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Krieg beginnt hier

Friedensinitiative protestiert seit über 20 Jahren gegen Bundeswehrübungen in der Colbitz-Letzlinger Heide in Sachsen-Anhalt. Weiteres antimilitaristisches Camp in Planung

Von Susan Bonath *

Eine Militärkolonne rattert über die B189. Hinter den blanken Fassaden der Einfamilienhäuser im 500-Einwohner-Dorf Dolle regt sich nichts. Aber an einem seitlichen Waldweg, der nach wenigen Metern an einem Schild mit der Aufschrift »Militärisches Sperrgebiet« endet, parken etwa 30 Autos. Menschen sammeln sich. Helmut Adolf diskutiert mit zwei Polizisten, Edgar Kürschner checkt das Mikrofon, zwei Frauen entrollen ein Transparent. Die vorbeifahrenden Soldaten sollen sehen, wofür sie stehen: »Frieden schaffen ohne Waffen« ist ihre Losung. Es ist der erste Märzsonntag 2014, Zeit für den 248. Friedensweg der Bürgerinitiative »Offene Heide«.

Kürschner und Adolf gehören zu den Aktivisten der ersten Stunde. Seit 1993 stehen sie jeden ersten Sonntag im Monat in der Colbitz-Letzlinger Heide. Bei Hitze, Regen, Sturm oder Schnee protestieren sie für eine zivile Nutzung des Naturschutzgebietes, für Frieden und gegen Krieg. Manchmal folgen nur 20 Menschen dem Aufruf der Initiative, ein andermal sind es über 50, am 2. März protestieren immerhin 75. »So viele waren wir lange nicht mehr«, freut sich Kürschner. Der Krieg beginnt für die Aktivisten auf dem 232 Quadratkilometer großen Truppenübungsplatz im Gefechtsübungszentrum (GÜZ) Altmark, den die Bundeswehr selbst als den modernsten Europas bezeichnet. Rund 25000 Soldaten erhalten hier jährlich den letzten Schliff für Kriegseinsätze.

Diesmal wird viel über eine Militärdrohne gesprochen, die vor wenigen Tagen nahe des Ortes Colbitz abgestürzt war. Die Bundeswehr hatte von einer »Notlandung« gesprochen. Daran aber glaubt hier niemand. »Stellt euch vor, sie wäre in eine Menschengruppe gefallen«, sagt der Redner, während etwa 20 Leute ein viele Meter langes Friedensbanner ausbreiten. Heftig debattiert die Gruppe über eine vermutete Erweiterung des Militär­areals gen Westen. Wälder des Landesforstes würden derzeit von Sachsen-Anhalt dem Bund übergeben – angeblich, um die Bürger besser vor Umweltbelastungen zu schützen, sagt Helmut Adolf. »Nach zwanzig Jahren merkt der Betreiber Rheinmetall plötzlich die Lärm- und Staubbelästigung durch den Leopard-Panzer?« fragt er ungläubig. Schon jetzt seien viele einst freie Wege nur noch mit militärischer Genehmigung begehbar. »Es ist eine Schande, mit welcher Frechheit den Bürgern etwas vorgemacht wird«, findet eine Frau.

Daß der Lärm mit dem Bau von »Schnöggersburg« zunehmen wird, steht für die Demonstranten fest. Die 6,5 Quadratkilometer große Kampfmetropole mit Flugplatz, Straßen, Wohn-, Industrie- und Elendsvierteln wird derzeit für über 100 Millionen Euro abseits der zivilen Welt aus dem Boden gestampft (jW berichtete). 2017 könnten dort die ersten Soldaten den Großstadtkampf proben. Seit das Bundesverteidigungsministerium das »Projekt« im Mai 2012 aus der Geheimschublade geholt hatte, ist es Thema Nummer eins der Initiative. Voriges Jahr hatte die EU-Kommission gerügt, der Vogelschutz sei bei der Planung mißachtet worden. Über die entsprechende Beschwerde der Grünen muß der Europäische Gerichtshof entscheiden. Die Linkspartei geht zudem davon aus, daß die Bundeswehr in »Schnöggersburg« auch für Bürgerkriege in Europa probt. Das aber hindert das Militär nicht am Weiterbau. Mitte Februar verkündete die Magdeburger Volksstimme, daß der Bau der Kampfstadt »völlig planmäßig« verlaufe. Die Kanalisation unter der künftigen »Altstadt« liege bereits. Bis Anfang 2015 würden für 2,5 Millionen Euro die U-Bahn-Anlage und für etwa zehn Millionen Euro der Fluß mit Brücken fertiggestellt, prognostizierte ein Sprecher des involvierten Landesbaubetriebes.

»Wir wollen die Bürger dafür sensibilisieren, daß nebenan nicht nur gespielt, sondern der echte Krieg geübt wird«, meint Edgar Kürschner. Ein mühsames Unterfangen: Von Hunderten, die in den 90ern protestierten, sind wenige geblieben. Das liege unter anderem, so Kürschner, »am Totschlagargument Arbeitsplätze«. Damit wirbt die Politik in den Medien und die Bundeswehr auf Festen und in Schulen. Von den meisten, allen voran den Bürgermeistern der Anrainerorte, wird das akzeptiert. Doch ans Aufgeben denken die Aktivisten nicht. »Steter Tropfen höhlt den Stein, wie bei der Antiatombewegung«, hofft Kürschner. Zwar wirkt die Gruppe auf ihrem Spaziergang über die Bundesstraße alles andere als unfriedlich, ziviler Ungehorsam steht aber durchaus auf ihrem Programm. Wie im August, als eine 17köpfige Gruppe, darunter mehrere über 70jährige, von Feldjägern der Bundeswehr beim friedlichen Spaziergang auf dem Truppenübungsplatz gestellt wurde. »Sie haben uns danach 15 Kilometer zu Fuß nach draußen getrieben«, erinnert sich Kürschner, der, wie die anderen, einen Bußgeldbescheid über 123 Euro dafür kassiert hat.

Aufwind gibt den Antimilitaristen die Zusammenarbeit mit der europäischen Friedensbewegung. Die ist mit im Boot bei der Organisation des dritten »War starts here«-Camps in der Heide. In diesem Jahr soll es vom 17. bis 24. August stattfinden. 2012 und 2013 hatten die Proteste überregional für Aufmerksamkeit gesorgt. »Diesmal werden wir noch mehr Wert darauf legen, spektrenübergreifend gegen Kriege und das Herrschaftssystem, das diese produziert, anzugehen«, verkünden die Organisatoren auf ihrer Internetseite.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 5. März 2014


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