Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Die Wacht am Rhein

Der Verfassungsschutz, der große "Dienstleister für Demokratie", bleibt auf der Hut: Antifaschisten und Kommunisten seit Jahrzehnten überwacht

Von Hans Daniel *

Hans-Georg Maaßen, der durch die Ausspähaffären und NSU-Pannen arg gebeutelte Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), lächelt trotz alledem unentwegt – auf der offiziellen Webseite seines in Köln am Rhein angesiedelten Amtes. Seine Behörde spiele eine »unverzichtbare Rolle zum Schutz der inneren Sicherheit«, behauptet er da als hätte es etwa die rechte Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« nie gegeben. Und: »Wir sind ein Dienstleister für Demokratie.« Der Verfassungsschutz will laut Maaßen nicht mehr und nicht weniger, als »Schaden von unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und von unserer Bevölkerung abwehren«. Er würde, man spürt deutlich des Präsidenten Bedauern, das gerne mit offenem Visier machen. Weil jedoch das Amt »ein Nachrichtendienst ist, muß es sensible Informationen zwar geheim halten, um seine künftige Arbeit nicht zu gefährden«, aber – und hier gerät er in Gefahr, selbst zum Objekt zu werden – mit dieser seiner Internetseite wolle er »Transparenz herstellen« in der Hoffnung, »daß durch diese Offenheit ihr Vertrauen gestärkt wird«.

Stigmatisierung

Nun lehrt der Volksmund bekanntlich, »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser«, weshalb ein kurzer Rückblick auf einige jüngst offenbar gewordene Fälle aus der Praxis der Wächter am Rhein und deren Residenturen in einigen Bundesländern betrachtet werden sollten. Die positive Meldung vorweg: Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg hat im aktuellen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2012 die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes- Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) nicht mehr aufgeführt. In dem für 2011 erstellten, noch von der CDU geführten Landesregierung verantworteten Report war die VVN-BdA wie immer im gängigen »linksextremistischen« Spektrum angesiedelt und aufgeführt worden. Begründung war u.a., die Baden-Württemberger Antifaschisten seien auf dem Bundeskongreß des Verbandes bei der Antragstellung »besonders in Erscheinung getreten«. In Heilbronn habe die VVN-BdA zu Protesten gegen den Naziaufmarsch am 1. Mai aufgerufen. Schließlich habe sie sich gegen die »Kriminalisierung legitimer Proteste gewandt«.

Die »Stigmatisierung« habe, teilt die baden-württembergische VVN-BdA in der aktuellen Ausgabe der Verbandszeitschrift antifa mit, »Widerspruch bei Abgeordneten, Gewerkschaftern, Betriebsräten und vielen anderen« ausgelöst. »Den Protesten gab schließlich Innenminister Gall (SPD) nach. (…) Damit steht nun das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz in seinem Verfolgungseifer alleine da. Zeit, daß auch dem die Stunde schlägt.« Man könnte mit in Euphorie verfallen, gäbe es im Musterländle nicht die fast ewige Geschichte von Gerhard Bialas und dem Verfassungsschutz (jW berichtete). Der bekennende Kommunist wird seit 60 Jahren vom Landesamt für Verfassungsschutz überwacht. In der Zeit hat er als Gemeinderat von Tübingen und im Kreistag – sorgfältig registriert – sein »staatsgefährdendes Unwesen« betrieben, er wirkte als Gärtnermeister im botanischen Garten der Universität und als gewählter Vertreter der an der Universität Beschäftigten im Senat und im Personalrat. Mittlerweile 80 geworden, forderte er von der im Mai 2011 in Stuttgart gebildeten Grünen-SPD-Landesregierung, ihn endlich aus der Obhut der Verfassungsschützer zu entlassen. Der Verweis auf das hohe Alter, erfuhr Bialas aus Stuttgart, »vermag die Beendigung der Beobachtung nicht zu begründen. Entscheidend ist vielmehr, ob ihrerseits eine aktive Betätigung für verfassungsfeindliche Betätigung unterbleibt. Dies ist nicht der Fall.«

Linke verbieten

Forscher und offener gegen die »rote Gefahr« gehen die Schlapphüte in Bayern vor. Deren oberster Dienstherr, Innenminister Joachim Herrmann (CSU), nennt die Ausspähung der Linkspartei »absolut richtig«. Denn »anderenfalls würden wir unserem gesetzlichen Auftrag, die Verfassung zu schützen, nicht nachkommen«. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt möchte am liebsten prüfen lassen, ob gegen die Linke nicht »ein Verbotsverfahren eingeleitet werden solle«. Da nimmt es nicht wunder, daß die VVN-BdA beim Landesamt für Verfassungsschutz »auf dem Schirm« und im Jahresbericht 2012 gelistet ist. Das liegt dem Amt sozusagen in den Genen. Eine von den Grünen im Bayerischen Landtag in Auftrag gegebene Studie kommt zu dem Schluß, daß der Verfassungsschutz des Freistaates wesentlich von ehemaligen Angehörigen der Gestapo, der SS und der NSDAP aufgebaut worden war. Sein Geist war »in den Anfangsjahren (…) vor allem ein brauner Spuk«.

In diesem Geist gebiert (oder kopiert) das Landesamt Jahr für Jahr aus dem Stehsatz des Vorjahres »Erkenntnisse« mit erwünschtem Abschreckungseffekt dieser Art: »Die VVN-BdA ist die bundesweit größte linksextremistische beeinflußte Organisation im Bereich des Antifaschismus. Sie arbeitet mit offen linksextremistischen Kräften zusammen. Schwerpunkte der Agitation der VVN-BdA sind Neofaschismus, Antisemitismus, Antimilitarismus, Rassismus und Sozialabbau.«

Das sind erkennbar Zielsetzungen die geeignet sind, die freiheitlich-demokratische Grundordnung in ihren Grundfesten zu erschüttern und all diejenigen verdächtig machen, die da sagen, es sei an der Zeit, daß der Verfassungsschutz »seinen Hut nimmt«. Allerdings habe man, wie Ernst Antoni vom bayerischen Landesverband der VVN-BdA anmerkt, im neuesten Bericht »auf die Geschmacklosigkeit verzichtet«, den KZ-Überlebenden Ernst Grube explizit namentlich zu nennen.

Im jüngst erschienen »Grundrechte-Report 2013« notiert Rechtsanwalt Klaus Hahnzog im Zusammenhang mit seinen bayerischen Verfassungsschutzerfahrungen: »Die völlige Einseitigkeit gegen ›Links‹ zeigt sich etwa darin, daß der ehemalige KZ-Häftling Ernst Grube persönlich als ›Linksextremist‹ im Verfassungsschutzbericht 2011 genannt wurde, gleichzeitig aber bei der Grundsteinlegung für das NS-Dokumentationszentrum in München von drei offiziellen Rednern als ›Ehrengast‹ begrüßt wurde: vom Münchner Oberbürgermeister, vom bayerischen Kultusminister und vom Staatsminister für Kultur der Bundesregierung.« Macht nichts, die VVN-BdA gehört eben an den Pranger.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 13. August 2013


»Grundsätzliche Geheimhaltungsbedürftigkeit«

Von Hans Daniel **

Transparenz ist laut Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen das Markenzeichen des Inlandsgeheimdienstes. Darum darf auch jeder Bürger beim Amt nachfragen, ob und was über ihn an »Erkenntnissen« gesammelt wurde. Mitunter gibt es auch eine Antwort derart, daß zwar gesammelt wird, aber nicht, was da gespeichert wurde und wird. Als Silvia Gingold, Tochter des inzwischen verstorbenen Widerstandskämpfers Peter Gingold vom hessischen Landesamt für Verfassungsschutz wissen wollte, warum sie und in welchem Umfang sie seit 2009 erneut im »Bereich Linksextremismus gespeichert« wird, verweigerte das Amt zunächst jede Auskunft (siehe jW vom 31. Juli 2013). Nach Widerspruch gab es eine Antwort, allerdings bar jeder Transparenz. Es liege ein »Geheimhaltungsinteresse« vor. Und dieser »grundsätzlichen Geheimhaltungsbedürftigkeit« müsse »Rechnung getragen werden«. Weil nämlich: »Bei Offenlegung der Daten wäre zu befürchten, daß die weitere Beobachtung erheblich erschwert, in Teilbereichen sogar unmöglich gemacht würde.«

Das heißt zum einen, daß es Silvia Gingold einen feuchten Kehricht anzugehen hat, was die amtlichen Schnüffler da an »Erkenntnissen« zusammengeschmiert haben. Zum anderen könnte sie, was bei der Vita der »Zielperson« allerdings kaum zu erwarten ist, künftig nicht mehr öffentlich über das lange Jahre gegen sie verhängte Berufsverbot sprechen. Womöglich würde sie in Zukunft auch inkriminierten Veranstaltungen der VVN-BdA fernbleiben, auf denen sie aus der Autobiographie ihres Vaters lesen würde. Das wäre »tätige Reue«, und die Schlapphüte könnten weiter NSU-Akten schreddern. Die staatssichernden »Speichervoraussetzungen« im »Bereich Linksextremismus« entfielen, es müßte nicht mehr »zugespeichert« werden.

Zur Abrundung noch ein kurzer Blick auf Thüringen, das »grüne Herz Deutschlands«. Ein heute noch gültiger Runderlaß über die Prüfung der persönlichen Eignung für den öffentlichen Dienst will »linken Untaten« vorbeugen. Anhand einer von den Gesetzesmachern (sicherlich in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz) angefertigten Liste von »extremistisch und extremistisch beeinflußten Organisationen« wird den Prüfern die Arbeit erleichtert. Auch hier hat sich am Feindbild Antifaschismus nichts geändert. So findet sich die VVN-BdA auf der Liste der Anrüchigen. Dazu kommen die Volkssolidarität, der FDGB, die FDJ und auch der als besonders extremistisch bekannte Verband der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 13. August 2013


Beobachtungsobjekt in Bayern ***

Als Ende 2011 durch Zufall bekannt wurde, daß das Bündnis gegen das 2008 durchgepeitschte neue bayerische Versammlungsgesetz vom Verfassungsschutz des Freistaates bespitzelt worden war, wollte Rechtsanwalt Klaus Hahnzog wissen, ob über ihn »Erkenntnisse« gespeichert sind. Nach sechs Wochen erhielt der Jurist die Auskunft, »daß zur Erfüllung der festgelegten Aufgaben des Amtes keine Daten zu Ihrer Person in Dateien oder Akten gespeichert sind«. Auf die Nachfrage, ob in den sechs Wochen zwischen Anfrage und Antwort Dateien gelöscht worden seien, kam die Antwort: »Wann im Einzelfall eingehende Informationen zur Verarbeitung gelöscht worden sind, ist nicht feststellbar. Könnten wir den Inhalt gelöschter Informationen noch nachvollziehen, würde dies dem Zweck der Löschung widersprechen.«

Bayerns oberster Verfassungsschützer, Innenminister Joachim Herrmann (CSU/Foto), belehrte den Auskunftsheischenden noch zusätzlich: »Im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgaben nimmt der Verfassungsschutz aber auch Kontakte seiner Beobachtungsobjekte wahr. Insofern muß derjenige, der sich bewußt in ein Aktionsbündnis mit Organisationen begibt, von denen er weiß bzw. von denen bekannt ist, daß es sich um Beobachtungsobjekte des Verfassungsschutzes handelt, damit rechnen, daß unter die Beobachtung von Extremisten auch deren Bündnistaktik fällt.« Dem Bündnis gegen das neue bayerische Versammlungsgesetz gehörten u.a. der DGB Bayern und verschiedene Einzelgewerkschaften an, der Bund Naturschutz, der Paritätische Wohlfahrtsverband, der Journalistenverband und die Humanistische Union sowie die SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, Die Linke und das globalisierungskritische Netzwerk ATTAC. Welch ein Arbeitsfeld tat sich da für Hermanns Mannen auf!

Wie heißt es in der von den bayerischen Grünen in Auftrag gegebenen Studie zur Geschichte des Verfassungsschutzes im Freistaat: »In der beginnenden Hochphase des Kalten Krieges blickten die amerikanischen Sicherheitsbehörden wie diejenigen der Bundesrepublik nicht auf die Vergangenheit, sondern auf die Gegenwart. Gefragt waren langjährige Erfahrungen im Polizei- und Nachrichtendienst sowie eine ausgeprägte antikommunistische Einstellung.« Letzteres zählt noch heute. (hd)

*** Aus: junge Welt, Dienstag, 13. August 2013


Zurück zur Verfassungsschutz-Seite

Zur Seite "Kalter Krieg"

Zurück zur Homepage