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Einfallstor CETA

Wirtschaftsministerium stellt Gutachten zu Freihandelsabkommen mit Kanada vor

Von Simon Poelchau *

Im CETA-Abkommen zwischen Kanada und der EU soll der Investitionsschutz gestärkt werden. Nicht so schlimm, meint ein Gutachten des Wirtschaftsministeriums.

So richtig Lust hatte Brigitte Zypries (SPD) wohl nicht auf den Termin am Montag. Denn als der Jurist Franz Mayer eins von zwei Gutachten über das Freihandelsabkommen CETA zwischen Kanada und der EU vorstellte, konzentrierte sich die parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium lieber auf ihr Smartphone. Dabei gilt CETA als Blaupause für das geplante und heftig umstrittene Freihandelsabkommen TTIP mit den USA.

Zwei Fragen sollten die beiden Gutachten, die das Wirtschaftsministerium in Auftrag gegeben hatte, klären. Erstens: Ist CETA ein sogenanntes gemischtes Abkommen, bedarf es also neben der Zustimmung der EU auch der Zustimmung aller 28 EU-Mitgliedsstaaten? Und zweitens: Wie groß sind die Auswirkungen der Bestimmungen zum Investitionsschutz und zu den Investor-Staat-Schiedsverfahren, die im CETA-Vertragsentwurf festgeschrieben sind, auf den Gesetzgeber?

Besonders der zweite Punkt sorgte für Verwirrung. Denn der Verfasser dieses Gutachtens, Stephan Schill, kam quasi im Namen des Wirtschaftsministeriums zu dem Schluss, dass CETA insgesamt »keine wesentlichen über bestehende verfassungs- oder unionsrechtliche Vorgaben hinausgehende Bindungen des Gesetzgebers« enthalte. Und auch beim geplanten Schiedsverfahren, mit dessen Hilfe Konzerne gegen Staaten klagen können sollen, sei das »Haftungsrisiko überschaubar«.

Hatte sich mit dem Gutachten die Meinung der Sozialdemokraten und des Wirtschaftsministeriums innerhalb weniger Tage etwa geändert? Schließlich hatte Ressort- und Parteichef Sigmar Gabriel in Sachen TTIP erst vergangene Woche zusammen mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund ein Positionspapier dazu herausgegeben.

Darin heißt es noch, Investitionsschutzvorschriften »sollten nicht mit TTIP eingeführt werden« und Investor-Staat-Schiedsverfahren seien »in jedem Fall« abzulehnen. Vergangenes Wochenende nickte der SPD-Partei-Konvent dieses Papier nach heftigem Streit ab und bestimmte, dass die gleichen Maßgaben auch für CETA gelten sollten. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) forderte Gabriel sodann auch auf, dies einzuhalten. Ansonsten drohe ein Unterlaufen durch die Hintertür, denn »es ist zu befürchten, dass viele amerikanische Unternehmen über kanadische Tochterunternehmen operieren werden«, unkt die NGG-Vorsitzende Michaela Rosenberg.

Die ehemalige Justizministerin Zypries wollte zu dem offenbaren Sinneswandel jedoch keine Stellungnahme abgeben. Schließlich sei sie für die Bundesregierung anwesend – und nicht etwa für die Partei. In einer späteren Mitteilung versuchte Zypries dann zu beschwichtigen: Die Bundesregierung halte »spezielle völkerrechtliche Regelungen zum Investitionsschutz und zu Investor-Staat-Schiedsverfahren zwischen Staaten, die über belastbare Rechtsordnungen verfügen und ausreichend Rechtsschutz vor unabhängigen nationalen Gerichten gewährleisten, grundsätzlich für entbehrlich.«

Das andere Gutachten hatte weniger Sprengkraft. Es kam zu dem Schluss, dass CETA ein gemischtes Abkommen sei, und untermauerte die Auffassung der Bundesregierung, dass es auch von den Parlamenten der Mitgliedsstaaten ratifiziert werden müsse. Damit stellt sich Schwarz-Rot zusammen mit allen 28 EU-Staaten gegen die EU-Kommission, die das Abkommen allein auf Brüsseler Ebene abgesegnet haben will. Einen Alleingang der Kommission will Deutschland notfalls mit Partnern im Ministerrat stoppen oder den Streit vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) klären lassen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag 23. September 2014


Gutachten fürs kurze Gedächtnis

Simon Poelchau über zwei CETA-Studien aus dem Wirtschaftsministerium **

Mit Gutachten ist es so eine Sache. Eigentlich sollen sie nur das aussagen, was der Auftraggeber selber hören will. So ist es auch mit den zwei jüngsten Gutachten aus dem Hause des Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel zum CETA-Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada.

Das erste Gutachten sagt: Ja, die 28 Mitgliedstaaten der EU müssen das Abkommen mit unterzeichnen. Da freut sich der Minister, schließlich ist er genau deswegen mit der EU-Kommission im Streit, die das Abkommen alleine unterzeichnen will. Das zweite Gutachten bringt Gabriel, der zugleich auch SPD-Chef ist, dann doch etwas in Erklärungsnot. Es besagt nämlich: Ach, Investitionsschutz und Schiedsverfahren sind gar nicht so schlimm – zumindest nicht beim Abkommen mit Kanada. Aber hat nicht eben erst jener Gabriel zusammen mit dem DGB gesagt, dass dies im Falle des Freihandelsabkommen TTIP mit den USA auf gar keinen Fall ginge? Da hofft man in Berlin wohl auf das kurze Gedächtnis der Bürger. Um diese auf den auch TTIP genannten Dammbruch in Sachen Umwelt- und Arbeitsrechte samt kommender Investitionsschutzrechte einzustimmen, übt man schon mal mit dessen kleiner Schwester CETA. Dabei lautet die erste Übung »Gutachten mit dem Titel ›Ist alles gut‹ schreiben«. Und was lernt man daraus? Traue keinem Gutachten, das Du nicht selbst geschrieben hast.

** Aus: neues deutschland, Dienstag 23. September 2014 (Kommentar)


Freie Hand für Gabriel

Handelsabkommen TTIP innerhalb der SPD nicht länger kritisierbar. Gegner trommeln weiter zum Widerstand

Von Ralf Wurzbacher ***


Der innerparteiliche »Zoff« um das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP hat sich in der SPD erledigt. Auf ihrem Konvent am Wochenende in Berlin votierten die rund 200 Delegierten mit überwältigender Mehrheit für eine Fortsetzung der Verhandlungen zwischen den USA und der EU (jW berichtete). Im Vorfeld war zu lesen, Parteichef Sigmar Gabriel müsse fürchten, die Genossen könnten der geplanten Handels- und Investitionspartnerschaft »vorschnell« eine Absage erteilen. Die Sorge war – bei sieben Gegenstimmen – unbegründet und die laut SPD-Fraktionsführer Thomas Oppermann »komplett irre« Diskussion ein Sturm im Wasserglas.

Spiegel online schrieb über die »geheime« Veranstaltung im Willy-Brandt-Haus: »Gabriel haut auf die Pauke«. In einer vorangegangenen Sitzung des Parteivorstandes soll er sich »schwer genervt« über seine Kritiker geäußert und diese in seiner Tagungsrede frontal angegriffen haben. Seine Klage: Wer die Umstände der internationalen Gespräche kritisiert, kritisiere ihn automatisch mit. Gabriel ist als Bundeswirtschaftsminister in der Regierung federführend beim TTIP. Widerworte hatte es zuletzt von der sogenannten Parteilinken gegeben, weil mit dem Pakt Verschlechterungen bei Arbeitnehmerrechten, im Kulturbereich und für die Verbraucher drohten. Das sehen sie vielleicht immer noch so, werden es jetzt aber für sich behalten müssen.

Enttäuscht zeigen sich die echten Gegner des TTIP. »Faktisch haben die Genossen Gabriel freie Hand gegeben«, meinte Roland Süß vom bundesweiten ATTAC-Koordinierungskreis am Montag gegenüber junge Welt. »Nicht wenige haben wohl ihre Überzeugungen hinter die Parteiräson zurückgestellt.« Gabriels Darstellung, es wäre möglich, die bestehenden Maßstäbe etwa im Sozial- und Umweltbereich in den Verhandlungen sogar zu verbessern, »ist eine Illusion, die einfach nicht stimmt«.

Süß’ Vorwurf der Blauäugigkeit richtet sich auch gegen die Spitze des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Der hatte sich in der Vorwoche in einem gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium erarbeiteten Papier grundsätzlich zum TTIP bekannt, allerdings die Erfüllung bestimmter Bedingungen verlangt. Beispielsweise werden darin Sondergerichte, vor denen Konzerne Staaten auf Schadenersatz verklagen können, sowie Investitionsschutzklauseln kategorisch abgelehnt. Auch Einschränkungen bei Arbeitnehmerrechten, Verbraucherschutz-, Sozial- und Umweltstandards werden als nicht verhandelbar verworfen. Zudem müsse am Ende der Bundestag zustimmen.

Für Jörg Haas vom Kampagnennetzwerk Campact sind das »alles durchaus anspruchsvolle Kriterien«. Allerdings fänden sich diese weder im Verhandlungsmandat zu TTIP noch im CETA-Abkommen mit Kanada wieder, das als Beta-Version für den EU-USA-Pakt gilt. »Sich einerseits schöne Dinge wünschen und anderseits sagen, die Verhandlungen müßten wie gehabt fortgesetzt werden – das paßt einfach nicht zusammen«, monierte Haas. Immerhin zeichne sich ab, daß CETA nicht wie geplant in dieser Woche auf dem EU-Kanada-Gipfel in Ottawa unterzeichnet wird. »Auf der Tagesordnung des Treffens kommt das Wort CETA nicht vor«, sagte Haas.

Gabriel selbst hatte am Wochenende eine Prüfung von CETA für notwendig erklärt, weshalb mit dessen Ratifizierung in diesem Jahr nicht mehr zu rechnen sei. Vielleicht, so Haas’ Mutmaßung, sei der SPD-Chef »wegen des wachsenden Widerstands reingekrätscht«. Dann müsse er allerdings auch darauf hinwirken, die Verhandlungen völlig neu aufzurollen. Beispielsweise sei laut CETA-Text eine Rekommunalisierung von öffentlichen Diensten nicht mehr möglich.

Derweil hat die Initiative »Stop TTIP« angekündigt, gegen die Mitte September durch die EU-Kommission ergangene Ablehnung einer euro­päischen Bürgerinitiative zu TTIP und CETA Rechtsmittel vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) einzulegen. Bis auf weiteres will man das Verbot einfach ignorieren und »selbstorganisiert starten«, heißt es in einer Pressemitteilung. Das aus über 240 Organisationen bestehende Bündnis ruft den 11. Oktober zu einem europaweiten Aktionstag auf.

*** Aus: junge Welt, Dienstag 23. September 2014


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