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Robert Steigerwald zum 90. Geburtstag

Von Alfred Kosing *

Heute begeht Robert Steigerwald, einer der bekanntesten marxistischen Theoretiker und Politiker in Deutschland, seinen 90. Geburtstag. Er stammt aus einer Arbeiterfamilie. Sein Weg führte ihn – widerwillig – in den Waffendienst. Er wurde Kampfpilot und war ein halbes Jahr im Einsatz. Aus diesem unmittelbaren Erlebnis wuchs die Erkenntnis, dass die friedliche Zukunft der deutschen Bevölkerung nur gesichert werden kann, wenn nicht nur ein demokratischer, sondern auch ein sozialistischer Weg beschritten wird. Daher schloss er sich der SPD an und wurde Vorsitzender ihrer Jugendorganisation Die Falken. Zugleich legte er an der Abendschule das Abitur ab und begann ein Studium der Geschichte und Philosophie. Während seiner Studentenzeit erhielt er bereits eine Anstellung beim Hessischen Rundfunk als Jugendredakteur.

Erste politische Erfahrungen und das Studium des Marxismus führten ihn bald zu der Einsicht, dass der SPD-Vorstand zwar häufig von der Notwendigkeit des Sozialismus redete, ihre praktische Politik aber in den alten reformistischen Bahnen verblieb, die immer nur zur Stabilisierung des Kapitalismus geführt hatten. Eine Konsequenz dieser Erkenntnis war sein Eintritt in die KPD. Dieser Schritt hatte allerdings eine unerwartete Wirkung: Er wurde vom Hessischen Rundfunk entlassen; der gerade beginnende Kalte Krieg hatte somit unmittelbare Auswirkungen auf sein Leben.

Der Verlust der Arbeitsstelle führte dazu, dass er sein Studium nicht beenden konnte. Dafür erhielt er aber die Möglichkeit, 1949/1950 ein Studium an der Parteihochschule »Karl Marx« der SED in Kleinmachnow zu absolvieren. Nachdem er dort einige Zeit als Lehrer gewirkt und Philosophie unterrichtet hatte, kehrte er in die BRD zurück. Hier war der Kampf gegen die Remilitarisierung zu einer entscheidenden Aufgabe geworden. Bald wegen »Rädelsführerschaft in einer staatsgefährdenden Organisation« angeklagt, wurde er von ehemals faschistischen Richtern zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Nach der Haftentlassung arbeitete Steigerwald in verantwortlicher Funktion im Zentralkomitee der inzwischen illegalen KPD. 1968 gründete sich die DKP, in der Steigerwald Mitglied des Parteivorstandes wurde und für den Bereich Theorie und Bildung verantwortlich war. In seiner Funktion als Chefredakteur machte er die Zeitschrift Marxistische Blätter zu einem Organ revolutionären Denkens.

Steigerwald nahm darin nicht nur zu vielen aktuellen Fragen der Theorie und Politik Stellung, er veröffentlichte auch zahlreiche Bücher, darunter Einführungen in die marxistische Philosophie, die sich durch Verständlichkeit und Lebendigkeit auszeichnen und vielen jungen Genossen halfen, sich marxistisches Grundwissen anzueignen. In seiner Dissertation »Herbert Marcuses dritter Weg«, mit der er 1968 zum Doktor phil. promovierte, entwickelt Steigerwald die Grundlinie seines Marxismusverständnisses, die von großer Bedeutung für die politischen Auseinandersetzungen und Richtungsbestimmungen in der Arbeiterbewegung und darüber hinaus im gesamten linken politischen Spektrum war und es teilweise immer noch ist.

Das trifft ganz besonders für die Zeit nach dem XX. Parteitag der KPdSU im Jahr 1956 zu, als die Kritik an dogmatischen Auffassungen Stalins, des von seinen Anschauungen geprägten Marxismus-Leninismus und seiner Politik nicht nur zu notwendigen Korrekturen in der Theorie und Politik kommunistischer Parteien führte, sondern auch revisionistischen und opportunistischen Tendenzen Aufwind gab. Diese artikulierten sich in verschiedenen Formen und Strömungen, sie waren überwiegend antikapitalistisch, und insofern auch progressiv. Aber sie distanzierten sich mehr oder weniger stark vom realen Sozialismus in der Sowjetunion und besonders von dem in der DDR, übten eine ahistorisch-abstrakte Kritik an seinem damaligen Erscheinungsbild. Als theoretisches Fundament derartiger Auffassungen diente meist eine revisionistisch verstümmelte Form des Marxismus, oft verbunden mit Elementen des Neukantianismus und des modernen Positivismus oder auch der Lebensphilosophie. Die kritische Analyse derartiger Anschauungen sowie eine überzeugende Auseinandersetzung mit ihnen war also eine wichtige Aufgabe des ideologischen Klassenkampfes. Auf diese streitbare Weise wahrte und verteidigte er stets unverzichtbare Grundpositionen des Marxismus. Das machte ihn zu einem anerkannten Diskussionspartner für Marxisten mehrerer Generationen, die nicht Mitglied der DKP waren.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 24. März 2015


Ein Durchhalter

Am Sonnabend fand in Eschborn eine Festveranstaltung zum 90. Geburtstag des marxistischen Philosophen Robert Steigerwald statt **

So viele Rote habe der Sitzungssaal des Rathauses von Eschborn noch nie gesehen, meinte der Stadtverordnete Thomas Matthes (Fraktion Die Linke). Er begrüßte etwa 130 Gäste, die am Sonnabend zu einer Festveranstaltung für den Bürger der Stadt, den Kommunisten und Philosophen Robert Steigerwald, der am heutigen Dienstag seinen 90. Geburtstag begeht, gekommen waren. Eingeladen hatten die Linke in der Stadtverordnetenversammlung, die DKP und die Marx-Engels-Stiftung Wuppertal. Erich Schaffner (Gesang) und Beate Jatzkowski (Akkordeon) trugen Lieder von Brecht und Majakowski vor. Eschborns Bürgermeister Mathias Geiger, der einer der reichsten Gemeinden der Bundesrepublik vorsteht, würdigte den Jubilar als einen »Durchhalter«, dessen politische Auffassungen er in vielen Belangen nicht teile. Der Landtagsabgeordnete Willi van Ooyen (Die Linke) erinnerte an gemeinsame Demonstrationen und Kundgebungen wie die zum 30. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus 1975 auf dem Römerberg in Frankfurt am Main und an Robert Steigerwalds wichtige Rolle in der Friedensbewegung.

Den Krieg verhindern war und ist neben der Philosophie eines der Lebensthemen Steigerwalds. Er wurde 1945 Mitglied der SPD, trat aus ihr 1948 wieder aus und in die KPD ein, als ihm der Parteivorsitzende Kurt Schumacher auf eine entsprechende Frage geantwortet hatte, selbstverständlich werde es Krieg geben, und »wir« würden dann an der Seite der Westmächte gegen die Russen stehen. Steigerwald flog aus dem Hessischen Rundfunk, absolvierte ein Studium an der SED-Parteihochschule, wurde dort Verantwortlicher für Philosophie und kehrte bald in die BRD zurück. Seine Arbeit für die ab 1956 verbotene KPD brachte ihm insgesamt über fünf Jahre Haft ein. Ab 1961 war er in Ostberlin und in Westdeutschland für die illegale Partei tätig, hob die Zeitschrift Marxistische Blätter, deren Chefredakteur er später wurde, 1963 mit aus der Taufe und legte eine viel beachtete Dissertation über »Herbert Marcuses dritten Weg« vor. Seit 1967 wohnt er mit seiner Familie in Eschborn und wurde in Auseinandersetzungen mit den verschiedensten Trupps linker Antikommunisten, denen er als »Gralshüter des Revisionismus« galt, ein gefürchteter Polemiker. Seine Hauptarbeit galt, in enger Zusammenarbeit mit Willi Gerns, der darüber am Sonnabend berichtete, den Grundsatzdokumenten der 1968 gegründeten DKP. Gerns und nach ihm der DKP-Parteivorsitzende Patrik Köbele erinnerten an die Würdigung der »politischen Zwillinge« Gerns und Steigerwald durch die FAZ am 12. Februar 1990 als »zwei dieser alten Schlachtrösser«, die »in verstocktem Sinne ehrlich« die Ereignisse in der DDR als »konterrevolutionären Prozess« bezeichneten. Köbele übersetzte das mit den Worten: ein kommunistischer Intellektueller, dem nichts ferner lag als der Elfenbeinturm, der sich statt im Büro lieber in Debatten aufhielt. So skizzierte es auch in einem launigen Grußwort der Vorsitzende des Deutschen Freidenkerverbandes Klaus Hartmann, der Steigerwald für seine profunden Arbeiten zur Religion und zum Bündnis mit Gläubigen dankte.

Die theoretische Seite im Werk Steigerwalds würdigten die Philosophen András Gedö (Budapest), der sich mit der Postmoderne und ihren wirkungsvollen, aber wenig ertragreichen Versuchen, den Marxismus zu töten, auseinandersetzte, und Alfred Kosing (Alanya), der Ursachen für das Scheitern des realen Sozialismus skizzierte. Der Sozialwissenschaftler Manfred Lauermann (Hannover) erläuterte, warum Hegel nach und mit Marx und Lenin im Sinne der Arbeiten Steigerwalds heute aktuell sei, die Ökonomin Gretchen Binus (Berlin) beleuchtete den Funktionsmechanismus des staatsmonopolistischen Kapitalismus, der Historiker Heinz Karl (Berlin) würdigte Steigerwalds klare marxistische Position in den Diskussionen um »Friedensfähigkeit« des Imperialismus sowie um den Weg der kommunistischen Bewegung nach dem XX. Parteitag der KPdSU. jW-Chefredakteur Arnold Schölzel nannte den Kommunismus ein Grundproblem der bürgerlichen Gesellschaft, das in ihr seit ihren Anfängen »rumort«. Die Beiträge der Konferenz werden in einer Festschrift publiziert.

** jW, 24.03.2015




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