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"Eine solche Generalermächtigung darf es nicht geben"

Die geplanten Handelsabkommen CETA und TTIP würden soziale Rechte aushöhlen. Ein Gespräch mit Andreas Fischer-Lescano *


Andreas Fischer-Lescano ist Professor an der Universität Bremen. Forschungsschwerpunkte sind u. a. Öffentliches Recht und Europarecht.

Die Medien des Mainstreams haben viele Monate gebraucht, um die Gefahren der geplanten »Handelsabkommen« der EU mit Kanada (CETA) und den USA (TTIP) für die Demokratie wahrzunehmen. Inzwischen berichten sie bröckchenweise. Als Jurist haben Sie vor Monaten in einem Gutachten für ATTAC darauf hingewiesen, dass mit diesem Abkommen gegen Grundgesetz und EU-Recht verstoßen wird. Weshalb?

Politische Entscheidungen müssen demokratisch rückgebunden sein. Das ist bei den in CETA und TTIP geplanten Gremien nicht im Ansatz realisiert. Sie sind nur mit Exekutivvertretern besetzt; die Mitgliedstaaten der EU sind in ihnen nicht vertreten, können also nicht mitbestimmen. Dennoch sollen sie weitreichende Entscheidungen treffen, teilweise sogar in Bereichen, in denen die EU gar nicht tätig werden darf.

Sie können zum Beispiel den Geltungsumfang der Abkommen erweitern. Von diesen Gremien wird es auch abhängen, welches Niveau im Hinblick auf Verbraucherrechte und Arbeitsschutz realisiert werden kann. Das ist so etwas wie eine Generalermächtigung, die es so nicht geben darf. Die Gefahr ist, dass auf diese Weise soziale Rechte ausgehöhlt werden.

Sie vertreten die Ansicht, dass das in CETA und TTIP vorgesehene Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS) dem richterlichen Rechtsprechungsmonopol widerspricht und sowohl das Grundgesetz als auch das EU-Recht verletzt. Laufen die ISDS-Schiedsverfahren tatsächlich auf eine private Paralleljustiz hinaus?

Das Stichwort »private Paralleljustiz« verharmlost die Probleme des ISDS deutlich. Wenn dort das Problem läge, könnte man es in der Tat so beheben, wie es SPD-Chef Sigmar Gabriel nun vorgeschlagen hat, nämlich indem man einen mit Berufsrichtern besetzten Investitionsschiedsgerichtshof gründet. Das wäre aber ein Schritt in die falsche Richtung: Es gibt mit den Menschenrechtsgerichtshöfen bereits Institutionen, die überstaatlich auch das Eigentumsgrundrecht schützen. Sie tun das in einer ausgewogenen Weise unter Einbeziehung von Gemeinwohlbelangen. Daneben spezielle Investitionsgerichte zu etablieren, schwächt den allgemeinen Menschenrechtsschutz und verstärkt die Institutionen der Freihandelsideologie. Das setzt sich nicht nur mit dem richterlichen Rechtsprechungsmonopol des Grundgesetzes, sondern auch mit dem Grundsatz der Autonomie des Unionsrechts in Widerspruch. Der grundrechtliche Kerngedanke, dass »Eigentum verpflichtet«, wird durch diese ISDS-Verfahren ausgehebelt.

Eine weitreichende Bestimmung bei CETA ist die sogenannte »Ratchet Clause« (Sperrklinkenklausel). Im Gegensatz zu der großen Brisanz dieser Klausel wissen die wenigsten, was sich dahinter verbirgt. Worum geht es?

Würde in die Verträge eine solche Ratchet-Klausel eingebaut, wäre das eine Ewigkeitsgarantie für die Privatisierung. Vorgenommene Privatisierungen öffentlicher Dienste können zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr zurückgenommen werden.

Die Verträge führen also insgesamt zu einem Verlust staatlicher Souveränität. Wäre das rechtmäßig?

Grundgesetz und Unionsrecht verlangen, dass die Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung jederzeit der demokratischen Disposition unterliegen muss, dass es jederzeit möglich sein muss, die Sozialbindung des Eigentums zu erhöhen, die Strukturen der Sicherung öffentlicher Güter anders zu gestalten. Diese Spielräume dürfen durch völkerrechtliche Verträge nicht ausgehebelt werden.

Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung und ehemaliger Richter, hat die ISDS-Schiedsverfahren vor fast einem Jahr »eine Perversion rechtsstaatlichen Denkens« genannt, die den »Status der Normalität« erhalten solle. Wie erklären Sie sich, daß die verfassungsrechtlichen Bedenken öffentlich bisher so wenig zur Kenntnis genommen werden?

Die Debatte wird zur Zeit noch von den Investitionsschutzexperten dominiert, die mit wenigen Ausnahmen die mit der Schiedsgerichtsbarkeit verbundenen Gefahren bagatellisieren. Die Diskussion wird aber noch an Fahrt aufnehmen, insbesondere wenn die anhängigen Verfassungsbeschwerden verhandelt werden. Schon jetzt gibt es durchaus auch prominente Verfassungsjuristen, die sich kritisch geäußert haben, so unter anderem der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Siegfried Broß. Ich bin optimistisch, dass es gelingen wird, das rechtspolitische Problembewusstsein zu schärfen.

Interview: Rolf-Henning Hintze

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 15. April 2015


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