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Gute Nazigegner, böse Nazigegner

Bildungsarbeit des Verfassungsschutzes im Sinne der Extremismustheorie

Von Johannes Hartl *

Mit der »Bayerischen Informationsstelle gegen Extremismus« betreibt das Landesamt für Verfassungsschutz im Freistaat bereits seit 2009 Bildungsarbeit – auch an Schulen. Zwei SPD-Innenpolitiker kritisieren nun die fehlende »rechtliche Legitimation« für diese Tätigkeit und fordern eine »grundsätzliche Evaluation der Arbeit der BIGE«.

Stolz wird die »Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus« (BIGE) im Internet vom Bayerischen Innenministerium als »wichtiger Baustein« im »Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus« beschrieben, das die Staatsregierung im Jahre 2009 vorgestellt hat. Seither will die BIGE eigenen Angaben zufolge Bürger, Kommunen und Schulen »aufklären, beraten und vernetzen«. Das Angebot solle dabei jedoch nicht mit »bestehenden sozialen, gesellschaftlichen und kirchlichen Initiativen gegen Extremismus« konkurrieren, heißt es auf der Internetpräsenz der Informationsstelle.

Tatsächlich ist die Begeisterung über die Arbeit der BIGE bei zivilgesellschaftlichen Initiativen aber gering. Insbesondere wegen ihrer Bildungsarbeit an Schulen steht die beim Verfassungsschutz angesiedelte Informationsstelle im Fokus der öffentlichen Kritik. Immer wieder bewerten Experten die Informationen der BIGE als zweifelhaft und sehen das von den Verfassungsschützern vermittelte Bild einer aktiven Zivilgesellschaft als kritikwürdig an. Denn würde es eine Zivilgesellschaft ganz im Sinne der BIGE geben, sagen Experten, hätte dies in der Realität wohl eher eine Schwächung des Engagements gegen Rechts zur Folge.

Dieses Problem kennt man auch bei der SPD-Landtagsfraktion. Kürzlich haben die Abgeordneten Florian Ritter und Helga Schmitt-Bussinger deshalb bei einem Bericht zur BIGE im Innenausschuss die Arbeit der Informationsstelle an Schulen massiv kritisiert. »Die Bildungsarbeit gehört nicht zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes. Eigentlich müsste das Kultusministeriums die Demokratieerziehung und die Prävention gegen Rechtsextremismus im Lehrplan unterbringen«, sagt Ritter dem »nd«. Diese Aufgabe könne man nicht einfach an die BIGE delegieren, zumal sich deren Vorträge streng an der umstrittenen Extremismustheorie orientieren und ganz im Sinne der CSU gehalten werden würden.

Außerdem wolle die BIGE mit ihrer Arbeit »zivilgesellschaftliche Gruppen rausdrängen und bestimmen, was gute und böse Nazigegner sind. Das ist die Aufgabe der BIGE in der Realität. Und das geht gar nicht«, beklagt Ritter. Der SPD-Politiker fordert stattdessen eine »Stärkung der Zivilgesellschaft und eine von Vereinen und Verbänden unabhängige Beratung«. Dass der Verfassungsschutz in Bayern Bildungsarbeit leisten soll und dies von der CSU verteidigt wird, findet Ritter sowieso paradox. Gerade die Erkenntnisse aus dem NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags hätten gezeigt, dass der »Verfassungsschutz in Bayern eben kein Experte für Rechtsextremismus ist«, sagt der ebenfalls im Ausschuss tätige Ritter.

Die SPD-Innenpolitikerin Helga Schmitt-Bussinger beklagt ferner die fehlende juristische Legitimation. »Nach bestehender rechtlicher Lage hat die BIGE keinen Bildungsauftrag – auch nicht im Kostüm der Öffentlichkeitsarbeit des Landesverfassungsschutzes, wie es verkauft wird«, betont Schmitt-Bussinger. Aus diesem Grund müsse »die Arbeit der BIGE grundsätzlich evaluiert werden« und »eine Rückführung des Geheimdienstes auf seine Kernbereiche« erfolgen. Dies solle im Rahmen einer »Abschaffung des Verfassungsschutzes in dieser Form« geschehen, schlägt die SPD-Innenexpertin in einer Pressemitteilung vor.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 2. Juli 2013


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