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Ein Fachmann

Postum ist ein Band Uwe-Jens Heuers über den "Kronjuristen" der Nazis Carl Schmitt erschienen

Von Arnold Schölzel *

Es seien, so lautet ein Gründungsmythos der Bundesrepublik, weitgehend unpolitische Fachleute gewesen, die im Reichssicherheitshauptamt, an Sonder- und Militärgerichten, in NS-Redaktionen und an Universitäten die Judenmorde organisierten, die Pläne zur Vernichtung und Kolonisierung osteuropäischer Völker entwarfen und realisierten. Wer als Nazi 1945 aus dem öffentlichen Dienst geflogen war, durfte wenige Jahre später hinein, auch wenn er gar nicht drin gewesen war, Hauptsache Nazi. Ausnahme: Mancher war international zu prominent. Dazu gehörten der Staatsrechtler Carl Schmitt (1888–1985) und der Philosoph Martin Heidegger (1889–1976). Beide hatten sich nicht mit niederen Tätigkeiten wie z.B. dem Erfinden von Gaswagen und der Ermordung einiger zehntausend Menschen befaßt, was ihnen eine auskömmliche Stelle bei CIA und BND gesichert hätte, sondern in Schriften und Reden mit dafür gesorgt, daß Deutschland 1933 nach einem Wort des ungarischen Philosophen Georg Lukács »zum Zentrum der ideologischen Reaktion« weltweit geworden war.

Aufwertung

Die Liste derjenigen, die bis zu Carl Schmitts Tod 1985 zu ihm ins Sauerland pilgerten, umfaßt so ziemlich alles, was in der Bonner Republik in Politik, Medien, Philosophie und Rechtswissenschaft Rang und Namen hatte und hat. Entscheidend ist aber die neue »Aufwertung«, die dieser BRD-Guru seit 1990 erfährt, als mit dem Anschluß der DDR Krieg von deutschem Boden wieder möglich und auch sofort geführt wurde.

Eine Analyse seines wissenschaftlichen Werks, so Uwe-Jens Heuer einleitend in seinem Buch »Glanz, Elend und Wiederkehr des Staatsdenkers Carl Schmitt« sei daher nicht nur eine Aufgabe der Geschichtsforschung, sondern auch »der Analyse der Welt, in der wir heute leben«. Heuer, der am 23. Oktober verstarb, hat in sieben Kapiteln eine Literaturstudie zum Thema Staatstheorie, zu den entscheidenden Arbeiten Schmitts und – so der letzte Abschnitt – zur »Wiederkehr des Schmittschen Geistes im vereinten Deutschland« zusammengetragen. Die Kommentierung des Autors ist über weite Strecken sparsam, er läßt die Textstücke für sich sprechen. An Klarheit läßt der Band gerade deswegen wenig zu wünschen übrig.

Ins Zentrum stellt Heuer den theoretischen Angriff Schmitts auf den Parlamentarismus, den dieser 1923 startete und wiederkehrend steigerte. Zusammengefaßt lief seine Kritik darauf hinaus, daß das »Volk als Einheit« zwar den modernen Staatsverfassungen zugrunde liege, aber durch die Parlamente nicht mehr repräsentiert werde. Die sind demnach im Griff von Parteien, die alle möglichen Interessen bedienen, aber nicht mehr die des Ganzen. Schmitt sah im direkt gewählten Reichspräsidenten den Gesamtwillen verkörpert und feierte bereits 1929 den Verzicht des italienischen Faschismus auf Wahlen als »nicht etwa undemokratisch, sondern antiliberal«. Er entspringe »der richtigen Erkenntnis, daß die heutigen Methoden geheimer Einzelwahl alles Staatliche und Politische durch eine völlige Privatisierung gefährden, das Volk als Einheit ganz aus der Öffentlichkeit verdrängen, der Souverän verschwindet in der Wahlzelle«. Heuer weist nur en passant darauf hin, daß Schmitt, »der Verfechter der Diktatur des Reichspräsidenten gleichzeitig ein Verfechter der liberalen Grundrechte des Privateigentümers ist und sie für vorstaatlich erklärt, während es sonst in seiner Theorie vorstaatliches Recht gar nicht geben kann«.

Letzte Rechtsquelle

Das Zusammenführen von Diktaturphantasien mit dem Aberglauben an die Naturhaftigkeit des Privateigentums war kein spezielles Merkmal des Schmittschen Weltbildes, es war ein Kernbestandteil der Naziideologie, es ist so etwas wie der Inbegriff imperialistischer Ideologie und Demagogie. Dies erfaßt und formuliert zu haben, macht Schmitts »Größe« aus. Daß er sich in die Verehrung des »Führers« als letzter Rechtsquelle 1934 hineinsteigert, wenig später die Entfernung aller Schriften jüdischer Autoren fordert etc., von den »Alten Kämpfern« der NSDAP aber mit Mißtrauen verfolgt wird, gehört fast zu den Beiläufigkeiten im Leben eines deutschen Juraprofessors dieser Zeit.

Heuer schildert abschließend, wie verschiedene Urteile des Bundesverfassungsgerichts – zu »Soldaten sind Mörder«, Kruzifix in bayerischen Schulklassen etc. – im Bundestag auf konservativer Seite zu eben jenen Reflexen führten, die ihre theoretische Untermauerung bei Schmitt haben: Solch ein Gericht ist für jemanden, der das »gesunde Volksempfinden« zu repräsentieren meint, nicht maßgebend. Im Buch zitiert Heuer Wolfgang Schäuble aus dem Jahr 1996: »Die Verfassung ist immer weniger das Gehege, in dem sich demokratisch legitimierte Politik frei entfalten kann, sondern immer stärker die Kette, die den Bewegungsspielraum der Politik lahmlegt.« Es muß nämlich noch jede Menge Krieg geführt werden.

Uwe-Jens Heuer: Glanz, Elend und Wiederkehr des Staatsdenkers Carl Schmitt. Verlag am Park, Berlin 2011, 196 Seiten, 16,90 Euro

* Aus: junge Welt, 12. Dezember 2011


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