Die soll das entscheiden, auf Verdacht, nach Informationen des Verfassungsschutzes. Es ist äußerst bedenklich, dass man sich mit einer nicht verfassungskonformen Klausel für das Grundgesetz aussprechen soll. Zudem sind Gesinnungsprüfung und Verdächtigungen dem Ziel, Demokratie zu entwickeln, nicht angemessen.

Warum unterschreiben Sie nicht einfach still und leise und arbeiten weiter mit denen zusammen, mit denen Sie das bisher auch getan haben? Ist nicht gerade die große öffentliche Debatte das, was Kristina Schröder will? So kann sie immer wieder Links- und Rechtsextremismus in einem Atemzug nennen.

Das Bundesfamilienministerium wird durch die Unterschriften irgendwann in Zugzwang sein, nachzuweisen, dass es Grund für die Klausel gibt. Und das werden sie irgendwie schaffen. Man wird die Debatte so nicht los. Denn die Regierung will die Deutungshoheit zurückbekommen: Wer bestimmt, was zur Demokratie gehört? Aus unserer Sicht ist Demokratie nichts starres, sondern ein permanenter Aushandlungsprozess. Die Regierung will dagegen eine bestimmte Lesart festschreiben und die Zivilgesellschaft darauf festlegen. Insofern geht es bei all dem um die Frage: In welcher Demokratie wollen wir leben.

Warum kann man von Rechtsextremismus sprechen, aber nicht von Linksextremismus?

Im Grunde ist auch die Rede von Rechtsextremismus ein Problem. Denn darin klingt die Vorstellung der Extremismustheorie an, dass es problematische Ränder gebe und eine Mitte, die damit nichts zu tun hat. Das ist gerade nicht der Fall. Rechtsextreme Einstellungen entstehen in der Mitte der Gesellschaft. Insofern ist das Wort recht hinderlich.

Inwiefern spüren Sie die Folgen dieses Denkens in Ihrem Alltag?

Die Warnung vor Linksextremismus dient der Stigmatisierung von engagierten Menschen. Vor allem in kleineren Gemeinden ist das spürbar. Für die Bürgermeister ist es nun ein Leichtes zu sagen, diejenigen, die Probleme mit Rechtsextremismus offen ansprechen, sind ja alles Linksextreme.

Bestes Beispiel ist Limbach-Oberfrohna, wo es seit Jahren rechtsextreme Übergriffe auf junge Menschen gibt. Dort wird eine Elterninitiative, die sich dafür stark macht, das Thema erstmal in der Öffentlichkeit zu verankern, von der Kommune stigmatisiert. Sie werden nicht einbezogen, mit der Begründung, sie seien Linksextreme. Das war bisher schon so, und diese Seite wird weiter gestärkt.

** Aus: Neues Deutschland, 2. Februar 2011

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Aktionstag gegen Bekenntniszwang
Rechtsextremismusprojekte wollen Extremismusklausel nicht einfach unterzeichnen / Musterbrief an Merkel (29. Januar 2011)




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