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Kultur oder Kommerz

Warum das transatlantische Freihandelsabkommen gestoppt werden muß

Von Jochen Kelter *

Am 16. Juli meldeten etwa 150 Organisationen eine »Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA« (EBI) offiziell an. TTIPist die englische Abkürzung für das transatlantische Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, ­CETA für eine ähnliche Übereinkunft zwischen der EU und Kanada. Seit dem 1. September haben die Aktivisten ein Jahr Zeit, europaweit eine Million Unterschriften zu sammeln, um dem Bürgerbegehren zum Erfolg zu verhelfen, mit dem gefordert wird, die Verhandlungen zu TTIP abzubrechen und CETA nicht zu ratifizieren. Wir nehmen dies zum Anlaß, die kulturellen Auswirkungen insbesondere des TTIP näher zu beleuchten. (jW)

Noch ist nicht klar, ob die Kultur Teil des zwischen der EU und den USA verhandelten Freihandelsabkommens TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) sein wird. Seit Monaten finden die Verhandlungen ausschließlich hinter verschlossenen Türen statt. Sollte das aber der Fall sein, dann stünden sich zwei unvereinbare Kulturkonzepte gegenüber, die sich ökonomisch kaum vereinbaren ließen. In Europa ist die Kultur weitgehend eine Staatsaufgabe wie die Bildung. In den USA ist sie fast ausschließlich Privatsache, also Geschäft.

Beim TTIP geht es vor allem um den Abbau von Zöllen und anderen Investitions- und Handelshemmnissen. Im Gespräch ist auch eine Klausel über den Schutz von Investitionen, durch die Konzerne mittels spezieller Schiedsstellen die jeweilige nationale Gesetzgebung aushebeln könnten. Ein Präzedenzfall ist der schwedische Energiekonzern Vattenfall, der Deutschland wegen Gewinnschmälerung durch den Atomausstieg verklagt hat. Der noch amtierende EU-Handelskommissar Karel De Gucht, der sich im Mai in Berlin zu sehr vagen Aussagen herbeiließ, möchte die TTIP-Verhandlungen irgendwann im Jahr 2015 abschließen, ohne sie durch die nationalen Parlamente ratifizieren zu lassen.

Die deutsche Regierung in der Person der Kulturstaatsministerin Monika Grütters versucht den Eindruck zu erwecken, man könne die Kultur ohne weiteres aus den Verhandlungen herauslösen. Schließlich mache sie nur zwei Prozent des Handelsvolumens zwischen der EU und den USA aus. Doch zum einen dürfte der Anteil der Kultur am Bruttoinlandsprodukt (BIP) weit höher liegen. Zum anderen werden die USA sich sehr darum bemühen, ihren Filmen, ihren Musicals, ihrer Musik den gänzlich ungehinderten Zugang zum europäischen Markt zu ermöglichen.

Beinahe alle Bereiche der Kultur könnten von dem Abkommen betroffen sein. Subventionierte Theater, die Deutschland flächendeckend mit ihrem Angebot versorgen, wären ebenso tangiert wie die staatliche Kunstförderung in Form von Preisen und Stipendien. Die USA kennen überwiegend privates Mäzenatentum. Auch die Subventionen für Kultureinrichtungen wie Literaturhäuser oder die staatliche Filmförderung könnten dem Abkommen zum Opfer fallen. Die kleinräumigen, durch die jeweiligen Sprachräume begrenzten Lizenzgebiete in Europa drohen, von den Hollywood-Oligopolen überrannt zu werden. Die Filmwirtschaft befürchtet zudem die Monopolisierung der Vertriebswege durch Internetriesen wie Google, Apple, Amazon und Co.

Frankreich hat sich schon früh auf die »Exception culturelle« (kulturelle Ausnahme) festgelegt und fordert, die Kultur aus den Verhandlungen auszuklammern, um seine Filmindustrie, die Quoten für französischsprachiges Liedgut und die Buchpreisbindung zu schützen. Doch dies könnte durch die UNO unterlaufen werden. Denn dort soll es Bestrebungen geben, die zentralen Warenklassifikationen neu zu regeln. Audiovisuelle Medien würden dann nicht mehr dem Bereich Kultur, sondern dem der Telekommunikation zugeschlagen werden. Und der gehört natürlich zum Verhandlungspaket und wäre nicht durch die »Exception culturelle« geschützt.

Der Börsenverein des deutschen Buchhandels und der Verband Deutscher Schriftsteller sehen für den Buchbereich »keine einzige Chance, nur Risiken«. Und das mit gutem Grund. Die Buchpreisbindung, also der feste Buchpreis, stünde ebenso auf dem Spiel wie der reduzierte Mehrwertsteuersatz für Bücher. Wie im visuellen und im Musikbereich würden wir von noch mehr Mainstream anstelle von Qualität zugedröhnt und zugeschüttet. Vor allem aber käme das historisch gewachsene Urheberrecht kontinentaleuropäi­scher Prägung, das den Urheber von Werken der Imagination, den es als Individuum (oder ausnahmsweise als Gruppe) benennt, schützt, gegenüber dem angloamerikanischen Copyright in Bedrängnis, das vor allem die Verwerter, die Geldmacher, die Konzerne bevorteilt.

Daß Frankreich sich als Hort der Künste begreift, hat historische Gründe. Der Theaterautor Pierre Augustin de Beaumarchais und seine Kollegen gründeten im Sommer 1777 die erste Urhebergesellschaft der Welt. In den Jahren 1791 und 1793 erließ die Nationalversammlung die ersten Gesetze zum Schutz literarischer und künstlerischer Werke. Und auch die 1838 von Balzac, Dumas fils, Victor Hugo, George Sand und anderen gegründete Société des Gens de Lettres ist der älteste Schriftstellerverband der Welt. Fazit: Die USA glauben, daß der Markt alles richtet – die Kultur könnte er hinrichten.

stop-ttip.org

* Aus: junge Welt, Dienstag 2. September 2014


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