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TTIP holt Frackinggas nach Europa

Geheimes Verhandlungspapier zum Energiesektor: EU will Zusammenarbeit mit den USA verstärken

Von Susanne Götze *

Das Transatlantische Freihandelsabkommen, über das ab Montag in Brüssel weiterverhandelt wird, würde Europa abhängiger von US-Energieimporten machen. Das zeigt ein Verhandlungsdokument.

In Europa geht ein Gespenst um: Die Verbraucher fürchten sich vor dem Handelsabkommen TTIP, das EU und USA gerade aushandeln. Horrormeldungen über in Chlor getauchte Hühnchen, künstlich mit Hormonen angereicherte Steaks und genverändertes Gemüse verunsichern die Verbraucher. Ein bisher nicht-öffentlicher Verhandlungsbericht zeigt nun, dass es auch um Fortschritte bei der Handelsliberalisierung im Energiesektor geht. Demnach könnten unkonventionelle Rohstoffe wie das mit der umstrittenen Frackingtechnik geförderte Schiefergas bald Teil des europäischen Energieverbrauchs sein – trotz eventuellen deutschen Förderverbots. Das geht aus dem von der »Washington Post« veröffentlichten Verhandlungsdokument der EU hervor. In den TTIP-Gesprächen geht es darum, die Zollgrenzen und Beschränkungen abzubauen: von Lebensmitteln über Automobilersatzteile bis hin zu chemischen Stoffen.

Laut dem auf Ende Mai datierten Bericht wird über Regeln nachgedacht, die binationale Hindernisse bei Handel und Investitionen im Energiesektor verringern sollen. »Angesichts der in den USA stattfindenden Schiefergasrevolution sind europäische und amerikanische Energie- und Rohstoffunternehmen zukünftig abhängig von freien Märkten.«

Das Abkommen würde einen europäischen Absatzmarkt für Schiefergas oder auch Öl aus Teersanden schaffen, befürchten Umweltverbände und TTIP-Gegner. Dabei war es vor allem die EU, die auf das Energiekapitel in den Verhandlungen gedrängt hat, sagt Peter Fuchs von der Nichtregierungsorganisation Powershift. Die Ukraine-Krise sei zu einem der wichtigsten politischen Argumente für eine Öffnung des europäischen Energiemarktes geworden. Der britische Außenminister William Hague hatte bereits im März angekündigt, dass Verhandlungen über eine Steigerung von US-Energieimporten sinnvoll seien. Auch die EU-Kommission will mehr Unabhängigkeit von Russland erreichen. Bisher beziehen die EU-Länder nur Kohle aus den USA.

Dort ist die Meinung geteilt, was die Belieferung Europas mit Gas und Öl angeht. Die US-Umweltbewegung lehnt eine Ausweitung des Fracking ab. Gegen eine engere Energiekooperation wenden sich aber auch Teile der Industrie, die einen Preisanstieg befürchten. Denn für ihr Schiefergas und Öl bekommen die US-amerikanischen und kanadischen Energiekonzerne auf dem Weltmarkt weitaus höhere Preise als im Inland. Derzeit gibt es allerdings recht strenge Exportbeschränkungen. Bei einem Lieferabkommen mit der EU würden die Exportmengen stark steigen, das könnte längerfristig zu höheren Preisen in den USA führen.

»Das Papier ist sehr ernst zu nehmen und gibt den Diskussionen um das Abkommen noch mal eine andere Dimension«, so Fuchs. Längerfristig behindere man so auch die EU-Klimaschutzbemühungen. Auch Parlamentarier reagierten ungehalten auf das Papier: »Parteiübergreifend haben sich Bundestagsabgeordnete dafür stark gemacht, dass Brüssel dreckiges Öl aus kanadischen Ölsanden mit einem CO2-Malus belegt. Dafür kommt nun über TTIP offensichtlich das Gegenteil: Öl und Frackinggase aus den USA sollen pro-blemloser Europa fluten«, sagte Eva Bulling-Schröter, energiepolitische Sprecherin der Linksfraktion.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 12. Juli 2014


Etikettenschwindel im Bundesrat

Länderkammer berät über unkonventionelle Gasfördermethode

Von Simon Poelchau **


Hessen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg wollen Fracking streng reglementieren, aber nicht ganz verbieten.

Fracking – Ja, nein oder doch vielleicht? »Das Thema Fracking bewegt die Gemüter«, stellte zumindest Umweltstaatssekretär Florian Pronold (SPD) am Freitag im Bundesrat fest. Dort debattierten die Vertreter der Länder über die umstrittene Gasfördermethode. Während Niedersachsen als Befürworter gilt, wollen Hessen, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein zumindest das sogenannte unkonventionelle Fracking verbieten lassen. Umweltschützern geht diese Initiative jedoch nicht weit genug.

Beim Fracking wird ein Gemisch aus Wasser und Chemikalien unter hohem Druck in Gesteinsschichten gepresst, um so die dort befindlichen Erdgasvorkommen freisetzen und fördern zu können. Dabei unterscheidet man gemeinhin zwischen konventionellem und unkonventionellem Fracking. Ersteres wird bereits in Deutschland angewandt und dient vor allem zur Steigerung der Fördermenge konventioneller Gasvorkommen. Bei unkonventionellem Fracking werden vor allem Schiefergesteins- und Kohleflözschichten aufgespalten.

Bereits vergangene Woche einigten sich Bundesumweltministerin Barbara Hendricks und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (beide SPD) auf gemeinsame Eckpunkte zur Regelung des Frackings. Demnach soll das konventionelle Fracking weiterhin erlaubt bleiben. Die unkonventionelle Gasförderung aus Schiefer- und Kohleflözgestein oberhalb von 3000 Metern Tiefe, sowie in Wasser- und Naturschutzgebieten wird jedoch durch das Wasserhaushaltsgesetz untersagt. Das Verbot ist jedoch nicht für immer: Im Jahr 2021 soll der Gesetzgeber die Regelung überprüfen.

Dies geht Schleswig-Holstein, Hessen und Baden-Württemberg nicht weit genug. Sie fordern in einem Entschließungsantrag das generelle Verbot unkonventionellen Frackings. »Der Schutz unseres Trinkwassers ist ein hohes Gut«, erklärte dazu Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck (Grüne). Die Eckpunkte von Gabriel und Hendricks reichten dabei nicht aus, die Risiken auszuschließen. Zudem sei Fracking »selbst unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten« nicht sinnvoll.

Auf der anderen Seite steht Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD): »Wir wollen technisches Know-how, Arbeitsplätze und Energiereserven sichern – und damit die Zukunft der Erdgasförderung.« Sein Bundesland will Erdgasförderungen bereits ab einer Tiefe von 2500 Metern zulassen. Dabei ist Niedersachsen von wirtschaftlichen Motiven getrieben: »95 Prozent des in Deutschland geförderten und immerhin zwölf Prozent des bundesweit verbrauchten Erdgases stammen aus niedersächsischen Vorkommen«, so Lies.

Derweil demonstrierten Umweltgruppen am Freitag vor dem Bundesrat. Sie fordern ein generelles Frackingverbot. »Der vermeintliche Unterschied zwischen konventionellem und unkonventionellem Fracking ist eine Legende«, erklärte Oliver Kalusch vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), gegenüber »nd«. Er kritisiert, dass es bis jetzt noch kein systematisches Monitoring zur unkonventionellen Gasfördermethode gibt. »Niemand hat sich jemals die Mühe gemacht, herauszufinden, welche Schäden dadurch bereits entstanden sind«, so Kalusch.

Chris Methmann von Campact hält deswegen die Bundesratsinitiative Schleswig-Holsteins für einen Etikettenschwindel: »Konventionelles Fracking bleibt erlaubt und giftige Rückstände dürfen weiter verpresst werden.« Wer es mit dem Schutz »unseres Trinkwassers und des Weltklimas ernst« meine, der müsse alle Formen des Fracking verbieten. Campact hatte in den vergangenen Wochen zusammen mit dem BBU und dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland 460 000 Unterschriften gegen das Fracking gesammelt.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 12. Juli 2014


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