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Braune Mentoren

Eine Studie über die Frühgeschichte des bayerischen Verfassungsschutzes zeigt, wessen Geistes Kind die Geheimdienstler sind, unter deren Augen der NSU morden konnte

Von Claudia Wangerin *

Zwei Welten sind in den Untersuchungsausschüssen zum Neonaziterror in Thüringen, Sachsen, Bayern und dem Bund aufeinandergeprallt: Parlamentarier, die zumindest von nennenswerten Teilen der Bevölkerung gewählt wurden und kritische Fragen von anderen Politikern oder Journalisten gewohnt sind, vernahmen Geheimdienstmitarbeiter, die vom Licht der demokratischen Öffentlichkeit bislang verschont geblieben waren. Letztere machten zum Teil mehr als deutlich, daß sie genau dies immer noch für ihr gutes Recht halten – zehn Tote hin oder her.

Auch im Untersuchungsausschuß »Rechtsterrorismus in Bayern« wurde die Frage aufgeworfen, wie die Mentalität innerhalb des Landesamts für Verfassungsschutz dazu beigetragen hatte, daß nach Beginn einer rassistischen Mordserie mehr als zehn Jahre lang in die falsche Richtung ermittelt worden war. Dieser Mentalität wollte die Opposition im Landtag auf den Grund gehen. Parallel zur Arbeit des Ausschusses, der am 17. Juli seinen Abschlußbericht vorstellte, hatte die Fraktion der Grünen eine Studie über die Frühgeschichte des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz von 1949 bis 1965 in Auftrag gegeben.

Über die Schlüsselqualifikationen damaliger Mitarbeiter der Behörde schreiben die Historiker Susanne Meinl und Joachim Schröder in der knapp 100 Seiten umfassenden Dokumentation: »Gefragt waren langjährige Erfahrungen im Polizei- und Nachrichtendienst sowie eine ausgeprägte antikommunistische Einstellung.« Beides hätten »die hier vorgestellten Beamten in sehr ausreichendem Maße unter Beweis gestellt«. Die Rede ist von veritablen Altnazis, die vor 1945 bei der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) tätig waren. Zum Teil erhielten sie keine Planstellen im 1949 gegründeten Landesamt, sondern wurden als Angehörige des Präsidiums der Grenzpolizei geführt und von dort in das Landesamt abgeordnet. Wie etwa Kriminalkommissar Leonhard Halmanseger und Kriminalinspektor Franz Blümlhuber, die jeweils zwölf Jahre lang bei der Gestapo Dienst getan hatten. Als V-Mann-Führer waren sie maßgeblich an der Zerschlagung des kommunistischen Widerstands in München beteiligt. »Einstellung zum demokratischen Staat: bedenkenfrei«, so die Beurteilung Halmansegers durch das Landesamt, damals geleitet von dem als unbelastet geltenden Juristen Karl Kurz.

Für die 1950er Jahre konnten die Historiker bisher fünf Angehörige des Landesamtes für Verfassungsschutz identifizieren, die zumindest zeitweise für die Gestapo tätig gewesen waren, allesamt in leitenden Funktionen. Der Beamte Joseph Schreieder etwa hatte bis 1945 in den besetzten Niederlanden die Abteilung »Gegenspionage« geleitet und die Bekämpfung des dortigen Widerstands organisiert. Kurz nach Kriegsende war er von den Alliierten in Scheveningen festgenommen worden. Vor einem Sondergericht in Den Haag wurde er aber bald darauf freigesprochen. Im beginnenden kalten Krieg interessierte sich der US-Geheimdienst CIA für ihn. Unter dem Decknamen Cabolt wurde er dessen Zuarbeiter, 1955 nahm er seine Tätigkeit beim bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz auf.

In einer Welt fernab der demokratischen Kontrolle liegt es nahe, daß solche Persönlichkeiten sich Nachfolger heranziehen, die ihnen ähnlich sind. Das Problem dürfte also nicht mit dem Ableben der kurz vor oder nach 1900 geborenen Altnazis gelöst worden sein. Der Umgang des bayerischen Verfassungsschutzes mit gewaltbereiten Neonazis und die zögerliche Informationsweitergabe an die polizeilichen Mordermittler legten den Verdacht nahe, daß entsprechende Mentorbeziehungen bis in die jüngste Geschichte hinein wirken konnten.

»Nicht erst das offensichtliche Versagen von Verfassungsschutzbehörden bei der Beobachtung des über 100 Personen umfassenden Neonazinetzwerkes, aus dem heraus das sogenannte NSU-Trio über dreizehn Jahre hinweg unbemerkt zehn Mordanschläge und eine Vielzahl von Raubüberfällen begehen konnte, sondern eine lange Reihe von Skandalen und Pannen bis hin zum gescheiterten ersten NPD-Verbotsverfahren zwingen dazu, die bisherige Struktur des sogenannten Verfassungsschutzes und seine Aufgaben, Befugnisse und Arbeitsweisen grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen«, schreiben die Vertreter von SPD und Grünen im Abschlußbericht des bayerischen Untersuchungsausschusses. Schon der Begriff »Verfassungsschutz« sei irreführend. »Es handelt sich um Inlandsgeheimdienste, die auch als solche bezeichnet werden sollten.« Das Landesamt könne »in seiner bisherigen Form nicht mehr weiter bestehen«. Seine Aufgaben müssen klarer definiert »und insbesondere auf die Beobachtung gewaltorientierter und rassistisch motivierter Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung konzentriert werden«.

Nur aus Zeitgründen – wegen der bevorstehenden Landtagswahl am 15. September – hatte sich der Ausschuß unter dem Vorsitz des SPD-Politikers Franz Schindler auf die Phase beschränkt, in der der »National­sozialistische Untergrund« sein Unwesen trieb, und dessen bisher bekannten mutmaßlichen Mitglieder in den 1990er Jahren im »Thüringer Heimatschutz« aktiv waren. Zumindest Vertreter von SPD und Grünen hätten gern das Oktoberfest-Attentat von 1980 mit einbezogen, das bis heute offiziell als Werk eines Einzeltäters gilt. Schindler spricht sich für eine Neuauflage des Ausschusses in der kommenden Legislaturperiode aus.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 7. August 2013


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