Merkel verlangt von Muslimen Abgrenzung vom Terrorismus
Linkenpolitiker Korte lehnt Djihadistenausweis-Pläne der Bundesregierung strikt ab / Gysi gibt Westen Mitschuld an Anschlägen in Paris / Debatte über Sicherheitsgesetze und Verhältnis zu Muslimen erwartet
Update 13.25 Uhr: Nach den Terroranschlägen von Paris hat sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) demonstrativ für eine Rückkehr zur umstrittenen Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen. In einer Regierungserklärung zu den Attentaten in Frankreich plädierte Merkel im Bundestag dafür, die EU-Kommission zur Vorlage einer neuen Richtlinie zu drängen und diese dann auch in Deutschland umzusetzen. Schließlich seien parteiübergreifend alle Innenminister aus Bund und Ländern von der Notwendigkeit der Datenspeicherung überzeugt, sagte die Kanzlerin am Donnerstag. Die Debatte über die Vorratsdatenspeicherung ist nach den Anschlägen von Paris neu entbrannt.
Merkel forderte einerseits eine klare Abgrenzung der Muslime vom Terror im Namen des Islam, nahm aber gleichzeitig die etwa vier Millionen Muslime in Deutschland gegen pauschale Schuldzuweisungen in Schutz. Dazu seien vor allem die Islam-Gelehrten aufgerufen, sagte die CDU-Vorsitzende am Donnerstag in einer Regierungserklärung im Bundestag.
Update 10.58 Uhr: Die Grünen lehnen eine von der Union geplante rasche Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung in Folge der Terroranschläge von Paris ab. Statt einer anlasslosen Massenspeicherung von Telefon- und Internetdaten müssten bestehende Gesetze angewandt und die Bundespolizei besser ausgestattet werden. »Mehr Datenspeicherung und vermeintliche Gesetzesverschärfungen sind falsche Reflexe«, sagte Fraktionschef Anton Hofreiter am Donnerstag im Bundestag. »Wenn unsere Freiheit angegriffen wird, dürfen wir unsere Freiheit doch nicht selbst aufgeben.« Hofreiter mahnte Augenmaß an: »Was wir brauchen, ist eine gut ausgestattete Polizei.«
Update 10.45 Uhr: Linksfraktionschef Gregor Gysi gibt dem Westen eine Mitschuld an der Entstehung des islamistischen Terrorismus. »Al-Kaida und Islamischer Staat waren auch die Folge und Produkte von Militärinterventionen«, sagte er am Donnerstag im Bundestag. Als Ursachen für die Entstehung der Terrororganisationen nannte er unter anderem die Waffenlieferungen in den syrischen Bürgerkrieg und die Intervention der USA und einiger Verbündeter 2003 im Irak. »Ohne die genannte falsche Aufrüstung in Syrien, ohne den falschen Irak-Krieg, gäbe es den Islamischen Staat nicht - zumindest nicht so, wie er heute existiert.«
Auch der Afghanistan-Krieg hat nach Ansicht Gysis den Terrorismus befördert. »Im Krieg wird Leben vernichtet. Dadurch entsteht eine Verachtung des Rechts auf Leben. Und diese Verachtung ist eine Bedingung des Terrorismus.« Ziel des internationalen Afghanistan-Einsatzes sei es gewesen, al-Kaida zu zerschlagen. Die Terrororganisation sei aber nur nach Pakistan umgezogen.
»Sie alle wissen, dass Ihre Entscheidung für den Afghanistan-Krieg falsch war, haben aber nicht den Mut, das einzuräumen«, warf er dem größten Teil der Bundestagsabgeordneten vor. Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr war stets mit großer Mehrheit vom Parlament beschlossen worden. Die Linke stimmte als einzige Fraktion immer geschlossen dagegen.
Update 10.15 Uhr: Linken-Fraktionschef Gregor Gysi warnte davor, dass die »Pegida«-Bewegung die Anschläge in Paris für ihre Zwecke missbrauche. Das müsse verhindert werden. »Pegida« spreche für eine Minderheit, die große Mehrheit denke anders. »Wir müssen 'Pegida' geschlossen verurteilen.«
Update 9.50 Uhr: Angela Merkel (CDU) hat die blutigen Terroranschläge von Paris scharf verurteilt und Frankreich die klare Solidarität der Deutschen ausgesprochen. »Wir sind erschüttert und fassungslos über den Tod von 17 unschuldigen Menschen«, sagte Merkel am Donnerstag bei einer Regierungserklärung im Bundestag. »Deutschland und Frankreich stehen in diesen schweren Tagen zusammen.« In Deutschland gebe es keine Sicherheit, wenn es Frankreich keine Sicherheit gebe. Die Kanzlerin erinnerte an die vielen Attentate auf der Welt in der jüngeren und ferneren Vergangenheit. »Terror war nie weg. Terror hat immer existiert«, betonte sie. Als Beispiele nannte Merkel etwa die Gräueltaten in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten oder die brutalen Morde der rechten Terrorzelle NSU, aber ebenso jüngere Anschläge wie das islamistische Attentat auf das Jüdische Museum in Brüssel oder die blutigen Taten der Terrorgruppe Boko Haram in Nigeria.
Update 9.30 Uhr: Mit einer Schweigeminute hat der Bundestag am Donnerstag der Opfer der Terroranschläge in Paris gedacht. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) verurteilte die Attentate als demonstrativen Angriff auf die freie und offene Gesellschaft, »auf unsere Überzeugungen und Werte«. Lammert rief dazu auf, sich davon nicht einschüchtern zu lassen und die Freiheit von Meinung und Presse entschlossen zu verteidigen.
Update 8 Uhr: Der Linkenpolitiker Jan Korte hat die Pläne zur Entziehung des Personalausweises bei Islamisten abgelehnt. »Ein tatsächlicher Sicherheitsgewinn dürfte durch die Einführung von Terroristenausweisen kaum erzielt werden. Mit ihrer unverhältnismäßigen und ausgrenzenden Politik spielt die Koalition jedoch den Demokratiefeinden in die Hände«, sagte der Bundestagsabgeordnete. »Wir brauchen im Kampf gegen den Terror nicht weniger Freiheit und Demokratie, sondern viel mehr davon. Die Bundesregierung sollte Vernunft walten lassen und ihre Djihadistenausweis-Pläne schnell zurückziehen«, so der Innenexperte und Fraktionsvize. Das Bundeskabinett hatte am Mittwoch einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Personalausweisgesetzes zur Einführung eines Ersatz-Personalausweises und zur Änderung des Passgesetzes debattiert. »Sichtvermerke im Personalausweis oder die Ausstellung von Terroristenausweisen sind keine Lappalie. Die auf Verdacht hin ausgestellten Dokumente können zur umfassenden Stigmatisierung einer Person führen, für die die Unschuldsvermutung gilt«, so Korte.
Kanzlerin Merkel gibt Regierungserklärung ab
Berlin. Der Bundestag befasst sich am Donnerstag ab 9 Uhr mit den Konsequenzen aus den Terroranschlägen in Frankreich, bei denen islamistische Attentäter insgesamt 17 Menschen getötet hatten. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gibt dazu eine Regierungserklärung ab. In der Debatte werden die Fraktionsvorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien sprechen. Angesichts islamfeindlichen und rassistischen Demonstrationen in Deutschland hatte sich Merkel mit Nachdruck gegen eine Ausgrenzung muslimischer Mitbürger gewandt. Nach den Terroranschlägen von Paris gelte es, mit allen Mitteln gegen Intoleranz und Gewalt vorzugehen.
Strittig sind unter anderem die sicherheitspolitischen Schritte, die ähnliche Anschläge in Deutschland verhindern helfen sollen. Die Union fordert eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, bei der systematisch Telefon- und Internetdaten erfasst werden. Justizminister Heiko Maas (SPD) lehnt dies ab - für den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel und andere Sozialdemokraten ist das umstrittene Überwachungsinstrument unter bestimmten Vorraussetzungen aber denkbar.
* Aus: neues deutschland (online), Donnerstag, 15. Januar 2015
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