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"Nicht nur Zumutung, sondern auch antidemokratisch"

Bundesministerium strich Berliner Antifa-Projekt die Unterstützung – jetzt springt der Senat ein. Ein Gespräch mit Bianca Klose *


Bianca Klose ist Projektleiterin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) und Geschäftsführerin des Vereins für demokratische Kultur in Berlin (VDK)

Das Land Berlin übernimmt nun Kosten, die das Bundesministerium für Frauen, Senioren, Familie und Jugend (BMFSFJ) dem Projekt Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus gestrichen hat, weil es die Extremismusklausel nicht unterschrieben hat. Warum hatten Sie Ihre Unterschrift damals verweigert?

Unser Projekt existiert seit zehn Jahren, seither setzen wir uns täglich für gelebte Demokratie ein. Insofern empfinden wir die in der Klausel festgeschriebene Aufforderung des Ministeriums, unsere Partner und Referentinnen auf deren Verfassungstreue hin zu überprüfen, nicht nur als Zumutung, sondern auch als antidemokratisch.

In Satz zwei und drei der Klausel fordert man uns explizit auf, unsere Partner zu durchleuchten, auszuspionieren und anhand von Verfassungsschutzberichten zu überprüfen. Unsere Arbeit besteht jedoch darin, daß wir Menschen, die etwas gegen Rechtsextremismus und Rassismus unternehmen möchten, mit Vertrauen und Anerkennung begegnen. Genau das sehen wir bei diesem staatlich verordneten Mißtrauen gefährdet. Unter diesen Bedingungen wollen und können wir nicht arbeiten.

Mit welchen Argumenten hat das Land Berlin die Übernahme der Kosten übernommen?

Daß das Land unsere Finanzierung übernimmt, werten wir als Vertrauensbeweis unserer Arbeit gegenüber. Nach dem Wiedereinzug der NPD in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern und angesichts des aggressiven und rassistischen Wahlkampfs der NPD in Berlin ist das ein wichtiges politisches Signal. Wir hatten dem Ministerium deutlich gemacht, daß wir uns dem Grundgesetz gegenüber verpflichtet sehen. Den ersten Satz der Klausel hatten wir daher unterschrieben, Satz zwei und drei jedoch aus den genannten Gründen gestrichen. Ein Bekenntnis zum Grundgesetz reicht Familienministerin Kristina Schröder (CDU) aber offenbar nicht aus. Dabei kommt selbst der renommierte Verwaltungsrechtler Ulrich Battis (Berliner Humboldt-Universität) in einem Rechtsgutachten zum Resultat, daß die umstrittene Klausel weitgehend »mit dem Grundgesetz nicht vereinbar« ist.

Ist die Berliner Bundesratsinitiative zur Streichung der Klausel erfolgversprechend?

Die Landesregierung (SPD/Die Linke) positioniert sich mit dieser Bundesratsinitiative eindeutig. Nach meinem derzeitigen Kenntnisstand wird sie allerdings leider eher in Ausschüssen des Bundesrates versanden und nur symbolische Wirkung haben.

Ist es nicht absurd, eine Klausel, die Rechts- und Linksextremismus gleichsetzt, zur Unterschrift vorzulegen?

Sie ist aus unserer Sicht ideologisch motiviert; wogegen es seit einem Jahr wissenschaftlichen und politischen Widerstand gibt.

Nach wie vor ist es fragwürdig, warum dieser schriftliche Treueeid zur Verfassung ausgerechnet jenen Projekten abverlangt wird, die sich gegen Rechtsextremismus und Rassismus engagieren. Woher kommt das anlaßlose Mißtrauen der Bundesregierung gegenüber Projekten, die sich für demokratische Rechte einsetzen und sich so nicht selten in Gefahr bringen? Statt Opfern der Rechtsextremisten beizustehen, zerstört das Ministerium bestehende Netzwerke, die hervorragend arbeiten. Viele Projekte haben sich geweigert, zu unterschreiben und sind jetzt weg gebrochen.

Sie hatten zunächst zu Spenden aufgerufen – welche Reaktionen gab es?

Die zu unserem zehnjährigen Bestehen eingegangenen Spenden ermöglichen uns, die Förderung des Landes Berlin mit Eigenbeteiligung zu ergänzen – und zeigen Zustimmung zu unserer Entscheidung, die Klausel nicht zu unterschreiben.

Was sagen Sie dazu, daß Schröders Ministerium 36 Projekte gegen »Linksextremismus und Islamismus« mit Geldern aus der Staatskasse fördert?

Wir fürchten, daß die Bundesregierung mit ihrer Extremismus-Klausel und ihrem Maulkorberlaß die notwendige Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Rassismus vernachlässigt.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, 15. September 2011


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